von Pensively
Kapitel 14 – Von Salzwasser getrübt
Während sie ziellos durch die Gänge hastete, spürte Hermine wie die Wut in ihr langsam abebbte. Warum war sie so gereizt? Natürlich hatte sie einen Grund, gereizt zu sein, immerhin war Rons Verhalten auch nicht gerade angebracht gewesen. Aber so gereizt? Sie merkte, dass ihr frische Tränen übers Gesicht rannen. Sie versuchte, sie zurückzuhalten, doch es ging nicht. Heiß und unaufhörlich quollen sie aus ihren Augen. Was war nur los mit ihr? Sie hatte sich sonst immer so gut unter Kontrolle.
Sie verlangsamte ihre Schritte und lehnte sich schließlich an eine Wand, an der sie sich auf den Boden sinken ließ. Der Boden war steinern und somit auch kalt. Doch es war ihr egal. Sie wusste nicht, wie viel Uhr es war und ob das Abendessen schon beendet war. Doch auch das war ihr egal. Sie befand sich in der Nähe der Bibliothek. Hier verirrte sich um diesen Zeit in der Regel niemand mehr hin. Sie musste lächeln. Die Bibliothek. Es war, als wäre Hermine wie magisch angezogen von diesem Ort.
Plötzlich schoss ihr Snape in den Kopf. War sie womöglich schon zu spät? Verzweifelt zog sie die Beine an ihren Körper, legte ihre Arme darum und ließ ihren Kopf auf die Knie sinken. Neue Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schloss die Augen und schluchzte. Snape, Snape, Snape. Was war nur los mit ihr? Was? Niemand konnte ihr eine Antwort darauf geben. Nicht einmal sie selbst. Sie wusste nur, dass sie ihn wollte. Sie wollte von ihm in den Arm genommen werden, wollte sich an seine große, dunkle Gestalt lehnen, wollte einfach nur bei ihm sein. Ihr Atem wurde immer ungleichmäßiger, ihr Schluchzen unkontrollierter und sie konnte nicht aufhören zu weinen. So konnte sie doch unmöglich bei Snape aufkreuzen. So wie sie jetzt aussah. Wahrscheinlich war die Schminke um ihre Augen herum völlig verlaufen. Doch es war ihr egal. Alles war ihr egal. Sie wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken müssten, sie wollte …
„Miss Granger?!“ … einfach nur noch heulen und – „Miss Granger!“
Urplötzlich hörte Hermine auf zu atmen. Langsam hob sie den Kopf. Die Sicht war verschwommen, die Tränen ließen kein klares Bild zu. Sie wischte sich durch die Augen. Und jetzt erkannte sie ihn. Hastig wollte sie aufstehen, doch sie stand mit einem Fuß auf ihrem Umhang. Sie verlor das Gleichgewicht und drohte in eine Rüstung zu fallen als Professor Snape sie mit beiden Händen packte und so im letzten Moment ein Unglück verhinderte. „Was zur Hölle –“, setzte er an, doch dann trafen sich ihre Blicke und er unterbrach sich selbst. Einige Momente lang durchdrangen seine unergründlichen tiefschwarzen Augen ihre, dann ließ er sie los und trat einen Schritt zurück, wahrscheinlich um eine angemessene Distanz zu wahren. Hermine fühlte sich grauenvoll. Ihre Knie zitterten und sie drohte, erneut das Gleichgewicht zu verlieren. Sie trat nach hinten und stützte sich an der Wand ab, hoffte, dass dies ihrem Professor entging. Dieser zog eine Augenbraue hoch. „Was tun Sie hier?“
Und beim Klang seiner Stimme verschwamm die Sicht erneut. „Ich -“, schluchzte sie, „Ich … es tut mir leid, Professor … ich … ich wollte … es tut mir leid, dass ich zu spät bin und dass -“ „Zu spät?“, unterbrach er sie. „Es hieß, Sie kommen nach dem Abendessen zu mir. Es war keine exakte Zeit vereinbart.“ Seine Stimme war kalt, berechnend. Vollkommen emotionslos. Und doch war allein der Gebrauch seiner Worte unglaublich nett, wenn man bedachte, dass Snape sprach. „Davon abgesehen muss ich ohnehin noch mit Madame Pince sprechen. Am besten Sie warten hier auf mich. Es wäre sicherlich nicht zur Freude der Allgemeinheit, wenn Sie irgendwo im Schloss liegen bleiben.“ Der Professor wandte sich ab und rauschte an ihr vorbei Richtung Bibliothek. Hermine glaubte, so etwas wie Besorgnis in seinen Augen gesehen zu haben. Konnte das sein? Konnte es tatsächlich sein, dass Snape so etwas wie Gefühl hatte, mal abgesehen von seinen Wutausbrüchen? Das Mädchen konnte nicht mehr klar denken. Erneut überzog der salzige Film ihre Augen. Sie bekam ihn einfach nicht aus dem Kopf. Sie glaubte, immer noch seinen Geruch wahrnehmen zu können. Obwohl, es war kein Geruch. Er duftete. Es war ein sonderbarer Duft, er erinnerte eindeutig an Kräuter und Zaubertränke. Doch Hermine konnte ihn nicht zuordnen. Noch nie hatte sie so etwas gerochen. Es war berauschend, benebelnd …
Oder bildete sie sich das nur ein? War sie jetzt völlig am Ende mit den Nerven?
Sie stellte sich vor, wie er gleich zu ihr zurückkommen würde, sie in den Arm nehmen würde, sodass sie sich an seiner Schulter ausweinen konnte. Und es würde ihm nichts ausmachen, dass seine schwarze Robe, durchnässt von ihren Tränen, noch schwärzer wurde. Sie würde mit ihrem Gesicht ganz nah an seinem sein, sie würde seine schwarzen, glatten Haare an ihrer Wange spüren, würde ihren Duft bewusst aufnehmen, um ihn nie wieder zu vergessen …
Hermine vernahm ein Geräusch rechts von ihr. „Granger!“ Die Stimme war relativ dunkel, eindeutig männlich. Doch es war nicht Snape. Sie fuhr herum. Cormac McLaggen stand etwa zwei Meter neben ihr und starrte sie an. Hastig wischte Hermine sich mit dem Ärmel ihres Umhangs die Tränen aus den Augen. „Was … was ist los?“ Er klang ehrlich besorgt. Hermine ärgerte sich. Warum geriet auch immer sie in solch absurde Situationen?! „Ach, ist nicht so wichtig“, murmelte sie, Blickkontakt vermeidend. Cormac ging auf sie zu bis er direkt vor ihr stand. „Ich denke, nichts was dich betrifft, kann unwichtig sein.“ Seine Stimme war verändert. Zwar immer noch besorgt, aber ein seltsamer Unterton hatte sich eingeschlichen. Es sollte wohl verführerisch klingen. Jetzt blickte Hermine ihn an. Er stand extrem nah vor ihr. Viel hätte nicht mehr gefehlt, dann hätte sein Körper ihren berührt. „Es … es ist nichts, Cormac“, konterte Hermine, in der Hoffnung, er würde sie in Ruhe lassen und schnell wieder verschwinden. Sie hasste es, so von anderen gesehen zu werden. Gefühle zu zeigen machte verletzbar, angreifbar. War das vielleicht der Grund, warum Snape scheinbar keine Gefühle hatte? Hatte er in Wirklichkeit welche, doch er setzte alles daran, sie vor anderen zu verbergen, sich nach Außen hin abzuschirmen?
Cormac streckte eine Hand aus und wickelte eine ihrer gelockten Haarsträhnen um einen Finger. „Du hast so wunderschönes Haar“, hauchte er. Hermine wollte nach hinten zurückweichen, doch sie hatte die Wand vergessen. Die Hand ließ die Strähne frei und wanderte zu ihrem Gesicht, wo sie über ihre Wange strich. „Cormac, ich -“
„Du bist so schön, Hermine“, unterbrach er sie. Er fasste sanft unter ihr Kinn, hob es leicht an. „Cormac, nicht! Ich muss wirklich jetzt gehen!“, sagte Hermine panisch, doch er hörte es gar nicht. Sie war außer Stande, sich zu bewegen. Cormac beugte sich zu ihr herunter, um –
„McLaggen!“, bellte eine wütende Stimme zu ihnen herüber. Cormac ließ von Hermine ab und sprang einen Schritt zurück, Hermine fuhr herum. Professor Snape stand einige Meter von ihnen entfernt und funkelte Cormac böse an.
„Professor, ich -“, setzte er an. Seine Stimme zitterte. Und Snape kam schon Unheil verkündend auf ihn zu. Er hielt so dicht vor ihm wie es nur möglich war, ohne ihn zu berühren.
„Ich denke, es schickt sich nicht, wegen Belästigung von Hogwarts verwiesen zu werden, nicht wahr, McLaggen?!“ Snapes Blick durchdrang ihn wie der dritte der unverzeihlichen Flüche. „Nein … Professor, ich kann … ich kann das erklär-“
„Verschwinden Sie!“ Das ließ Cormac sich nicht zweimal sagen. Hastig und ohne Hermine auch nur noch einmal anzusehen, machte er sich davon. Snape starrte immer noch auf die Stelle in der Luft, wo sich eben noch Cormacs Kopf befunden hatte. Dann blickte er, ohne den Kopf jedoch mitzubewegen, zu Hermine. Ihre Knie zitterten immer noch, jedoch heftiger als zuvor. Lag es am Augenkontakt mit ihrem dunkel beseelten Professor? Er sah sie immer noch an. Emotionslos. Wie immer.
Seine Lippen öffneten sich. „Vielleicht ist es besser, wenn wir den Unterricht verschieben.“ Hermine war ehrlich verblüfft. Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? Es sollte wohl eine unwiderrufliche Feststellung sein, doch in seinem Blick schwang etwas mit, das auf eine Zustimmung oder Ablehnung ihrerseits wartete. Hermine wollte gerade den Mund öffnen, um eine Antwort zu geben, doch dann verschwamm die Sicht. Und diesmal nicht aufgrund von Tränen.
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