von Pensively
Kapitel 5 – Einundzwanzig Minuten
Vor der massiven Holztür angekommen, waren sie vollkommen außer Atem. Sie hatten fast das gesamte Schloss durchqueren müssen, waren auf dem Weg von Peeves mit etwas, das nach Fellknäueln ausgesehen hatte, beworfen worden, Hermine hatte alle 15 Meter eines der vielen Bücher fallen gelassen und Ron war in Professor McGonagall herein gerannt. All diese Faktoren hatten nicht gerade wenig dazu beigetragen, dass sie jetzt noch viel verspäteter waren als es ausgesehen hatte. Ron hob die zu einer Faust geformten Hand, die kurz bevor sie die Tür berühren konnte, in der Luft verharrte. Er blickte Hermine mit einer Mischung aus Unsicherheit und irgendetwas anderem, das nach Angst aussah, an. Sie atmete einmal tief aus und nickte ihm dann zu. Und ihm nächsten Moment schlug Ronald Weasley seinem Professor für Zaubertränke gegen die Brust.
Severus Snape hatte die Tür aufgerissen, bevor Ron überhaupt angeklopft hatte, geschweige denn registriert hatte, dass die Tür geöffnet worden war.
„WEASLEY!“, schrie der vollkommen in schwarz gekleidete, fast einen Kopf größere Lehrer seinen ebenso verdutzt wie entsetzt aussehenden Schüler an. „REIN! SOFORT!“ Hermine hatte vor lauter Schreck über das plötzliche Erscheinen ihres Professors sowie über seine Reaktion auf Rons Attacke sämtliche Bücher fallen gelassen und machte sich nun unter den stechenden Blicken eben dieses Mannes daran, sie wieder aufzusammeln, so schnell wie möglich. „HELFEN SIE GRANGER GEFÄLLIGST, SONST WERDEN WIR GAR NICHT MEHR FERTIG!“ Ron, der so perplex war, dass er überhaupt nichts davon mitbekommen hatte, kniete sich hastig neben Hermine auf den Boden und stopfte die schweren Bücher über Vampire, die Hermine noch nicht aufgehoben hatte, unter seinen Arm. Mit eingezogenem Kopf gingen sie an ihrem äußerst gefährlich aussehenden, wutentbrannten Professor vorbei in den Klassenraum und dieser schlug die Tür hinter ihnen zu.
Neville Longbottom saß bereits an einem der Tische. Dass er sich mehr als nur unwohl fühlte, war ihm förmlich ins Gesicht geschrieben – nein, ins Gesicht gebrannt.
Doch darauf konnte Hermine nicht lange achten. Nervös beobachtete sie wie ihr Lehrer hinter das Pult trat und sich mit den Händen auf dessen Oberfläche abstützte.
Seine Fingerknochen traten bedrohlich hervor und Hermine meinte zu sehen, wie seine Pulsschlagader am Hals gefährlich pochte. Das längere, schwarze Haar verbarg den Blick auf sein Gesicht. Doch es sah so aus als würde der Professor versuchen, sich auf das Kommende vorzubereiten, um nicht zu explodieren oder einem seiner Schüler bei einem falschen Wort den dritten der unverzeihlichen Flüche auf den Hals zu hetzen.
Hermine und Ron standen unbeholfen im Klassenraum und warteten auf einen weiteren Wutausbruch. Als Snape einmal tief einatmete, hielten beide unwillkĂĽrlich die Luft an.
„Nun“, setzte er überraschend beherrscht an und Hermine wäre fast erleichtert gewesen, wenn sie seinen plötzlich so ruhigen Tonfall nicht gleichzeitig als ebenso bedrohlich empfunden hätte. Nur nicht zu früh freuen, dachte sie. „Ich nehme an, Sie wissen, dass Sie ganze einundzwanzig Minuten zu spät sind?!“, fragte er, wobei es eher eine Feststellung und weniger einer Frage glich. Wie fast immer betonte Professor Snape jede einzelne Silbe, diesmal allerdings so ruhig, dass es schon fast unheimlich war.
Keiner von beiden wagte zu antworten. Snape sah sie jetzt direkt an, doch das sah weder Ron noch Hermine, da beide auf den Boden starrten und kaum wagten, zu atmen. Wenn man Blicke wirklich spüren konnte, so wäre es jetzt schmerzhaft geworden. Er ging um das Pult herum auf sie zu und umkreiste sie bedrohlich.
Abrupt blieb er hinter Hermine stehen. „Keine Erklärung?“, fragte er, sorgfältig betonend. Ihr blieb die Stimme im Hals stecken und auch Ron gab keinen Ton von sich. Hermine glaubte fast, seinen Atem im Nacken spüren zu können. Unvermittelt breitete sich ein seltsames Gefühl in ihrer Magengegend aus. Von Angst konnte keine Rede sein, denn es fühlte sich auf unbekannte Art und Weise angenehm an. Eine Gänsehaut durchfuhr sie als Snape sich mit einer raschen Bewegung direkt vor sie stellte: „Hinsetzen!“
Nach und nach konnte Hermine ihre Gedanken ordnen. Die Dämpfe des Euphorie-Tranks, den sie für Snape brauen sollten, schienen sie zu beruhigen.
Sie erinnerte sich vage an einen Traum, den sie gehabt haben musste, als sie in der Bibliothek eingeschlafen war. Harry hatte ihr erzählt, dass Snape sich Sorgen gemacht hätte. Das war so absurd, dass es schon fast wieder lustig war und wenn die Umstände andere gewesen wären, hätte Hermine jetzt sicher gelacht. Doch sie durfte sich jetzt keine Fehler erlauben, ihren Lehrer nicht provozieren, in keiner Weise!
Und dann fiel ihr noch ein, dass Harry sie durchschaut hatte. Er hatte gewusst, dass sie Snape attraktiv fand. Moment. Durchschaut? War es denn tatsächlich so? In ihrem Traum war alles so selbstverständlich gewesen. Stand sie denn tatsächlich auf Snape?
Verstohlen warf sie einen Blick auf ihren Professor, der dabei war, eine Phiole nach der anderen zu entkorken und die Flüssigkeiten darin zu untersuchen. Die meisten hatten eine silbrige Farbe und auch wenn viele leichte Abweichungen zeigten und zwei oder drei völlig anders gefärbt waren, war Hermine sich sicher, dass es sich dabei um die Proben der heutigen Zaubertrankstunde handeln musste.
Gebannt beobachtete sie seine Hände, wie sie das nächste Glasgefäß entkorkten. Nach jeder Phiole notierte er sich etwas.
Sie betrachtete sein Gesicht, die Stirn in Falten gelegt, höchst konzentriert, und eingerahmt von diesem schwarzen, glatten Haar …
„Du, Hermine“, flüsterte Neville neben ihr, den Blick nervös auf Snape gerichtet.
„Ist es normal, dass sich hier so komische Blasen bilden?“, fragte er und deutete besorgt in seinen Kessel. Hermine nickte ihm aufmunternd zu und meinte lächelnd: „Ist alles richtig so, Neville.“ Erleichtert atmete er aus und zerkleinerte, fast neu motiviert, weitere Zutaten.
Hermine blickte noch einmal zu ihrem Professor und stellte fast erschrocken fest, dass dieser sie ebenfalls ansah. Diesmal hielt sie dem Blick stand, schluckte und nach einigen Augenblicken sah Snape gleichgĂĽltig weg und fuhr mit seiner Arbeit fort.
Nachdem Neville, Ron und Hermine ihre Arbeitsplätze gesäubert und ihre Proben abgegeben hatten, eilte Ron schon zur Tür, Neville und Hermine gingen hinterher.
„Granger, Sie warten einen Moment.“ Verdutzt drehte Hermine sich um und blickte in die schwarzen Augen des Professors. Ron zögerte beim Hinausgehen, doch als er Snapes Augen in seine Richtung funkeln sah, machte er sich zusammen mit Neville wortlos aus dem Staub. „Professor?“, sagte sie zögerlich als die Tür hinter ihr geräuschvoll in Schloss fiel. Er kam näher und hielt ihr ein Buch mittleren Gewichts entgegen. „Passen Sie beim nächsten Mal besser auf Ihre Sachen auf“, sagte er und sie erkannte, dass es sich dabei um eines ihrer Schulbücher für Verteidigung gegen die Dunklen Künste handelte. Sie musste es beim Zusammenprall mit Snape fallen gelassen haben, als sie auf dem Weg in die Bibliothek gewesen war. „Ich weiß nicht, ob die Welt Ihre Schusseligkeit in Zukunft unterstützen wird.“ Wortlos nahm sie das Buch entgegen und für einen Moment berührte sie die kalte Hand ihres Professors.
Das Gefühl, das sie zu Beginn der Stunde gefühlt hatte, schlich sich wieder in ihre Magengegend. „Sie können gehen“, sagte er kühl. Hermine wandte sich um und beim Hinausgehen entwich ihr noch ein gehauchtes „Danke“.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel