Wie in Trance sah sie auf seine Hände. Seine Hände, die geschickt und in fließenden Bewegungen einen Arbeitsschritt nach dem anderen ausführten. Sie wagte kaum zu blinzeln, um keinen Geste zu verpassen. Wie war es möglich beim Zerkleinern von Froschschenkeln, Teufelsschlingen und anderen Substanzen so attraktiv auszusehen?
Gerade versuchte sie anhand der Dämpfe, die aus dem augesetzten Kessel stiegen, und anhand der Zutaten, die er nach und nach unter höchster Konzentration hinzufügte, herauszufinden, welche Art von Trank er braute als –
Ein dumpfer Schlag ertönte direkt hinter ihr und riss sie aus ihrem Tagtraum.
„Longbottom!“ brüllte Severus Snape kaum eine halbe Sekunde später. Hermine fuhr herum und erblickte das entsetzte Gesicht von Neville Longbottom, der in der Bank hinter ihr seinen Kessel umgeworfen hatte, dessen Inhalt sich nun bedrohlich dampfend seinen Weg über den kalten Steinfußboden des Klassenzimmers suchte und die bereits aufgesprungenen Banknachbarn Nevilles zurück weichen ließ.
Im nächsten Moment rauschte eine schwarze Robe an Hermine vorbei. Der Mann, den sie eben noch beobachtet hatte, baute sich nun bedrohlich vor ihrem Klassenkameraden auf. Er hatte Hermine den Rücken zugedreht, doch sie kannte den Gesichtsausdruck, den er gerade aufsetzten musste, genau.
„Was zum Teufel können Sie eigentlich?!“
Hermine sah zu, wie Neville unter Snapes stechendem Blick immer kleiner wurde und wie alle im Blickfeld des Professors angestrengt versuchten, nicht auf das Geschehen zu achten, um nicht selbst von der schwarzen Fledermaus angefahren zu werden. Dies erwies sich jedoch nicht unbedingt als einfach, da es bis auf Snapes durchdringende Stimme, die Neville Beleidigungen mittleren Grades an den Kopf warf („Sie Vollidiot!“), totenstill im Raum war und nicht wirklich etwas vorhanden war, womit man sich hätte ablenken können.
Hermine drehte sich wieder auf ihrem Stuhl herum und versuchte sich auf ihren Trank zu konzentrieren und kurz darauf hörte sie die aufgebrachte und schneidende Stimme ihres Zaubertrankprofessors erneut hinter sich: „Was glotzen Sie so?! Sehen Sie gefälligst zu, dass Sie wieder an die Arbeit kommen und auf Ihren Trank Acht geben! Wenn noch einer von Ihnen hier herum saut, werden Sie sich wünschen, Sie wären nie geboren!“
Sofort vernahm man leises Rascheln von Umhängen und Pergament und dicht hinter sich hörte Hermine das sanfte, aber schnelle Geräusch eines Zauberstabes, was annehmen ließ, dass Snape das Missgeschick soeben beseitigt hatte. Beinahe war Hermine enttäuscht, dass sie nicht mehr hingesehen hatte. Heimlich liebte sie es, wenn ihr Professor seinen Zauberstab schwang. Nicht, dass sie noch nie jemanden hätte zaubern sehen, aber bei ihm war es etwas anderes. Bei ihm war es mehr wie … Snape. Logischerweise. Und sie mochte Snapes Art. Das musste sie sich eingestehen. Das war nicht immer so gewesen, doch seit Kurzem hatte sie das Gefühl, dass –
„Miss Granger!“
Abrupt schreckte sie hoch. Ihr Lehrer stand direkt vor ihrem Arbeitsplatz und musterte sie skeptisch. „Was um alles in der Welt tun Sie da?!“ Hermine sah ihn fragend an, sein Blick wanderte zu ihren Händen. Sie senkte den Blick ebenfalls und stellte erschrocken fest, dass sie dass sie dabei gewesen war, Unmengen von Wolfswurz zu zerkleinern, obwohl für den Trank lediglich einige Milligramm vorgesehen waren. Entsetzt sah sie wieder zu Snape auf, dessen Mundwinkel sich kaum merklich zu einem spöttischen Grinsen verzogen. „Das ist wohl der Nachteil, wenn man Klassenbeste ist. Niemand da, der einen auf Fehler aufmerksam machen kann. Und fehlerhaft scheinen Sie ja offenbar zu sein.“, sagte er mich einem Seitenblick auf Ron und Harry, die sich mit Hermine eine Bank teilten. „Nach der Stunde eine Probe dieses Tranks, wie immer auf meinem Pult!“, und mit diesen Worten wandte er sich ab, in einer vollkommenen, fließenden Bewegung, und schritt zurück zu seinem Pult, wo er sich setzte und damit begann, Notizen zu machen. Kaum hatte er den Blick von der Klasse genommen, wurde Hermine an der Schulter berührt. Ron sah sie schulbewusst an und murmelte: „Hey, tut mir leid, ich war so sehr mit meinem eigenen Trank beschäftigt, dass ich gar nicht – “
Hermine winkte ab. „Schon in Ordnung, Ron.“, sagte sie. „Wirklich“, fügte sie hinzu als Ron eine Augenbraue hochzog. „Professor Snape hat es ja noch rechtzeitig gesehen.“ Sie seufzte, schenkte ihm ein Lächeln und wandte sich dann ab, um sich wieder ihrer Aufgabe zu widmen. Der Nachteil, wenn man Klassenbeste ist. Die Worte gingen Hermine immer wieder durch den Kopf. Snape hatte sie zwar angefahren, allein im Klang seiner Stimme war – Überraschung! – eine gehörige Portion Spott gewesen, doch wenn man von Professor Snapes Maßstäben ausging, hatte sich das beinahe wie ein Kompliment angehört. Oder? Ach was. Wo dachte sie hin? Wieso sollte er, die schwarze und mehr als nur sarkastische „Feldermaus“, wie Ron ihn manchmal nannte, ihr ein Kompliment machen?! Komplimente machte man eigentlich nur, wenn man jemanden mochte. Und Severus Snape mochte sie doch gar nicht. Oder? Nicht, dass das etwas Besonderes gewesen wäre. Hermine kannte niemanden, von dem sie mit Sicherheit sagen konnte, dass Snape diesen Jemand mochte. Dumbledore vielleicht.
Ron und Harry hätten, wenn sie in diesem Moment an Hermines Gedanken hätten teilhaben können, sicher noch seine „Todesesserfreunde“ hinzugefügt, doch Hermine spürte, dass Severus Snape zu Recht das Vertrauen des weißhaarigen Schulleiters genoss, auch wenn ihre beiden Freunde das in einhundert Jahren nicht glauben würden.
Sie sah auf und ihr Blick traf den ihres Zaubertränkelehrer. Schnell sah sie wieder weg. Fast so, als hätte er sie bei etwas Verbotenem erwischt. Als sie wenige Momente später vorsichtig den Kopf hob, war er wieder in seine Arbeit vertieft. Es war so still im Raum, dass sie das Kratzen seiner Feder über das Pergament sachte hören konnte. Er führte sie schnell und dennoch bedächtig über das Papier. Es sah so aus, als würde er die Beobachtungen seiner Arbeit festhalten, da er immer wieder in den Kessel sah oder Proben entnahm und diese mit verschieden aussehenden Flüssigkeiten und Substanzen vermischte, die daraus hervorgehende Reaktion beobachtete, um sich danach sofort wieder dem Pergament zuzuwenden.
Verdutzt musste Hermine feststellen, dass sich ein rosa bis violetter Schleier vor ihren Augen bildete. Nicht besonders stark, aber doch stark genug, um ihn sofort zu bemerken. War es möglich, dass so etwas passierte, wenn man verliebt war? Und sofort schoss ihr der Ausdruck „die Welt durch eine rosarote Brille sehen“ in den Kopf. Aber das war völlig unmöglich. Sie war nicht in Snape verliebt. Etwas verknallt vielleicht, obwohl … nein. So einen Unsinn hatte sie sich noch nie –
„Ehm … Hermine?!“, vernahm sie Rons nervöse Stimme neben sich. „Hermine!“
Ron rüttelte sie an der Schulter und vorbei war es mit ihren Träumereien. Entnervt murmelte sie: „Was denn?!“ Ron deutete auf den Kessel vor Hermine.
„Also, ich meine … sollte der … sollte der Dampf nach Hinzufügen der Teufelsschlingen nicht eigentlich grünlich aussehen?“
„Oh nein! Verdammt!“, brachte sie noch entsetzt heraus, bevor der gänzlich in schwarz gekleidete Mann vor ihren Tisch trat.
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Manchmal ist es auch sehr schade, dass eine Figur verschwindet und im nächsten Band nicht mehr vorkommt. Dazu zählt beispielsweise Gilderoy Lockhart, den ich sehr mochte, weil er so furchtbar eitel war und ich mir einen Spaß daraus machte Leute aus dem Showbusiness mit seiner Charakterisierung zu veralbern.