von MIR
--> Rekommis
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Und nicht nur der Orden war da. Überrascht entdeckte Lily noch ein bekanntes Gesicht. Es war ein alter Mann mit weißem Bart, majestätisch in wertvolle Gewänder gekleidet, er wirkte wie ein König, der dem Mittelalter entsprungen war. Sie kannte ihn, denn vor ein paar Jahren hatte er Dumbledore zuliebe ein Jahr lang das Fach unterrichtet, dessen Lehrerin sie nun werden würde: Verteidigung gegen die dunklen Künste. Auch wenn er eigentlich sehr zurückgezogen lebte, war es nicht verwunderlich, dass er heute da war, denn er war der Besitzer des Steines der Weisen, Nicolas Flamel.
Sie begrüßte ihn mit einer gewissen Ehrfurcht und freute sich wahnsinnig auch die anderen endlich einmal wiederzusehen.
Doch dann begann Dumbledore mit seiner Begründung für das Treffen. Er hatte es heute hier einberufen, denn Lily und Severus, die beide das Schloss nicht verlassen durften, sollten dabei sein.
„Wie ihr alle wisst, war es unser Plan, den Stein der Weisen hier in Hogwarts zu beschützen. Meine Befürchtung, er könne auch in Gringotts nicht sicher genug sein, hat sich leider als richtig herausgestellt. Wir waren nicht schnell genug. Es gab heute morgen einen Einbruch bei unserer Zaubererbank. Der Stein wurde gestohlen. Morgen werdet ihr die Details im Tagespropheten lesen können.“
Ein Tumult erhob sich.
„Das ist unmöglich“ - „Gringotts, es gibt keinen sichereren Ort“ - „Man kann dort gar nicht einbrechen“ - „Voldemort hat doch gar keinen Körper, wie hat er es geschafft?“
Schließlich begann Flamel zu sprechen und schlagartig verstummten alle. „Es ist alles meine Schuld. Ich hätte den Stein zerstören müssen, als klar wurde, wie sehr er danach trachtet. Es tut mir wirklich leid. Ich habe mit meinem Wunsch nach einem langem Leben alle in Gefahr gebracht. Albus hat mich stets gewarnt, doch ich habe die Macht und die Gier dieses Zauberers unterschätzt. All die Jahrhunderte lang habe ich so viele schwarze Magier kommen und gehen sehen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass dieser hier ein größeres Problem darstellt. Wir hatten den Stein stets zuhause, doch Albus hat mich schließlich überzeugt, ihn nach Gringotts zu bringen. Anscheinend hat das jedoch nicht gereicht.“
„Und jetzt wollen Sie den Stein natürlich zurück, damit Sie noch endlos weiterleben können?“, attackierte ihn Sturgis. Erst jetzt bemerkte Lily, dass auch einige andere Flamel vorwurfsvoll ansahen.
„Nein. Deshalb bin ich nicht hier. Wenn es mir darum ginge, würde ich einen neuen Stein herstellen. Ich habe begriffen, dass ich die Zeit, die mir gegeben wurde, mehr als ausgenutzt habe. Es ist nun an der Zeit für Perenelle und mich zu gehen. Doch vorher werde ich euch helfen, diesen Wahnsinnigen aufzuhalten. Nur meinetwegen hält er jetzt dieses Machtmittel in den Händen.“
Sturgis schwieg betroffen und auch die anderen wussten nicht, was sie sagen sollten. Die Feindseligkeit war aus den Blicken verschwunden.
„Ich finde es wunderbar“, fuhr Flamel fort, „dass sich hier so viele mutige Streiter zusammengefunden haben, die es trotz Lebensgefahr mit ihm aufnehmen wollen. Über manche freue ich mich besonders.“ Sein Blick blieb an Severus hängen, der blass und schlecht gelaunt in der Ecke saß.
Im sechsten Schuljahr war er Todesser – schoss es Lily durch den Kopf – damals als Professor Flamel unser Lehrer war.
„Große Reden zu schwingen, tut gut, ja?“, giftete Severus. „Es wäre ratsamer vorher nachzudenken, bevor man einen Fehler begeht, den man nicht mehr gut machen kann.“
Flamel lächelte. „Wem sagst du das? Dennoch wissen wir beide, dass es trotz schlimmer Fehler einen Weg zurück auf die gute Seite geben kann.“
Severus grunzte etwas, das Lily nicht verstand.
„Was ist denn jetzt eigentlich genau passiert und was sollen wir jetzt machen?“, fragte Alice. „Ich verstehe immer noch nicht, wie Du-weißt-schon-wer es ohne Körper schaffen konnte.“
„Er hatte Hilfe“, erklärte Dumbledore leise.
„Pettigrew!“, fauchte Sirius.
„Nein. Es war Narcissa Malfoy. Sie ist auf seinen Befehl dort eingebrochen und hat den Stein geholt.“
„Narcissa? Aber sie könnte niemals alleine... und warum sollte sie das wollen?“ Die meisten Ordensmitglieder waren überrascht, denn Lucius Frau hatte nicht wirklich zu Voldemorts innersten Kreis gehört.
„Wie dem auch sei, das Ministerium hat sich eine passende Variante zurechtgelegt...“ Kingsley räusperte sich und seine Stimme klang ärgerlich als er berichtete: „Sie wurde vor zwei Stunden nach Askaban gebracht. Das Ministerium gibt ihr die ganze Schuld an dem Vorfall. Dort glaubt man, dass sie den Stein stehlen wollte, um Lucius zu heilen, und man hat anscheinend keinen Zweifel an ihren Einbruch-Fähigkeiten. Bei der Gelegenheit hat man Lucius gleich mitverhaftet. Das Ministerium ist zu der Ansicht gelangt, dass eine Rückkehr des Unnennbaren nie stattgefunden hat und dass die Überfälle im Frühjahr allein auf das Konto der Malfoys und Pettigrews gehen. Diese hätten das Ammenmärchen vor seiner Wiederkehr als Schutzbehauptung erfunden.“
„Ammenmärchen?“ Wieder empörten sich einige.
„Und Lucius? Verhaftet? Er liegt doch im Sterben?“
„Nun, der Tod wird in Askaban sicher recht schnell eintreten“, erklärte Kingsley bitter.
„Das ist entsetzlich...“, flüsterte Lily.
„Lucius war es, der deinen Schwager Vernon Dursley getötet hat“, warf Albus ein. „Deine Schwester konnte ihn eindeutig beschreiben.“
„Er stand unter der Herrschaft des dunklen Lords!“, ließ Severus jetzt wieder seine Stimme vernehmen. „Ich denke, niemand hier hat eine Ahnung davon, was das wirklich bedeutet. Man kann sich nicht einfach so widersetzen!“
„Du hast es geschafft, Severus“, erwiderte Albus freundlich.
„Jaaah. Ich habe es geschafft... meine große Heldentat! Ich bin ja sooo stolz.“, tönte er voller Sarkasmus. „Pech für Lucius, dass er nicht in Vernon Dursley verliebt war.“
Lily schoss das Blut in den Kopf. Indirekt hatte Severus es nun allen mitgeteilt...
Doch es gab eine Frage, die sie im Moment noch mehr bewegte: „Was passiert denn dann mit Narcissas kleinen Sohn – wie hieß er noch mal?“
„Draco“, antwortete Albus. „Ihm blüht das Schicksal aller 'Verbrecherkinder'. Eine anonyme Adoption. Niemand wird erfahren, wohin er gebracht wird. Sein Gedächtnis wird gelöscht.“
„Aber … er ist doch noch genauso klein wie Neville und Harry“, empörte sich Alice. „Gedächtnislöschung – warum? Das ist barbarisch!“
„Es gibt doch Verwandte, oder?“, fragte Molly besorgt.
„Ja. Andromeda Tonks wurde von mir sofort informiert“, entgegnete Albus, „Aber sie hatte keine Chance. Sie hat sich sehr für den Jungen eingesetzt, doch damit machte sie sich nur verdächtig. Am Ende konnte sie froh sein, dass man ihr nicht noch die eigene Tochter wegnahm. Auch Walburga Black, die Großtante, hätte das Kind niemals bekommen.“
„Was ist mit Voldemort?“, fuhr jetzt Sirius dazwischen. „Ich denke darüber sollten wir uns die meisten Gedanken machen! Wo ist er? Und hat er wirklich den Stein?“
„Das ist anzunehmen. Nach dem Überfall hat er Narcissa und Lucius ihrem Schicksal überlassen. Mit dem Stein wird er einen neuen Körper bekommen können, vielleicht hat ihm Narcissa sogar noch dazu verholfen. Da ihm jedoch so viele seine Anhänger untreu geworden sind und das Ministerium seine Rückkehr wohl ignorieren wird, wird er vielleicht erst einmal im Stillen neue Kräfte und neues Gefolge sammeln. Ich denke nicht, dass er wieder so überstürzt handeln wird wie im Frühjahr. Außerdem wird er möglicherweise seinen jetzigen Körper nur als Übergangslösung betrachten. Er wird etwas perfekteres suchen, um nicht von diesem Elixier des Steines abhängig zu bleiben.
Wir müssen versuchen, seinen neuen Aufstieg zu verhindern.
Alle waren nach dieser Rede wie erschlagen. Was Albus erzählte, konnte nur ein Albtraum sein.
Die Aufgaben im Orden wurden wieder neu verteilt: Alle sollten versuchen, die Rückkehr Voldemorts unter den Menschen bewusst zu machen, außerdem wurde die Überwachung der alten und möglichen neuen Todesser verstärkt. Lily, Harry und Severus sollten jedoch unter dem Schutz von Hogwarts bleiben.
„Voldemort mag einen Hass auf mich haben, doch es besteht kein Grund, mein Leben stärker zu schonen, als das eines anderen hier – er hat es auf jeden seiner Gegner abgesehen. Meine Dienste könnten durchaus von Nutzen sein. Sollte jedoch meine Loyalität wiederholt in Frage gestellt werden, so werde ich...“
„Unsinn, Severus!“, sagte Minerva und blickte herausfordernd in die Runde.
Sirius war ebenfalls in größerer Gefahr als die anderen, doch auch er bestand darauf, sich weiterhin frei bewegen zu können.
Flamel wollte versuchen, den Stein und damit auch Voldemort irgendwie aufzuspüren. Er war sich sicher, dass er seinen Stein mit Magie orten konnte, doch die Lebenszeit, die ihm noch blieb, war begrenzt.
Dumbledore hoffte auf eine Besuchserlaubnis in Askaban bei Narcissa, um die Ungereimtheiten vielleicht zu klären und wenigstens einen fairen Prozess erwirken zu können.
Und dann gab es noch die Horkruxe, von denen nur ein kleiner Teil der Ordensmitglieder wusste. Bis jetzt war da allerdings nicht viel zu tun, da sie einfach noch nicht genug Informationen hatten. Sirius hatte Slughorn noch nicht besucht, doch Dumbledore hielt ihn nach der Besprechung zurück, um ihm etwas Wichtiges zu erklären.
***
So aufgeregt an diesem Abend auch alle waren, am nächsten Tag begann der ganz normale Alltag wieder. Im Tagespropheten stand nur ein kleiner Artikel über den Einbruch. Es wurde betont, dass die Verbrecher gefangen und nach Askaban gebracht worden waren. Mit keinem Wort wurde Voldemort oder auch nur der Stein der Weisen erwähnt. Lily konnte es nicht fassen.
Die meisten Lehrer kehrten an diesem letzten Augusttag nach Hogwarts zurück. Die ursprünglichen geplanten Maßnahmen zum Schutz des Steines waren hinfällig geworden, daher hatte Lily viel Zeit, mit Harry zu spielen, die anderen zu begrüßen und letzte Unterrichtsvorbereitungen zu treffen. Hoffentlich würde sie in Verteidigung gegen die dunklen Künste wenigstens halb so gut klarkommen wie in Zaubertränke.
Als dann am ersten September die Kutschen anrollten und man die beleuchteten Boote über den See kommen sah, dachte sie nicht an Voldemort, sie dachte auch in diesem Moment nicht an ihre Probleme mit Severus. Sie freute sich einfach auf die Schüler und war gespannt, was das neue Schuljahr bringen würde. Zwei der neuen Erstklässler kannte sie bereits und war neugierig, wohin der Hut sie wohl stecken würde.
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