von MIR
Rekommis sind hier.
***
Mit klopfendem Herzen folgte sie Sirius in die Wohnung, während Albus sich um Severus kümmerte. Noch immer hatte Lily Harry auf dem Arm. Er war vor Erschöpfung eingeschlafen, doch sie konnte sich nicht überwinden, ihn irgendwo abzulegen. Zu viel Angst hatte sie um ihn ausstehen müssen.
Im Wohnzimmer war keine weitere Person zu sehen.
„Die Ratte kann überall sein! Doch der Feigling entwischt mir nicht noch einmal! Hörst du mich! Pet-ti-grew! Komm raus, komm raus! Deine Zeit ist abgelaufen, du Versager!“ Alle Verachtung, die er aufbringen konnte, hatte er in seine Stimme gelegt.
„Sirius, vielleicht ist es...“
Sie hörten ein Stöhnen aus dem Nachbarraum. Es klang nicht nach Peter. Lilys Herz machte einen Satz. Sie lief an Sirius vorbei und öffnete die Tür.
In einer Ecke saß, gefesselt und geknebelt, ihre Schwester Petunia.
„Tunia!“ Mit einem Schwung ließ Lily alle Seile und Tücher verschwinden, gab Harry an Sirius weiter und stürzte auf ihre Schwester zu, um sie zu umarmen. Sie musste lachen und heulen gleichzeitig. „Was... was macht du denn hier? Du lebst! Ich hatte solche Angst!“
Petunia sah sie an. Sie schien nicht so richtig begreifen, was los war. „Lily? Du... Wieso? Hat er dir nicht... Wieso hast du Harry? Sie wollten ihn... Was ist passiert? Oh Gott, Lily, es ist nichts passiert! Ihr lebt! Aber wo sind sie?“, stammelte sie vor sich hin.
Lily konnte nichts sagen und musste heftig schlucken. Still umarmte sie Petunia. Doch diese löste sich plötzlich panisch. „Dudley? Wo ist Dudley? Wieso ist nur Harry hier? Was ist mit Duddy?“ Mit jeden Wort wurde ihre Stimme ein bisschen höher.
„Es geht ihm gut!“, mischte sich nun Sirius ein. „Er schläft schon.“
„Das... das will ich hoffen. Es ist ja auch schon viel zu spät!“, quiekte Petunia.
„Tunia?“ Lily hatte ihre Stimme wiedergefunden. „Was ist los? Wie kommst du hierher – nach Hogwarts? In die Wohnung von Severus? Hat er dich mitgebracht? Wo warst du all die Wochen?“
„Vielleicht sollten wir alle lieber nach oben gehen“, unterbrach Sirius sie. „Hier ist kein guter Ort zum Erzählen.“
Lily nickte. „Kannst du laufen, Tunia?“
„Es geht schon.“
Draußen wurden sie von Albus Dumbledore empfangen, der Petunia freundlich begrüßte. „Leider sind die Umstände recht unangenehm, dennoch freut es mich, Sie wider Erwarten einmal in den Mauern von Hogwarts begrüßen zu können. Bitte glauben Sie mir, dass der Verlust, den Sie erlitten haben, uns alle zutiefst erschüttert hat“, sagte er warm, „Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich trotzdem zuerst meinen Patienten zur Krankenstation bringen muss.“
Petunia hörte kaum hin. Sie starrte auf den leblosen Severus und schüttelte ungläubig den Kopf.
Zusammen mit Sirius und Harry gingen die beiden Schwestern in Lilys Wohnbereich. Petunia brach in Tränen aus, als sie den schlafenden Dudley sah. Nur mit Mühe konnte Lily ihre Schwester davon überzeugen, dass es besser war, ihn nicht aufzuwecken.
Die Hauselfen brachten etwas zu essen und zu trinken und endlich hatte Petunia sich soweit gefasst, dass sie weitererzählen konnte.
„Ich... sie haben... du hattest recht, Lily. Sie waren hinter uns her. Plötzlich waren sie da... sie... Vernon ist... tot.“ Jetzt begann sie wieder zu weinen, doch sie erzählte weiter. „Sie haben unser Haus... es ist völlig zerstört. Ich weiß nicht, warum Menschen so etwas tun? Alles ist... kaputt... weg. Dann haben sie mich gepackt... ich dachte, sie wollen mich auch umbringen, aber sie haben mich mitgenommen... Sie haben mich gefesselt und eingesperrt. Dann war... eine Versammlung. Der Anführer hatte – es war schrecklich – er hatte zwei Gesichter im Kopf. Du kannst dir nicht vorstellen... Fast immer hat er seinen Hinterkopf zum Reden genutzt... Er hat... grausame Anweisungen gegeben. Dann war plötzlich auch der Snape-Junge da. Das Hinterkopfmonster sagte, er sollte beweisen, dass er es ernst meint. Er hat etwas von einem Kruzifix gesagt und dass Snape Abrakadabra machen soll.“
„Er hat Crucio und Avada Kedavra von Severus verlangt? Sollte er das mit dir machen?“, fragte Lily und ein neuer Schock durchfuhr sie.
„Ja, schon... er, also Snape, hat dann seinen schrecklichen Stab genommen und dann hat er etwas über ein Imperium gesagt. Ich dachte, es ist aus mit mir, aber statt dessen war mir... irgendwie ganz leicht zumute... und dann... oh Gott, Lily, ich schäme mich so... dann wollte er, dass ich... ich kann es nicht sagen!“
Sirius räusperte sich. „Ich glaube, ich sehe dann noch mal nach Harry... ob er auch wirklich schläft. Ich bleibe eine Weile bei ihm... damit ihm nichts geschieht!“
„Danke. Für alles“, sagte Lily.
„Bitte Tunia, sag mir, was er gemacht hat. Bitte!“, wandte sie sich wieder an ihre Schwester als sie alleine waren und nahm ihre Hand.
Ganz leise bewegte Petunia ihre Lippen: „Ich... musste meine Sachen ausziehen... also nicht alles, aber bis auf meine Unterwäsche... und dann haben sie gelacht. Und dann...“ Jetzt war ihre Stimme nur noch ein Hauchen, „... musste ich lauter komische Verrenkungen machen. Und dann auch noch tanzen. Die... die Männer haben gegrölt und hielten sich den Bauch vor Lachen. Es war peinlich und demütigend, aber ich war irgendwie verhext und habe alles mitgemacht. Doch dieser Anführer war wütend auf Snape, weil er ihm nicht gehorcht hatte. Snape entschuldigte sich unterwürfig – das hätte ich ihm nie zugetraut – und meinte dann eiskalt, dass das doch noch viel lustiger sei als dieses Kruzi-Irgendwas.“
„Crucio, die Folter“, warf Lily leise ein.
Petunia beachtete es nicht. Inzwischen war ihre Stimme wieder lauter geworden. „Er sagte, dass sie mich noch brauchen würden. Deinetwegen und vor allem wegen Harry. Dass sein 'Herr' versuchen sollte, das 'widerliche Balg' zu kriegen, und dass das leichter wäre, wenn ich noch lebe und unverletzt bin. Dass ich ein gutes Druckmittel wäre oder eine Hilfe, um dich zu täuschen. Hinterher könnte man mich dann immer noch erledigen und dabei viel Spaß haben.“
„Sev sollte dich foltern und töten und statt dessen hat er dich nur ein bisschen in Unterwäsche herumhüpfen lassen?“, fasste Lily ungläubig zusammen.
„Nur?!“, giftete Petunia jetzt erbost, „Nur? Ich glaube, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie entwürdigend das war! Die Männer haben...“ Sie biss sich auf die Lippen und fuhr stockend fort: „Sie... sie... haben Bemerkungen... gemacht... anzügliche Bemerkungen... Ich kann das... hier... gar nicht... wiederholen.“ Jetzt war Petunia knallrot geworden.
„Bemerkungen? Bemerkungen? Keiner hat dich angetastet, oder? Weißt du eigentlich, was für ein Glück du hattest? Weißt du, was sie sonst mit Muggelfrauen tun? Weißt du, was sie...“
Lily brach ab. Zu viele Erinnerungen kamen hoch.
Statt dessen fragte sie weiter: „Was ist danach passiert?“
„Ich war total verzweifelt, ich...“
„Petunia, bitte! Natürlich war es ein Albtraum für dich. Aber ich muss wissen...“
„Du hast ja keine Ahnung! Ich hatte gerade meinen Mann verloren! Mein Haus auch. Mein Kind – ich wusste nicht, ob es ihm wirklich gut geht. Und dann diese Männer...“ Sie begann zu schluchzen.
„Petunia.“ Lily versuchte alle Geduld, die sie hatte, zu sammeln. „Ich weiß, es ist kein Trost, aber ich habe das auch schon erlebt. Ich habe auch meinen Mann verloren und auch mein Haus. Mehrmals gab es schon Angriffe auf Harry, bei denen er fast umgebracht wurde. Und mich hatten sie auch schon mal erwischt und... gefoltert und... verhöhnt.“
„Gefoltert?“ Petunia horchte auf. „Dich hat wirklich jemand gefoltert? Wann?“
„Letztes Jahr im November. Aber Severus hat mich gerettet. Deshalb muss ich wissen, warum er jetzt so anders ist. Bitte! Warum hat er zugelassen, dass Voldemort seinen Körper in Besitz nimmt? Oder wurde er gezwungen? Hatte es damit zu tun, dass er dich nicht... Weißt du etwas darüber?“
„Er hatte keine Wahl“, antwortete Petunia leise. „Dieser... dieses Hinterkopfmonster, das sie alle als ihren 'Herrn' anbeten, hat gesagt, dass er – also dein Snape – zwar recht hat, dass man mich vielleicht noch gebrauchen kann, aber dass ihm dadurch der echte Spaß entgangen ist und dass er immer noch nicht weiß, ob er Snape überhaupt trauen kann.
Und dann hat er es verlangt. Und...“ Petunia schluckte heftig.
„Bitte, erzähl weiter!“
„Er, Snape, hat gesagt, dass es für ihn... eine Ehre wäre, seinen Meister aufzunehmen und dass er sich freut. Aber das war eine Lüge, das hat jeder gemerkt. Doch dieser... dieser Satan hat darüber gelacht und schien um so begieriger, es durchzuführen. Doch vorher wollte er noch seinen Spaß nachholen. Er hat irgendwas gesagt und dann krümmte sich Snape und schrie vor Schmerz.“
Lily schlug die Hände vor den Mund. Tränen schossen in ihre Augen.
Petunia war jetzt nicht mehr zu bremsen. „Danach haben sie ein Ritual durchgeführt. Ich habe alles gesehen, denn ich lag wieder unbeachtet in der Ecke. Es war widerwärtig. Okkulte Beschwörungen mit viel Blut. Bitte zwing mich nicht, es zu beschreiben. Ich kann das einfach nicht. Es war so abartig. Zum Schluss ist der andere Mann, der vorher das Gesicht hatte, bewusstlos zusammengebrochen.“
„Wer war es?“, fragte Lily mit zittriger Stimme.
„Ich kenne doch eure Leute nicht. Aber eine blonde Frau hat sich heulend auf ihn gestürzt. Ich glaube, sie hat ihn Luzius genannt.“
„Malfoy“, flüsterte Lily. „Aber was war mit Severus? Wie ist er damit zurecht gekommen?“
„Nun – anscheinend gut. Er und sein wunderbarer 'Meister' sind immer mehr zu einer Person geworden. Man hatte nicht mehr das Gefühl, dass es ihm etwas ausmacht. Der Bösewicht hatte ihn unter Kontrolle und Snape hat alles ausgeführt, was sein 'Meister' wollte.“
„Aber dir hat er nichts getan?“
„Er hat mich verhöhnt. Er hat Vernon verhöhnt. Nicht einmal vor... einem Toten hatte er Respekt. Er... Aber das willst du ja gar nicht wissen. Na gut. Sonst ist mir nichts passiert. Erst heute haben sie sich wieder für mich interessiert.“
„Wie bist du hier hin gekommen?“
„Sie wollten Harry holen. Dieser selbsternannte Lord und sein treuer Diener, in dessen Körper er steckte. Sie wollten ihn lebend. Vorläufig. Nach Hogwarts hineinzukommen, war im Körper eines Lehrers nicht schwer. Aber der Rückweg. Snape hat gesagt, dass es unmöglich ist, Harry von Hogwarts wegzubringen, solange du ihn nicht freiwillig jemandem anvertraust. Irgendein Schutzzauber. Doch er war sich nicht sicher, ob du ihm Harry so einfach mitgeben würdest, ob er es schaffen würde, dich hinters Licht zu führen, nach der langen Zeit. Deshalb wäre jetzt meine Zeit gekommen. Heute würden sie mich brauchen."
Von diesem Schutzzauber wusste Lily gar nichts. Merkwürdig, dass Dumbledore das nie erwähnt hatte. Aber genau dieses Hindernis hatte letztendlich die Entführung von Harry verhindert und Petunia wieder zurückgebracht.
„Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Und dass du lebst! Und ich freue mich so für Dudley!“ Lange umarmten die Schwestern sich.
Petunia blieb über Nacht, während Sirius sich verabschiedete.
Als Lily schließlich im Bett lag, konnte sie noch lange nicht einschlafen. Severus hatte sich also geweigert, ihre Schwester zu foltern und zu töten, angeblich aus taktischen Gründen. Doch eigentlich war klar, dass er Petunia nur ihretwegen verschont hatte. Dabei hatte er sie nie leiden können. Von Anfang an, seit Lily ihn kennen gelernt hatte, hatten die beiden sich regelrecht gehasst. Sie war ihm so dankbar, doch der Preis, den er gezahlt hatte, war zu hoch gewesen. Viel zu hoch. Dumbledores Befürchtung fiel ihr wieder ein. Würde der menschliche Überrest, den Voldemort heute zurückgelassen hatte noch Ähnlichkeit mit dem früheren Severus haben? Oder hatte ihn das Böse vollständig durchdrungen? Er war zuvor mit Voldemort zu einer Person verschmolzen, ohne Chance, sich ihm zu widersetzen. Auch wenn Severus noch ein eigenes Bewusstsein hatte, hatte Voldemort sicher jede Tat, die nicht seinem Geschmack entsprach, verhindert und jeden guten Gedanken unterdrückt. Wochenlang hatte er nur das Böse, dass in Severus steckte, zugelassen, gefördert und genossen. Genau das hatte sie in den vergangenen Stunden erlebt. Es war schrecklich gewesen, so behandelt zu werden. Seinen Rückfall in das Todesserdenken und -handeln zu erleben – und sie hatte tatsächlich immer wieder Tobias Snape vor sich gesehen, der seine Frau anbrüllte. Der Frau und Kinder wie Dreck behandelte und zuschlug. Auch dieses Verhalten hatte auf Severus abgefärbt, viel mehr als sie bisher angenommen hatte, und Voldemort hatte es gefördert.
Jede gute Seite an ihm schien ausgelöscht – wenn Sirius nicht gekommen wäre, hätte sie keine Chance gehabt.
Wehmütig dachte sie daran, dass es damals, im November bei dem Todesser-Angriff, Severus gewesen war, der sie beschützt hatte, und jetzt hatte er sich selbst genauso grausam verhalten.
...
***
Eigentlich sollte Lilys Besuch im Krankenflügel noch mit rein. Aber jetzt ist es doch schon so lang geworden. Außerdem verdient die Begegnung der beiden ein eigenes Kapitel.
Ihr habt ja bestimmt noch Geduld, oder?
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel