von Muggelchen
Shadow
Ein dunkler Nebel aus Trauer und Verzweiflung hüllte sie ein, als sie das Ministerium betrat, um Zimmer 205 aufzusuchen. Als wäre der vereitelte Selbstmord in der Londoner Einkaufsstraße nicht genug der Schmach, behandelte man sie nun wie eine Verbrecherin und lud sie zu einem Verhör.
Shadow Raven Tempest hatte genug von dieser Welt. Sie sehnte sich nach anderen Sphären und hoffte, dort würde alles besser werden.
Zimmer 205 war bald gefunden. Sie klopfte. Ein blonder Mann öffnete ihr. Ihr äußeres Erscheinungsbild schien ihm zu missfallen. Seine Nase kräuselte sich, als hätte er den Geruch der Fäulnis eingeatmet. Der Tod, vor allem der Wunsch nach Erlösung, verfolgte sie seit ihrer Geburt. Vielleicht hatte Freund Hein bereits die Hand nach ihr ausgestreckt, so dass andere ihn ebenfalls riechen konnten?
„Sie sind Miss Tempest?“, fragte der Blonde. Sie nickte, woraufhin er sich als Mr. Malfoy vorstellte. „Treten Sie ein.“ Sie konnte deutlich heraushören, dass der Mann nichts mit ihr zu tun haben wollte und nur seinem Beruf nachging. Sie war Abschaum. Niemand wollte sich mit ihr abgeben und sie nahm es niemandem übel. „Sie haben in London vor unzähligen Muggeln mit Ihrem Zauberstab herumgefuchtelt“, warf er ihr vor. Als sie aufblickte, sah sie die Akte in seiner Hand, der er diese Information entnommen hatte. „Das Magische Unfallumkehr-Kommando konnte einige Ihrer Patzer beheben. Dennoch werden Sie nicht ungestraft davonkommen, Miss Tempest.“ Die Mappe in seiner Hand schnappte zu. „Sie werden eine Strafe erhalten!“
Was unter einer Strafe zu verstehen war, wusste Shadow Raven nur zu gut. Der alte Mann, der ihren Eltern einen Sack Galleonen gegeben hatte, um sie in jungen Jahren als billige Arbeitskraft zu kaufen, hatte sie oft genug bestraft. Während Mr. Malfoy an einen Schrank ging, um – wie sie glaubte – einen Rohrstock zu holen, hob Shadow Raven ihren Rock und beugte sich vor, so dass ihr Oberkörper auf dem Schreibtisch lag. Mr. Racket hatte sie immer auf diese Weise bestraft. Ein erschrockener Atemzug ließ Shadow Raven aufhorchen.
„Was in Merlins Namen soll das?“, fragte Mr. Malfoy in aufbrausendem Tonfall. Sofort war sich Shadow Raven ihres Fehlers bewusst, den sie schnellst möglich beheben wollte und auch noch die Unterhose hinunterzog. „Bei Merlins Eiern! Bedecken Sie unverzüglich Ihre Blöße!“ Sie kam dem Befehl nach, zog die Hose hinauf, den Rock hinunter und richtete den Blick beschämt auf den Boden. „Was haben Sie sich dabei gedacht?“, fuhr er sie verärgert an. Mr. Racket hatte ihr immer verboten, den Mund zu öffnen, irgendetwas zu sagen. „Reden Sie, verdammt nochmal!“ Mr. Malfoy sah das offenbar anders.
„Ich dachte“, flüsterte sie unsicher, „ich bekäme eine Strafe.“
„Und die werden Sie auch bekommen!“ Missgestimmt ließ sich Mr. Malfoy in seinen Ledersessel fallen. Er seufzte und versuchte, die aufkommenden Kopfschmerzen mit Daumen und Zeigefinger weg zu massieren, doch es half nichts. „Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“ Shadow Raven schüttelte den Kopf. „Haben Sie Ihre Zunge verschluckt? Ich erwarte, dass Sie mit mir reden.“
„Nein, Meister.“
Mr. Malfoy stutzte. „Wie haben Sie mich genannt?“ Der Mund seines Gastet öffnete sich, doch die Antwort wollte er nicht hören. „Vergessen Sie’s!“ Er blätterte in der Akte. „Ihr vollständiger Name lautet …?“
„Shadow Raven Tempest, Mei…“, sie verbesserte schnell, „Sir.“
Die rechte Seite von Mr. Malfoys Oberlippe hob sich. „Können Sie mir erklären, warum Sie auf die Idee gekommen sind, erst vor den Augen so vieler Muggel Chaos anzurichten, bevor Sie auf die wahnwitzige Idee kamen, einen Avada Kedavra an sich selbst auszuprobieren?“ Sie antwortete nicht. „Sie wissen, dass das strafbar ist?“ Hier nickte Miss Tempest. „Muss ich Ihnen denn alles aus der Nase ziehen?“
Es klopfte. Lucius war mehr als erleichtert, Minister Cornelius Fudge zu empfangen. Das machte die Gesamtsituation wieder ein wenig normaler.
„Ah, Lucius. Ich störe wohl. Vielleicht komme ich lieber später noch ein…“ Mitten im Satz hielt Fudge inne, weil er die Frau im Zimmer bemerkte. Leise, damit sie ihn nicht hören würde, fragte er Lucius: „Wer ist das?“
„Das ist nur die Frau, deren Suizidversuch von den Auroren vereitelt wurde.“
„Ihren Namen, Lucius.“
„Sie heißt Shadow Raven Tempest.“
Minister Fudge näherte sich der Frau, die nicht wagte, den Kopf zu heben, obwohl er direkt vor ihr stand. Man hatte sie oftmals so angesehen wie er – von oben bis unten –, besonders wenn Mr. Racket sie seinen Freunden vorstellte.
„Mrs. Tempest?“, sprach Fudge sie an. Sein Blick war dabei so weich, wie Lucius ihn nie zuvor gesehen hatte.
„Miss“, hörte man kleinlaut.
„Miss Tempest“, wiederholte der Minister nachdenklich.
Cornelius streckte eine Hand aus. Seine Finger legte er unter ihr Kinn, um sie mit leichtem Druck dazu zu bewegen, ihren Kopf zu heben. Er wollte sich vergewissern. Die blutroten Lippen stachen in dem bleichen Gesicht auffällig hervor. Sie schien ihm nicht unbekannt zu sein. Als sie es wagte, in einmal anzublicken, bemerkte er ihre pechschwarzen Augen.
„Wer sind Ihre Eltern?“, fragte Cornelius neugierig.
„Ich kenne Sie nicht.“ Nur die Geschichte von Mr. Racket, wie er sie angeblich von ihnen abgekauft hatte.
„Bei Merlin, sehen Sie doch, Lucius. Diese Züge …“ Vorsichtig strich Cornelius ihr über die Wange. Erschrocken zuckte Shadow Raven zusammen. Zärtliche Berührungen waren ihr fremd. Für ihr Gesicht hatte sich noch nie jemand interessiert.
Lucius betrachtete die junge Frau. „Was meinen Sie, Minister?“
„Das sind die Gesichtszüge der Familie Prince, eindeutig!“ Er wandte sich an Shadow Raven. „Wie alt sind Sie?“
„Achtzehn.“
Cornelius nickte. „Vor achtzehn Jahren wurde ein Kind entführt, dessen Mutter behauptete, der Vater wäre Severus Snape gewesen. Ist Snape nicht ein Freund von Ihnen, Lucius?“
‚Jetzt nicht mehr‘, dachte Lucius, ‚wenn diese Frau tatsächlich dessen Tochter sein sollte.‘
„Ich überlasse es Ihnen, Mr. Snape darüber in Kenntnis zu setzen, dass wir seine Tochter gefunden haben.“
„Sollten wir nicht erst einen Bluttest oder so etwas veranlassen?“, legte Lucius nahe, bevor er sich der Gefahr aussetzen wollte, von seinem alten Freund nach Übermittlung der Nachricht umgebracht zu werden.
„Ach i wo! Ich weiß, wovon ich rede. Stellen Sie sich außerdem die Schlagzeilen vor. Minister Fudge findet verschollene Tochter! Ich werde sofort den Tagespropheten informieren. Nach der Blamage mit der Rückkehr des Dunklen Lords wird das die Meinung der Öffentlichkeit über mich im Nu ändern.“
„Aber …“
Lucius wurde nicht beachtet. Stattdessen wandte sich Cornelius an Shadow Raven. „Und Sie, meine Gute, Sie werden wir erst einmal herausputzen.“ Er griff nach ihrer Hand. „Sie armes Kind, was mussten Sie nur durchmachen. Diese hässlichen Narben an den Handgelenken werden wir überdecken.“
Minister Fudge verließ mit Shadow Raven Tempest an der Hand Lucius’ Büro. Verdattert starrte er auf die verschlossene Tür und fragte sich, warum am heutigen Tag alles drunter und drüber gehen musste. Erst Jolene Vanover, die es wagte, Fudge mindestens genauso in den Hintern zu kriechen wie er selbst. Dann diese Aethelfled Snow Eeva Phenomena Waltraud Van der Valk, die den Minister um den Finger wickelte, als wäre sie die Göttin der Liebe und jetzt noch Shadow Raven Tempest, die angeblich uneheliche Tochter von Severus Snape. Er sollte seinen Freund besser vorwarnen, dachte Lucius. Dann hätte Severus genügend Zeit, den Begrüßungsumtrunk mit seiner Tochter mit einer Überdosis Trunk des Friedens zu versetzen.
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