von Gwendolyn D.
Dezember 1978
Und dann spürte sie die Wogen der Magie, die ihren Puls beschleunigten und ihren Atem so unregelmäßig werden ließen, dass sie Schwierigkeiten hatte, diesen zu kontrollieren. Ihr Herz pochte nun wild in ihrer Brust.
Ob es Angst oder Erregung war - Gwendolyn war sich nicht sicher.
Der Fluchregen hörte abrupt auf und sie sah, wie Lucius einen Blick, um die schützende Säule riskierte, hinter der er sich versteckt hatte. Nichts geschah, also wagte Gwen sich aus dem Schutz, ihr wild klopfendes Herz ignorierend.
Es ist eine Falle, hallte Severus' Stimme in ihrem Kopf wieder.
Sie sah sich um. Die Auroren hatten sich zurückgezogen, doch sie stimmte Sev gedanklich zu; der Angriff war noch nicht vorbei. Regulus und Bellatrix traten an ihre Seite und sahen sich misstrauisch um. Hatten sie auch seine Ankunft gespürt? Gwens Blick traf den von Bellatrix, ausdruckslos und berechnend, doch auch sie traute der Situation nicht.
„Wir sollten ihn warnen...“, flüsterte Regulus leise.
„Er hat gesagt, er möchte unter gar keinen Umständen gestört werden!“, zischte Bellatrix wütend.
Sie hasste Regulus, hasste ihn beinahe so sehr, wie sie Gwendolyn hasste.
„A-a-a-aber wenn...“
„Willst du derjenige sein, der den Dunklen Lord unterbricht?“
Bellatrix' Gesicht hatte wieder dieses hässliche, schadenfrohe Grinsen angenommen. Hilfesuchend wandten sich Regulus' grauen Augen an Gwen, diese wunderbaren grauen Augen, die er mit seinem Bruder gemein hatte.
„Gwen?“ Es war Severus' Stimme, die sie aus den Gedanken riss.
„Bellatrix hat recht“, es fiel ihr beinahe schwer, das zuzugeben, „der Befehl lautet: Stellung halten!“
Lucius war nervös. Noch immer hatte er seinen Zauberstab erhoben.
„Wir können es nicht mit ihm aufnehmen.“ In Regulus Stimme war nun deutlich blanke Angst zu spüren.
„Niemand kann das!“
„Zweifelst du etwa an unserem Herrn, dem Dunklen Lord?“, fauchte Bellatrix nun lauter.
„GENUG!“ Gwendolyn legte Regulus eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. Er zuckte merklich zusammen. „Wir sollten die Zeit nutzen, die uns bleibt!“
Als hätten sie auf diese Anweisung gewartet, begannen Lucius und Severus den Eingang zu versiegeln und Schutzzauber über sie zu legen. Bellatrix hingegen blieb vor Gwendolyn stehen und betrachtete sie abfällig.
Seit Voldemort sie in seine Reihe aufgenommen hatte, war Gwen ihr ein Dorn im Auge. Sie wollte nicht, dass Gwen seine Gunst erlangte. Wollte nicht, dass sie eine Konkurrentin zu ihr wurde.
„Jetzt werden wir gleich sehen, wie loyal du wirklich bist. Falls du dich überhaupt traust, dich ihm entgegen zu stellen“, feixte sie.
„Das, Bellatrix, lass mal meine Sorge sein!“, antwortete Gwen ruhig und schob Regulus unsanft aus ihrer Hörweite.
„Sie will dich nur provozieren!“, japste er.
„Das weiß ich!“ Sie ließ ihn nicht mehr zu Worte kommen. „Hör jetzt genau zu, Reg, es ist wichtig!“
Sie sah sich noch einmal um, ob Bellatrix sie nicht noch immer im Auge hatte, doch auch sie war nun damit beschäftigt ihren Schutz auszubauen.
„Ich weiß nicht, ob oder wie lange ich ihm standhalten kann!“
„Du kannst doch nicht...“, keuchte Regulus.
„Hör mir zu! Wenn ich dir ein Zeichen gebe, dann musst du den Dunklen Lord warnen gehen!“
„A-aber Gwen, womöglich wird er mich töten für das, was ich sehen könnte...“
Seine grauen Augen glänzten und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Gwen fasste ihn an beiden Armen und sah ihm in die Augen.
„Dafür nicht! Vertrau mir.“ Es war eine Lüge und doch schien Regulus sie zu glauben und das war alles was Gwen wollte.
Alleine würden sie keine Chance haben. Falls es tatsächlich zu einer Auseinandersetzung kommen würde, dann brauchten sie Voldemorts Unterstützung.
Sie zogen sich weiter in das Labyrinth von Säulen und Wänden zurück und bauten währenddessen ihre Abwehr weiter auf. Dabei spürte jeder einzelne von ihnen, wie ihre Gegner erneut anrückten.
Mit einem Krachen brach die Versiegelung des Eingangs ein. Der Kampf würde weitergehen.
Gwen gab Severus ein Zeichen, der daraufhin mit Lucius im Schlepptau in die Dunkelheit davoneilte. Gwendolyn schlich nach links, mit Regulus auf den Fersen. Bellatrix ging - wie immer - ihren eigenen Weg.
In der Ferne hörte sie, wie die Auroren das Feuer auf sie eröffneten. Lichtblitze verschiedener Farben zuckten durch den finsteren Raum und ließen sie ahnen, wo ihre Gegner waren. Bellatrix schrille Stimme hallte von den hohen Wänden wider. Sie hatte sich ebenfalls in den Kampf eingemischt.
Die Wellen der Magie überrollten Gwen abermals. Sie ließ sich rücklings gegen eine Säule fallen und unterdrückte den Drang in sich, die Augen zu schließen: er hatte sie fast erreicht. Sie hatte keine Zeit, das Gefühl zu genießen, sondern musste das pulsierende Blut in ihren Adern kontrollieren. Regulus blickte erschrocken und stumm flehend zu ihr hinüber, als zwei Gestalten an ihrem Versteck vorübereilten. Mit einer wedelnden Bewegung, seines Zauberstabes, hatte sich vor seinem Gesicht die Todessermaske materialisiert und er folgte Gwen gehorsam, als sie aus ihrem Versteck trat.
Die Longbottoms hatten sie beinahe nicht bemerkt, doch Alice riss ihren Mann zu Boden, um ihn vor dem grünen Lichtblitz eines anderen Todessers zu schützen. Gwendolyns Fluch verfehlte das Paar somit und krachte in den Fluch ihres Gegenübers. Ein Funkenregen prasselte auf das Aurorenpaar nieder, das sich gerade rechtzeitig vor Regulus Fluch mit einem Protego schützte.
„Hier sind es drei!“, rief Frank, als er ein Signallicht Richtung Decke schickte.
Gwendolyn sprang hinter einen der riesigen Sockel und riss dabei Regulus mit. Er taumelte und wäre beinahe gestürzt, doch Gwen ließ ihm nicht die Zeit zum Protestieren, sondern huschte zwischen den unendlichen Hindernissen hindurch.
Bellatrix' Kreischen ließ sie ahnen, dass sie es gewesen war, die den Fluch soeben auf die Longbottoms geschickt hatte.
Als sie vorsichtig einen der Gänge passierten, konnte Gwendolyn gerade erkennen, dass dem Pärchen bereits zwei andere Auroren zu Hilfe geeilt kamen. Es wäre zu riskant gewesen, sie erneut anzugreifen und so zog sie ihren Schützling mit in die Richtung, in der sie Severus und Lucius vermutete.
Sie fanden Lucius nach wenigen Minuten. Er duellierte sich mit einem der erfahrensten Auroren, den Gwen kannte: Mad-Eye-Moody. Lucius' Erleichterung war geradezu spürbar, als sich Gwen und Regulus in den Kampf einmischten und Mad-Eye damit zwangen, hinter einer Wand in Deckung zu gehen.
Währenddessen spürte Gwendolyn, wie er näher und näher kam.
Moody schoss ein Signallicht in die Höhe und wenige Augenblicke später hörten sie, wie die Schritte anderer Auroren auf dem steinernen Boden immer lauter wurden. Sie hatten keine Zeit gehabt in Deckung zu gehen. Die Auroren waren zu schnell gewesen.
„Expelliarmus!“
Der Fluch zischte nur um Haaresbreite an Gwens Zauberstabarm vorbei. Sie sah nach rechts. In der Dunkelheit beschwor die Person gerade einen Schild vor sich herauf. Gwendolyn brauchte kein Licht, um James Potter zu erkennen.
„Sie kommen von allen Seiten“, rief Regulus panisch, doch Gwen nahm dies nur am Rande wahr. Zu deutlich war mittlerweile seine Anwesenheit. Ihr Herz klopfte wild. Bellatrix hatte recht gehabt; heute würde sich vielleicht alles für sie entscheiden.
Severus stieß von hinten zu ihnen und das Aurorenpaar das von links gekommen war, eröffnete die Schlacht, während Moody frontal angriff. Ohne zu überlegen, blockierte Gwendolyn den rechten Ausgang, von dem gerade noch Potter angegriffen hatte, mir einer Barriere, die sie allerdings auch nicht entkommen ließ. Sie sah, wie er dagegen klatschte und dann verschwand, um einen anderen Weg zu finden.
Ein Auror, der Moody zur Hilfe geeilt war, ging von einem Fluch getroffen zu Boden und wieder erklang Bellatrix feixende Stimme. Mad-Eye-Moody ließ von ihnen ab, wurde jedoch direkt von zwei anderen Auroren ersetzt, sodass nun ein Durcheinander umherfliegender Flüche entstand, dem sie nur mit Mühe ausweichen konnte.
Und dann war er da.
Gwendolyns Herz raste in ihrer Brust. Wenn sie schon nicht mir diesen paar Auroren fertig wurden, dann waren sie ihm erst recht nicht gewachsen.
GEH JETZT!
Regulus' entsetzter Gesichtsausdruck bestätigte Gwen, dass er ihre Worte empfangen hatte. Er zögerte, ein gegnerischer Fluch verfehlte ihn nur, weil Gwendolyn einen Schild dazwischen warf.
„SOFORT!“, schrie sie und Regulus verschwand nach hinten in die Dunkelheit.
Gwendolyn hoffte inständig, dass der Dunkle Lord ihn nicht töten würde - würde sie die Schuld seines Todes ertragen können?
Doch die Auroren ließen ihr keine Zeit zum Nachdenken. Nun deutlich in der Überzahl drängten sie die drei verbleibenden Todesser immer weiter zurück, sodass ihnen nichts anderes übrig blieb, als in Deckung zu gehen.
Gwendolyn glitt hinter eine Säule, während Severus und Lucius in einem düsteren Gang verschwanden.
Bellatrix' Stimme war verstummt. War sie gefallen?
Plötzlich hörte sie Severus aufschreien, wollte ihm instinktiv zur Hilfe eilen. Gwendolyn gab ihre Deckung auf, rannte den schmalen Gang hinunter, aus dessen Richtung sie die Stimme ihres Freundes gehört hatte. War schon fast auf seiner Höhe, als eine Gestalt hinter ihr zwischen den Säulen hervortrat.
„GWENDOLYN“
Abrupt blieb sie stehen, wandte sich mit klopfendem Herzen um und erstarrte. Noch nie, so glaubte Gwen, hatte sie ihr Blut deutlicher in ihren Adern pulsieren gespürt wie jetzt. Noch kein Zauber hatte sie so aufgewühlt wie dieser Moment. Angestrengt beherrschte sie ihren Atem und ordnete ihre Gedanken, denn dies war der Moment der Entscheidung.
Gwendolyn strich sich mit der linken Hand eine Strähne ihres blonden Haares hinter das Ohr. Den Zauberstab hielt sie krampfhaft umklammert, direkt auf die Brust der Person gerichtet, die nur wenige Meter von ihr entfernt war.
Vor ihr stand, in sein mitternachtblaues Gewand gehüllt, Albus Dumbledore.
Sie sahen einander an. Sein faltiges Gesicht war ausdruckslos, seine gletscherblauen Augen hell und wach und er hatte seinen Zauberstab auf seine Tochter gerichtet, so wie sie es mit ihrem tat.
Das Gefühl in Gwendolyns Magengegend war nicht zu beschreiben. Sie konnte es nicht einmal zuordnen: war es Angst, Aufregung, Zorn? Was sollte sie tun oder was konnte sie ausrichten gegen den Zauberer, der selbst den mächtigen Schwarzmagier Grindelwald bezwungen hatte? Sie wusste, dass sie im Grunde keine Chance hatte, doch der Dunkle Lord würde einen Rückzug als Loyalitätsbruch ansehen. Sie durfte keine Schwäche zeigen, sie konnte nicht kuschen, wenn sie das Vertrauen ihres Meisters haben wollte.
Gwens Mundwinkel zuckten nervös. Würde er sie töten? Würde er seine eigene Tochter töten? Sein ausdrucksloser Gesichtsausdruck ließ keine Regung durchsickern.
Was der jungen Frau wie endlose Minuten vorkamen, waren in Wirklichkeit nur wenige Sekunden gewesen, doch diese wenigen Sekunden hatten Albus Dumbledore gereicht, um sein Gegenüber abzuschätzen. Sie würde ihn nicht widerstandslos vorbei lassen, dennoch hatte seine Tochter zu große Hemmungen, zu viel Respekt vielleicht, um offensiv tätig zu werden. Mit einer einfachen List würde er passieren können.
Und dann schien er sich gefasst zu haben, kam festen Schrittes auf sie zu und in Gwendolyns Innern begann sich alles zu drehen. Sie konnte ihn nicht angreifen. Sie wusste, sie war ihm nicht gewachsen, doch sie durfte ihn unter gar keinen Umständen gewähren lassen. Verzweifelt beschwor sie eine Barriere herauf, von der sie wusste, dass sie für ihren Vater kein Hindernis darstellen würde. Noch immer zielte sie mit ihrem Zauberstab auf seine Brust. Sie durfte es nicht zulassen!
Unerbittlich kam er näher, Schritt um Schritt, doch Gwen war nicht bereit zu weichen, doch sie war auch nicht bereit anzugreifen. Sie rang noch immer mit sich, als ihr die Entscheidung abgenommen wurde.
Wie ein heißer Orkan ohne Windstärke fegte die Magie regelrecht um sie, ließ ihr die Nackenhaare zu Berge stehen und trieb ihr die Hitze auf die Wangen. Albus Dumbledore war stehen geblieben, den Blick auf etwas hinter ihr gerichtet. Ein angenehmes Prickeln breitete sich langsam in Gwendolyn aus, das bei den Zehen begann und erst in den Fingerspitzen endete. Lord Voldemort trat an ihre Seite.
Sie wagte es nicht zu atmen, so klein, so unbedeutend fühlte sie sich plötzlich in den mächtigen Auren der beiden Magier. Noch nie hatte sie etwas Vergleichbares erlebt. Wieder schienen Minuten zu vergehen, bevor Voldemort das Wort ergriff.
„Das nennst du also Liebe, Albus?“, höhnte dieser. „Hier siehst du, wie viel Liebe auf dieser Welt bedeutet!“
Er deutete auf Gwen, die noch immer den Zauberstab erhoben hatte, sich nun deutlich unwohl fühlte, der Mittelpunkt einer solchen Konfrontation zu werden.
„Du solltest nicht von den elementaren Dingen der Magie sprechen, von denen du nichts verstehst, Tom“, entgegnete Dumbledore in seinem ruhigen, lehrerhaften Ton, in dem er auch immer mit Gwendolyn gesprochen hatte.
Plötzlich kochte Wut in ihr auf. Wut darüber, wie er sie immer behandelt hatte, dass er nie auch nur eine ihrer Leistungen anerkannt hatte. Tränen stiegen in ihr auf, doch sie unterdrückte sie. Wie konnte er so selbstsicher davon sprechen? Wie konnte er meinen, selbst von diesen Dingen zu wissen? Er verstand doch gar nichts, er hatte sie nie verstanden!
„DU BIST ES, DER NICHTS VERSTEHT!“, schrie sie laut heraus.
Dumbledores blickte entsetzt von dem grinsenden Lord zu der jungen Frau, die neben ihm stand und der nun Tränen die Wangen herunterliefen: seiner Tochter.
Voldemort trat hinter sie, kam ihr sehr Nahe und als er sprach, war seine Stimme direkt neben ihrem Ohr.
„Nun, Albus, wer ist nun der Narr?“
Sein verächtliches Lachen war nicht zu überhören, doch Dumbledore schien ihn nicht verstanden zu haben. Er starrte noch immer entgeistert auf seine Tochter hinab, die sich nun wieder gefangen hatte.
„Gwendolyn“, flüsterte er kaum hörbar.
„Nein“, Voldemort zog das Wort unnatürlich in die Länge und trat wieder in Gwendolyns Gesichtsfeld, „für Entschuldigungen ist es zu spät, nicht wahr, Gwendolyn? Zu viel wurde zerstört, zu viel Leid zugefügt. Jetzt ist es an dir, Leid und...“
„SCHWEIG!“, unterbrach Dumbledore Voldemorts Propaganda.
Es geschah innerhalb von Sekundenbruchteilen. Gwendolyn konnte nicht einmal im Nachhinein sagen, wer das Duell eröffnet hatte, doch dies war ihre Chance. Nach einigen Schrecksekunden hatte sie sich gefangen. Sie hatte beobachtet, wie beide Parteien aufeinander losgingen und es war ein seltsam bekanntes Gefühl aus dem Bauch heraus, das ihr deutlich machte, dass Voldemort nicht im Stande war Albus Dumbledore zu Fall zu bringen.
Und so ergriff Gwendolyn ihre Chance sich in seine Gunst zu stellen, denn sie wusste, dass sie in einem solchen Duell nicht mehr als ein Grashalm im Wind war und doch konnte diese Entscheidung ihre Zukunft verändern. Sie hob den Zauberstab gegen ihren Vater und tat alles in ihrer Macht stehende, um Voldemort zu unterstützen, doch nach wenigen Minuten begriff auch er die Aussichtslosigkeit ihrer Situation.
Gwendolyn spürte den ruppigen Griff an ihrem Arm und das vertraute Reißen an ihrem Nabel und einen Augenaufschlag später waren sie verschwunden.
Gwendolyn knallte mit einer solchen Wucht auf dem Boden auf, dass sie das Gleichgewicht verlor und stürzte. Noch benommen von den vergangenen Eindrücken blieb sie einen Augenblick liegen. Ihr Herz raste noch immer; ihre Gedanken kreisten wild durcheinander. Gwen versuchte, sich zu sammeln.
So viel war geschehen. Alles ging so rasant schnell, dass sie nicht im Stande war, es im vollen Ausmaß zu begreifen. Das war nichts im Vergleich zu dem, was man sie in Hogwarts gelehrt hatte. Das hier war das reale Leben, wahrhaftige Zauberei - der Schulmagie weit voraus.
Sie schlug die Augen auf, die Aufregung klang ab und ihr wurde speiübel. Es dauerte einige Sekunden, bis sie in der Dunkelheit die Umrisse ihrer Umgebung wahrnahm. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie auf einer Wiese gelandet war. Gwendolyn sah sich um. In der Ferne konnte sie die Lichter einer Stadt erkennen. Sie rappelte sich auf und bemerkte dann, dass sie nicht alleine war.
Der Dunkle Lord stand vor ihr, ohne Regung, ohne Zeichen einer Emotion und starrte sie an.
„W-wo sind wir?“ Gwendolyns Stimme klang zittriger, als sie es gewollt hatte.
Er antwortete nicht und einen Moment fragte sie sich, ob er sie überhaupt gehört hatte.
Verwirrt drehte sich Gwen um ihre eigene Achse und sah sich um. Sie waren auf einer Anhöhe gelandet, offensichtlich weit weg von Dundee. Wie hatte er es geschafft, von dort aus wegzuapparieren? Es lag ein Antiapparierfluch auf dem Gebäude. Es war also unmöglich gewesen und doch - sie waren nun hier! Wie hatte er das gemacht, welchen Zauber benutzt?
Und plötzlich fiel es Gwendolyn wie Schuppen von den Augen. Sie hatte Bestnoten in der Schule gehabt und war eine der talentiertesten Schülerinnen gewesen. Doch nun wurde ihr zum ersten Mal seit dem Abschluss bewusst, wie schrecklich wenig sie eigentlich wusste und was sie dazu bewegt hatte, sich Lord Voldemort anzuschließen.
Das Duell hatte ihr die Augen geöffnet und plötzlich fühlte sie sich wieder klein und unbedeutend. Es gab noch so viel, was sie nicht wusste, so viel, was sie noch lernen konnte.
Die Bewegung hinter ihr, ließ Gwendolyn herumfahren. Voldemort stand noch immer da und musterte sie abschätzend. Ihre Blicke trafen sich. Gwens Herz trommelte noch einmal gegen ihren Brustkorb, als er auf sie zukam.
„Wo sind wir?“ Mit der Frage überspielte sie ihre Angst angesichts der Situation.
„Auf einem Hügel, vor dem Dörfchen Little Hangleton“, er blieb erst einige Schritte vor ihr stehen, „aber das ist nicht von Bedeutung. Gib mir deinen Arm!“
Gwendolyn zögerte, doch der verlangende Tonfall veranlasste sie zu gehorchen. So fest sie konnte, umklammerte sie ihren Zauberstab, als sie ihren Arm rechtwinklig anhob, als biete sie jemanden an, sich daran festzuhalten.
„Den anderen!“, erwiderte Voldemort ungeduldig, doch nun umspielte ein Lächeln seine Lippen.
Er genoss ihre Unsicherheit, genoss ihre Furcht.
Erleichtert, dass es nicht um ihren Zauberstab ging, tat sie, wie ihr geheißen wurde. Mit überraschend festem Griff packte Voldemort ihr linkes Handgelenk und schob den Stoff des Ärmels beiseite. Gwendolyns Haut prickelte angenehm an der Stelle, an der seine langen, schlanken Finger die dünne Haut ihres Unterarms streifte. Verlegen senkte sie ihren Blick und verpasste dadurch den Moment, an dem Voldemort seinen eigenen Zauberstab auf ihren Arm richtete.
Ein unerträglich heißer Schmerz durchfuhr ihren Arm und veranlasste sie mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, sich loszureißen, doch sie konnte sich nicht dem eisernen Griff ihres Meisters entziehen.
Sie biss sich auf die Lippen und in dem Moment, an dem sie meinte, ihn nicht mehr ertragen zu können, hörte der Schmerz so plötzlich auf, wie er gekommen war.
Gwendolyn taumelte nach hinten. Voldemort hatte sie losgelassen. Keuchend blickte sie an sich hinab, doch dort, wo sie versenkte Haut erwartete, zeigte sich etwas anderes. Es war ein Totenschädel, aus dessen aufgerissenen Mund sich eine Schlange wand: das Dunkle Mal. Voller Ehrfurcht blickte sie auf das Bild auf ihren Unterarm, so lange, bis es verblasst war und kein Anzeichen auf ihrer bleichen Haut mehr etwas davon ahnen ließ.
Gwendolyn sah zu ihrem Meister auf, unfähig die richtigen Worte zu finden. Doch wenn ihr welche eingefallen wären, hätte er ihr das Wort abgeschnitten.
„Mein anfängliches Misstrauen deine Absichten betreffend war unbegründet. Dessen bin ich mir nun sicher.“
Sie konnte nicht mehr als zuzustimmen.
In der Ferne schlug ein alter Glockenturm zwölf. Raketen schossen aus dem Dorf unter ihnen in den dunklen Nachthimmel. Das neue Jahr hatte begonnen.
„Schnell hat sich herauskristallisiert“, fuhr er fort und ließ seine jüngste Todesserin nicht aus dem Blick. „dass du nicht wie die anderen bist, Gwendolyn. Nun liegt es an dir, dies zu beweisen.“
Sie sah zu ihm hinauf, das bleiche Gesicht von den unzähligen Lichtern am Himmel, erhellt: nachdenklich, ernst.
Das Bild der Todesser, die demütig zu seinen Füßen knieten, kam ihr in den Sinn und sie schob es beiseite. „Danke!“, war alles, was ihr über die Lippen kam.
Voldemort lächelte...
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