von Roya
12. Von Erkenntnissen und Waffen
Fred und George saßen zusammen mit dem Rest ihrer Familie am Frühstückstisch. Arthur berichtete den anderen gerade abwechselnd mit Charlie, was am Vortag in Ellebrooke passiert war. Molly sog an manchen Stellen scharf die Luft ein, sagte aber vorerst nichts. Ginny und Ron lauschten mit offenen Mündern der Geschichte und sogar Percy nickte hin und wieder.
„Also wird er sich nicht verwandeln?“
Ron sah fragend zu seinem Vater, als dieser geendet hatte.
„Ja, er wird weiterhin ein Mensch sein.“
„Was ist denn jetzt mit Charlotte?“
Molly sah angespannt zu ihrem Mann, der seine Brille abnahm und sie putzte.
„Ich weiß nicht. Sie wird wohl bald wieder hier sein. Ich werde nachher nach Ellebrooke apparieren und mir noch einmal den jungen Mann ansehen, zusammen mit Charlie. Er hat von Wunden mehr Ahnung als ich.“
„Wir wollen auch mit.“
Die Zwillinge sahen ihren Vater flehend an.
„Kommt nicht in Frage!“
Molly war es, die antwortete.
„Es ist viel zu gefährlich! Wenn ich das schon höre. Werwölfe, die am helllichten Tag angreifen.“
„Aber Mum!“
„Echt mal, Mum, bitte!“
Bevor Molly etwas Giftiges erwidern konnte, hob Arthur beschwichtigend die Hände.
„Hör zu, Molly. Wir apparieren direkt in das sichere Haus hinein, es ist gar kein Problem, die Jungs mitzunehmen.“
Molly schwieg ein paar Minuten, dann sagte sie:
„Na gut. Wenn ihr unbedingt wollt. Aber bleibt ja in diesem Haus und in der Nähe eures Vaters.“
Die Zwillinge nickten strahlend.
„Wann geht’s los, Dad?“
„Ich denke, wir werden uns in einer halben Stunde auf den Weg machen.“
Zusammen räumte die Familie den Tisch ab und die Zwillinge huschten in ihr Zimmer. Fred schmiss sich auf sein Bett und George setzte sich neben ihn.
„Was meinst du?“
Sie hatten in der vorigen Nacht nur kurz über die Geschehnisse geredet, denn sie waren hundemüde gewesen. Sie waren aber zu dem Standpunkt gekommen, dass Charlies Freunde seltsam waren.
„Ich kann sowohl diesen Nati und diesen Andy nicht leiden.“
„Ich auch nicht. Was findet Charlie nur an denen?“
George zuckte mit den Schultern.
„Und was hältst du von der ganzen Hintergrundsgeschichte?“
Fred überlegte kurz, dann sagte er:
„Es ist schon ziemlich hart, oder? Sein ganzes Schuldasein mit dem Gedanken daran zu verbringen, dass man sich dazu verpflichtet hat, später gegen Werwölfe zu kämpfen. Sie scheint es als eine Art Pflicht anzusehen. Aber ich frage mich, ob sie das überhaupt will.“
„Ich auch. Also sie schien mir gestern nicht unbedingt glücklich über die Aussagen ihrer zwei Freunde zu sein.“
„Hmm. Also dieser Joey kommt mir viel netter rüber.“
„Find ich auch.“
Sie redeten noch eine Weile über die beiden jungen Männer, die sie nicht ausstehen konnten, dann rief Arthur nach ihnen.
Charlie saß immer noch neben Joey, als Nati und Andy in den Raum kamen. Ihr Anblick ließ das Mädchen zusammen zucken und Joey nahm ihre Hand. Aus dem Mundwinkel flüsterte er ihr noch zu:
„Bleib ganz ruhig.“
Dann waren die zwei jungen Männer herangetreten.
„Morgen.“
„Hi.“
„Wie geht’s euch?“
Joey nickte.
„Mir geht’s besser. Die Wunden verheilen jetzt recht schnell, nachdem mir der Rothaarige die Salbe draufgeschmiert hatte.“
Andy und Nati nickten kurz, dann wandten sie sich an Charlie.
„Has du schon gefrühstückt?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dann komm mit, wir auch nicht.“
Sie nickte. Wie ein Roboter, schoss es ihr durch den Kopf. Aber sie hatte einen Kloß im Hals und hatte Angst zu sprechen. Man würde ihr ihre Ungewissheit und Unsicherheit anhören. Also trottete das Mädchen mit einem letzten Blick zu Joey, der ihr aufmunternd zulächelte, hinter den Jungs her. Sie setzten sich in den Nebenraum und Andy holte drei Teller mit Brötchen und Aufschnitt. Schweigend aßen sie ihr Frühstück.
Wieso war ihr das so unangenehm? Na, blöde Frage, schalt sie sich sofort selber. Die zwei hatten in der Nacht so furchtbare Dinge gesagt. Sie wollte in Ruhe nachdenken. Sie musste irgendwo hin, wo sie keiner störte. Mit einem Mal wurde ihr klar, wo ihr das möglich war. Ein Stich der Sehnsucht machte sich in ihrem Bauch breit. Sie wünschte sich in ihre kleines Zimmer im Fuchsbau, denn dort war sie alleine und konnte nachdenken. Und bevor sie zu lange alleine sein würde, würde es an der Tür klopfen und die Zwillinge würden hereinkommen und dann…
„Wie lange bleibst du hier?“
Sie wurde unterbrochen und sah in Andys Gesicht. Es hatte einen undefinierbaren Ausdruck angenommen, wie eine Mischung aus Neugierde und Hoffnung. Wollte er sie loswerden? Oder eine Entscheidung wissen. Sie wich ihm aus.
„Weiß noch nicht.“
Wenigstens gehorchte ihr ihre Stimme wieder.
„Aha.“
Wieder legte sich Schweigen über sie, aber Charlie bekam die Blicke, die sich die zwei heimlich zuwarfen, aus den Augenwinkeln mit. Nach einer halben Stunde, die sie in dem Raum einfach nur herumsaßen, öffnete sich die Tür und Charlie durchfuhr ein Gefühl der Freude und tatsächlich Heimweh. Giulio kam in den Raum, gefolgt von Arthur, Charlie, Fred und George. Das Mädchen strahlte sie an und überhörte das gemurmelte „Die schon wieder“ von ihren Freunden. Stattdessen sprang sie auf und ging ihnen entgegen.
„Hallo.“
„Guten Morgen, Charlotte. Wie geht es dir?“
„Ganz gut. Hab nur wenig geschlafen.“
Arthur nickte lächelnd, aber auch etwas besorgt. Ja, er schaute besorgt. Wann hatte sie so einen Ausdruck schon das letzte Mal gesehen? Es musste Jahre her sein und sie war glücklich darüber. Der rothaarige Charlie drückte sie kurz.
„Hey. Du hast ganz schön gefehlt beim Frühstück. Du warst immer der Farbfleck zwischen all den Rothaarigen gewesen.“
Sie musste lachen. Fred und George grinsten sie an.
„Hoffentlich stört es dich nicht, dass wir mitgekommen sind. Wir konnte nicht anders.“
Charlie lächelte.
„Ich freu mich doch, dass ihr hier seid.“
Es stimmte. Ja, es war wirklich wahr und Charlie wusste es endlich. Die Zwillinge strahlten sie an. Dann wurden sie von einem Lachen unterbrochen. Charlie drehte sich um und sah Andy und Nati hinter vorgehaltener Hand flüstern. Es machte sie wütend!
„Ich gehe jetzt noch einmal nach Joey schauen.“
„Ich komme mit, Dad.“
Arthur und sein älterer Sohn gingen mit Giulio aus dem Raum. Auch Charlie hatte keinen Bock, hier bei den zwei Männern zu bleiben. Sie nahm Fred links und rechts an der Hand und zog sie mit sich. Laut sagte sie:
„Kommt, ich zeig euch zweien mal dieses Haus hier.“
Das Lachen stoppte abrupt, aber Charlie drehte sich nicht um, sondern zog die Zwillinge aus dem Raum. Sie marschierte wütend durch die Gänge und achtete zuerst gar nicht darauf, wo sie hinging. Nach zehn Minuten beruhigte sie sich langsam und setzte sich auf einen Stuhl. Sie waren in einem weiteren hell beleuchteten Raum angekommen, der als Cafeteria diente. Mehrere Personen waren anwesend, die Charlie entweder nicht kannte oder nur flüchtig. Fred und George setzten sich rechts und links neben sie und sahen sie fragend an.
„Was ist?“
Zögerlich fing George an zu reden.
„Na ja, deine… Freunde… die sind ein wenig…“
„Seltsam? Gemein? Fies?“
Sie half ihm nach und er nickte langsam.
„Ja, genau das.“
Charlie seufzte.
„Allerdings. Sie haben sich ziemlich verändert in den letzten Jahren.“
Fred sah sie betreten an.
„Tut mir Leid.“
Sie sah hoch und Dankbarkeit flutete durch ihren Körper.
„Danke. Ich weiß, was sie haben, aber ich will mich gerade noch nicht damit auseinander setzen. Dafür sind mir hier zu viele Leute.“
„Sollen wir gehen?“
„Wie? Oh nein, so meinte ich das nicht. Ich brauche einfach mal meine Ruhe, von allem und jedem. Ich wünschte, ich könnte ein paar Stunden hier weg sein, einfach zum Nachdenken.“
Die zwei nickten und Charlie wusste, dass sie sie verstanden.
„Dann kommst du heute halt wieder mit zu uns nach Hause.“
„Genau. Da kannst du dich entspannen und nachdenken.“
„Und falls wir zu laut sind, dann gehst du halt in den Wald, da hören dich nur die Eichhörnchen.“
Charlie zog eine Grimasse.
„Lieber nicht. Ich hab Schiss vor Wäldern.“
Es störte sie nicht, dass sie gerade zugegeben hatte, wovor sie Angst verspürte. Im Gegenteil, es fühlte sich sogar gut an, es jemanden zu sagen.
„Dann solltest du das doch besser lassen.“
Die zwei grinsten, aber Charlie wusste, dass sie es nicht böse meinten und lächelte auch.
„Aber das hört sich sehr gut an. Dann kann ich in Ruhe nachdenken.“
Die Zwillinge nickten und das Mädchen stand auf.
„Kommt, jetzt zeig ich euch wirklich, wie es hier unten aussieht.“
Sie zeigte ihnen die Aufenthaltsräume, die Schlafsäle, die große Küche, den Übungsraum, in dem gerade einige Männer mit Ohrenschützern auf ferne Zielscheiben feuerten. Die Zwillinge waren fasziniert von den Pistolen, denn sie hatten noch nie welche gesehen. Charlie ging zum Schießmeister hinüber und erkannte ihn sofort. Es war Alfred, ein Veteran aus dem zweiten Weltkrieg. Er kannte sich schon von Anfang an, auch wenn er sie jetzt erst einmal fragend ansah.
„Ja?“
„Nicht so unfreundlich, Paps.“
So hatten sie ihn früher immer genannt. Paps. Die anfängliche Verwirrung auf Alfreds Gesicht wich Erkenntnis, als er ein paar Mal an ihr herabschaute.
„Charlie!“
Sie strahlte ihn nickend an und er nahm sie brüsk in den Arm. Dann schob er sie ein wenig von sich.
„Du siehst fabelhaft aus! Ganz klasse. Aber was tust du hier?“
„Ich bin nur zu Besuch. Das hier sind meine Freunde, Fred und George. Meinst du, sie können ein – zweimal schießen? Das haben sie noch nie gemacht. Bitte!“
Sie wusste, dass er ihrem liebsten Lächeln nicht widerstehen konnte, das hatte er noch nie gekonnt, und auch jetzt zeigte sein Gesicht eine Mischung aus Nachsicht und Unwillen.
„Eigentlich darf ich das ja nicht, aber… ach kommt mit.“
Er drehte sich um und ging zu einem der Schießstände, Charlie winkte den Zwillingen grinsend zu und sie folgten dem alten Mann. Dieser reichte den Dreien Ohrenschützer und erklärte Fred und George dann genau, wie die Waffe funktionierte. Begeistert hörten sie dem Veteran zu. Bevor sie schießen durften, drehte sich Alfred zu Charlie um.
„Dann zeig du ihnen mal, wie das geht.“
Ich? Oh mein Gott. Ob das gut gehen würde???
„Oh, okay.“
Sie hatte so lange keine Waffe mehr in den Händen gehabt und dennoch hatte man sie schon früh ihren Gebrauch beigebracht. Schwer lag die Pistole in ihrer rechten Hand. Sie zog sich die Schützer auf die Ohren und nahm sich eine Patrone. Sie lud die Waffe und trat an die Absperrung heran. Dreißig Meter entfernt stand eine Holzpuppe mit einer Zielscheibe auf der Brust. Sie musste neu sein, denn man konnte noch keine Einschusslöcher sehen. Charlie seufzte und hob ihre Hand. Warum sie es immer noch so gut konnte, wusste sie nicht. Vielleicht, weil sie jeden Tag zum Üben gezwungen wurde, seit sie sechs war. Auf jeden Fall gab sie einen sicheren Schuss ab und legte die Pistole wieder auf den Tisch. Sie drehte sich um und sah in die erstaunten Gesichter von Fred und George.
„Wow, du hast genau in die Mitte getroffen. Voll krass.“
Sie lächelte leicht, dann lud sie den Jungs die Waffe und reichte sie ihnen.
„Seid bloß vorsichtig.“
Sie nickten und schossen einige Kugeln auf die Holzpuppe. Keiner von ihnen kam annähernd in den roten Kreis in der Mitte, aber sie trafen die Puppe. Nach zehn Minuten nahmen sie die Ohrschützer ab und strahlten sich an.
„Voll krass!“
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