von Roya
9. Nichts als die Wahrheit II
Jeder der fünf jungen Männer starrte sie an. Charlie seufzte und wandte sich zuerst an die beiden Jungen, die sie schon so lange kannte und die sie so lange hatte anlügen müssen.
„Als ich elf Jahre alt war, kam mich doch dieser alte Mann besuchen, mit den seltsamen Klamotten. Das war Professor Albus Dumbledore, der Schulleiter von Hogwarts. Den komischen Stock, den ihr damals von meiner Mum bekommen hattet, war ihr Zauberstab gewesen, den sie mir vererbt hat. Seitdem ging ich nach Hogwarts. Da es zu gefährlich war für ein junges Mädchen, konnte ich selbst in den Ferien nicht hierher zurück kommen, sowohl Dumbledore als auch Giulio haben es mir verboten. Stattdessen musste ich in eine Pflegefamilie, die mich irgendwann anfing zu misshandeln, es war eine scheiß Zeit. Als ich dann in den Sommerferien zu den Weasleys kam, war es zuerst nicht besser, da ich mich mit den Zwillingen nur gestritten hatte, wie ich euch schon schrieb. Mittlerweile denke ich jedoch, dass es das Beste ist, was mir passieren konnte, denn sie haben mich aufgenommen wie ein Familiemitglied. Ich habe mich zum ersten Mal seit meiner Abreise aus Ellebrooke zu Hause gefühlt. Als ihr dann gestern anrieft und von Joeys Zustand berichtet habt, habe ich es niemandem erzählt, schließlich sollte es geheim bleiben. So dachten sich Charlie und die Zwillinge nichts dabei, als sie mich hierher brachten. Sie ahnten nichts von der großen Gefahr.“
Ihr Herz hämmerte wie bekloppt gegen die Brust. Oh Mann, hatte sie gerade echt zugegeben, dass sie sich bei den Weasleys wohl fühlte? Aber war das so schlecht? Immerhin stimmte es doch, auch wenn sie es sich nicht gerne zugestand. Warum eigentlich nicht? Sie riss sich zusammen und sah zu den drei Rothaarigen.
„Nun die andere Geschichte. Als ich fünf Jahre alt war, wurden meine Eltern und ich von einer Bande Werwölfe überfallen, die meine Eltern töteten. Im letzten Augenblick übergab Mum ihren Zauberstab an die drei Jungs, von denen ihr zwei gerade neben euch sitzen habt. Die beiden und Joey haben sich seitdem um mich gekümmert. Ihr müsst folgendes wissen: Hier in Ellebrooke liegt genau die Grenze zwischen den Wäldern der Werwölfe und den Städten der Menschen. Die Großstadt hier in der Nähe wird von uns beschützt. Hier in Ellebrooke arbeitet eine Organisation namens Wolfs-banning, der Name alleine sagt ja schon viel aus. Seit Jahren leben hier kampferprobte Menschen, meistens Muggel und halten die Werwölfe in Schach. Früher lebten noch andere Menschen hier, wie meine Eltern. Aber mittlerweile ist Ellebrooke eine Geisterstadt.
Giulio ist der Vorsitzende der Organisation, allerdings agiert er ebenfalls nach Ordern des Zaubereiministeriums. Das ist auch für euch neu.“
Sie sah zu den zwei jungen Männern, die sie erstaunt ansahen.
„Das Zaubereiministerium ist der Meinung, dass sich auch Nicht-magische Menschen helfen können, das Böse in Schach zu halten. Also lässt es ihnen hier freie Bahn. Ich selbst habe Dumbledore ein Versprechen ablegen müssen. Nach meiner Schullaufbahn soll ich eine Ausbildung als Auror – eine Art Polizist in der Zaubererwelt – hinter mich bringen, denn dann wäre ich in der Lage, hier euch zu helfen. Dumbledore hatte damals meiner Mum versprochen, falls etwas mit ihnen passieren sollte, würde er sich um meine Sicherheit sorgen.“
Sie schwieg. Soviel hatte sie noch nie am Stück geredet, glaubte sie. Ihr Herz hämmerte immer noch hart gegen ihre Brust und sie sah fragend zu den fünf Männern, die ebenfalls schwiegen. Irgendwann, als die Stille unerträglich wurde, fing Nati an zu reden.
„Also heißt das, dass wir hier ausgenutzt werden?“
„Nein.“
Giulio meldete sich zu Wort und auch Charlie drehte sich zu ihm.
„Nein, das heißt es nicht. Das Ministerium gibt uns lediglich die Chance, uns selber gegen diese Brut zu wehren. Wie würdet ihr euch fühlen, wenn sie euch diese Chance nehmen würden? Immerhin habt ihr alle einen guten Grund, gegen die Werwölfe vorzugehen. Jeder von euch hat mindestens einen guten Freund oder ein Familienmitglied an sie verloren.“
Die zwei Männer nickten langsam.
„Und… das heißt, dass Charlie noch mindestens zwei Jahre weg ist?“
„Ja, leider heißt es das. Und nicht nur das. In zwei Jahren hat sie gerade erst ihre Schulausbildung hinter sich, die Ausbildung dauert noch einmal drei Jahre.“
Die zwei schauten grimmig drein.
„So ein Scheiß! Das ist doch ungerecht!“
Charlie mischte sich nun ein.
„Wenn ich es nicht verhindern kann.“
„Wie meinst du das?“
Giulios Stimme klang scharf.
„Ich bin mit siebzehn Jahren volljährig und kann machen was ich will. Also kann mir auch keiner vorschreiben, ob ich hierher ziehe oder nicht.“
Ihre Stimme klang trotzig, das wusste sie. Aber auch sie sehnte sich nach ihren Freunden.
„Ach, Charlie.“
Die Stimme des vollbärtigen Mannes hatte etwas Sanftes angenommen. Jetzt war er wieder wir früher zu ihr.
„Du weißt, wie sehr ich es schätze, was du für uns tust und welche Opfer du deshalb auf dich nimmst. Ich denke, das wird sich alles schon irgendwie einrichten lassen.“
Dann sah Giulio auf den rothaarigen Charlie.
„Sie sehen schon volljährig aus, stimmt das?“
Er nickte verwirrt.
„Könnten Sie uns dann einen riesigen Gefallen tun?“
„Was denn?“
„Könnten Sie eventuell herausfinden, ob unser Joey von den Werwölfen infiziert wurde oder nicht?“
„Oh, ich weiß nicht. Ich kenne mich mit Werwölfen nicht so aus. Aber Dad weiß sicherlich eine Menge über sie.“
Fast schon flehend sah Giulio ihn an.
„Und wäre es möglich, den Rat des Vaters einzuholen.“
Charlie nickte.
„Ich appariere nach Hause und frage ihn.“
Mit den Worten drehte er sich um die eigene Achse und verschwand mit einem Knall. Nati, Andy und Giulio zuckten zusammen.
Sie saßen zusammen im Aufenthaltsraum und unterhielten sich. Charlie war sehr glücklich, wieder ihre besten Freunde um sich herum zu haben. Sie hatten sich so verändert seid sie zur Schule ging. Es waren immerhin fünf Jahre vergangen. Allerdings merkte sie schnell, dass sie sich nicht unbedingt zum Guten verändert hatten.
„Diese Schweine. Als wir uns sicher waren, dass sie schliefen, schlichen wir uns ein und knallten sie ab.“
Die zwei lachten laut und hart und Charlie lief es kalt den Rücken herab. Hatten sie damals auch schon so geredet?
„Aber… sie hatten euch doch nichts getan.“
„Charlie, was soll das? Diese Missgeburten haben doch nichts Besseres verdient.“
„Und wenn es zwei weniger gibt, umso besser.“
Bevor sie etwas erwidern konnte, kamen Giulio und Charlie in den Raum, gefolgt von Arthur.
„Hi, Dad. Was machst du hier?“
Arthur schaute seine zwei Jungs stirnrunzelnd an.
„Seid froh, dass ich eure Mum wieder beruhigen konnte. Nachdem Charlie erzählt hatte, was los war, war sie fuchsteufelswild und wollte sofort hierher kommen um euch zwei eigenhändig nach Hause zu schleppen.“
Fred zog eine Grimasse.
„Da geh ich lieber zu den Werwölfen, freiwillig und mit Würstchen um den Hals.“
Das brachte die Familie Weasley und Alex laut zum Lachen, was ihnen wiederum seltsame Blicke der anderen einbrachte.
Zusammen gingen sie durch ein paar Gänge und kamen in einen großen Raum, der steril wirkte mit vielen Instrumenten und weißen Betten. Ganz hinten auf einem der Betten lag eine Gestalt. Charlies Herz schlug ihr bis zum Hals. Das musste Joey sein. Langsam und voller Angst ging sie auf die Gestalt zu und stockte einen Meter davor. Er war nicht wieder zu erkennen, da nahezu sein ganzes Gesicht mit einem weißen Verband verdeckt war. Der Rest des Körpers lag unter einer dünnen Decke. Seine Brust hob und senkte sich langsam. Zitternd ging Charlie auf ihn zu und beugte sich über ihn. Das Auge, das nicht verdeckt war, schaute sie an. Erkenntnis machte sich in ihnen breit und Lachfältchen bildeten sich neben dem Auge. Der Rest des Gesichtes war wirklich nicht zu sehen. Nur die Nasenlöcher waren frei gehalten worden zum Atmen.
„Hey.“
Sie lächelte ihn an und strich ihm über das Gesicht, ganz vorsichtig.
„Hör zu, wir haben eine Möglichkeit gefunden heraus zu finden, ob du infiziert wurdest oder nicht. Bist du bereit?“
Er nickte und Charlie trat zurück. Nervös sah sie zu Arthur und ihrem Namensvetter.
„Ihr könnt.“
Sie nickten und stellten sich jeder an eine Seite des jungen Mannes.
Giulio bedeutete ihnen mit zu kommen. Im Nebenraum sagte er zu ihnen:
„Sie sollten ihre Ruhe haben. Ich komme zurück, wenn es Neuigkeiten gibt.“
Damit verließ er den Raum und Charlie, Fred, George, Andy und Nati waren wieder alleine.
„Wie ist es passiert?“
Charlie sah die zwei Männer an.
„Wir haben patrouilliert, wie immer. Da hörten wir Geräusche und schlichen uns an. Als wir um die Ecke sahen, konnten wir eine Horde von denen sehen, die sich durch die Straßen schlich. Es war kein Vollmond, also wollten wir sie nur verschrecken. Wir stürmten auf sie los und feuerten.“
„Ihr habt auf sie gefeuert?“
„Na klar, auf eine andere Art und Weise reagieren diese Monster doch nicht.“
Jetzt sprach Andy.
„Als wir sie eingekesselt hatten, sprangen uns ein paar an. Wir waren darauf nicht vorbereitet, schließlich sind sie jämmerliche Kreaturen ohne den Vollmond. Also schaffte es einer, sich so auf Joey zu stürzen und ihn zu beißen und zu zerkratzen. Wir konnte nicht auf ihn schießen, da wir sonst Joey hätten treffen können, also haben wir erst die anderen verjagt.“
„Als wir dann das Schwein von ihm herunter reißen konnten, war er voller Blut. Wir brachten ihn hierher und seitdem liegt er dort drüben.“
Charlie hatte weiterhin schweigend zugehört. In ihr tobte es. Warum hatten sie diese Menschen umgebracht? Es waren immerhin MENSCHEN. Ob sie sich an Vollmond verwandelten oder nicht.
„Ihr habt die Menschen erschossen? Meinst du damit, ihr habt sie umgebracht?“
George hatte sich in das Gespräch eingemischt und sah die zwei Männer entsetzt an, genau wie sein Bruder.
„Natürlich.“
Andy sah sehr herablassend zu den Zwillingen, wie Charlie ärgerlich feststellte.
„Was sollten wir auch tun? Entweder in diesem Zustand oder nächste Woche als reißende Bestie, da nehmen wir lieber die erste Variante.“
Die Zwillinge sahen sich entgeistert an.
„Aber…“
In dem Moment ging die Tür auf und Charlie sog scharf die Luft ein. Arthur und Giulio kamen hinein, die Hände des Weasley waren voller Blut, dass er sich gerade an einem feuchten Tuch abwischte. Das junge Mädchen und alle anderen starrten zu den beiden.
„Er ist nicht infiziert.“
Erleichterung durchströmte sie. Ohne es zu wollen, hatte sie sich gerade vorgestellt, was Andy und Nati gesagt hätten, wäre es anders gekommen. Hätten sie ihren besten Freund abgeknallt?
Sie sprang auf und verdrängte den Gedanken. So etwas würden die zwei niemals tun. Oder? Charlie war sauer auf sich selber und sagte laut:
„Kann ich zu ihm?“
„Ich denke schon. Arthur und Charlie haben seine Wunden gereinigt und so gut es ging verschlossen. Warum es nicht ganz ging, weiß ich nicht…“
Arthur unterbrach ihn müde.
„Weil diese Wunden keine normalen Wunden sind, sondern verfluchte. Es ist leider so, denn Werwölfe tragen diesen Fluch in sich. Sie sind schwer zu heilen und man kann sich nicht sicher sein, welche Nebenwirkungen auftreten können. Aber er wird sich nicht in einen Werwolf verwandeln, so viel steht fest. Er wird einige Narben zurück behalten.“
Alle nickten langsam. Dann ging Charlie einfach los und in den Nebenraum. Hinter sich hörte sie die Schritte der anderen, wartete aber nicht auf sie. Schnell überwand sie die Meter zwischen der Tür und dem Bett und sah erleichtert hinab in Joeys Gesicht.
Arthur und Charlie hatten die Verbände entfernt und Salbe auf die Wunde gestrichen. Es sah schlimm aus. Eine Wunde zog sich über die linke Wange, die zweite quer über die Nase. Ansonsten sah der junge Mann aus wie immer und jetzt konnte er sie auch anlächeln.
„Hey, Charlie. Was tust du denn hier?“
Er hörte sich sehr schwach an und schafft auch nicht, sich aufzusetzen. Sie lächelte auch und sagte dann leise:
„Hallo, Tips. Na, dich retten, was sonst?“
„Schön, dich zu sehen. Du bist richtig erwachsen geworden.“
Sie spürte Röte in ihr Gesicht steigen.
„Danke. Du bist auch nicht jünger geworden.“
Er lachte, verzog aber das Gesicht vor Schmerz. Hinter sich hörte Charlie die geflüsterten Worte von Fred:
„Hey, schon wieder ein Witz. Das erhöht ihre Quote auf zwei in zwei Tagen, Kompliment.“
Charlie drehte sich um und grinste die Zwillinge an.
„Kommt mal her.“
Sie stellten sich neben sie und schauten auf den Verletzten hinab.
„Ich glaube, es steht schlimmer um mich als ich dachte. Ich sehe schon doppelt.“
Charlie strahlte ihn an.
„Ach quatsch. Das hier sind Fred und George.“
„Ahh. Die zwei Jungs, die du nicht verprügeln solltest, es aber doch getan hast.“
Wieder wurde sie knallrot und die Zwillinge und Joey lachten. Sie saßen noch eine Weile bei ihm, bis er sagte:
„Und wie haben deine zwei Freunde mich jetzt so schnell wieder hinbekommen?“
Charlie sah ihn zögernd an. Aber immerhin hatten die zwei anderen auch alles erfahren und es war nun mal nicht so, dass Joey am Rande eines Nervenzusammenbruchs oder so etwas litt. Demnach würde er die Wahrheit wohl verkraften können.
„Also… hör zu, ich muss dir was sagen. Ich bin eine Hexe und gehe nach Hogwarts, einer Zaubererschule. Arthur und Charlie haben dich mit Zauberei behandelt.“
Anstatt sie mit entsetztem oder ungläubigem Gesichtsausdruck anzusehen, sagte Joey einfach nur:
„Ich weiß.“
„Bitte was?“
Sie sah ihn vollkommen verwirrt an. Hatten Charlie und Arthur ihm doch schon alle erzählt? Jetzt grinste Joey sie an.
„Ich bin selber ein Zauberer.“
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