von Roya
7. Kapitel - Rückschlag
Charlie konnte es immer noch nicht glauben. Sie sollte tatsächlich in zwei Wochen mit der Familie Weasley nach Ägypten fahren und das für einen ganzen Monat lang! Wie eine Schlafwandlerin war sie an dem Abend in ihr Zimmer gegangen und hatte sich in ihr Bett fallen lassen. Das musste sie erst einmal verdauen. Wow. Krass. Da hatten die Zwillinge schon das richtige Wort für benutzt. Es war schlicht und einfach: krass.
Chaos herrschte in dem jungen Mädchen und sie starrte lange Zeit an die Decke, bis sich ihr Herz einigermaßen beruhigt hatte. Zurück blieben geteilte Gefühle. Einmal ein Gefühl, welches sie eigentlich nur verspürte, wenn sie Mails von ihren Freunden las oder mit ihnen telefonierte: Freude. Dann war da noch etwas anderes, was sie bisher nicht zuordnen hatte können. Es hinterließ einen seltsamen Geschmack auf der Zunge, wenn sie daran dachte. Warum hatten die Weasleys ihretwegen den Preis bekommen? Nur weil sie ein Waisenkind aufgenommen haben? Das hätten doch viele andere auch getan. Es ging nicht darum, dass Charlie es den Weasleys nicht gönnte – auf gar keinen Fall – sie schürte vielmehr Abneigung gegen das Ministerium. Sie hätten den Preis auch verdient, wenn sie Charlie nicht aufgenommen hätten. Und jetzt wurde so ein Aufstand darum gemacht. Hatte man es ihnen vorher nicht gegönnt?
Etwas anderes kam ihr in den Sinn. Es war der 20. Juni. Das hieße, morgen würde Charlie fünfzehn werden. Wieder ein Tag, den sie am liebsten vom Kalender radiert hätte. Seit sie nicht mehr in Ellebrooke war, interessierte sich eh kein Schwein mehr für ihren Geburtstag. Seufzend richtete sie sich auf und zog sich ihren Schlafanzug an. Dann legte sie sich wieder ins Bett und schlief schließlich ein.
Wenn sie gewusst hätte, was am nächsten Tag alles passieren sollte, hätte sie nicht so seelenruhig geschlafen…
BUMM.
Charlie schreckte vollkommen verschreckt aus dem Schlaf und schrie leise auf. Tageslicht flutete den Raum, aber draußen flackerte etwas. Schnell sprang die Jugendliche auf und war mit zwei großen Schritten beim Fenster. Sie riss es auf und ihr Mund klappte auf. Draußen, direkt vor ihrem Fenster, explodierten kleine Feuerwerkskörper und hinterließen Nieselregen von bunten Sternen, malten Zeichen in die Luft und verformten sich. Und das alles unter einem Heidenlärm, der auch noch durch das Echo im Hof verstärkt wurde. Unten standen zwei sehr bekannte Rotschöpfe und zündeten immer neue Knaller und Raketen an.
Charlies Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, als die Zwillinge die letzte Rakete zündeten, diese mit Pfeifen nach oben schoss und unter lautem Tosen explodierte. Das rote und grüne Licht verformte sich zu einem Schriftzug und ließ Charlies Herz laut und schnell gegen ihre Brust hämmern. Dort stand nämlich:
„Happy Birthday, Charlie.“
Nachdem die letzten Funken erloschen und gen Boden rieselten, zog Charlie ihren Kopf ein und zog sich in Windeseile ihre neuen Klamotten an, die sie von Ginny bekommen hatte. Dann sprang sie ins Bad und putzte sich ihre Zähne. Nach fünf Minuten war sie fertig und eilte die Treppe hinab in die Küche. Dort erlebte sie ihre nächste große Überraschung.
„Alles Gute zum Geburtstag!“
Die gesamte Familie Weasley (ja, sogar Percy!!!) stand in der kleinen Küche und strahlte sie an. Über ihnen war ein Banner aufgehängt mit Geburtstagsgrüßen drauf, die in verschiedenen Farben leuchteten und glitzerten. Charlie spürte, wie große Freude in ihr aufkam und sie übers ganze Gesicht strahlte. Das war mal eine Überraschung! Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Dann kam ihr ein Gedanke, der direkt aus ihr heraus sprudelte.
„Aber woher…“
Wieder versagte ihre Stimme, aber Molly schaltete sich ein.
„Dumbledore hat uns natürlich darüber informiert, wann du Geburtstag hast.“
Sie kam zu ihr hinüber und nahm sie lange in den Arm. Und endlich. ENDLICH. Charlie genoss die Umarmung. Dann schüttelten ihr Ron und Percy die Hand und Arthur umarmte sie. Charlie drückte sie ganz fest und flüsterte leise in ihr Ohr:
„Ich freu mich für dich.“
Mehr sagte er nicht, aber sie verstand ihn.
Ginny sprang ihr in den Arm und sagte dann mit einem Strahlen im Gesicht:
„Endlich hab ich eine große Schwester.“
Freude und Geborgenheit durchströmte die Schwarzhaarige und sie nickte strahlte. Dann waren Fred und George an der Reihe. Grinsend umarmten auch sie die nun Fünfzehnjährige.
„Wir hoffen, dass dir das Feuerwerk gefallen hat.“
„Waren unsere letzten Knaller und Raketen.“
„Wir müssen in der Winkelgasse direkt Nachschub besorgen.“
Charlie strahlte.
„Das war wirklich toll.“
Die zwei blickten sich an uns grinsten noch breiter.
„Das wir bei dir mal eine Gefühlsregung sehen außer Wut…“
„Wow…“
Charlie boxte die Zwei in die Seite und lachte.
Sie frühstückten alle zusammen und schmiedeten schon Pläne für Ägypten. Nach dem Frühstück sprang Molly auf und wuselte aus dem Zimmer, um kurz darauf mit einem Paket wieder zu kommen. Sie drückte es Charlie in die Hand und die sah die rundliche Frau fragend an.
„Mach schon auf, das ist ein Geschenk von uns.“
Verwundert merkte Charlie, dass ihre Hände zitterten. Sie hatte schon so lange kein Geschenk mehr bekommen. Es war ein selbst gestricktes kurzes Oberteil mit Rollkragen in türkis. Es sah lang aus und als Charlie es sie überzog, ging es ihr bis über die Hüfte. Ihre Gedanken schwirrten umher, als sie stammelte:
„Danke… weiß gar nicht, was… danke.“
Molly drückte sie noch einmal und sagte ihr dann etwas, was Charlie nie vergessen würde.
„Du gehörst doch jetzt zur Familie, Schatz. Und daher brauchst du auch einen Weasley-Pulli.“
Darauf konnte Charlie nichts antworten, aber Molly schien sie auch so zu verstehen.
Der Tag verlief sehr lustig, aber viel zu schnell. Warum vergeht die Zeit immer so schnell, wenn es schön ist?
Charlie hatte schon eine lange SMS von Andy, Joey und Nati bekommen, in der sie ihr alles Gute gewünscht hatten. Sie hatte geantwortet und von ihrem Vormittag berichtet. Die Antwort der Jungs machte sie glücklich:
„Wir wussten doch, dass du es schaffst. Bitte verschließe dich nicht wieder. Wir wollen doch, dass du glücklich bist und genau das scheinst du gerade zu sein!“
Sie schaute eine Weile den Zwillingen, Ron und Charlie zu, wie sie Quidditch mit alten Fußbällen spielten. Ginny saß neben ihr und sie unterhielten sich über dies und jenes. Es war so… normal. Und doch… fühlte sich Charlie unendlich glücklich. Was könnte dieses Gefühl wohl vertreiben an so einem tollen Tag? Die Antwort sollte bei Anbruch der Nacht durch einen Anruf kommen.
Molly hatte ein Festmahl vorbereitet und der Tisch, den die Jugendlichen und Arthur gerade deckten, ächzte unter der Last der verschiendenen Schüsseln und Töpfe, die Fleisch, Auflauf, Kartoffeln, Fisch, Pommes, Nudeln, Salat und Soßen enthielten. Zusammen mit neunmal Besteck und Tellern war es ein Wunder, dass der Tisch noch nicht zusammengebrochen war. Charlie und Ginny kamen gerade mit den letzten zwei Schüsseln in den Garten und setzten sich an den langen Tisch. Die anderen Weasleys saßen schon. Es wurde ein lustiges Zusammensein. Das Essen schmeckte köstlich und Charlie verschlang soviel wie noch nie zuvor. Dabei lauschte sie den Gesprächen der anderen. Ginny und Molly unterhielten sich über Ginnys neue Schulfächer, die sie in der dritten Klasse dazu bekommen würde. Auch wenn sie erst in die zweite kam im folgenden Schuljahr, war sie jetzt schon begeistert von Pflege magischer Geschöpfe und lauschte den spannenden Geschichten aus Mollys eigener Schulzeit. Fred und George heckten wieder einmal etwas aus, um Percy zu ärgern. Der jedoch unterhielt sich angeregt mit seinem Vater über einen Mann, der vor kurzem aus dem Zauberergefängnis Askaban geflohen war. Ron und beide Charlies hörten interessiert zu.
„Und ihr habt noch keine Spur?“
Arthur schüttelte den Kopf.
„Dieser Black ist äußerst gerissen, ich meine, bisher hat es noch keiner geschafft, aus Askaban auszubrechen, niemand hat auch nur di geringste Ahnung, wie er es geschafft hat.“
„Aber ihr werdet ihn doch gewiss bald gefangen haben, Vater.“
„Charlie?“
„Ja?“
Perplex sah Molly zwischen ihrem Sohn und der Schwarzhaarigen hin und her, die beide im Chor geantwortet hatten. Kurz darauf prustete der ganze Tisch los, nur Percy sah fragend umher. Was Molly von ihrem Sohn wollte, würde das Geburtstagskind niemals erfahren, denn in diesem Moment klingelte ihr Handy. Eine leise Melodie ertönte und alle schauten verwirrt zu ihr.
„Tschuldigung, das ist mein Handy. Ich werde angerufen.“
„Oh, ein Muggelding zum Miteinander Sprechen. Davon musst du mir gleich mehr erzählen.“
Arthur starrte gebannt auf das Handy, dass Charlie nun aus ihrer Hosentasche zog. Auf dem Display leuchtete ein Name auf und die Schwarzhaarige stand auf.
„Ich geh kurz ran.“
Sie eilte ein paar Schritte vom Tisch weg und drückte dann auf den grünen Telefonhörer. Es war Andy. Dabei hatten die Jungs ihr doch heute Morgen schon gratuliert.
„Andy? Ihr habt doch schon angerufen, so sehr könnt ihr…“
„Charlie?“
Sie hörte sofort an seiner Stimme, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Andy, was ist los?“
„Wir wurden angegriffen. Keine Ahnung warum, Vollmond ist schließlich vorbei. Wir haben uns sicher gefühlt, da kamen sie aus dem Nichts. Wir haben Emma und Konrad verloren, sie haben ebenfalls Schusswaffen benutzt. Und…“
Er stockte. Scheiße! Charlies Herz raste ohne Ende. Verfluchter Mist! Warum jetzt? Warum überhaupt? Etwas ließ sie dennoch stutzen.
„Und was? Wie geht es euch?“
Stille. Warum sagte er nichts? Angst breitete sich in dem Jugendlichen so schnell aus wie Basiliskengift. Ihr ganzer Körper begann zu zittern.
„Andy! Was ist passiert!“
Mit sehr heiserer und leiser Stimme sprach er endlich, wenn auch sehr stockend.
„Es ist… Joey wurde verletzt. Sie haben ihn gebissen, er hat furchtbare Wunden. Keiner weiß, ob sie ihn infiziert haben. Er… er kämpft noch ums Überleben…“
Seine Stimme versagte, genau wie Charlies Herz für einen Moment. Was…? Wie…? Sie konnte es nicht begreifen… was war geschehen? Dann sickerte es langsam durch… Sie hörte seine Stimme am anderen Ende der Leitung. Sie klang flehend, aber von so furchtbar weit entfernt.
„Bitte, bleib ganz ruhig. Komm auf keinen Fall hierher, wir wissen nicht, was sie vorhaben. Hörst du mich? Charlie!“
Sie räusperte sich und kämpfte gegen den dicken Kloß in ihrem Hals an.
„Ja.“
„Okay. Hör zu, Kleines, ich melde mich wieder. Mach nichts Dummes!“
Das Freizeichen ertönte, aber Charlie bewegte sich nicht. Dumpf spürte sie ihr Herz, dass rasend schnell gegen ihre Brust schlug. In ihren Ohren hörte sie nur das Blut rauschen. Nicht sonst. Was…? Ihre Füße setzten sich in Bewegung. Ganz von alleine. Sie wollte hier weg. Weit weg. Sie wollte zu ihnen. Warum?
Schwindel erfasste sie und sie schwankte. Weitergehen, immer weiter. Das war das einzige, worauf sie sich konzentrierte. Geh einfach weiter. Weiter. Ihre Beine brachen unter ihr hinweg und sie spürte den Boden an ihren Knien. Der Kopf sackte ihr auf die Brust und sie setzte sich hin.
So fanden sie die Zwillinge und der rothaarige Charlie. Sie hatten halb mitbekommen, dass das Mädchen einen schrecklichen Anruf bekommen haben musste. Ohne ein weiteres Wort war sie davon gewankt und auf dem Feld neben der Hecke zusammen gesunken.
„Oh nein, was ist denn nur passiert?“
Molly war drauf und dran, hinterher zu laufen, aber die Zwillinge waren schon aufgesprungen.
„Wir schauen nach ihr.“
Charlie legte seiner Mutter beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Ich komme mit.“
Also machten sich die drei Brüder auf und eilten zu dem Mädchen hin. Sie saß mit angezogenen Beinen da und hatte die Hände verschränkt. Sie waren in die Arme gekrallt und ihre Knöchel traten schon weiß hervor. Ihr Blick war starr und schaute ins Nichts. Krampfhaft schien das Mädchen zu atmen und stoßweise kam jeder Atemzug durch ihre Nase.
„Charlie?“
Fred hockte sich neben sich und sah sie besorgt an. George kniete sich auf die andere Seite und ihr älterer Bruder ging vor ihr in die Hocke.
„Charlie!“
Sie reagierte nicht. Als würde sie nicht im Diesseits sein, sondern in einer anderen Welt. Die drei Jungs riefen ihren Namen, immer und immer wieder, aber keine Reaktion.
„Verdammt, was sollen wir denn jetzt machen?“
Fred sah zu seinen Brüdern und hoffte, dass sie eine Lösung hatten, aber auch sie schüttelten den Kopf. Verzweiflung kroch den Dreien den Nacken hinauf, als Charlie selbst nach zehn Minuten Rufen und Betteln nicht reagierte.
„Da hilft nur noch eines.“
Die Zwillinge sahen zu ihrem Bruder hoch, der grimmig, aber auch schuldbewusst dreinschaute.
„Willst du sie verzaubern?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Wir machen es wie sie.“
Und ohne auf eine Antwort der Zwillinge zu warten, holte Charlie aus und gab dem Mädchen eine schallende Ohrfeige.
„Was tust du da?“
„Bist du bekloppt?“
„Was…?“
Sie stockten und sahen gespannt zu der Schwarzhaarigen. Diese rührte sich endlich. Vollkommen verwirrt hob sie ihren Kopf und sah zuerst Fred, dann George an. Als ihr Blick auf ihren Namensvetter fiel, passierte etwas, was die Drei niemals für möglich gehalten hatten: Charlies Augen füllten sich mit Tränen und liefen immer schneller über ihre Wangen hinab, bis sie vom Kinn auf ihren Schoß tropften. Es bildete sich eine wahre Flut aus salzigen Tränen, die ihren Weg aus Charlies Augen fanden und dann wurde ihr ganzer Körper von einem Schluchzer erschüttert. Mit einem Mal war der Damm gebrochen und hemmungslos weinend saß die sonst so zurückgezogene Charlie da. Bestürzt sahen die Zwillinge zu ihr, dann beugten sie sich zu ihr und nahmen sie in den Arm. Das Mädchen fühlte sich sehr heiß an und sie beruhigte sich erst nach einer halben Stunde. Der ältere Weasley hatte die drei Jugendlichen alleine gelassen, denn er spürte, dass er mit ein Auslöser gewesen sein musste für ihren plötzlichen Tränenausbruch. Ihr Blick hatte es ihm verraten, auch wenn er nicht glaubte, dass es seiner Person wegen war sondern eher symbolisch. Vielleicht würde er es ja erfahren.
Zurück auf dem Feld beruhigte sich die weibliche Charlie langsam und nach und nach kamen nur noch vereinzelte Schluchzer.
Sie spürte die Nähe von zwei Personen, konnte sie aber lange Zeit nicht einstufen. Wer war da? Eben hatte jemand vor ihr gestanden, der sie stark an Joey erinnert hatte. Warum nur? Warum musste so etwas geschehen? Langsam aber sicher bekam sich Charlie wieder unter Kontrolle und dann sah sie hoch. Ihre Arme schmerzten und sie bemerkte, dass ihre Fingernägel tiefe Furchen gerissen hatten, die bluteten. Die Augen waren komplett zugequollen, aber sie fühlte sich seltsam leicht.
„Hey.“
Sie sah hoch und in das Gesicht von Fred. Auf der anderen Seite neben ihr war George. Dankbarkeit flutete in dem Mädchen auf.
„Danke.“
Die zwei nickten nur und halfen ihr auf, als sie die Anstalten dazu machte. Ohne noch einen Blick auf die Zwillinge oder den Tisch mit den anderen Leuten zu werfen, verschwand Charlie im Haus und fand sich kurz darauf in ihrem Bett wieder. Ihr Kopf war leer. Sie schlief schnell ein.
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