von Roya
Prolog
Die triefenden, zurückgezogenen Lefzen entblößten gelbe, rasiermesserscharfe Fangzähne. Ein unnatürlich dunkles Grollen entwich der Kreatur, die sich aufrichtete und nunmehr größer als ein normaler Mensch war. Überall über die gespannten Muskeln zog sich nachtschwarzes Fell, das vom hell scheinenden Vollmond angeleuchtet wurde. Urplötzlich riss der Werwolf den Kopf in den Nacken und ließ ein schauriges Heulen ertönen. Der laut hallte von den Straßenwänden wider. Dann richtete das Ungetüm seine gelben Pupillen wieder auf seine Opfer. Ein roter Striemen zog sich wie eine Narbe über sein rechtes Auge. Zusammengekauert vor ihm hockte eine Frau, die ein Kind im Arm hielt. Schützend lag ihr Arm auf dem Kopf des weinenden Mädchens. Es war höchstens fünf Jahre alt. Zwei Meter hinter der Frau lag eine grausam zugerichtete Leiche. Blut war überall. Auf der Straße, im Rinnstein, auf der Frau und dem Kind. Und am Maul und den Klauen der Bestie, die sich nun wieder auf alle Viere hinab ließ und langsam auf die zwei zukam. Die Frau wimmerte auf und versuchte verzweifelt, das Kind hinter sich zu schieben.
Ein Sirren jagte durch die Luft, gefolgt von einem markerschütterndem Schrei und anschließender Stille. Der Werwolf stand über der Frau, die keuchend am Boden lag. Ihr Brustkorb war aufgerissen, Blut strömte hervor. Direkt hinter ihr saß das kleine Mädchen auf dem Boden und starrte auf ihre Mutter. Von den Krallen der rechten Pfote des Monsters tropfte noch das Blut. Sein Blick wanderte von der nur noch flach atmenden Frau zu dem wimmernden Kind. Der Wolf machte einen Schritt nach vorne und knurrte unheilverkündend.
Ein Knall jagte durch die kalte Luft und der Wolf sprang zurück, jaulend. Seine linke Schulter hing merkwürdig herab und er drehte sich zu einem neuen Gegner um.
Fünf Männer und eine Frau waren auf einmal da, Gewehre oder Pistolen in den Händen halten. Und wieder schoss einer. Und noch einer. Der Werwolf jaulte auf und ergriff die Flucht.
Für ein paar Herzschläge schien die Zeit angehalten zu sein. Dann liefen die sechs Personen los. Die Frau eilte zu dem kleinen Mädchen und nahm es in den Arm. Es blickte teilnahmslos auf ihre Mutter. Zwei der Männer, es waren eher noch Jungs, eilten zu der Frau.
„Sie atmet noch!“
Der ältere der beiden zischte leise, während er die Frau abtastete.
„Verdammt, ich glaub, da kann man nichts mehr machen.“
Der Jüngere schaute grimmig auf das Gesicht der Frau, die einst sehr schön gewesen sein musste. Jetzt verzerrten der Schmerz und die Angst ihre Gesichtszüge. Die Augenlider flackerten, dann öffnete sie die Augen und der Junge schrie leise auf.
„Sieh nur.“
Die Frau ächzte leise und sah die zwei an.
„Wo…? Meine…?“
„Deine Tochter ist in Sicherheit, ihr ist nichts geschehen.“
Das Gesicht der Frau schien Erleichterung auszustrahlen. Ihre Augen huschten nach unten und der Junge folgte ihrem Blick. Sie hielt etwas Seltsames in der Hand.
„Nimm…“
Er nahm das Stück Holz in die Hand und besah es sich genauer. Blut klebte daran, aber es war ohne Zweifel ein Stück Holz.
„Was…?“
Die Frau zuckte mit ihrer Hand nach vorne und packte dem Älteren an den Kragen. Sie schien sich kurz zu sammeln, dann stammelte sie leise, aber bestimmt:
„Gebt ihn… gebt ihn Charlotte, wenn sie elf wird. Kontak… kontaktiert… Dumbledore…“
Ihre Hand fiel schlaff und mit dumpfen Klong auf den Boden. Sie war tot.
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