„If I can stop one heart from breaking
I shall not live in vain
If I can ease one life the aching
Or cool one pain
Or help one fainting robin
Onto his nest again
I shall not live in vain."
- Emily Dickinson
Ich hörte von dem, was mit der Familie Greengrass geschehen war.
Wir alle hörten davon.
Die Nachricht ging durch die Schule wie ein Wirbelwind. Es war typisch Hogwarts - sobald etwas passierte wusste ein paar Minuten später das ganze Schloß davon.
Ich fragte mich, was ich empfand.
Was sie fühlte.
Wie es ihr erging.
Ich hatte Daphne verachtet und abgestempelt, weil sie eine Slytherin war. Ich hatte sie in eine Schublade getan, es war so einfach die Menschen in Schubladen zu sperren. Man spart es sich, selbst zu denken.
Giannina und Cosmo Greengrass waren in Azkaban, weil sie meiner Mutter hatten helfen wollen.
Das war es, was mich fast umbrachte.
Ich hatte diese ganze Familie - diese Slytherin - Familie - so sehr verachtet.
Sie hatten versucht meine Mutter zu beschützen. Mit einem gefälschten Stammbaum hätte meine Mutter zu Daddy und mir zurückkehren können. Wir hätten Weihnachten zusammen feiern können.
Alles wäre wieder gut gewesen, in unserem kleinem Rahmen. Die Familie wäre wieder glücklich beieinander gewesen. Ende gut, alles gut.
Giannina und Cosmo hatte helfen wollen und sie hatte dafür mit ihrer Freiheit bezahlt.
Und Astoria und Daphne hatte ihre Eltern an Azkaban verloren - wegen meiner Mutter.
Ich wusste, dass man die beiden eine Zeit lang im Kerker festgehalten hatte.
Ich selbst musste zu einem Verhör. Die Auroren stellten mir Fragen, sie dachten, ich hätte von der ganzen Sache gewusst. Sie ließen mich gehen, nachdem sie auch Daphne und ihre Schwester hatten gehen lassen.
Die anderen Slytherins ignorierten die Greengrass - Geschwister. Soviel zum Thema Freundschaft und Zusammenhalt.
Sowohl Astoria als auch Daphne waren auf der neuen Liste der Blutsverräter - genau wie ich. Für einen Hufflepuff war es nicht ganz so schlimm auf dieser Liste zu sein. Niemand grenzte einen deswegen aus. Manche bewunderten einen sogar, weil man auf der Liste war. Es hatte etwas rebellisches.
Für einen Slytherin bedeutete die Liste den kompletten Rauswurf aus dem sozialen Leben des Hauses Slytherin. Wer auf der Liste war, war so gut wie tot.
Ich sah, das Daphnes Freunde nicht mehr mit ihr redeten. Manchmal warfen sie ihr besorgte Blicke zu, aber sie trauten sich nicht, mit ihr zu reden.
Diese elenden Feiglinge.
Ich weiß nicht, ob ich von mir aus zu Daphne gegangen wäre, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Ich glaube nicht.
Oft überlege ich mir, wie alles gekommen wäre, wenn ich Daphne ignoriert hätte. Mein Leben hätte nicht die Wendung genommen die es genommen hat.
Aber ich war nun einmal zu Daphne gegangen und hatte mit ihr gesprochen, mit ihr, mit der sonst niemand mehr sprach.
Man könnte es so ausdrücken: Es ist alles Professor McGonagalls Schuld.
Sie war es, die mit mir reden wollte, zwei Wochen nach der Verhaftung von Daphnes Eltern.
Es war ein Dienstag, das werde ich nie vergessen. Ich hatte die ersten beiden Stunden Verwandlung gehabt. Ich hatte auf der gesonderten Bank für die ‘Blutsverräter’ gesessen. Hannah saß neben mir. Sie wippte die ganze Zeit mit ihrem Stuhl hin und her, die ganze Stunde über.
In der kurzen Pause zwischen der ersten und der zweiten Stunde hörte sie auf einmal auf zu wippen.
„Wenn mein Vater stirbt bringe ich mich um.", sagte sie leise. „Das wollte ich dir nur sagen. Damit es dann nicht so plötzlich kommt."
Ich habe auf sie eingeredet wie ein Wasserfall.
Ich habe ihr gesagt, dass es keine Lösung ist, dass das Leben immer irgendwie weiter geht, dass ihr Vater nicht sterben wird, wie komme sie denn nur darauf, dass ihr Vater sterben werde?
Hannah hörte mir aufmerksam zu.
„Meine Mutter ist schon tot.", sagte sie leise. „Mein Vater ist in Azkaban. Wenn er stirbt habe ich niemanden mehr."
„Du hast immer noch Freunde.", sagte ich. „Hörst du das, Hannah, du hast immer noch Freunde."
Nach dieser Stunde wollte McGonagall mich sprechen. Alleine.
Ich wollte Hannah nicht aus den Augen lassen, nicht nach dem, was sie gerade gesagt hatte, aber man widerspricht Minerva McGonagall nicht einfach so.
„Daphne Greengrass ist eine Freundin von dir?", sagte McGonagall.
Ich war überrascht.
„Nicht wirklich.", sagte ich zögerlich. „Wir waren einmal sehr gut befreundet, aber das ist vorbei." McGonagall sah mich skeptisch an - oder vielleicht sah sie mich auch ganz normal an, bei ihr kann man das nicht so einfach auseinander halten.
„Ich habe schon lange nicht mehr mit Daphne gesprochen.", sagte ich.
Ich denke nicht, dass das gelogen war. Unsere kleine Begegnung im Sommer konnte man nicht als Gespräch bezeichnen. Ich hatte Daphne verjagt als sie mich hatte trösten wollen.
„Daphne braucht Hilfe.", sagte McGonagall knapp.
„Das kann ich mir vorstellen.", sagte ich.
„Ihre Eltern sind in Azkaban und ihre Freunde trauen sich nicht mehr mit ihr zu sprechen."
„Das ist schlimm." Ich wusste, worauf McGonagall hinaus wollte. Nur über meine Leiche!
„Wenn Sie früher einmal mit ihr befreundet waren, dann reden sie doch mit ihr, Herrgott nochmal!", sagte McGonagall. Sie wurde lauter - kein gutes Zeichen!
„Daphne braucht jemanden, der sie tröstet und ihr das Gefühl gibt, nicht allein auf dieser Welt zu sein. Sie braucht eine alte Freundin." McGonagall sah mich herausfordernd an.
„Warum gerade ich? Und warum interessieren Sie sich so für Daphne, Professor?", fragte ich.
„Daphne ist eine Schülerin dieser Schule.", sagte McGonagall würdevoll. „Als ihre Lehrerin bin ich für sie verantwortlich wie für jeden einzelnen von Ihnen und ich werde nicht zulassen, dass diese Schule zu Daphnes persönlicher Hölle wird."
„Diese Schule ist längst schon schlimmer als die Hölle, Professor."
McGonagall blieb die Luft weg. Ich wusste, dass ich grausam war. Minerva McGonagall war so etwas wie die gute Seele von Hogwarts, eine strenge gute Seele vielleicht, aber sie versuchte uns Schüler vor den Carrows zu beschützen so gut sie nur konnte. Sie hatte einen Großteil ihres Lebens diesem Schloss und den Schülern geopfert und die Carrows hatten das, wofür Minerva McGonagall die letzten dreißig Jahre gelebt hatte innerhalb weniger Monate in die Hölle auf Erden verwandelt.
"Vielleicht haben Sie Recht, Susan.", sagte sie zu mir. Ihre Stimme klang so unsicher, wie ich sie noch nie gehört hatte. „Doch wir alle tragen unseren Teil zum Widerstand bei, nicht wahr? Ich - und auch Sie, Miss Bones."
„Sie wissen davon?"
„Von Dumbledores Armee? Natürlich. Letzte Woche hat jemand schließlich in großen, gut sichtbaren Buchstaben an eine Wand geschrieben, dass Dumbledore Armee zurück sei, um Snape und die Carrows aus Hogwarts zu vertreiben. Wie hätte ich das übersehen können?"
„Woher wussten Sie, dass ich zur DA gehöre?", fragte ich.
„Ich unterrichte sie seit ihrem ersten Schuljahr auf Hogwarts. Ich weiß, dass Sie sich nach Gerechtigkeit sehnen. Und nach Freiheit. Sie ertragen es nicht, eingesperrt zu sein.", sagte McGonagall schlicht.
„Wie leisten Sie Widerstand, Professor McGonagall?", fragte ich. Ich wusste nicht, ob ich gerade zu weit ging.
McGonagall zog etwas aus der Tasche ihres Umhanges. Es war ein kleiner Anhänger, in Form eines Vogels. Nein, nicht in Form eines gewöhnlichen Vogels. Das war ein ...
„...ein Phönix.", sagte ich leise. „Der Orden des Phönix."
McGonagall nickte. „Ich liefere Informationen. Snape und die Carrows denken, ich hätte keinen Kontakt mehr zum Orden, aber sie irren sich." Sie steckte den Anhänger wieder weg.
„Tun Sie einer alten Frau, die ihnen gerade etwas gezeigt hat was diese Frau das Leben kosten kann einen Gefallen? Werden Sie mit Daphne reden, Miss Bones?"
Ich bejahte, bevor ich überhaupt darüber nachdachte.
Da ich nicht wusste wo sonst ungestört mit Daphne sprechen könnte beschloss ich, sie nach Dunkle Künste abzupassen.
Die Stunde verging quälend langsam. Amycus Carrow, dieser grobschlächtige, gemeine Kerl hielt einen Vortrag über den Sectumsempra - Fluch. Dieser Fluch - von Snape entwickelt und von vielen Todessern übernommen - war das, was ich als Inbegriff eines schwarzmagischen Zaubers bezeichnen würde: Blutig, gefährlich und potentiell tödlich.
Wir sollten den Sectumsempra an kleinen weißen Kaninchen üben.
Die Klasse weigerte sich.
Wie konnte man bitte so einem Tier etwas zu Leide tun? Crabbe, dieser Hooligan aus Slytherin hatte sein Kaninchen bereits zerfetzt. Wir anderen sahen angeekelt auf das sterbende Tier - es war so ein schönes Kaninchen gewesen!
Wir weigerten uns, was uns Nachsitzen einbrachte. Daphne hatte ihrem Kaninchen ebenfalls nichts getan, weswegen sie auch dableiben musste.
Die Leute würden sagen, dass sie eine Slytherin war und deswegen brutal und hinterhältig.
Sie würden das über jemanden sagen, der sich weigert einem kleinen Tier weh zu tun. Über jemanden, dessen Eltern versucht hatten, eine Freundin vor den Todessern zu beschützen.
Aber die Slytherins machten es uns ja auch nicht einfach, nicht wahr?
So viele von ihnen entsprachen dem Klischee: rassistisch, hinterhältig, dumm...
Ich frage mich, warum man in Hogwarts die Gründer so sehr verehrt.
Sie waren es, die uns ins Häuser teilten.
In ihrem Andenken wird jedes Kind, dass Fuß in dieses Schloß setzt in eine Kategorie eingeteilt.
Und so wird es wohl auch für immer bleiben.
Ich werde nie verstehen, warum man sich an manche Traditionen so stark klammert.
„Das haben wir schon immer so gemacht" ist kein sehr überzeugendes Argument, man muss kein geübter Rhetoriker sein um das zu wissen.
Nach dem Nachsitzen sagte ich meinen Freunden, ich hätte noch etwas zu erledigen.
Sie gingen, und sahen mich im Weggehen unsicher an. Ich konnte die Fragen förmlich auf ihren Gesichtern sehen.
Daphne war immer die Letzte, die den Raum verließ, das war mir schon seit Tagen aufgefallen. Sie packte ihre Tasche, langsam und sorgfältig. Amycus Carrow hatte sich längst schon wieder in sein Büro verzogen.
Daphne und ich waren allein im Klassenraum.
Daphne wollte gerade ihr Schulbuch für Dunkle Künste in ihrer Tasche verstauen, als es ihren Händen entglitt und auf den Boden fiel. Sie bückte sich um es aufzuheben, doch ich kam ihr zuvor.
„Hier.", sagte ich und drückte ihr das Buch in die Hand.
„Danke", sagte sie, ein wenig verwirrt.
Wir sahen uns einen Moment lang schweigend an.
„Warum bist du hier?", fragte Daphne.
„Ich will mit dir reden.", antwortete ich.
Sie zog beide Augenbrauen hoch. „Auf ein Mal? Im Sommer wolltest du mich noch so schnell du konntest loswerden."
Ich zuckte mit den Schultern. „Zeiten ändern sich."
„Das tun sie allerdings."
Ich überlegte, wie ich am besten anfangen sollte. Erneut kam mir Daphne zuvor.
„Und, worüber willst du mit mir reden?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„Es... Ich .... Ich wollte dir nur sagen, dass.." Ich brach ab.
„Ja?"
„Das mit deinen Eltern tut mir Leid.", sagte ich leise.
„Oh", sagte Daphne. Nichts weiter. Nur „Oh".
„Ich ... ich bin ihnen sehr dankbar. Sie wollten meiner Mutter helfen und es tut mir Leid, was passiert ist." Mein Mund fühlte sich trocken an. „Und es tut mir Leid, wie ich dich in den Sommerferien behandelt habe und dass ich dir seit dem aus dem Weg gegangen bin.", fuhr ich fort.
Daphne starrte mich an.
„Wenn du mit Irgendjemandem über Irgendetwas sprechen willst...", begann ich, doch Daphne unterbrach mich.
„Wer hat dir gesagt, du sollst mit mir reden?", fragte sie.
„Warum denkst du, jemand hätte mir das gesagt?"
Daphne lächelte. Es war ein bitteres Lächeln. „Weil du niemals von alleine gekommen wärst. Du versuchst doch zu ignorieren, dass wir einmal Freundinnen waren. Du versuchst doch immer so zu tun, als würden wir uns nicht kennen."
„Du tust auch immer so, als würdest du mich nicht kennen!", protestierte ich.
„Es hat nichts mit mir zu tun.", sagte Daphne. „Und auch nichts mit dir. Es sind die Häuser. Wären wir beide in Slytherin, wären wir jetzt noch Freundinnen. Oder vielmehr - wir wären bis vor kurzem noch Freundinnen gewesen und du würdest jetzt nicht mehr mit mir sprechen. Doch du bist hier..."
„Tja", sagte ich. „sieht wirklich so aus als ob ich hier wäre."
„Danke, Susan. Das du mit mir redest.", sagte Daphne.
„Aber das ist doch keine große Sache.", erwiderte ich.
„Für meine - ehemaligen - Freunde offenbar schon." Da war es wieder, dieses bittere Lächeln. Ich konnte mich nicht erinnern, dass Daphne früher auch so gelächelt hatte - aber ich hatte ja auch lange nichts mit ihr zu tun haben wollen, vielleicht war es mir nur nicht aufgefallen.
„Wie geht es dir?", fragte ich und hätte mich, kaum das die Worte meine Lippen verlassen hatten dafür ohrfeigen können.
Ich hätte mir nur schwer eine noch dümmere Fragen überlegen können.
„Ich versuche, weiterzumachen.", sagte Daphne. „Wegen Astoria. Sie braucht mich."
„Und wenn sie dich nicht brauchen würde?", fragte ich.
„Dann würde ich nicht weitermachen."
Ich musste auf einmal an Hannah denken, an meine Freundin Hannah, die ich seit der ersten Klasse kannte und die mir heute mitgeteilt hatte, sie würde sich umbringen, falls ihrem Vater etwas zustoßen würde.
Und jetzt auch noch Daphne.
Ich hatte schon nicht gewusst, was ich wegen Hannah machen sollte, ob ich jemandem davon erzählen sollte oder nicht und jetzt auch noch Daphne.
War die Welt denn verrückt geworden?
Ja, das war sie eindeutig, und das schon seit einer ganzen Weile.
„Hör zu, Daphne, ich..."
„Ist schon gut.", sagte Daphne schnell. „Du bist gekommen. Auch wenn dich wohl irgendwer dazu gebracht hat, du bist gekommen und hast gefragt, wie es mir geht. Das ist mehr, als meine - ehemaligen - Freunde getan haben."
Ich weiß nicht, was passierte und warum, ich weiß nur, dass unsere Lippen sich auf einmal berührten.
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