von Eosphoros
Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein. Sämtliche Apfelsinen- und Nussvorräte der Schule waren von heute auf morgen schlecht geworden und mussten aus dem Schloss entfernt werden. Langsam war der süßlich morbide Geruch durch die Flure gedrungen und hatte den Schülern das Essen verdorben, bevor bekannt wurde, woran es lag. Doch nicht nur Hogwarts war betroffen, wie die rasch eintreffenden Eulen bestätigten. Die Katastrophe zog sich über die Gesamtheit der Commonwealthstaaten hin und beschränkte sich nicht auf die magische Welt.
Die Muggelpresse sprach von gespritztem und pestizidbelastetem Obst, das aus dem Handel genommen werden musste, um gesundheitlichen Schäden vorzubeugen. Welche Auswirkungen das auf die Welt der Magie haben konnte, würden die kommenden Tage zeigen …
Fred glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er an diesem Dezembermorgen beim Frühstück saß und einen Blick in den Tagespropheten warf. Das konnte, nein, das durfte nicht wahr sein. Sämtliche Apfelsinen- und Nussvorräte sollten verfault sein? Das war eine Lüge! In großen Lettern prangte jedoch die Überschrift über dem Leitartikel im Tagespropheten: Desaster im Ministerium - Apfelsinen- und Nussvorräte vergammelt!
Fred blinzelte, aber die Nachricht veränderte sich nicht. Er schüttelte die Zeitung, aber die Schlagzeile blieb. Das Weihnachtsfest war in Gefahr, so viel stand fest. Der Vorfall des gestrigen Tages war also keine Ausnahme. Er hatte nicht geträumt, dass die Hauselfen verfaulte Apfelsinen und verdorbene Nüsse schubkarrenweise aus dem Schloss transportierten. Es war wirklich geschehen. In Fred stieg Panik auf. Wie sollten sie denn ohne Nüsse und Apfelsinen Weihnachten feiern? Er schluckte, ließ seinen Blick suchend über den prall gefüllten Gryffindor Tisch gleiten. Nirgends war frisch gepresster Orangensaft zu finden. Er suchte vergeblich nach Nussecken, Nussmakronen, Walnussbutter auf Haselnussbrot mit Macadamiagelee und Apfelsinennougat. Keine dieser weihnachtlichen Spezialitäten befand sich auf dem Tisch. Dabei war Haselnussbrot mit Macadamiagelee und Apfelsinennougat doch sein Leibgericht, zumindest an Montagen in der Adventszeit.
Wie hatte das geschehen können? Wie hatten sämtliche Apfelsinen- und Nussvorräte gleichzeitig verfaulen können? Seine Mitschüler reagierten ähnlich. Ihre entsetzten Mienen sprachen Bände. Neugierig las Fred den Artikel. Der Ernährungsbeauftragte des Ministeriums für Magie habe es zu gut gemeint. Der Verantwortliche habe den Zauber zur Verlängerung des Haltbarkeitsdatums mit dem äußerst potenten Reifungszauber verwechselt. Dieses Missgeschick habe zur derzeitigen Apfelsinen- und Nussknappheit geführt. Es wurde um Verständnis gebeten etc.p.p.
Knappheit? Fred schnaubte. Die Leckereien waren verfault. Allesamt. Knapper als knapp ging es doch gar nicht mehr. Er knallte die Zeitung auf den Tisch.
„Mist!“, rief er. „Und das vor Weihnachten!“
Obwohl die Verantwortlichen Entwarnung gaben und versicherten, dass der gestresste, nunmehr pensionierte, Mitarbeiter den Zauber nur auf Apfelsinen und Nüsse angewendet habe und so alle anderen Nahrungsmittel magisch unbehandelt geblieben seien, verfiel Fred in Trübsinn.
Die desaströsen Folgen dieses beispiellosen Engpasses konnte Fred bereits am nächsten Tag erleben. Es zeigte sich, dass beinahe alle Bewohner Hogwarts die eine oder andere mehr oder weniger heimliche Leidenschaft hatten, bei der Nuss- oder Apfelsinenkomponenten eine Rolle spielten.
Die ersten Veränderungen nahm Fred an Albus Dumbledore höchst persönlich wahr. Jeder kannte die Vorliebe des Direktors für Zitronendrops. Was aber niemand wusste, diese Zitronendrops bestanden nur zu zehn Prozent aus Zitronenzusatz, gute fünfundachtzig Prozent war eingedickter Apfelsinensirup und die restlichen fünf machte Diabetikersüße aus. Der Direktor erwies sich als panisch vorausschauend und aus zuverlässiger Quelle wusste Fred, dass Dumbledore seine tägliche Ration Zitronendrops wohlweislich auf eine Schachtel pro Tag reduziert hatte und beabsichtigte, sich lediglich an den Sonntagen zwei zu gönnen. Fred konnte nur mutmaßen, wie hoch die Dosis für gewöhnlich war. Die Entzugserscheinungen waren gravierend. Dumbledore war fahrig in seinen Bewegungen, stolperte hektisch durch die Gänge, rannte in seinem Büro nicht mehr hin und her, sondern im Kreis - hoch lebe die Karte der Herumtreiber - und bekam ein nervöses Augenzucken. Wäre es nicht so traurig, hätte Fred gelacht. Er hatte alle Mühe seinem Bruder die Ernsthaftigkeit der Lage plausibel zu machen. Doch da George weder Nüsse noch Apfelsinen mochte, hatte der seinen Spaß und er, Fred, litt.
Selbst Professor McGonagall konnte nicht die Würde an den Tag legen, für die sie berühmt und berüchtigt war, wie Fred nach einigen Tagen feststellte. Seit sie ihre heiß geliebte Haselnusstorte nicht zum Weihnachtsmenü bekommen sollte, wähnte sie sich ausgesprochen melancholisch, am Rande zu depressiv. Sie trug nicht länger ihre pinkfarbenen Pumps und smaragdgrünen Roben, sie trug Schwarz und tupfte sich bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit demonstrativ mit einem Taschentuch die Augen und seufzte dazu herzzerreißend „Warum, warum nur?“ Das Gleiche fragte sich Fred übrigens auch. Dass McGonagall ein Faible für Haselnüsse hatte, war hinlänglich bekannt, doch dass sie so emotional auf einen Mangel reagieren würde, hätte er niemals für möglich gehalten.
Die gesamte Schule schien unter der Misswirtschaft des Ministeriums zu leiden. Die nächste Person, deren heimliche Leidenschaft vor allem durch den Mangel an Walnüssen offenbart wurde, war tatsächlich kein geringerer als Severus Snape. Niemand hatte gewusst, dass Snape sich die Haare mit einer Eigenmischung aus Schwarzwurzelschalen und Walnussöl färbte. Er musste Schreckliches erlebt haben, mutmaßte Fred, nachdem der nächste Unterricht bei Snape eine wahnwitzige Überraschung mit sich brachte. Ein graumelierter Severus Snape stand neben seinem Pult und fuhr sich nervös durch das Haar. Grau meliert, dabei war Snape gerade mal Mitte Dreißig. Fred hatte geahnt, dass dieses Schwarz und dieses fettig strähnige Etwas auf seinem Kopf keineswegs natürlich war, aber nun die Gewissheit zu haben, war … nun, es war nicht so befriedigend, wie es selbst herausgefunden zu haben. Anscheinend nahm Snape es in Kauf, dass das Haar durch das Walnussöl fettig und strähnig erschien, solange es eben schwarz war.
Fred beendete die Woche in der schrecklichen Gewissheit, dass es nicht schlimmer würde kommen können. Nur zwei Tage später wusste er: Er hatte sich geirrt. Es kam immer schlimmer.
Die Schulbesen begannen beim letzten Quidditchtraining des Jahres herumzuzicken und auch die ersten Zauberstäbe machten sich selbständig. Sie zauberten quer, zerbrachen einfach oder stellten sich taub. Man musste sie schütteln und würgen, um auch nur ein Fünkchen aus ihnen herauszukitzeln. Die Antwort war so einfach wie traurig: Nussbaumholz. Wer hätte ahnen können, dass sich die mutwillige Beschleunigung des Reifungsprozesses auch auf Holz erstreckte? Morsch!, lautete Madam Hooch Analyseergebnis, das sie unter Tränen hervorbrachte.
Madam Sprout beschwerte sich heftig, was absolut untypisch für sie war, in der letzten Kräuterkundestunde über den Verfall der Haselnusssträucher, ihre Apfelsinenbäumchen gingen ein und die Walnussplantage hinter dem See zerfiel buchstäblich aufgrund des morschen Holzes. Sie verteilte Strafpunkte anstelle kleiner Wichtelgeschenke, die meistens aus Apfelsinenkonfekt mit kandierten Lavendelblüten und eingelegten Walnusskernen bestanden hatten; natürlich aus Eigenproduktion.
Hagrid berichtete von aggressiven Eichhörnchen und Raben, die ihre Haselnuss- und Walnussreseven ausbuddelten und vor seiner Hütte stapelten. Es würde erbärmlich stinken.
Sogar Professor Flitwick, dessen Leidenschaft für Nussecken schon lange kein Geheimnis mehr war, begann sich merkwürdig zu verhalten. Fred ertappte ihn dabei, als er gigantische Nussecken aus Schnee formte, hineinbiss und sich seufzend in dieses Trugbild hineinfallen ließ, bis Cedric Diggory ihn wieder herausbuddelte.
Die einzigen „weihnachtlichen“ Näschereien, die von der „Seuche“ ausgenommen blieben, waren Erdnüsse. Fred hasste Erdnüsse, schließlich gaben sie nur vor Nüsse zu sein und das auch noch schlecht. George feixte natürlich, weil sie liebte. Während sein Bruder in Erdnusshappen, Erdnussbissen, Erdnussbutter und Erdnussplätzchen schwelgte, wurde ihm, Fred, richtiggehend schlecht.
Fred hatte es gewusst, nachdem er diese Nachricht im Tagespropheten gelesen hatte. Es würde für ihn kein schönes Weihnachten geben. So bewahrheitete sich seine finstere Prognose unterm Weihnachtsbaum im Fuchsbau. Er und George waren zusammen mit den Brüdern nach Hause gekommen, um Weihnachten im Kreis der Familie zu feiern. Ginny und Ron, noch zu jung für Hogwarts und um zu verstehen, welch finsteres Weihnachten ihnen ohne Nüsse und Apfelsinen bevorstand, spielten unter dem Weihnachtsbaum miteinander „Ich stech dir mit meinem Finger ins Auge, wenn du mir an den Haaren ziehst“, während Fred frustriert seinen bunten Teller nach wenigstens einem Nougattaler absuchte. Aber da war nichts.
„Iss doch eine Erdnuss, Fred. Du wirst sehen, dass Weihnachten auch ohne Walnüsse, Haselnüsse und Apfelsinen richtig schön sein kann. Schau, wir haben auch Äpfel und sogar Granatäpfel“, versuchte ihn seine Mutter von der Großartigkeit anderen Naschwerks zu überzeugen. Fred tat ihr den Gefallen und kostete …
Der Schmerz setzte ganz plötzlich ein. Es war ein unangenehmes Stechen im Bauch, das sich bis zum Zwerchfell und den Unterleib ausbreitete. Es drohte ihm den Atem zu nehmen. Fred stöhnte, als läge er im Sterben.
„Hat er wirklich die ganzen Makronen aufgegessen, die du für die bunten Teller von uns allen vorgesehen hast, Mum?“, fragte eine Stimme. Fred knurrte jämmerlich. Wieso klang Bill so nahe und so besorgt?
„Nicht nur das. Er hat auch von dem Apfelsinensorbet genascht.“
„Dads Spezialapfelsinensorbet?“
„Genau das. Das mit dem Schuss Grenadine und dem Apfelsinenbrandwein von Dumbledore.“
„Also ist Brüderchen verkatert?“
„Quatsch, nicht nur verkatert! Der hat sich überfressen!“, hörte Fred die gehässige Stimme seines Zwillings.
„Also George, dein Bruder leidet! Nun sei bitte etwas netter zu ihm.“
„Nö, Ron, Ginny und ich sind uns einig, dass Fred zurecht leidet, schließlich hat er alle Nussplätzchen aufgegessen und die Nussvorräte geplündert. Die Handvoll Haselnüsse, die er übrig gelassen hat, reichen kaum für einen Tag. Charlie versucht gerade neue zu besorgen.“
„Die Apfelsinen sind auch alle!“, hörte Fred seine kleine Schwester lispelnd sagen. Ginny lispelte? Fred wurde etwas klarer im Kopf. Natürlich, sie hatte am Abend einen Schneidezahn verloren, ihn unters Kopfkissen gelegt, um von der Zahnfee einen Sickel zu bekommen. Er blinzelte und schnappte reflexartig nach dem großen Löffel, den ihm seine Mutter vor den Mund hielt.
„Schön schlucken, Fred, dann geht es dir gleich besser.“
Das Zeug schmeckte widerlich. Er schüttelte sich, ließ aber dankbar die mütterliche Pflege über sich gehen.
„Das nächste Mal, mein Sohn, werde ich dich leiden lassen. Einfach so in der Nacht deinen Geschwistern die bunten Teller plündern. Kein Wunder, dass du nun Bauchschmerzen hast“, schalt ihn seine Mutter.
„Ginny? Willst du eine Apfelsine? Ich hab' noch eine gefunden, die Brüderchen übersehen hat!“, erklärte Ron. Sein jüngster Bruder hatte den Rotschopf durch den Türspalt gestreckt und hielt eine Apfelsine in der Hand, die keineswegs überlagert oder verfault wirkte. Sie war frisch und orange und … eben orange. Freds Magen rebellierte. Ihm wurde schlecht. Doch die Medizin seiner Mutter wirkte.
„Dann war das alles nur ein Traum?“, krächzte er. Er klang sogar in den eigenen Ohren jämmerlich.
Seine Geschwister starrten ihn irritiert an.
„Was für ein Traum denn, Herzchen?“, hakte seine Mutter nach.
„Ein Zauberer des Ministeriums hat versucht das Haltbarkeitsdatum für Apfelsinen und Nüsse zu verlängern. Aber er hat ihn mit dem Zauber zur Beschleunigung des Reifungsprozesses verwechselt. Danach waren alle …“
Fred erzählte seinen Traum und nahm es seiner Familie nicht wirklich übel, dass sie ihn neckte und über ihn lachte. Er mied an diesem Weihnachten Nüsse und Apfelsinen, vorübergehend hatte genug von den Leckereien. Doch würde es wieder ein Weihnachten geben und mit diesem auch neue Apfelsinen und jede Menge an Nüssen. Aber dieses Mal würde er sich zu beherrschen wissen.
~ Ende ~
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