von Gx2^4
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Seine Schuhe sanken tief ein in dem schmutzigen Schlammboden, der sich um sie herum zu ihren Füßen erstreckte. Sie waren mitten in einem weitläufigen Moorgebiet. Der Wind heulte unheimlich, und verwehte ihre Haare.
Die kühle Brise in seinem Gesicht fühlte sich gut an. Ein Lächeln lag angedeutet auf seinen Lippen, als die kühle Luft in seine Lunge eindrang, und ihm eine angenehm befreiende Befriedigung gab.
Dies tat ihm gut. Die frische Luft, die Freiheit, nach Tagen eingesperrt in einer muffigen Bibliothek, oder in dem Krankenzimmer von Hermine. Es tat ihm gut zu atmen, in der frischen, in der reinen Luft.
Es tat ihm so gut, endlich mal raus zu kommen. Raus.
So sehr es ihm schmerzte Hermine gerade jetzt schon wieder alleine zurück zu lassen. So sehr er sich wünschte, mit den Ereignissen aufzuräumen. So sehr er sich verabschieden wollte, von Ginny. Den Weasleys erklären was geschehen war. Ihnen klar machen, das sein Mord gerechtfertigt war, dass sie viele Menschenleben auf dem Gewissen gehabt hatte, und dass es mit jedem Tag, an dem sie weiter gelebt hätte, mehr geworden wären.
So sehr ihn dies alles auch beschäftigte, in diesem Moment, dem Moment, in dem er einmal tief ein atmete. In diesem Moment tat es einfach nur gut da raus zu sein. Weg von all dem. Fliehen, vor der Verantwortung, der er sich unausweichlich eines Tages würde stellen müssen. Eines Tages. Doch nicht jetzt.
Er selbst verleugnete vor sich selbst gar, dass er gerade vor irgendeiner Verantwortung floh. Ganz im Gegenteil. Eigentlich rannte er gleich rein in die nächste Verantwortung.
Unvorbereitet. Überstürzt.
Er rannte in den nächsten Kampf, ohne auch nur einen Moment die Wunden des letzten zu lecken.
Rein in die Schlacht.
Kämpfen.
Dumbledore hatte Recht gehabt. Er – Harry – würde niemals daneben stehen können, während irgendwo ein Kampf um die Freiheit im Gange war. Solange er lebte, würde er kämpfen. Für die Freiheit. Für seine Freunde.
Das wurde ihm nun klar. Obwohl es ihm irgendwie immer schon klar gewesen war.
Er ließ sie zurück, weil er wusste, dass sie in Sicherheit waren. Die Todesser waren verschreckt und verängstigt, jetzt nachdem sie seine neue, seine „hohe“ Magie gesehen hatten. Er hasste diese hohe Magie – keine Frage. Aber dies war eine von den Eigenschaften, die er sie ein bisschen weniger hasste.
Judith neben ihm setzte sich in Bewegung durch die weitläufige Moorlandschaft. Mit jedem Schritt erfüllte ein ekelerregendes Geräusch von den in Schlamm einsinkenden Schuhen die ansonsten gespenstisch stille Luft.
„Komm schon!“ rief ihm Judith über die Schulter zu, als er nach Sekunden immer noch keine Anstalten machte ihr zu folgen. Endlich setzte er sich in Bewegung und hatte sie schon bald eingeholt.
„Wo sind wir?“ fragte Harry sofort, und blickte sich immer wieder um. Weit und Breit war nichts zu sehen, als eine weitläufige Moorlandschaft. Nur im Süden – die Richtung, in die sie sich bewegten – war in weiter Ferne, am Horizont eine unförmige Erhebung.
Entweder sie hörte ihn nicht, oder sie wollte ihn nicht hören, es lief auf das selbe hinaus. Judith antwortete nicht.
„Wie hast du ihn gefunden?“ fragte Harry erneut hoffnungsvoll, nachdem einige Minuten lang nichts zu hören war als das widerlich schmatzende Geräusch ihrer bei jedem Schritt in den Schlamm einsinkenden Schuhe und der pfeifende Wind, der um ihre Ohren wehte. Neugierig beobachtete Harry Judith, als sie weiter ging als hätte sie ihn nicht gehört. Dann jedoch – es waren schon einige Sekunden vergangen – begann sie überraschend zu sprechen.
„Wenn man weiß wo man suchen muss, ist er nicht schwer zu finden.“
Harry runzelte die Stirn und gab sich sichtlich Mühe mit ihr Schritt zu halten. „Aber du warst doch noch nie in England, woher wusstest du wo du suchen musst?“
Judith zuckte geheimnistuerisch mit den Schultern „Ich wusste es einfach!“
Harry hob die Augenbrauen und sah Judith einige Sekunden lang an. Als sie nicht reagierte sprang er blitzschnell zum nächsten Gedanken über.
„Und woher weißt du, dass du meine Hilfe brauchst? Ich meine du warst viel länger an dem Tempel als ich?“
Im laufen drehte sich Judith zu ihm um und grinste ein wenig.
„Bild dir da bloß nichts drauf ein! Du – egal wie weit deine Ausbildung ist – bist immer noch besser als nichts! Vor 4 Monaten, als Ben verschwand, war er stärker als ich, er hat mich quasi in jedem Übungsduell KO gekriegt – daher weiß ich dass ich Hilfe brauche! Zu zweit sind unsere Chancen größer als alleine.“
Harry ließ seinen Blick weg wandern von Judith' kraftvoll daher stampfenden Silhouette und blickte stattdessen starr auf den größer werdenden Schatten am Horizont.
In genau diesem Moment fuhr ihr Gesicht ruckartig zu ihm herum. Ein höhnisches Grinsen lag dabei in ihrem Gesicht, das mit ihren kalten Augen zusammen schon arg an Draco Malfoy erinnerte. „Du kriegst jetzt doch nicht etwa Angst oder?“
„Nein“ sagte Harry wie aus der Pistole geschossen. „Ich bin ein Gryffindor. Gryffindors haben keine Angst!“ meinte er, als wäre er allein durch ihre Frage in seinem Stolz verletzt.
„Gut. Ich hatte dich auch nicht für einen Waschlappen gehalten.“ sagte sie nur und grinste diesmal nicht höhnisch, sondern zufrieden, weil sie es geschafft hatte ihn so aus der Fassung zu bringen.
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Stumm stand er da.
Es konnten bereits Stunden vergangen sein, und doch hatte er sich nicht gerührt. Nicht seit er sie gesehen hatte.
Nachdem Ron neugierig beobachtet hatte, wie Harry Ginny an ihrem Handgelenk mit sich, raus aus dem Schlachtgetümmel gezerrt hatte, und dabei ein Ausdruck unbändiger Wut, in ihrer beider Blicke gelegen hatte, hatte er es kommen sehen.
Er war zusammen mit George, der es genauso besorgt beobachtet hatte, den beiden hinterher gegangen.
Ron hatte sich gewundert, und es nicht verstanden, als er gesehen hatte, dass Harry seine tot geglaubte Schwester mit sich gezogen hatte, in das Krankenzimmer von Hermine.
Die Tür war verriegelt gewesen, als er mit seinem Bruder versucht hatte, ihnen zu folgen. Verschlossen.
Und so mussten sie Hilflos und untätig mit anhören, wie Minuten später ein Schrei aus dem Zimmer gedrungen war. „Avada Kedavra!“ Ron hatte die Stimme erkannt.
Nichts mehr hatte er verstanden. Nichts.
Was geschah dort drin.
Als er dann Harry Minuten lang schmerzerfüllt hatte schreien hören, hatte er sich schon verzweifelt an der Tür zu schaffen gemacht.
Scheinbar ewige Zeiten waren vergangen, als sie endlich die Tür geöffnet hatten, und was sie dann gesehen hatten, hatte
Ron in diese Starre verfallen lassen, in der er sich immer noch befand.
Harry war scheinbar spurlos verschwunden.
Hermine lag im Bett, scheinbar so wie immer.
Und vor dem Bett auf dem Boden lag Ginny. Tot.
Seit diesem Moment hatte Ron aufgehört zu denken. Er hatte aufgehört zu fühlen.
Ohne mit der Wimper zu zucken starrte er geradewegs auf ihren Leichnam. Keine Sekunde nahm er seinen Blick von ihr.
Ein Zauberstab lag einige Schritte von ihr entfernt auf dem Boden. George neben ihm hatte sich zu Ginny gekniet, ihre Augen geschlossen. Dann hatte auch er sich nicht mehr bewegt. Zitternd kniete er über dem Leichnam von seiner Schwester. Grausam.
Plötzlich erwachte Ron aus seiner Lethargie, die ihn überwältigt hatte.
Sein Blick war fixiert auf den Zauberstab, der dort lag, auf dem Boden. Wie fallen gelassen.
In wenigen Schritten hatte er den Zauberstab erreicht. Er beugte sich herunter, und schon bevor er ihn in die Hand nahm, hatte er es erkannt. Dies war Ginnys, dies war ihr eigener Zauberstab.
Rons Finger zitterten nervös, als seine Hand zu seinem eigenen Zauberstab wanderte. In der linken Hand hielt er nun Ginnys Zauberstab, und in der rechten seinen eigenen. Mit diesem deutete er nun auf Ginnys Zauberstab.
Zitternd atmete er durch. Er hatte Angst, vor dem was er jetzt gleich sehen würde.
Im Einklang mit seiner Hand zitterte auch seine Stimme als er die zwei wohl gewählten Worte aussprach.
„Priori Incantato“
Es geschah auf der Stelle.
Langsam kroch eine Gestalt aus Ginnys Zauberstab.
Ron keuchte, und George hinter ihm schrie auf, als der ganze Körper der Gestalt zu erkennen war.
Die Gestalt war rauchig, und nicht fest. Es war keine wirklich lebendige Person, es war nichts was wirklich da war. Und doch raste Rons Herz als er in ihre Augen sah.
Ginny Weasley, seine kleine Schwester Ginny schaute zurück, direkt in seine Augen.
Ein grausamer Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet. „Ginny.“ kam es röchelnd aus seinem Hals. Die Tränen konnte er nicht mehr aufhalten.
Stumm flossen sie sein Gesicht herunter, gleichzeitig begann er haltlos zu zittern.
Harry war gemeinsam mit Ginny, hier rein gegangen. Kurze Zeit später hatte Ron unverkennbar Harrys Stimme gehört, die einen Fluch gebrüllt hatte. Einen tödlichen Fluch. Und nun, war Harry verschwunden, zurück geblieben war nur ein Zauberstab.
Es war nicht irgendein Zauberstab. Es war der Zauberstab.
Es war der Zauberstab, der Ginny getötet hatte.
Hermine und Harry hatten ihn gerne damit aufgezogen, dass er manchmal nicht der schnellste war, doch diesmal war es so klar, dass selbst er es ohne zu zögern erkannte. War es auch noch so unglaublich, noch so unlogisch. Es war doch so offensichtlich.
Harry hatte Ginny getötet.
Es war diese Erkenntnis, die ihn fast mehr schockierte als die Sache selbst. Harry hatte Ginny getötet. Und dafür, das schwor sich Ron, während er wütend schnaufend auf den Zauberstab in seiner Hand hinab starrte. Dafür, würde er ihn umbringen.
TBC
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