von Gx2^4
Die kleinen Flügelchen waren ein wenig verklebt, wegen des feuchten Nebels, der in der Luft hing.
Für den Überblick, den sie sich von hier oben verschaffen konnte, während sie rasant hin und her flog, hätten einige Bewohner des Schlosses wohl eine Menge getan.
Die Fliege flog hier oben am Rand zum verbotenen Wald über eine weitläufige Linie aus Zelten und kleinen Lagerfeuern, um die herum hunderte Menschen saßen.
Ein Rotschopf saß direkt unter der Fliege, und besprach sich mit einem jungen Mann mit blonden Haaren, saßen eng beieinander und sprachen so leise, dass eine vollkommene Intimität gewährleistet war.
Die Frau mit knallrotem Haar spielte mit dem Zauberstab in ihrer Hand, und deutete auf verschiedene Tierchen – von Käfern über kleine Schlangen, Spinnen oder gar Vögeln – die Sekunden später, nachdem sie ein tödlicher, grüner Blitz traf, zusammenbrachen, und regungslos liegen blieben.
Jedes Mal, wenn die rothaarige das tat, lächelte ihr der blonde applaudierend zu, und nickte dabei beifällig. So etwas wie Stolz lag in seinen Augen während er sie betrachtete.
Schnell flog die Fliege weiter, bevor auch sie Opfer dieses Zauberstabes der jungen Frau würde.
Entlang über das weitläufig verwüstete Gelände von Hogwarts, über verkohlte Wiesen, und stinkende dunkle Pfützen. An diesem Ort war schreckliches geschehen.
Etwas zog die Aufmerksamkeit der Fliege auf sich. In einem der höheren Stockwerke des Schlosses waren hinter einem Fenster faszinierende goldene Blitze zu sehen.
Je näher die Fliege dem Fenster kam, desto mehr Hitzewellen kamen ihr entgegen, die sie unter gewaltigem Druck zurück schleuderten.
Schließlich aber kam sie doch unter gewaltiger Anstrengung an dem offenen Fenster an. Ein schwarz haariger Junge stand dort an einem Bett, das Gesicht mit geschlossenen Augen gen Himmel gerichtet, die Arme rechts und links ausgestreckt, und die Brust nach vorne aufgebäumt.
Unter Qualen schrie der Junge seine Leiden heraus, während goldene Blitze, in jede erdenkliche Richtung aus seinen Händen schossen.
In einer Ecke stand verängstigt und gegen die Wand gedrückt ein rothaariger Junge, der dem rothaarigen Mädchen unten am Waldrand ziemlich ähnlich sah.
Die Fliege wagte sich noch ein bisschen weiter in den Raum rein. Ein Fehler.
Ein tödlicher, und nicht wieder gut zumachender Fehler.
Das letzte, was die Fliege sah, war ein goldener Blitz, der auf sie zu gerast kam. Und dann war alles vorbei.
Abrupt unterbrach Harry seinen Schrei, und auch die Blitze aus seinen Händen hörten auf, als ihm etwas kleines rundes in den Rachen gefallen war.
Harry hustete. Seine Augen traten ein wenig hervor.
Im letzten Moment spuckte er es aus, und stellte fest, dass es eine tote Fliege war.
Doch es hatte gereicht. Harry hatte sich beruhigt, und Ron hinter ihm konnte wieder befreit atmen, schlich aber dann so schnell wie möglich aus dem Zimmer.
Nachdem Harry noch Minuten so ruhig da gestanden hatte, und einfach an nichts gedacht hatte, hatte er sich langsam und in seinen leeren Gedanken, wieder hingesetzt, an das Bett von Hermine.
Es pochte laut, und schmerzhaft in seinen Ohren.
Regelmäßig, wie ein Schweizer Uhrwerk.
Sein Herzschlag.
Das war alles was er hörte. Eintönig, und irgendwie beruhigend.
Harry beobachtete, wie sich Hermines Brust hob und senkte. Er hörte ihren leisen Atem. Es war beruhigend, denn es bedeutete, dass sie lebte.
Sie lebte.
Und wenn sie lebte, dann musste man sie auch wecken können. Man musste! Es musste einfach möglich sein!
Krampfhaft hielt sich Harry an diesem Gedanken fest. Sie war am Leben. Und so lange das so war, konnte er sie zurück holen!
Er hatte keinen Schimmer, wie das gehen sollte. Er wusste es beim besten Willen nicht. Doch es musste gehen.
Und er wusste auch, was wohl seine größte Möglichkeit war. Ein Versuch, der am Erfolgversprechendsten war. Er musste die hohe Magie benutzen.
Doch das wollte Harry nicht.
Es wäre wahrscheinlicher, dass er irgendjemanden umbringen würde, als dass er Hermine retten würde.
Aber was konnte er dann tun?
Hinter sich hörte Harry wie jemand leise und vorsichtig den Raum betrat. Er wusste nicht, wie lange er nun schon an Hermines Bett wachte. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Doch es mussten schon mehrere Stunden vergangen sein. Während dieser Zeit hatte sich nichts geändert. Hermine lag mit ihrer bleichen Haut, auf dem weißen Laken, sie atmete flach und gleichmäßig, und ihre Gesichtszüge waren schmerzverzerrt. Sie litt. Und Harry litt mit ihr. Denn Harry erfüllte es mit grausamen Qualen, zusehen zu müssen, wie seine beste Freundin leiden musste.
„Harry?“
Rons Stimme klang Ängstlich, und sehr vorsichtig. Ihm saß der Schock über Harrys Demonstration seiner Macht wohl immer noch in den Gliedern.
Er hatte nicht verstanden, was Harry dort getan hatte. Ehrfürchtig starrte er Harry an. In ihm schlummerte wohl eine unermesslich große Macht.
Und so fürchtete sich Ron jetzt beinahe vor seinem besten Freund. Doch Harry war ganz ruhig.
Als er sich dann aber Ron zudrehte, fuhr dieser erschrocken zurück.
Harrys Gesicht war eingefallen. Aus seinen Augen, die müde wirkten sprach die pure Verzweiflung. Es machte Ron Angst wie verzweifelt und verloren ihm Harry entgegen blickte. Er sah wie Harrys Augen leer wirkten. Sie zeigten einen direkten Blick auf Harrys verzweifelte, leere Seele.
„Minerva meint, dass wir uns zusammensetzen sollten. Es ist viel geschehen, und wir müssen einige Dinge besprechen.“
Ohne eine Miene zu verziehen nickte Harry. Ein wenig ruckartig.
Ein Wort sprach er nicht aus.
Noch einmal griff er nach Hermines Hand und beugte sich zu Hermine herunter. „Ich komme gleich zurück.“ hauchte er in ihr Ohr, dann küsste er sie auf die Schweiß überzogene Stirn.
Ron beobachtete das ein wenig Kritisch, mit gerunzelter Stirn, drehte sich dann jedoch um, und bedeutete Harry, dass er ihm folgen sollte.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, fühlten sich beide ein wenig befreiter. Es war eine unheimlich drückende Stimmung in dem Raum. Eine Stimmung, die Bauchschmerzen bereitete.
Auch wenn Harrys Gedanken in diesem Raum geblieben waren, reichte die blanke Tatsache, nun ein wenig in Bewegung zu sein, um diese drückenden Bauchschmerzen ein wenig zu lindern.
Nach einigen Minuten, des stillen Durch-die-Gänge-Laufens, brach Harry schließlich das Schweigen, dass zwischen den beiden besten Freunden lastete.
„Also du und Lav-Lav? Wie ist denn das passiert?“ fragte Harry, und die Spur eines schelmischen Grinsen fand den Weg auf sein Gesicht.
Ron sah Harry ein wenig verträumt lächelnd an. „Aach naja. Wir sind beide älter geworden. Und auch irgendwie reifer, und als ich dann jemanden in meiner Einsamkeit gebraucht habe – als meine beiden besten Freunde spurlos verschwunden sind“ er sah Harry mal wieder brennend interessiert an, und wollte offenbar unbedingt wissen, wo Harry die ganze Zeit gesteckt hatte „- war sie da. Oh und das mit den bescheuerten Spitznamen ist vorbei, ich wäre dir also sehr verbunden wenn...“ doch Harry unterbrach ihn, nun nicht mehr nur mit einem angedeuteten, sondern mit einem deutlich ausgeprägten Grinsen auf den Lippen „Auf keinen Fall! Für mich werdet ihr immer Lav-Lav und Won-Won bleiben!“
Ron sah Harry leicht genervt an, und Harry lachte.
„Spargel!“ rief Ron plötzlich, als der steinerne Wasserspeier in Sicht kam, der sich sogleich in Bewegung setzte und den Blick auf die schmale Wendeltreppe hoch zu Dumbledores Büro frei gab.
Dumbledores Büro? Es war für ihn ein kleiner Schockmoment, als Harry auffiel, was er gerade gedacht hatte.
Dumbledore.
Lange hatte er nicht mehr an ihn gedacht.
Vor etwas mehr als einem Jahr war er vor Harrys Augen gestorben, und nun schon dachte er kaum noch an seinen ehemaligen Schulleiter. Dumbledore war auch auf den Tempel der hohen Magie gegangen. Auch er hatte dort gelernt. Und auch er war von dort abgehauen.
Er war es, der Harry jetzt am meisten helfen konnte. Er hätte gewusst, was er jetzt tun sollte. Er hätte ihm beigebracht die hohe Magie zu kontrollieren, denn er selbst hatte es ja offensichtlich geschafft – wie sonst war es zu erklären, dass er kein einziges Mal die große Halle zu Kleinholz zerstückelt hatte.
Dumbledore war gestorben, um Voldemort und mit ihm seine Todesser und Ideale zu zerstören. Er hatte geplant, dass er, Harry den bösesten Zauberer aller Zeiten tötete, und danach...
Ja was eigentlich? Was hatte der geniale Dumbledore, der immer alles durchgeplant hatte für die Zeit nach Voldemort geplant?
Er konnte doch nicht ernsthaft gedacht haben, dass die Todesser einfach so ohne jede Gegenwehr aufgeben würde. Oder doch? Hatte Dumbledore einen Fehler gemacht?
(Auszug Harry Potter und der Orden des Phönix, Seite 971)
„[...]Der Fehler eines alten Mannes.“
Er hatte es selbst gesagt. Auch Dumbledore machte Fehler.
Doch war das auch diesmal der Fall?
(Auszug Kapitel 30)
Das erklärte alles. Das war es. Das war der Grund, warum Harry 16 Jahre lang von ihrer Bildfläche verschwunden war, und keine Anzeichen für die hohe Magie gezeigt hatte. Die zweite Seele, Voldemorts Seele in seinem Körper hatte ihn gehemmt. Sie hatte verhindert das er seine innere Ruhe gefunden hatte, die Ruhe, die entscheidend war, wenn man die hohe Magie anwenden wollte.
Dumbledore hatte es gewusst! Er hatte gewusst, dass Harry das Talent der hohen Magie in sich trug. Er hatte gewollt, dass Harry Voldermort tötet – aber nur Vordergründig, um Voldermort zu töten, sondern vielmehr, damit er das Stück der Seele von Voldermort in sich selbst zerstörte. Denn so konnte sich die hohe Magie in Harry vollständig entfalten, und dann hätte er genug Macht, um die Todesser endgültig zu zerstören.
Es war Dumbledores Plan gewesen, dass Harrys Weg, mit dem Tode Voldemorts noch lange nicht zu ende war, sondern vielmehr erst anfing.
Durch den Tode Voldemorts war es Dumbledore gelungen, Harry zu einem der mächtigsten Zauberer Englands zu machen.
Ungläubig schüttelte Harry den Kopf. Es war Unglaublich, wie tief verwoben, wie weitreichend die Pläne von Dumbledore waren. Selbst jetzt noch, eineinhalb Jahre nach seinem Tod, beeinflussten seine Pläne einfach alles. Selbst jetzt noch, lief alles so, wie Dumbledore es wollte.
Dieser Gedanke war doch ein wenig einschüchternd.
Und dann bekam Harry mit einem Mal ein furchtbar schlechtes Gewissen.
Er hatte seine Ausbildung abgebrochen. Er hatte aufgehört, als er noch nicht bereit war. Er hatte die Pläne von Dumbledore zerstört, denn er war nicht Mächtig genug, um die Todesser zu zerstören. Er hatte Dumbledore enttäuscht.
Er war aus dem Tempel geflohen, mit dem Ziel seine Freunde vor einem dunklen hohen Magier, der hier dabei war, die Macht zu ergreifen, zu beschützen. Doch tatsächlich hatte er verhindert, dass die Todesser endgültig vernichtet wurden. Denn er war noch nicht bereit dazu! Es war zu früh!
Er hatte das Ende der Wendeltreppe erreicht, und blickte nun auf die schwere Tür. Den Eingang zum Büro des Schulleiters.
TBC
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