von Gx2^4
(Ausschnitt Kapitel 41)
„HAARRRRYYYY“
Der Schrei hallte wieder und wieder von der hohen Decke wieder. Laut. Schockiert. Unheimlich.
Harry blickte sich um. Er hatte keine Ahung von wo der Schrei kam. Judith jedenfalls stand nicht mehr vor ihm.
„Judith?“ rief Harry.
Er wusste nicht was geschehen war. Nur wenige Sekunden hatte er seine Gedanken schweifen lassen. Doch offensichtlich war in diesem kurzen Zeitraum irgendwas furchtbares geschehen.
Judith war verschwunden.
Harrys Herz wurde schwer.
NatĂĽrlich war wieder er Schuld gewesen. Wie immer. Immer war er Schuld.
„Ja?“
Ihre Stimme war ganz nahe, sie stand direkt hinter ihm. Sie sprach ruhig, und scheinbar völlig entspannt.
Harry fuhr herum.
Dort stand sie, einige Schnitte im Gesicht, aber ansonsten vollkommen unverletzt.
Was war geschehen?
Wieso hatte sie geschrien?
Wo war der Angreifer?
„Judith?“
„mmmh?“ machte sie und sah ihn offen an.
„Was ist passiert?“
„Das weißt du nicht mehr? Du hast mich – mal wieder – angegriffen!“
„Ich hab wass?“ Harry stöhnte. Seine Hände fuhren zu seinen geschlossenen Augen, um diese eingehend zu reiben. Seine neue magische Kraft ging ihm jetzt schon auf die nerven.
„Hier war also gar kein Angreifer?“
Judith schüttelte den Kopf „Nein, du bist nur rot angelaufen – wohl vor Wut – und hast dann goldene Blitze aus deinen Fingern fliegen lassen, und dann hast du mich gegen die Wand dort geschleudert.“ Judith deutete auf die Wand hinter ihr.
Noch einmal stöhnte Harry.
Judith sah ihn böse an. „Harry, du musst endlich lernen deine Magie im Griff zu behalten! Woran hast du eigentlich gedacht, das du so wütend wurdest?“
Harry schloss kurz die Augen, öffnete sie jedoch wenige Augenblicke später schon wieder.
„Das ist jetzt nicht wichtig. Wir müssen so schnell wie möglich das Ministerium verlassen. Wir müssen versuchen unerkannt zu bleiben!“ rief er ihr noch in Erinnerung, und lief dann sofort los.
Er zog die Kapuze seines grĂĽnen Umhangs ĂĽber seinen Kopf, sodass sein Gesicht im Schatten lag, und Judith tat es ihm nach.
Als wäre es Gestern gewesen, erinnerte er sich an den Weg zum Ausgang aus den Wirren der Mysteriumsabteilung. Schnell waren sie in den Kreisrunden Raum mit den zwölf Türen angekommen, und diesmal schien Harry intuitiv die richtige zu wissen.
Zielstrebig schritt er auf eine zu, die sich von den anderen nicht unterschied.
Ohne zu zögern öffnete er sie, und tatsächlich befanden sie sich Sekunden später in dem dunklen Flur im untersten Stockwerk des Ministeriums, von dem er so oft geträumt hatte.
Zögernd lief Harry den Gang entlang, und lauschte auf jedes, wirklich jedes noch so unwichtig erscheinende Geräusch, das einen Menschen ankündigen könnte.
Doch da war nichts.
Kein Schlurfen eines Schuhs ĂĽber den Boden.
Kein „klacken“ von Absätzen auf dem Fliesenboden.
Kein Schnaufen, eines atmenden Menschen.
Und auch kein Wort, eines redenden Menschen.
Nichts.
Vorsichtig lugte Harry um die nächste Ecke.
Der Gang war leer.
Judith hinter sich her winkend lief er um die Ecke, und eine enge Treppe hinauf. Er erinnerte sich, dass man erst ein Stockwerk höher in den Aufzug einsteigen konnte, da dieser nicht bis nach ganz unten fuhr.
Im nächsten Stockwerk dann hörte er es. Fast schon erlösend. Endlich ein Geräusch. Ein Mensch.
Langsame, vornehm erscheinende Schritte hallten durch den Raum. AuĂźerdem einige schnelle schlurfende.
Harry presste sich an die Wand, und hielt den Atem an – die Schritte kamen näher.
Neben ihm schien Judith eins mit der Wand zu werden, während auch sie die Luft anhielt.
Die Schritte waren regelmäßig. Wie ein Uhrwerk. Immer näher kamen sie ihrem Versteck. Immer lauter wurde das Geräusch der Absätze auf dem blanken Fliesenboden.
Die Schatten an der Wand gegenĂĽber kĂĽndigten dann die zwei Gestalten auch fĂĽr Harrys Augen an.
Die eine, in einen schwarzen Umhang gehĂĽllt lief mit dem Zauberstab auf den anderen gerichtet den Gang entlang. Ganz eindeutig war dies ein Todesser. Muskel bepackt. Und vermutlich Dumm wie Toastbrot.
Der auf den der Zauberstab gerichtet wurde, hatte einen hohen Berg Pergamente auf dem Arm, und starrte mit glasigen Augen stur geradeaus.
Seine Kleidung war gräulich und schmutzig.
Seine Haare lang, grau und fettig, als hätte er sich seit Jahren nicht mehr seiner Körperhygiene hingegeben.
Seine groĂźen FĂĽĂźe saĂźen in einfach aussehenden Sandalen, die mindestens zwei Nummern zu klein waren.
Gerade als Harry die FĂĽĂźe in diesen Sandalen beobachtete stolperte der Mann ĂĽber seine eigenen FĂĽĂźe, die bei einem Schritt kaum vom Boden abhoben, und ihn so besonders Kraftlos wirken lieĂźen.
Der Mann fiel, und die Pergamente flatterten ihm aus der Hand.
Was dann geschah verschlug Harry jeden Atem, und ließen Judith ihre Fingernägel tief in Harrys Arm bohren.
„Crucio!“
Es war nur ein Wort.
Ein Wort - Fast schon wie jedes andere, wie der Todesser es benutzte. So natürlich. So normal. Als wäre es bei ihm Gang und gäbe irgendeinem Menschen diesen Fluch auf zu halsen.
Der Mann der gestolpert war lag nun am Boden, und wandte sich. Der Mund war weit aufgerissen, in einem stillen qualvollen Schrei der Verzweiflung.
Ein Ruck ging durch Harrys Körper. Er konnte das nicht mit ansehen. Er konnte nicht mit ansehen wie jemand – egal wer es war – so gequält wurde. So etwas durfte nicht passieren.
Wütend spannte er seine Muskeln an, und wollte auch schon los stürmen, als Judith neben ihm eben ihre Fingernägel in seinen Arm rammte um ihn festzuhalten. Eindringlich starrte er sie an, wie sie ihm stumm mit schüttelndem Kopf zu bedeuten versuchte, dass er nicht aus der Deckung rennen durfte.
Doch ihm war egal was Judith dachte. Er musste diesem Menschen, der dort auf dem Boden lag und litt helfen. Er musste verhindern, dass er dem Wahnsinn verfiel.
Harry sah zu, wie der Mann sich auf dem Boden wandte, wie sich seine Finger nach auĂźen Bogen. Wie seine Augen weit aufgerissen war. Wie der Schmerz nur so in sein Gesicht geschrieben stand.
WĂĽtend riss er sich von ihrem Griff los und stĂĽrmte los.
Ăśberrascht fuhr der schwarz gekleidete Mann herum, als er die laut widerhallenden Schritte von Harry bemerkte.
Die Ăśberraschung wich einem einzigen Schock, das sich auf seinem Gesicht abzeichnete, als er erkannte wer ihm dort entgegen stĂĽrmte.
Harrys Kapuze war nach hinten gerutscht, sodass man sein Gesicht wieder sehen konnte.
Ein tiefer Schatten der Wut zog sich ĂĽber dieses Gesicht, und doch war es unverkennbar seines. Und jeder Zauberer Englands wĂĽrde es auch sofort erkennen.
So auch dieser Todesser.
Harry wusste nicht was er tat. Er wusste nur was er tun wollte. Er wollte nach Monaten der Verdammnis zum Nichtstun nun die erste Möglichkeit ergreifen Leid zu verhindern.
Er wusste, dass er die letzten Monate Freunde in einem Land des Terrors zurĂĽck gelassen hatte.
Und diese Schuld, diese tiefe Schuld wollte er wieder gut machen.
Es war wie bei einem Erdbeben.
Die Wände erzitterten, der Boden rumorte, die Decke knarrte.
Die Backsteine, aus denen die Wände bestanden begannen sich zu bewegen, wie Ferromagnetische Objekte, die von einem Magneten angezogen wurden. Sie rüttelten. Sie wehrten sich gegen den festen Griff, der die Wand für sie war. Wie ein Gefängnis. Festgehalten gegen den eigenen Willen.
Doch das änderte sich nun. Die Backsteine wollten. Und sie konnten.
Die Decke über ihren Köpfen bog sich nach unten und es knarrte bedrohlich.
Das Licht flackerte und erlosch.
Im Halbdunkel lief Harry weiter auf den Mann zu.
Der ganze Gang drohte einzubrechen, doch Harry störte sich nicht daran. Er schien es gar nicht zu bemerken.
Mit nur einem einzigen Ziel rannte er.
Staub rieselte von der Decke. Einige, winzige Körnchen trafen auf seine Augen, wo sie ein furchtbar intensives Brennen verursachte, wodurch kleine Tränen sich ihren Weg sein Gesicht herunter bahnten.
„HAARRYY!“ verängstigt rief Judith ihm hinterher – er hörte sie nicht, oder er wollte sie nicht hören.
Also lief Judith los, Harry hinterher.
Ein bröselndes Geräusch ließ Harrys Nackenhaare zu Berge stehen, und sein Gesicht fuhr herum.
Schlitternd blieb er stehen. Seine Augen weiteten sich.
Jeder einzelne Backstein in der Wand wackelte unruhig hin und her, als wäre er aus einem Jahrzehnte langen Schlaf erwacht. Er spürte wie ihr Halt bröckelte.
Für einen Moment – es war nicht mehr als eine Sekunde – blieb Harry vollkommen ruhig, lauschte auf seinen Herzschlag.
Ein erster Backstein hatte sich aus der Form gelöst. Ein Ohren zerfetzendes Geräusch deutete an, was jetzt auf sie zu kam.
Dann rannte er los. Schnappte sich den Arm des am Boden liegenden Mannes, und zog ihn aufrecht hin.
Und schon rannte er weiter. Blind.
Hinter ihm hörte er das unverkennbare laute Krachen.
Die Backsteine hatten sich aus der Wand gelöst und flogen nun quer durch den Raum.
Noch einmal sah Harry sich um, doch Judith war bereits neben ihm. Auch sie rannte.
Einen Augenblick lang starrten sie sich ins Gesicht.
Judith's Gesicht zeigte keine Regung. Nichts deutete an, das sie gerade haarscharf am Tode vorbei geschrammt war.
Ein Backstein flog direkt neben ihr, am Kopf vorbei und knallte an die gegenĂĽber liegende Wand.
Immer wieder knallte es.
Harry rannte immer weiter. Keinen Blick warf er zurĂĽck. Bis er sich sicher war, dass er aus dem Gefahrenbereich war. Dann lieĂź er sich fallen.
Harry schnaufte. Seine Augen hatte er fest zusammengekniffen. Sein Herzschlag tat ihm weh, so heftig schlug sein Herz gegen seine Rippen.
Er lag da mit dem Gesicht nach unten. Er dachte an nichts. Er lauschte einfach nur.
Er hörte wie immer mehr Backsteine auf den Boden aufschlugen und auf dem Boden zerschmetterten. Er hörte fast wie wie sie zermalmt wurden.
Das krachen war beinahe regelmäßig und hatte schon geradezu etwas beruhigendes an sich.
Harry nahm einen tiefen Atemzug um seine Atmung zu beruhigen.
Im nächsten Moment jedoch setzte jeglicher Herzschlag aus.
Ein neues Geräusch war hinzu gekommen.
Nicht mehr nur sein Schnaufen, die regelmäßigen durch die Luft schwirrenden und mit heftigen Knallen zerschmetternden Backsteine und der rieselnde Staub, nein jetzt war auch etwas anderes zu hören.
Schreie.
Laute qualvoll erstickte Schreie. Schmerzverzerrt.
Harry stemmte sich auf und fuhr herum. Neben ihm standen der Mann den er gerettet hatte und Judith. Beide schnauften.
Der Mann wirkte tief verängstigt, geradezu eingeschüchtert.
Judith starrte stur auf das was sich vor ihnen abspielte.
50 Schritte von ihnen entfernt lag der Todesser.
Eine riesige Blutlache hatte sich um ihn herum gebildet.
Und unvermindert rasten Backsteine aus den Wänden und flogen direkt auf den leblosen Körper hinab. Sie zertrümmerten seinen Schädel. Zerfetzten seine Haut. Brachen seine Knochen.
Jetzt erst verstand Harry, was er angerichtet hatte.
Es knarrte laut und bedrohlich, und immer tiefer bog sich die Decke ĂĽber dem Gang vor ihnen.
Er hatte einen Menschen ermordet.
Ein Mal kurz, nur fĂĽr einen Moment musste Harry seine Augen schlieĂźen.
Noch nie hatte Harry so etwas getan.
Natürlich – es waren schon viele Menschen seinetwegen gestorben.
Einige weil sie ihn beschützt hatten. Andere weil sie mit ihm und für ihn gekämpft hatten.
Voldemort war an sich selbst gescheitert, er , Harry, hatte ihn nicht umgebracht.
Er, Harry, hatte mit seiner magischen Kraft noch kein Menschenleben ausgelöscht.
Bis zu diesem Moment.
Es war kein Segen, das Talent der hohen Magie in sich zu tragen. Es war ein Fluch.
Und jetzt verstand Harry endlich, was Judith damit gemeint hatte.
Es war ein Fluch.
Sein ganzes Leben hatte Harry nichts wirklich schlimmes getan. Er war – so hatte er sich selbst auch gesehen, und nur deshalb hatte er immer noch in den Spiegel sehen können, obwohl er wusste, dass so viele Menschen gestorben waren, wegen ihm – ein guter Mensch. Einer der nicht über andere Menschenleben richtete, sie nicht beendete.
Und diese Magie. Diese hohe Magie, hatte das geändert. Sie hatte ihn verändert. Sie hatte aus ihm einen schlechten Menschen gemacht. Einen, der andere Menschen ermordete.
Ohrenbetäubend laut krachte es. Staub und kleine Steinchen flogen Harry ins Gesicht. Es polterte. Es rumpelte. Es knirschte und knarrte.
Harry schlug seine Augen auf.
Der Gang vor ihm war eingestĂĽrzt.
Es war kein Segen, das Talent der hohen Magie in sich zu tragen. Es war ein Fluch.
TBC
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