von Gx2^4
Die Schatten schienen unendlich. Unendlich tief. Alles verschlingend dunkel. Schwarz. Sie strahlten eine tiefe, alles durchziehende, alles überwältigende Kälte aus.
Hermine zitterte. Teils aus Angst. Teils, weil sie nackt in völliger Dunkelheit und kälte da stand. Im nichts.
Ihre nackte Haut war nicht glatt und seiden. Nein sie war rau. Rau und Schorf. Und mit einer unangenehmen Gänsehaut überzogen.
Vor ihr bäumte es sich auf. Riesig. Beängstigend.
Mehr als 10 mal so groß wie Hermine, die sich in alles dem umfassenden Schatten wie eine Ameise fühlte stand es über ihr.
Ein einziger Schritt, und Hermine wäre platt. Nicht mehr da. Als hätte es sie nie gegeben. Nur ein klebriger Fleck, der unter dem Fuss dieses Ungeheuers klebte, sollte dann noch an sie erinnern.
Hermine hörte das grollen. Sie spürte den Luftzug. Sie roch bis hier hin den Mundgeruch.
Sie hatte Angst. Blanke Angst.
Sie schrie. Sie keuchte. Immer weiter taumelte sie zurück.
Irgendwann fiel sie, krabbelte rückwärts über den Boden. Verzweifelt.
Denn sie wusste es.
Sie brauchte nicht zu kämpfen. Sie hatte schon verloren.
Sie wusste es, doch sie weigerte sich es zu akzeptieren. Noch nicht.
Noch war sie nicht so weit. Noch nicht.
Feine Kratzer in ihrer weichen Haut verrieten was vor nicht all zu langer Zeit mit ihrem Körper passiert war, wie furchtbar, grausam sie geschunden worden ist. Was für eine Vergewaltigung ihre Seele hatte durchmachen müssen.
Ihr Atem wahr ruhig und regelmäßig. Ihre Augen geschlossen. Ihr Gesicht regungslos. Nichts verriet, was in diesem Moment in Hermine Granger vorging.
Die Schlacht um Hogwarts war schrecklich gewesen, doch den wahren Kampf, den größten in ihrem Leben – ein Leben, das bei einer Niederlage abrupt enden würde – den wahren Kampf focht sie jetzt aus.
In ihrem Inneren.
Es war ein Kampf um Leben und Tod. Ein Kampf so voller Verzweiflung, dass jedes Zeit- und Raumgefühl dabei verloren ging.
Sie kämpfte im Nichts, gegen die alles verschlingende Dunkelheit.
Immer tiefer hatte sie sich zurück gezogen, nachdem Schale um Schale zerstört worden war.
Jetzt lag sie nackt da.
Ihre Seele offen und angreifbar. Der Schutz, die Schale, sie war weg. Ihre Seele war gebrochen, ihr Lebenwille, ihre Kampfeslust, sie lebte noch.
Noch kämpfte sie, um zu Leben. Auch wenn sie nicht einmal mehr wusste was Leben überhaupt bedeutete, denn Hermine war leer, sie konnte nicht denken, sie konnte nicht verstehen, was für eine elementare Schlacht ihr Geist, ihre Seele hier gerade kämpfte.
Sie fühlte nicht das weiche Laken, die dicke Bettdecke, oder das Kopfkissen, in das ihr Kopf ein sank. Der weiße Stoff hob sich nicht von ihrer ebenso weißen Haut ab.
Hermine sah furchtbar aus. Sie litt. Sie kämpfte. Und ihr Körper vegetierte dahin.
Häufig bekam sie Besuch – für Madame Pomfrey viel zu oft, denn was ihre Patientin brauchte war Ruhe. Doch sie hatte sich zu zwei Stunden täglich breit schlagen lassen.
Meist war es Ron der an ihrem Bett saß, ihr erzählte was vor sich ging in der Welt.
Er redete über alles.
Über das Wetter, das ausgesprochen Regnerisch, und für einen Hochsommer erstaunlich kalt war – passend zu der Stimmung im Schloss.
Über das Leben im Schloss, die Gerüchte die im Umlauf waren, er erzählte ihr wie es in der Welt stand, das jeder einzelne Zauberer Englands, der nicht mit den Todessern sympathisierte augenblicklich in Hogwarts waren.
Er erzählte von der Angst, die die Menschen hatten. Von der immer Gegenwärtigen, alles überschattenden Bedrohung.
Er erzählte ihr alles, ob banal oder nicht.
Oder besser fast alles.
Ein Wort. Ein Name war es, den er nie sagte. Er ließ es aus. Als wäre es ihm peinlich. Als hätte er Angst, wie Hermine darauf reagieren würde, dass ihrer beider bester Freund verschwunden war.
Harry wurde mit keiner Silbe erwähnt. Ron überging das Thema, weil er glaubte es würde Hermine zerstören.
Fast täglich setzte er sich an ihr Bett, betrachtete sie, tupfte ihr ab und an ihr Schweißnasses Gesicht ab und stand ihr bei, während sie in ihrem inneren ums nackte überleben kämpfte.
Er stand ihr bei, so wie es jeder der drei für den Anderen getan hätte. Weil sie so viel gemeinsam durch gemacht hatten. So viel erlebt, so viele Schlachten geschlagen.
So etwas schweißt unheimlich zusammen.
Heute sprach Ron über ein neues Thema. Etwas, das ihn seit den letzten Stunden beschäftigte. Etwas, das drohte ihre Familie auseinander zu reißen.
Ginny war verschwunden. Seine kleine Schwester war nicht mehr da.
Und niemand wusste wo sie war.
Niemand hatte auch nur den blassesten Schimmer. Sie war einfach nicht mehr da.
Am Morgen hatten sie bemerkt, dass all ihre Sachen verschwunden waren. Gemeinsam hatten die Weasleys und einige andere Gryffindors nach Ginny gesucht.
Über das gesamte Hogwartsgelände hatten sie sich verteilt. Hagrid hatte sogar in dem verbotenen Wald gesucht. Doch gefunden hatten sie Ginny nicht.
Verständlicher Weise, hatte dies Ron's Mutter furchtbar aufgewühlt. Wie ein Häufchen elend saß sie vor dem Kamin, und ließ keinen an sich ran. Nicht einmal ihren Mann.
Der war auch nicht mehr er selbst.
Gerade erst hatte er seinen Sohn zu Grabe getragen. Seinen eigenen Sohn.
Das war, dessen war sich Ron sicher, der schlimmste Tag in seinem Leben gewesen.
Es war eigenartig.
Jetzt – nur einige Tage später war der ganze Tag hinter einem tiefen Schleier. Nur noch Bruchstücke waren hängen geblieben.
Doch diese Bruchstücke waren schon furchtbar genug gewesen. Grausam.
Ron wusste nicht, ob der Tag ein besonders nebeliger gewesen war, oder ob er es sich einfach in seinem Kopf dazu gedichtet hatte.
Es war dunkel. Kalt. Und nebelig. Und furchtbar still.
Die Stille wurde durchbrochen. Durch Schreie der Verzweiflung. Schluchzer. Oder einfach hemmungslose Tränen.
Es war das traurigste, was Ron jemals erlebt hatte.
Ganz schlimm. Er selbst hatte die ganze Zeit über kein Wort gesagt. Still hatte er da gesessen. Er hatte eine Gänsehaut bekommen, weil es so kalt war.
Einfach furchtbar traurig.
Stumm hatte er miterlebt, wie alle Lebensfreude aus einem der Zwillinge gewichen war. Wie alle Hoffnung, alle Witzereißerei verschwanden.
Gewichen waren sie einer stillen, traumatisierenden Horrorvorstellung. Der Vorstellung der Einsamkeit. Getrennt von seinem Zwilling. Allein.
Keine Träne. Kein Aufschrei der Verzweiflung. Nur absolut ausdruckslose Trauer. Schmerz.
Alles in allem, waren die letzten Wochen die schlimmsten in Rons leben gewesen. Und wohl nicht nur in Rons.
Hätte Ron nur seine beiden Freunde – Harry und Hermine – an seiner Seite, wäre es ihm nicht so schwer gefallen das ganze zu verkraften.
Doch Hermine lag in einer Art komatösem Zustand in einem Bett, und Harry war spurlos verschwunden. Und da bemerkte Ron, dass sein Bruder nicht der einzige war, der zusammenbrach unter der traumatisierenden Vorstellung, der totalen Einsamkeit.
Er selbst litt. Er selbst fürchtete sich. Mehr als das es irgendein Todesser oder Voldemort selbst geschafft hätte. Auch desshalb wohl flüchtete sich Ron wohl in diese ewigen Gespräche mit der stummen Hermine.
Und es gab nur eins, das ihn und alle anderen Schlossbewohner aus dieser Lethargie befreien konnte.
Ron fuhr zusammen, und stach Hermine dabei aus Versehen mit seinem Finger ins Auge – sie reagierte nicht. Doch das bemerkte Ron nicht einmal, als die Tür auf flog und Neville mit weißem, nahezu verzweifelten Gesicht ins Zimmer stürmte.
„Sie sind da!“
Seine schweißnassen Finger umklammerten seinen Zauberstab.
„Es beginnt also schon wieder“ murmelte Ron, bevor er aufsprang.
TBC
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