von Gx2^4
Wie es in den letzten Tagen häufiger der Fall war, irrte Ginny alleine durch die Gänge des Schlosses. Das Schloss war inzwischen proppevoll. Seit dem Kampf um Hogwarts, vor wenigen Tagen, waren Menschen aus ganz England gekommen. Menschen die Zuflucht suchten. Menschen die Angst hatten. Oder Menschen die Kämpfen wollten. Gegen Voldemort's Erben. Gegen die Todesser.
Die Weasleys allerdings waren im Moment zu jeder Tageszeit im gleichen Raum. Sie trösteten einander, versuchten einander abzulenken, und einmal hat George tatsächlich einen Witz gemacht. George hatte sich seit dem kurzen Gespräch mit Malfoy nämlich tatsächlich geöffnet, und schien jetzt langsam mit dem Tod seines Witze reißenden Bruders einigermaßen umgehen zu können.
Nur Ginny war nicht bei der Familie. Sie fühlte sich unerwünscht. Alles war anders seit jenem verhängnisvollen Mittag.
Sie hatte gemordet. Immer noch hatte niemand mit ihr darüber geredet. Immer noch gingen alle sorgsam diesem Thema aus dem Weg, wenn sie mit ihr redeten.
Ginny hatte Angst. Angst vor den Folgen, vor den Dingen, die sie jetzt erwarteten. Würde sie nach Askaban gesperrt?
Wieso nur redete niemand mit ihr?
Sie schlurfte um eine Ecke. Sie wusste nicht wo sie war. Das war auch nicht wichtig. Was zählte war, dass sie alleine war. Ohne diese elenden Blicke! Diese Unausgesprochenen Fragen und Anschuldigungen. Eine Wand hatte sich aufgebaut. Eine unüberwindbare Feste Wand zwischen Ginny und ihrer Familie.
Erschwerend kam für sie noch hinzu, dass sie nicht wusste wo Harry war. Sie musste ihn sehen. Sie musste ihm endlich wieder gegenübertreten. Nicht weil sie ihn immer noch liebte – was sie jedoch definitiv tat – sondern weil sie diesem Bastard mal richtig schön eine rein hauen wollte. Dieser Arsch ignoriert sie sechs lange Jahre, und gerade als ihre Gefühle für ihn abschwächten entschied er plötzlich, dass er sich für sie interessierte, nur um ein paar Wochen später wieder Schluss zu machen und sie als verweintes Elend zurück zu lassen. Dann sollte sie ein weiteres Jahr auf den berühmten Harry Potter warten, und sie tat es – weil sie ihn liebte. Und nach einem elend langen Jahr war sie wohl wieder nicht gut genug für ihn! Es war ein gemeines Spiel, dass er mit ihr spielte, das sie nicht verdient hatte – niemand hatte das!
Der großartige Harry Potter, der angeblich so voller Liebe steckte, spielte mit ihr und ihren Gefühlen als wären sie die Ausscheidungen eines Knallrümpfigen Kröter. Harry Potter, die Lichtgestalt der Welt, war nicht ein Deut besser als die Todesser, die er bekämpfte.
Ginny glaubte nicht, dass sie jemals so wütend auf jemanden gewesen war! Nie! Sie wollte diesen verdammten Kerl einfach nur schlagen.
Und das obwohl sie ihn – immer noch – liebte!
Doch Harry war verschwunden. Alle gaben vor nicht zu wissen wo er war, doch Ginny glaubte ihnen nicht. Sie merkte, dass alle etwas vor ihr verheimlichten. Sie war sich sicher, dass sie die einzige in diesem Schloss war, die nicht wusste, wo Harry und Hermine waren. Was sie wohl taten? – Dies waren solche Momente in denen sie Harry und Hermine für das was sie vielleicht taten einfach nur verprügeln wollte. Genauso wie all die Leute die ihr verheimlichten wo die Beiden waren! Im Moment waren offensichtlich alle gegen sie. Sie hasste sie alle.
Sie bog um eine weitere Ecke, und befand sich jetzt ganz in der Nähe von der Eingangshalle.
In den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung am Ende des Ganges, und inbrünstig hoffte sie, dass es Harry war, dem sie jetzt richtig die Meinung geigen konnte. Ginny sah auf.
Sie sah direkt auf den Hinterkopf eines Mannes. Eine Halbglatze und lange braune und schmutzige Haare drumherum identifizierten den Mann als Argus Filch. Er hielt offenbar einem zweiten Menschen die Tür auf.
Neugierig schaute Ginny wer dort mit Filch durch die Gänge lief. Sich reckend und streckend erkannte sie – und sie konnte es zunächst nicht verstehen – zwei Füße gefolgt von zwei Beinen, waagerecht durch den Türrahmen schweben.
Den Füßen und Beinen folgten sogleich jedoch auch noch die restlichen Körperteile von einem wohl bekannten Menschen.
Es war eine von zwei Personen, die Ginny im Moment am meisten verachtete. Und doch blieb ihr nichts anderes übrig als erschrocken zusammen zu fahren, als sie erkannte wer dort, und in was für einem Zustand sie war.
Es war Hermine.
Eine ohnmächtige Hermine, mit verdreckter Haut und Kleidern. Einem eingefallenen, aschfahlen Gesicht, das so weiß war, wie ihre Zähne, und aufgerissene Lippen zusammengepresst in ihrem Zentrum.
Sie sah schlicht furchtbar aus.
Von einem Moment auf den Anderen, waren alle bösen Gedanken, alle Wut vergangen. Ohne zu zögern lief sie auf Hermine zu. Beim näher kommen erkannte sie George Weasley, der mit starrem Gesicht auf Hermine blickte, und ihren Körper mit seinem Zauberstab in der Schwebe hielt.
„Merlin! Was ist mit ihr passiert?“ fragte Ginny zitternd als sie bei Hermine angekommen war. Vom nahem sah sie noch furchtbarer aus. Ihre Haare waren voller Erde, Zweige und Blättern. Dunkle Flecken, über ihren ganzen Körper verteilt, die sie für Dreck gehalten hatte stellten sich als getrocknetes Blut heraus. Auf ihren Schuhen klebte etwas, dass verdächtig nach Hermines Mageninhalt aussah. Ihre Augen waren zwar geschlossen, und sie war eindeutig Ohnmächtig, und doch fand Ginny, das ihr Gesicht nicht friedlich ruhte, vielmehr schien sie Qualen zu erleiden. Was zur Hölle war nur passiert?
„Ich weiß es nicht.“ Sagte George mit flüsternder Stimme. „Filch hat sie so auf der Türschwelle liegend gefunden, als er gerade das Portal verschließen wollte. Zusammen gekauert hat sie dort gelegen.“
Ohne dass er die Augen von ihrem qualvollen Gesicht nahm sprach er. Er zögerte zwischen jedem Wort. „Was quält sie denn nur so?“ stieß er hervor, es viel ihm sichtlich schwer hilflos zuzusehen, wie jemand offensichtlich litt.
Immer wieder zuckte Hermine und ihre Augen bewegten sich unentwegt hinter ihren Augenliedern.
Ginny atmete schwer aus. „Ich weiß es nicht“ Gedankenverloren strich sie Hermine die schmutzigen und verknoteten Haare aus dem Gesicht, und begann dann vorsichtig die Überreste von dem Wald aus diesen zu ziehen.
Bald schon hatte sie mehrere Äste und Blätter in der Hand, und den Boden füllte ein kleiner Haufen Sand und Erde. „Wir müssen sie zu Madame Pomfrey bringen“ erinnerte sie George, und holte sie damit aus ihrer konzentrierten Arbeit. Still nickte sie, und die Prozession setzte sich wieder in Gang. Filch humpelte vorneweg und schien gar nicht richtig anwesend. Die ganze Zeit über hatte er kein Wort gesagt, tatsächlich hatte ihn seit dem Kampf um Hogwarts keiner mehr etwas sagen hören.
Es war eine unheimliche Stimmung die herrschte. Stumm wanderten sie durch die Gänge von Hogwarts. Es war schon später Abend, und es schien helles Mondlicht durch die Fenster. Nur dunkel und schemenhaft waren sie zu erkennen. Eine unheimliche Prozession. Wie ein Trauermarsch.
Die Menschen in den Bilderrahmen schlummerten vor sich hin, und bekamen nichts mit, so leise schlichen sie fast herum.
Doch mit einem Mal war es mit der Ruhe zu Ende.
Ein Schrei, ein Mark erschütternder, grässlich lauter und qualvoll erstickter Schrei. Ein Schrei dessen Ton noch Wochen in Ginnys Ohren klingen würde. Ein Schrei der Alpträume erzeugen würde. Es war ein Schrei, als wäre er gerade direkt aus einem solchen Alptraum gekommen. Grauen erfüllt. Mehrfach hallte er von den Wänden des Ganges wieder.
Hermine war aufgewacht.
Es war nur ein Wort. Zwei Silben. Das einzige was Hermine womöglich jetzt noch denken konnte. Laut und heiser, als hätte sie seit Wochen nicht gesprochen. Ihr Oberkörper bäumte sich auf, sie hatte keine gerade waagerechte Haltung mehr. Ihr Körper hatte jetzt eher die Form einer Brücke. Gewölbt. Ihr Bauchnabel bildete den Höhepunkt. Die Muskeln waren verhärtet und unglaublich angespannt. Die Arme schmerzhaft verdreht. Die Augen aufgerissen. Die Pupillen rollten haltlos in den Augen.
Noch Wochen würde Ginny diesen laut in ihrem Ohr haben. Es war das grausamste, das elendste das Furchteinflößendste, dass sie je gehört hatte. Und doch war das nicht der Grund warum es Ginny für ewig in dem Ohr bleiben würde. Es lag viel mehr an dem Wort selbst das sie heraus schrie.
Es war der Beweis. Der eindeutige Beweis für die Korrektheit ihrer Vermutung, ihrer wütenden Theorie. Ihres Alptraums. Der Grundstein all ihrer Wut.
Hiermit war klar, dass dieses elende Wesen, das hier neben ihr in der Luft schwebte, von nun an ihr Feind war. Es war bestimmt jahrelang Hermines Plan gewesen. Sie hatte sie beide gegeneinander ausgespielt. Absichtlich. Die ganze Zeit schon hatte sie die Fäden in der Hand gehabt. Sie war schlau, keine Frage.
Mit einem Mal lächelte Ginny. Es war ein fürchterliches, ein freudloses Lächeln. So hatte sie noch nie gelächelt. Sie hatte sich auch noch nie so gefühlt. Denn sie hatte sich noch nie über das Leid eines anderen gefreut. Irrsinnig gefreut. Doch nach diesem Wort. Diesen zwei Silben war alles anders. Was vorher war, war bedeutungslos. Es zählte nur das Jetzt. Und jetzt war nun mal Tatsache, dass Hermine Harry liebte. Ihren Harry.
Es ergab plötzlich alles einen fürchterlichen Sinn. Irrsinnig. Unglaublich.
Unglaublich vor allem, dass sie es vorher nicht gesehen hatte. Hermines Aufforderung, sie solle Harry vergessen, schon vor Jahren hatte sie es ihr geraten. Immer wieder hatte sie es wiederholt, getarnt als gut gemeinter Rat. Es war so grausam.
Hermines Enttäuschung während ihres vierten Schuljahres, dass sie von Harry nicht zum Ball eingeladen worden war – angeblich hatte sie sich über Ron geärgert.
Hermines Wut, als sie, Ginny mit Harry ausgegangen war – wieder angeblich wegen Ron.
Ginnys Vertrauen, ihre Freundschaft, sie hatte alles ausgenutzt. Oh ja – jetzt gönnte Ginny Hermine diese Schmerzen, egal wie höllisch sie waren. Denn Hermine hatte sie verdient.
Wütend lief Ginny weg. Weg von der Verräterin. Weg von einem verdutzten George. Weg von den Wütenden Gemälden, die sich über den Lärm beschwerten. Einfach weg!
Der Schrei von Hermine hallte hinter Ginny noch durch den Gang. „HAAAAARRRYYY!“
TBC
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