von Hannah Abbott 13
Lily hätte nie gedacht, dass James ihr mal so helfen würde. Und nun saß er da, dicht neben ihm. Er hatte Tränen in den Augen, das sah sie genau. Er versuchte stark zu sein und sie nicht zu zeigen. Auch wenn ihm das nicht gelang.
Wer wäre in so einer Situation schon gelassen? Vier Jahre blieben ihnen noch, vier Jahre, die ihr ganzes restliches Leben sein sollten. Warum traf es sie? Warum mussten ausgerechnet sie so viel Pech haben?
Fast im selben Moment beschloss sie, ihr restliches Leben so gut zu nutzen wie möglich. Sie würde kämpfen, sie würde alles in ihrer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass noch andere ihr Schicksal teilen mussten. Und sie würde die verbleibende Zeit genießen. Sie würde sie zusammen mit James genießen.
Als Harry seine Vermutung äußerte, zuckte sie zusammen. Vielleicht hatte sie ja doch noch mehr Zeit? Vielleicht war ihr Leben doch noch länger… vielleicht. Doch ihren frisch gefassten Entschluss brachte das auch nicht zum wanken. Das Leben konnte jeden Moment zu Ende sein, wie ein Buch, das man zuschlug, weil es einem zu traurig war. Man musste jeden Moment genießen, denn jeder Moment konnte der letzte sein, auch wenn man noch Jahrzehnte zum Leben haben könnte.
Harry ging zur Tür. Er tat Lily leid. Sie wusste, dass ihm das alles sehr schwer viel, es setzte ihm mehr zu, als er zeigen wollte.
Ginny folgte ihm, versuchte ihm beizustehen. Lily hätte es auch gerne getan, aber ihr fehlte die Kraft.
Und dann brachen Harry und Ginny zusammen, alle beide, einfach so, ohne Vorwarnung.
„HARRY! GINNY!“, riefen sie alle wie aus einem Mund. Sie sprangen auf und wollte zu ihnen laufen, aber sie waren weg, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Da lag kein Körper auf dem Boden, da war niemand.
„Was im Namen von Merlins Boxershorts wird hier gespielt?“, fragte James. Er stand dicht hinter Lily. Und natürlich wusste keiner von ihnen eine Antwort auf seine Frage.
Sie standen noch einige Zeit dicht aneinandergedrängt und starrten auf die Stelle, wo Harry und Ginny verschwunden waren.
„Ich habe eine Idee.“, flüsterte Lily.
„Was?“
„Ich habe eine Idee, warum sie verschwunden sein könnten.“
„Ach so. Na dann, wenn du irgendwann mal Lust hast, es uns zu erzählen, dann sag Bescheid.“, meinte Sirius. Seine Stimme triefte von Sarkasmus.
Lily warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Also, er kommt doch daher, wo wir nicht mehr leben, oder?“
„Ja, und?“ Sirius rang erwartungsvoll die Hände.
„Wir wissen jetzt, was passieren würde, wenn wir so handeln würden, wie dort, wo er herkommt. Also werden wir anders handeln, und diesen Harry, der hier war, den wird es so nie geben. Er existiert nicht, weil seine gesamte Erinnerung anders sein wird. Also kann er auch nicht hier sein.“
Remus runzelte die Stirn. „Du meinst, er hat seine Vergangenheit so verändert, dass es ihn selbst nicht mehr gibt?“
„Ja, genau.“ Lily nickte.
„Aber wenn es ihn nie gegeben hat, dann konnte er auch nie zu uns kommen.“, entgegnete ihr Sirius.
„Aber wenn er nicht hier hergekommen wäre, dann würde er ihn so geben, wie er hier war. Das ist ein Kreis ohne Anfang und Ende. Wenn wir davon ausgehen, dass er bei uns war, dann muss es ihn ja gegeben haben. Aber da er dafür gesorgt hat, dass es ihn nie geben wird, existiert er nicht mehr. Es geht nicht.“
„Das ist mir zu hoch.“, stöhnte Alice, „Bei Merlins Boxershorts, sag einfach, was du meinst.“
„Ich weiß es nicht, Lissi. Vielleicht sollten wir Dumbledore fragen.“
„Wenn er schon wieder da ist. Er wollte doch P-…“, Sirius stockte, „Er wollte doch ihn ins Gefängnis bringen.“
Er betonte das ‚ihn‘ so voller Abscheu, als würde ihm Peters Name nie wieder über die Lippen kommen. Lily konnte das nur zu gut verstehen. Immerhin hatte sich ihre eigene Schwester als eines der größten Arschlöcher der Welt herausgestellt, doch was Peter getan hatte, war noch schlimmer. Sie hasste Petunia zwar, aber die hatte sie wenigstens nicht an Voldemort verraten.
„Also, ich geh zu Dumbledore.“, sagte Remus.
Sirius nickte. „Ich komme mit.“
„Ich auch.“, meinte Mary.
Die drei machten sich auf den Weg und auch Alice und Frank verschwanden, Lily hatte keine Ahnung, wohin, aber ganz bestimmt nicht mit zu Dumbledore.
Sie und James blieben noch im Raum der Wünsche. Sie hatten noch viel zu reden.
„James, es tut mir so leid, es tut mir so leid, dass ich so grob zu dir war, es tut mir leid, dass ich dich immer wieder habe abblitzen lassen. Es tut mir alles so leid. Bitte gib mir eine Chance.“
James fiel auf, dass sie ihn zum ersten Mal in ihrem Leben beim Vornamen genannt hatte. Aber er sah sie nicht an. Er hätte nie gedacht, dass Lily sich mal bei ihm entschuldigen würde. „Warum?“
„Warum ich so grob zu dir war oder warum du mir noch eine Chance geben solltest?“
„Beides.“ Er sah sie immer noch nicht an. Er wusste nicht, warum er es nicht tat. Vielleicht hatte er Angst.
„Ich… Ich liebe dich.“
James stockte der Atem.
„Ich hatte einfach Angst. Ich hatte Angst, dass du mich einfach fallen lassen könntest. Ich wollte es nicht zulassen, und mich damit verletzlich machen.“
James hörte ihr zu, aber irgendwie war er wie in Trance.
„Ich hatte Angst. Ich habe dir nicht vertraut. Es tut mir Leid. Ich hätte erkennen müssen, dass du es ernst meinst. Ich hatte Angst, dass mich alle auslachen, wenn ich mich auf dich einlasse.“
James sagte immer noch nichts.
„Ich hatte Angst, dass das alles nur ein Scherz war. Ich habe mir immer gewünscht, dass du mich einmal gefragt hättest, wenn nicht tausend Leute um uns herum gestanden hätten. Ich habe mich nicht getraut, Ja zu sagen.
Aber ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich, James. Ich konnte es dir nur nicht zeigen. Wenn Harry mir nicht geholfen hätte, dann würde das wahrscheinlich nie was mit uns werden. Ich war einfach zu stolz. Ich habe gehofft, dass das wieder vorbei geht, dass ich dich liebe. Aber ich weiß jetzt, dass mir nichts Besseres hätte passieren können.“
James sah sie noch immer nicht an, aber er wagte es ihr zu antworten, was ihn einiges an Überwindungskraft kostete. „Ich hätte dich nicht so oft fragen sollen, ob du mit mir aus gehst. Aber du hast mich so oft verletzt… Am Ende habe ich dich nur noch gefragt, damit du mit mir redest, damit du mich einfach nur mal beachtest. Ich wollte dich zu nichts drängen, dafür liebe ich dich viel zu sehr. Und ich hatte dich schon fast aufgegeben.“ Er schwieg wieder und auch Lily brach das Schweigen nicht. Irgendwann faste er sich ein Herz und fragte, so leise, dass Lily es sicherlich kaum verstehen konnte: „Ist jetzt alles gut?“
Lily nickte. „Danke, James.“, sagte sie leise.
„Wieso danke?“
„Danke, dass du mir eine Chance gibst.“
„Warum sollte ich dir keine geben? Ich liebe dich doch. Da nützt es mir doch nichts, wenn ich mich mit dir streite. Das ist doch logisch.“
Wieder herrschte Schweigen. Lily rückte näher zu James.
Irgendwann, vielleicht ein nur paar Sekunden oder auch ein paar Stunden später, traute sich James, ihr wieder den Rücken zu streicheln. Lily zuckte erst kurz zusammen, drückte sich dann aber noch näher an ihn, soweit das möglich war. Nicht einmal ein Blatt hätte noch zwischen sie gepasst.
„Versprich mir, dass du nicht gehst.“, flüsterte Lily in James Ohr, „Versprich mir, dass wir für immer zusammen bleiben.“
„Für immer.“, flüsterte James zurück. Er konnte es nicht glauben, dass Lily bei ihm war. Doch sie war da. Sie war wirklich da. Und sie hasste ihn nicht. In diesem Moment schien die ganze Welt in Ordnung. Auch wenn Voldemort sich da draußen auf den Krieg vorbereitete, auch wenn sie laut Harry nur noch drei Jahre zu leben hatten - trotz allem schien die Sonne. Der Sommer kam noch einmal zurück, vielleicht um ihnen zu gratulieren…
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel