von ratterhorpy
Die Theorie des Bösen
Neville saß neben Seamus in dem Klassenzimmer, das er seid dem Sommer am wenigsten von allen mochte. Das war nicht nur Nevilles Ansicht, alle Gryffindors hassten das Fach Dunkle Künste wie die Pest. Was die ganze Sache noch verschlimmerte, war die Tatsache, das man gemeinsam mit den Slytherins Unterricht hatte und die waren vom Lernstoff begeistert.
Es hatte sich so eingespielt, das eine saubere Linie den Klassenraum trennte. Auf der rechten Seite saßen die Gryffindors, auf der linken Seite die Slytherins und keine der Seiten möchte mit der anderen etwas zu tun haben.
Für Professor Amycus Carrow war diese Sitzordnung natürlich auch von Vorteil, war er doch für die eine Seite voll des Lobes und für die andere Seite voll der Verachtung.
Dem entsprechend war auch die Stimmung im Klassenzimmer. Während die Slytherins gut gelaunt auf ihren Professor warteten, saß die Truppe aus Gryffindor recht still auf ihren Stühlen und erwarteten, wie immer das Schlimmste.
Was nun schlimmer war, der Professor oder seine Lerninhalte, stand allerdings noch zur Diskussion.
„Guten Morgen, Siebtklässler!“ begrüßte der Professor die Klasse beim eintreten.
Professor Carrow stellte sich mit verschränkten Armen, rücklings an sein Pult gelehnt, vor die Klasse.
„Wir werden uns ab heute ein wenig mit Theorie beschäftigen müssen. Keine Sorge, es wird immer wieder praktische Übungen geben, aber die Theorie wird Ihnen helfen das nötige Potenzial in der Praxis abzurufen.“ setzte der Professor an.
„Dunkle Künste. Was bedeutet das eigentlich?“
Carrow stieß sich vom Pult ab und ging durch die Reihen, während er weiter redete.
„Es gibt viele verschiedene Betrachtungsweisen für dunkle Künste. Politische, ethische, familiäre Betrachtungsweisen.“
Carrow schwieg einen Moment und redete erst weiter, als er vor der Klasse stand und alle Schüler sehen konnte.
„Es gibt Stimmen die die dunklen Künste für böse oder verwerflich halten. Die Frage ist, wo bleibt die Ethik und die Eigenverantwortung im Falle einer Bedrohung? Was tun Sie, wenn einer Ihrer Lieben in Gefahr ist? Welche Zauber setzen sie ein? Zauber die notwendig sind oder Zauber die ethisch und moralisch integer sind?“
Neville schielte herüber zu Gregory Goyle, der den Professor verwirrt anschaute. Neville war sich sicher, das Goyle den letzten Satz, insbesondere den Begriff moralisch integer nicht verstanden hatte.
„Doch was bedeutet das 'moralisch integerer Zauber' ?“ setzte Professor Carrow fort. „Setzt nicht die Politik und die Gegenwärtige Gesellschaft fest, welche Zauber nun unter diesen Begriff fallen oder nicht?“
Niemand machte Anstalten dem Professor zu antworten. Die Schüler hatten schnell gelernt, das der Professor dies bei seinen Vorträgen gar nicht wünschte.
„Nehmen wir als Beispiel die so genannten Unverzeihlichen Flüche. Diese Flüche gelten als unverzeihlich, weil sie unter dem Zaubereiminister Cornelius Fuge verboten wurden. Dabei handelt es sich um eine politische Ächtung. Eine solche politische Ächtung zieht unvermeidlich eine gesellschaftlich-moralische Ächtung nach sich. Daher der schlechte Ruf der Unverzeihlichen. Verboten wurden diese Flüche natürlich nur um den Gegner zu schwächen. Der Minister sah damals die Gefahr, von der Revolution überrollt zu werden. Er selbst und seine Anhänger waren nicht in der Lage und hatten nicht die Fähigkeit diese Flüche auszuführen. Das Verbot und die Ächtung der so genannten Unverzeihlichen, war Fuges letzte Möglichkeit, seine Macht zu erhalten.“
„Nun denn, die Unverzeihlichen!“ sagte der Professor und schaute die Klasse erwartungsvoll an. „Wer von Ihnen kann mir einen der Flüche benennen? Mr. Grabbe, schießen sie los!“
„Den Adavra Kedavra!“ sagte Grabbe.
Es stieß Neville bitter auf, das Grabbe so enthusiastisch antwortete. Er war immer ein Schüler gewesen, der nur dann auffiel, wenn er den Unterricht störte. Das er jetzt richtig mitmachte, lag an dem Unterrichtsfach und das sagte einiges über den Jungen aus.
„Richtig!“ sagte der Professor. „Was bewirkt dieser Fluch?“
„Es ist der Todesfluch!“ antwortete Grabbe.
„Sehr gut, Mr. Grabbe!“ lobte der Professor. „Welchen Gegenfluch kennen sie gegen den Adavra Kedavra?“
„Es gibt keinen!“ sagte Grabbe.
„Schön!“ sagte der Professor. „Es gibt keine Überlebende des Fluches?“
„Doch!“ rief Pansy Parkinson in den Raum. „Potter!“ fügte sie abfällig hinzu.
Der Professor nickte zustimmend. „Irgendeine Idee, wie er es geschafft hat, zu überleben?“
Es war totenstill in der Klasse. Eine Antwort auf Carrows Frage hatte niemand. Diese hatte auch gar nicht damit gerechnet, das jemand sich zu Wort melden würde.
„Wir können es ja mal an den Gryffindors ausprobieren. Wenn einer überlebt, sehen wir ja woran es liegt!“ schlug Pansy vor.
„Langsam, langsam Miss Parkinson. Wir wollen doch nicht unnötig magisches Blut vergießen. Das Rätsel konnte bisher keiner lösen. Es ist sonst noch keiner so tief in die dunkle Magie eingedrungen, als das man darauf eine Antwort finden könnte.“
Neville fragte sich gerade, ob der Professor Harry unterstellte, mit Hilfe von dunkler Magie überlebt zu haben. Harry war noch ein Baby, als er von dem Fluch getroffen wurde. Das konnte ja wohl nicht wahr sein, dachte er empört und wollte schon den Mund öffnen, um zu protestieren, da wurde er von Seamus unsanft in die Rippen gestoßen.
„Halt bloß Deinen Mund!“ zischte Seamus ihm zu.
Neville schluckte seinen Porotest mit großer Mühe hinunter und presste die Lippen fest zusammen.
„Der Adavra Kedavra ist wohl der berühmteste Fluch der Unverzeihlichen.“ dozierte der Professor. „Üblicherweise absolut tödlich, ohne die Chance einer Gegenwehr, ermöglicht der Fluch dem Angreifer Macht über das Leben des Feindes zu erlangen.“
Der Professor ließ seine Worte in der Stille des Klassenraums nachklingen.
„Das Leben. Keiner möchte sein Leben verlieren. Es gibt jedoch Situationen, in denen der Einsatz dieses Fluches die einzige Möglichkeit ist, sein eigenes Leben zu retten. Gegen Ende des Schuljahres werden wir uns ausführlich mit diesem Fluch befassen.“
Das durfte nicht wahr sein, dachte Neville. Es war also wirklich soweit. In Hogwarts sollte den Schüllern beigebracht werden, zu töten.
„Also!“ sagte der Professor. „Wir haben den Adavra Kedavra. Macht über das Leben. Wer kann mir einen weiteren Fluch nennen, der den Unverzeihlichen zugeordnet wird?“
„Der Imperius Fluch!“ lies Blaise Zabini verlauten.
„Sehr gut Mister Zabini! Erzählen sie mir mehr über den Fluch!“
„Also, der Zauberspruch ist Imperio. Der Flüch macht, das der Verfluchte einem bedingungslos gehorcht.“
„Worüber verleiht dieser Fluch Macht?“ fragte Carrow.
„Über.....“ Blaise überlegte kurz. „Ich vermute mal über den Geist!“
„Ich bin da anderer Meinung, Professor!“ rief Pansy dazwischen.
Mit einer kleinen Geste wies der Professor Pansy an, fortzufahren.
„Den Imperiusfluch kann man abschütteln. Und zwar dann, wenn der Wille stärker ist, als der Fluch. Das bedeutet doch, das der Fluch den Willen beeinflusst, oder nicht?“
„Gut erkannt, Miss Parkinson. Es ist tatsächlich so, das ein Mensch, der unter dem Imperius Fluch steht, sehr genau weiß, was er tut. Dieser Mensch kann aber nicht mehr entscheiden, ob oder warum er etwas tut, er folgt den Anweisungen, die er erhält. Lediglich Menschen mit außergewöhnlicher Willenskraft können sich diesen Anweisungen widersetzen.“
„In welchen Situationen ist der Einsatz eines solchen Fluches ratsam und in welchen eher nicht?“
„Goyle könnte mit dem Fluch ein Mädchen dazu bringen, ihn zu küssen!“ rief Blaise in den Klassenraum, was über Goyles Empörung hinweg für reichlich Gelächter im Raum sorgte. Selbst die Gryffindors stimmten in das Gelächter mit ein.
„Selbst sie könnte er dazu bringen, ihn zu küssen!“ schmunzelte der Professor. Dies wiederum fand Blaise gar nicht komisch.
„Es gibt sicherlich einige humoristische Möglichkeiten diesen Fluch einzusetzen, aber in erster Linie sollten sie sich im Klaren über den ernsthaften Nutzen sein. Überlegen Sie!“ forderte der Professor die Klasse auf.
Grabbe meldete sich. „Ich könnte einen Angreifer dazu bringen, seinen Angriff aufzugeben!“
„Das stimmt, Mister Grabbe. Und dann?“
„Dann greift er nicht mehr an.“ antwortete Grabbe.
„Richtig.“ sagte der Professor. „Aber auch nur so lange, wie sie den Imperius aufrecht erhalten! Ihre Möglichkeit wäre dann, den Angreifer mit einem anderen Zauber außer Gefecht zu setzten. Heben sie den Imperius auf, ohne dies zu tun, wird derjenige seinen Angriff womöglich fortsetzten.“
Blaise meldete sich ebenfalls. „Ich könnte gefährliche Aufgaben jemand anderes erledigen lassen!“
„Korrekt!“ bestätigte der Professor. „Das wäre ein klassisches Anwendungsgebiet für den Imperius!“
Amycus Carrow ließ seinen Blick über die Klasse schweifen.
„Mister Longbottom!“ rief er mit einem hämischen Grinsen aus. „Sie als Experte können mir sicherlich den dritten Fluch nennen, der den Unverzeihlichen zugeordnet wird?“
Neville zuckte kurz zusammen, sprach sich dann aber selbst Mut zu.
„Als Experte kann ich mich nicht bezeichnen Professor.“ antwortete er. „Experten für Unverzeihliche sind wohl eher Todesser wie Sie!“
„Du Idiot!“ murmelte Seamus nebenan leise.
„Sie sollten aufpassen, was sie sagen Mister Longbottom!“ sagte Professor Carrow ungerührt. „Ich könnte mich verleiten lassen, den dritten Fluch an Ihnen zu demonstrieren!“
Neville straffte die Schultern und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, das es ihm eiskalt den Rücken hinunter lief.
„Also, Mister Longbottom. Ich höre! Von welchem Fluch ist hier die Rede?“
„Es ist der Cruciatusfluch!“ sagte Neville sachlich.
„Aha!“ sagte der Professor und schien einen Moment nachzudenken, ehe er weiter fragte.
„Mister Longbottom, können Sie mir erklären, was dieser Fluch bewirkt?“
Es gab wohl wenige Menschen, die die Wirkung dieses Fluches so genau kannten, wie Neville. Nicht nur seine Eltern, an denen sich die Nachwirkungen des Fluches zeigten, schoss ihm durch den Kopf. Er erinnerte sich auch lebhaft an die Ereignisse in den Sommerferien, als Bellarix Lestrange ihn mit dem Fluch gefoltert hatte. Allein Carrows Frage verursachte fast schon körperliche Schmerzen. Neville war aufs höchste angespannt. Unter dem Tisch hatte er die Hände zu Fäusten geballt, so fest, das sich seine Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen bohrten.
„Mister Longbottom, brauchen Sie noch eine Kostprobe, oder möchten sie mir antworten?“
„Nein!“ sagte Neville über das Gekicher der Slytherins hinweg. „Ich antworte!“
„Der Cruciatusfluch verursacht Schmerzen. Furchtbare Schmerzen. Es ist, als ob man bei lebendigem Leibe verbrennt. Man möchte nur noch das es aufhört, man möchte am liebsten sterben, nur damit der Schmerz aufhört. Diese Gnade erfährt man aber durch diesen Fluch nicht. Wird der Fluch nicht aufgehoben, setzen sich diese Schmerzen immer weiter fort, bis.....“ Neville versagte die Stimme und er musste sich schwer räuspern.
Professor Carrow hatte jedoch nicht vor, Neville so schnell von der Angel zu lassen.
„Fahren sie fort, Mister Longbottom!“
„Die Schmerzen setzen sich fort, so lange bis der Fluch aufgehoben wird. Selbst wenn dann schon der Geist des Menschen zerstört ist.“
„Kennen sie Menschen, bei denen das der Fall war?“ fragte Carrow scheinheilig.
Neville bekam mittlerweile Halsweh, eines von jener Sorte, das man bekommt, wenn man versucht Tränen zu unterdrücken.
Neville nickte.
„Ich kann sie nicht hören!“ sagte Carrow unschuldig.
„Ja!“ brachte Neville mühsam heraus.
„Ach kommen Sie, Neville! Lassen sie sich nicht so sehr bitten. Erzählen Sie mehr darüber!“
So wie Carrow redete, klang es, als ob Neville vom letzten Ausflug in die Winkelgasse erzählen sollte.
„Es geht um meine Eltern. Sie sind seid dem Fluch im St.Mungos!“ presste Neville heraus.
Innerlich empfand er fürchterlichen Hass auf Carrow. Was mit seinen Eltern passiert war, war seine Sache und es war seine Sache wem er davon erzählte. Vor allen Dingen wollte Neville nicht den Slytherins von seinen Eltern erzählen.
Carrow missachtete Nevilles Gefühlsregungen, die für alle im Klassenzimmer deutlich sichtbar waren.
„Warum wurden Ihre Eltern mit dem Cruciatus belegt?“
„Todesser waren auf der Suche nach Du-Weist-Schon-Wem und sie glaubten meine Eltern könnten ihnen erzählen wo er steckt!“ sagte Neville, der die Augen fest geschlossen hatte. Bloß nicht heulen, sagte er sich, denn er spürte, das seine Augen feucht wurden.
„Haben Ihre Eltern den Herrschaften denn erzählt, was sie wissen wollten?“
„Wie sollten Sie? Sie wussten ja auch nichts!“ rief Neville wütend.
„Wie sie sehen,“ sagte Carrow nun zu der gesamten Klasse, „Der Cruciatus kann wunderbar als Druckmittel eingesetzt werden. Informationen erlangen ist essenziell wichtig, wenn man seine Ziele erreichen will. Natürlich fügt ein Cruciatusfluch dem Opfer Leid zu, aber gerade dies bewegt das Opfer und auch die ihm nahe stehenden Personen Dinge zu tun und Informationen Preis zu geben, die sie sonst nicht tun würden.“
Neville wusste hinterher nicht mehr, wie er die Stunde hinter sich gebracht hatte, ohne die Fassung zu verlieren. Er hatte das Gefühl, im sei im Leben noch nichts so schwer gefallen. Carrow dozierte den Rest der Stunde über die Aufhebung der Ächtung der Unverzeihlichen Flüche, über die falsche Ansicht von Gut und Böse, kurzum, seine Überzeugung war, das einzig die Macht entscheidend war und nicht die Moral.
Missmutig stürmte Neville am Ende der Stunde aus dem Klassenzimmer, ignorierte Seamus Ruf und lief eine Weile ziellos durch die Flure des Schlosses. Er wollte nur noch alleine sein. Den Schmerz in ihm, wollte er alleine ertragen.
An diesem Entschluss festhaltend, ging er allen Mitschülern aus dem Weg, so lange bis er diese eine bestimmte Schülerin traf, der er nicht aus dem Weg gehen wollte.
Auch sie hatte ihren Schmerz lange Zeit alleine bewältigen wollen und das hätte beinahe in einer Katastrophe geendet. Gewiss, man konnte ihren Schmerz nicht mit seinem vergleichen, ihrer war ungleich schlimmer, aber Neville hatte die innere Gewissheit, das Hannah ihn verstehen würde.
„Hi Neville!“ begrüßte Hannah ihn in ihrer ruhigen Art. „Du hast Dich heute ganz schön rar gemacht!“
„Ja!“ sagte Neville mit einer Spur Bitterkeit in der Stimme. „Das ist heute nicht mein Tag!“
Er schüttelte den Kopf und betrachtete seine Schuhspitzen. Wie sollte er erklären was los war?
„Ich weiß!“ sagte Hannah sanft und trat auf ihn zu. „Ich habe davon gehört!“
Hannahs Arme zuckten erst unentschlossen, doch dann überbrückte sie entschlossen den letzten Schritt, der noch zwischen den Beiden stand und umarmte Neville.
Neville hatte das Gefühl zu fallen. Er schlang seine Arme um Hannahs Hüften, legte sein Kinn auf ihrer Schulter ab und atmete den süßen Duft ein, den sie verströmte. Hannah gab ihm den Halt, den er jetzt dringend brauchte.
Seine Schmerzen jedoch fanden keinen Halt mehr, sie fielen von ihm ab und purzelten tief hinunter, tiefer, als die untersten Kerker des Schlosses.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel