von ratterhorpy
Die verschlossenen Türen
Neville konnte etwas hinter sich atmen hören. Etwas - denn menschlich klang es nicht. Als er den Kopf drehte, um dort hin zu schauen, wo auch seine Lerngruppe hin schaute, hatte er schon eine Ahnung, was er dort sehen würde.
Der Anblick des Dementoren erschreckte ihn dennoch.
Grausige, verschorfte Hände streckten sich ihm entgegen. Seine Reaktion, auszuweichen, war nur natürlich, aber nicht allzu hilfreich.
In seiner Bemühung, etwas Distanz zwischen sich und dem Dementor zu schaffen, hatte er den Ruhepunkt der peitschenden Weide verlassen. Diese erwachte aus ihrer Starre und schlug in Richtung der Lerngruppe aus. Neville sah, wie die Schüler schreiend auseinander liefen und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen.
Er konnte sich gar nicht richtig entscheiden, was er tun sollte. Zum einen beobachtete er ängstlich, ob die Schüler aus dem Gefahrenradius der Weide entkommen konnten, zum anderen wusste Neville, das auch er sich dringend in Sicherheit bringen musste.
Sehen Sie zu, das sie es los werden!
Der Dementor näherte sich wieder. Zur gleichen Zeit hörte Neville das Rauschen der Weide und er sah einen gewaltigen Ast auf Hannah zu schwingen. Doch die achtete überhaupt nicht auf die Weide, sondern sie beobachtete entsetzt den Dementor hinter Neville.
Neville wollte schreien, Hannah vor dem Ast warnen, doch er brachte keinen Ton heraus.
Sehen Sie zu, das sie es los werden!
In allerletzter Sekunde wurde Hannah von Professor Sprout zur Seite gerissen, so das Hannah lediglich von ein paar kleinen Zweigen gestreift wurde.
Neville wiederum, hatte nicht so viel Glück. Auch er hatte den Ast nicht kommen sehen und er hatte niemanden, der ihn retten konnte. Neville wurde in den Magen getroffen und einige Meter durch die Luft geschleudert.
Der Aufprall auf den Boden war hart und Neville blieb für einen Augenblick die Luft weg. Zudem musste er sich dringend orientieren. Die Weide, die Lerngruppe, der Dementor.
Der Stamm der Weide lag am nähesten. Und damit der Ruhepunkt. Er duckte sich unter dem nächsten Ast durch, der auf ihn zu schwang. Hastig erreichte er den Ruhepunkt und die peitschende Weide beruhigte sich wieder.
Am Stamm vorbei, konnte er den Dementor sehen, der sich näherte. Offensichtlich hatte auch der Dementor seine Schwierigkeiten mit der Weide gehabt.
Der lange Ast, den Neville anfangs benutzt hatte bewegte sich.
„Beeilen Sie sich, Mr. Longbottom!“ schrie Professor Sprout hinter ihm.
Sie drückte den Ast auf den Ruhepunkt und Neville trat den Rückzug an. Doch der Dementor war schneller.
In seiner Eile hatte Neville keine Zeit, aufzupassen wohin er trat. Sein Fuß knickte um, genau der, der auch bei Goyles Schleuderfluch in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Mühsam rappelte Neville sich auf und humpelte weiter.
Sehen Sie zu, das sie es los werden!
Neville erkannte, das er keine Chance hatte, davon zu laufen. Er zog seinen Zauberstab.
„Expecto Patronum!“
Ein dünner silberner Faden trat aus seinem Zauberstab. Das war bei weitem nicht genug, um den Dementor zurück zu halten.
Schon streckten sich wieder diese grausigen Hände entgegen.
Sehen Sie zu, das sie es los werden!
Neville wusste, das er keinen zweiten Versuch eines Patronus hinbekommen würde.
„Expecto Patronum!“ ertönte ein Schrei aus den Reihen der Schülergruppe.
Eine silberne Taube schoss pfeilschnell an Neville vorbei und stürzte sich auf den Dementor. Dieser zog sich augenblicklich in Richtung des verbotenen Waldes zurück.
Auf der Suche nach seinem Retter schaute Neville die Gruppe vor sich an.
Sein Blick suchte Professor Sprout, doch die hielt nach wie vor den Ast in ihrer Hand. Ihr Blick war voller Stolz, sie betrachtete eine ihrer Schülerinnen.
Hannah schaute verblüfft auf ihren Zauberstab.
Vor der Klassenzimmertüre von Professor Amycus Carrow hatte sich eine Gruppe von Schülern angesammelt. Der Lärmpegel war enorm. Luna drängelte sich nach vorne durch. In einem Radius von etwa einem Meter rund um die Türe standen die Schüler, mit schadenfrohen Gesichtern.
Zwei große Buchstaben, mit Kreide gemalt, zierten die Türe. DA
Deutlich konnte Luna hören, wie von der anderen Seite der Türe gegen das Holz geschlagen wurde.
„Warum kommt er nicht raus?“ fragte Luna unschuldig, obwohl sie schon eine Ahnung hatte.
„Carrow hat schon alles versucht!“ antwortete eine Schülerin aus Hufflepuff. „Er hat immer wieder an der Klinke gerüttelt, aber die Türe hat sich nicht bewegt. Der Alohomora hat auch nichts bewirkt. Danach hat er durch die Türe gerufen, jemand solle Professor Flittwick rufen!“
„Und wo ist Professor Flittwick?“
„Der steht vor der Türe von Carrows Schwester. Die hat offenbar das gleiche Problem!“ grinste die Hufflepuff.
„Platz da! Aus dem Weg!“ fauchte Mr. Filch aus dem Hintergrund.
Einige der Schüler wurden zur Seite gestoßen, als der Hausmeister sich nach vorne drängelte.
„Professor?“ rief Mr. Filch und legte sein Ohr an die Türe.
Das Hämmern auf der anderen Seite der Türe ebbte ab.
„Mr. Filch?“ rief Professor Carrow. „Machen Sie sofort die Türe auf!“
Zuerst griff der Hausmeister nach der Türklinke und drückte sie hinab. Das klappte problemlos, aber die Türe ließ sich nicht öffnen. Dann griff der Hausmeister nach seinem Schlüsselbund. Nach einigem Suchen, fand er den richtigen und steckte ihn ins Schloss. Der Schlüssel drehte sich, jeder konnte das Schloss hören, wie es klackte. Aber es hatte keinen Zweck. Die Türe war niemals abgeschlossen gewesen.
Der Hausmeister schaute ratlos auf die Türe.
Erneut griff er nach der Türklinke und zog mit aller Kraft daran. Er nahm ein Bein zu Hilfe, das er an der Wand abstützte, um mehr Kraft zu haben. Mr. Filch rüttelte und rüttelte, doch er hatte keinen Erfolg.
Als er auch das zweite Bein zur Hilfe nahm, sah es für einen Augenblick so aus, als ob die Türe aufging.
Mr. Filch flog rückwärts in die zuschauende Schülermenge. Doch er hielt nur die Klinke in der Hand.
Die Türe war nach wie vor verschlossen.
Mr. Filch rappelte sich auf und lief den Gang hinunter. Lachend schauten die Schüler ihm hinterher. Hinter der Türe fing Professor Carrow wieder an zu klopfen.
Nach einigen Minuten kehrte der Hausmeister wieder zurück. In den Händen hielt er eine große Axt.
„Treten sie zurück, Professor!“ rief er durch die Türe.
„Was haben Sie vor?“
Er war noch so rücksichtsvoll und stieß einige Schüler grob zu Seite, er versicherte sich allerdings nicht, ob der Professor tatsächlich zurückgetreten war, ehe er zuschlug.
Mann konnte Professor Carrow erschrocken aufschreien hören, als Mr. Filsch die Türe zu Brennholz verarbeitete.
Lediglich die Ränder der Türe blieben am Rahmen, stellte Luna fest. Leider hatte Filch nun auch die beiden Buchstaben zertrümmert.
Vorsichtig stiegen die Schüler durch das Loch in das Klassenzimmer. Während sie leise ihre Plätze aufsuchten, ließ sich schon an Carrows Gesichtsausdruck erahnen, das dies eine sehr unangenehme Stunde werden würde. Die gute Laune der Schüler verflog.
Am Nachmittag betrat Neville die Bibliothek. Er hatte mit Hannah und Luna ausgemacht, sich dort mit den Beiden zu treffen. Sein Blick schweifte durch den Raum. Die Absperrung, die bisher die verbotene Abteilung vom Rest des Raumes getrennt hatte, war verschwunden. Einige Schüler standen in den Regalreihen und sahen sich verstohlen um, gerade so, als ob sie Angst hätten, bei etwas unanständigem erwischt zu werden. Neville verstand das Gebärden, er hatte ja schließlich auch vor, diese Abteilung zu betreten.
Luna hatte bereits einen Tisch belegt, sie blätterte eifrig in einem alten Buch herum und machte sich Notizen. Hannah stand ganz in der Nähe und unterhielt sich mit Susan. Neville ging zu den beiden Mädchen.
„Hallo Hannah, hallo Susan!“
„Hi, Neville!“
„Machst Du auch mit?“ fragte Neville an Susan gewand.
„Nein!“ schüttelte Susan den Kopf. „Ich bin nur hier, weil ich mir ein Buch ausgeliehen habe. So etwas zu lernen, wie Ihr es vorhabt, das ist nicht mein Ding!“
„Wir wollen den auch nur lernen, damit wir lernen können ihn abzuschütteln!“ erklärte Hannah.
„Ja, das erwähntest Du bereits!“ sagte Susan. „Ich muss dann mal los, die Hausaufgaben warten!“
„Bist Du sicher, das Du nicht doch mitmachen willst?“ fragte Hannah und warf einen zweifelnden Blick in Richtung Luna..
„Nein, ich bin mir sicher, das ich nicht mitmache. Aber Du warst es doch! Du weißt, wofür Du das tust. Du wolltest helfen!“ sagte sie, während ihr Blick für einen Moment zu Neville abschweifte.
Susan hob die Hand zum Abschied und verließ die Bibliothek.
„Wollen wir uns zu Luna setzen?“ fragte Neville.
Hannah verzog den Mund.
„Ja, klar!“
Die beiden machten sich auf den Weg zu Luna, die am Tisch unter dem großen Fenster saß. Dieser Platz war bei den Schülern sehr beliebt. Durch das Fenster hatte man an einigen Türmen vorbei einen tollen Ausblick auf den See und den Wald dahinter. Es war ziemlich schwierig, diesen Platz zu bekommen, den er war in der Regel der erste, der belegt war.
„Schön, das der Platz noch frei war!“ bemerkte Neville.
„Als ich kam, war der Tisch noch belegt!“ bemerkte Luna. „Ich habe schon einmal ein paar Bücher herausgesucht!“
„Und danach war der Platz frei?“ fragte Neville.
„Nein, ich habe mir einen Stuhl geholt und mich dazu gesetzt!“ sagte Luna und blätterte eine bestimmte Seite auf. „Ich sitze gerne hier und beobachte, wie die Thestrale über den Wald fliegen. Ich wollte sie den Anderen am Tisch unbedingt zeigen, aber die mochten wohl keine Thestrale und sind gegangen. Hier lest!“
Luna schob Neville und Hannah das Buch hin und deutete auf die rechte Seite. Neville und Hannah steckten die Köpfe zusammen und lasen gleichzeitig.
Imperius Fluch
Mit Hilfe des Imperius Fluches ist es möglich, absolute Macht über seinen Gegner zu erlangen. Der Gegner kann unter dem Einfluss des Fluches nicht mehr selbst agieren, sondern wird ausschließlich von den Befehlen der Zauberers geleitet, der den Fluch ausgesprochen hat.
Der Verfluchte kennt dabei kein Gewissen und keine Angst, daher findet der Fluch auch gerade dort Anwendung, wo unliebsame oder gefährliche Aufgaben erledigt werden müssen.
Der Zauberspruch für den Imperius lautet Imperio. Dabei muß der Arm duchgestreckt werden und die Hand gerade gehalten werden, als Verlängerung des Zauberstabes. Die Spitze des Zauberstabes muss auf den Gegner gerichtet sein.
Die Stärke des Zaubers richtet sich nach den Fähigkeiten des Zauberers und hält unterschiedlich lange an. In jedem Fall hilft Übung, die Wirkungsdauer zu verlängern. Ebenso ist, wie bei vielen anderen Zaubern auch, ein starker Wille hilfreich für einen stabilen Zauber.
Seit der Verhaftung Grindelwalds 1945 wird der Imperius Fluch in England als „Unverzeihlich“ eingestuft und ist verboten.
Wo sie so nah beieinander saßen und die Köpfe zum lesen zusammensteckten, fiel Neville auf, wie gut die Haare von Hannah rochen. Beinahe war er versucht, eine Strähne zu greifen, die Hannah ins Gesicht gefallen war. Ob sich die Haare so weich anfühlten, wie sie aussahen? Doch Hannah strich sich die Strähne selbst hinter ihr Ohr.
So abgelenkt zu sein, war gar nicht gut und Neville beschloss sich besser auf den Text zu konzentrieren. Trotzdem konnte er sich einen weiteren Seitenblick nicht verkneifen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, das tat sie immer, wenn sie sich konzentrierte.
Konzentration, das war das Stichwort. Neville begann den Text noch einmal zu lesen.
„Das klingt gar nicht so schwer!“ sagte Hannah leise und sah Neville an.
„Ich glaube, ich muss mir das nochmal durchlesen!“
„Ich habe insgesamt fünf Anleitungen gefunden und sie waren alle relativ gleich.“ sagte Luna. Doch Neville und Hannah reagierten überhaupt nicht auf Luna. Sie sah zwischen den Beiden hin und her und begann zu lächeln.
„Wir brauchen allerdings zum Üben den Raum der Wünsche. Hier können wir das nicht machen!“ meinte Hannah.
Neville sah sich um. Zahlreiche Schüler saßen an den Tischen der Bibliothek.
„Wieso nicht?“ fragte Neville grinsend. „Stell Dir vor, was Du alles machen könntest! Du könntest Gregory Goyle dazu bringen ein Buch zu lesen!“
Hannah kicherte. „Du kannst keine Kuh fliegen lassen!“
„Hä?“ Neville verstand nicht.
„Du kannst ihn zu nichts bringen, wozu er überhaupt nicht in der Lage ist!“
„Also, ich finde die Vorstellung, andere Schüler zu verzaubern gar nicht komisch!“ sagte Luna nüchtern.
Neville und Hannah schauten auf und es schien so, als ob sie erstaunt waren, das Luna überhaupt da war. Sie kicherten leise.
„Das war ein Scherz, Luna!“ erklärte Neville.
„Ach so!“
„Gibt es noch andere Beschreibungen?“ fragte Hannah und schaute auf den Bücherstapel auf dem Tisch.
Luna schob ihr ein weiteres Buch hin und reichte Neville gleichzeitig ihre Notizen.
„Ich habe das alles schon mal ein wenig zusammengefasst.“ erklärte Luna.
Hannah vertiefte sich in das Buch. Neville legte Lunas Notizen vor sich auf den Tisch und beobachtete Hannah beim Lesen und wartete darauf, das sie wieder auf ihrer Unterlippe kaute. Ein Lächeln trat auf seine Lippen, als sie es tat.
Luna betrachtete wieder den Wald, vielleicht sah sie gerade die Thestrale fliegen. Aus den Augenwinkeln bemerkte Neville, wie sich zwei Personen dem Tisch näherten.
Professor Sprout kam auf den Tisch zu, gefolgt von Susan. Professor Sprout sah aus, als sei sie plötzlich um Jahre gealtert. Tiefe Sorgenfalten gruben sich in ihr Gesicht. In ihren Händen sah Neville einen Brief, den sie beinahe krampfhaft festhielt. Ihr Gesicht sah einfach nur bekümmert aus, einen anderen Begriff konnte Neville auf die Schnelle nicht finden. Hinter Professor Sprout stand Susan, kreidebleich, mit feuchten Augen. Eine einzelne Träne löste sich aus ihren Augen und lief Susan die Wange hinunter.
Es war einer dieser Momente, der sich ohne Worte erklärte. Es war etwas passiert und es musste wirklich schlimm sein. Die Tatsache, das Professor Sprout gemeinsam mit Susan gekommen war, hieß, das es Hannah betraf.
Hannah hatte die Beiden noch nicht bemerkt, sie war nach wie vor mit dem Buch beschäftigt.
„Miss Abott!“ sagte Professor Sprout leise und mit ungewohnt dünner Stimme.
Hannah sah auf.
„Hannah, ich habe leider eine schlechte Nachricht für Sie! Kommen Sie bitte mit in mein Büro?“ fragte Professor Sprout leise.
Hannah wich die Farbe aus dem Gesicht. Sie schluckte kräftig und stand nickend auf.
„Ihr entschuldigt mich?“ fragte sie bevor sie der Professorin folgte.
Auch Susan drehte sich um und wollte mitgehen. Neville hielt sie jedoch am Ärmel fest.
„Was ist los?“ fragte Neville besorgt.
Eine weitere Träne löste sich aus Susans Augen. Besorgt sah sie sich nach Hannah um, die schon einige Meter weit weg war.
„Hannah´s Dad“ , flüsterte sie. „Er ist tot!“
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