
von MarauderGirl
Langsam schlenderte Sirius Black die menschenleere Straße entlang. Viel zu lange hatte er es schon aufgeschoben. Viel zu lange hatte er es einfach nicht geschafft seine Freunde zu besuchen. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn er ihre Namen auf dem Stein lesen würde. Wenn er den Namen seines Bruders auf dem kalten Stein sehen würde.
Vor dem alten Eisentor hielt Sirius inne und starrte für einen kurzen Moment in den nebelverschleierten Himmel. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, als er beschlossen hatte, an den Ort zurückzukehren, an dem er die Menschen verloren hatte, die ihm soviel bedeutet hatten. Die ihm noch immer soviel bedeuteten, dass er manchmal diesen Drang verspürte. Diesen Drang, einfach alles sein zulassen. Aufzugeben und zu ihnen zu gehen.
Vor allem, als er in Askaban saß, der Hölle auf Erden, waren diese Gedanken so präsent gewesen, dass er sich manchmal nicht mehr sicher war, was denn nun Realität und was Wunschdenken war. Beides hatte sich vermischt. Vermischt zu einem grauenhaften und aussichtslosen Strudel, den er sein Leben nennen musste.
Leise fielen Regentropfen auf sein müdes und gebeuteltes Gesicht. Als er seinen Blick über die vielen Grabsteine, die vor ihm lagen, schweifen ließ, war es wieder da. Dieses Gefühl. Das Gefühl, dass alles falsch gelaufen war. Dass nicht Lily und James dort begraben sein sollten, denn sie hatten - sie waren eine Familie. Immer wieder war ihm diese Frage in den Sinn gekommen. Was, wenn er an ihrer Stelle gestorben wäre? Wenn er irgendwie die Möglichkeit gehabt hätte, sie zu beschützen? Würden sie ihn dann auch so vermissen, wie er sie? Würden sie auch jeden Tag an ihn denken? Jeden Tag diesen schrecklichen Schmerz empfinden?
Sirius schüttelte leicht seinen Kopf, bevor er mit zittrigen Händen das Tor aufschob. Das leise Quietschen störte diese unheimliche Ruhe, die über dem Friedhof lag. Diese Ruhe, die das zeigte, was hier herrschte: Nichts. Nur der Tod. Und den konnte und wollte Sirius als nichts ansehen. Anders hätte er es nicht geschafft. Anders würde er es nicht schaffen, jeden Tag aufzustehen und weiterzumachen. Auch wenn es nun schon so viele Jahre her war, dass der Tod ihm seine besten Freunde nahm.
Vielleicht konnte er nie aufhören, zu trauern, weil er nie die Chance dazu gehabt hatte. Diese Erkenntnis löste eine seltsame Genugtuung in ihm aus, als er langsam zum Grab der Potters ging. Es wäre eine Erklärung dafür, dass er sein Leben vergeudet hatte. Dass er sein Leben nie richtig gelebt hatte. Denn wann hätte er um sie weinen sollen? Wann hätte er Abschied nehmen sollen? Wann? Als er verhaftet wurde? Als er in Askaban eingesperrt wurde? Oder als man ihn für das bestrafen wollte, was ihn so aus der Bahn geworfen hatte? Für den Tod seiner Freunde.
Und nun stand er hier. Vor ihrem Grab. Traurig und erschöpft ließ Sirius seinen Blick über jeden einzelnen Buchstaben auf dem kalten Stein wandern. Jeder Buchstabe schmerzte, denn jeder einzelne von ihnen war ein Teil der Worte, die ihm das Herz zerrissen. Die ihm das sagten, was er nicht wahrhaben konnte. Was er niemals wahrhaben wollte. Die ihm sagten, dass er sie verloren hatte. Für immer.
„Hallo“, murmelte er leise und seine Stimme klang so zerbrechlich, dass er Angst hatte, sie würde gleich versagen. Es kam ihm grotesk vor, mit ihnen zu reden, wo sie ihn doch schon lange nicht mehr hören konnten. Doch er musste es tun. Er musste mit ihnen reden, denn er hatte ihnen etwas zu sagen. Etwas, was ihn schon solange quälte.
„Ich weiß, ich war lange nicht mehr hier“, flüsterte Sirius und fuhr sich müde durch sein rabenschwarzes Haar. Er musste seinen Blick senken, denn jedes Mal, wenn er ihre Namen las, wenn er James und Lily Potter las, stieg Verzweiflung in ihm auf. Verzweiflung, die er nicht so einfach loswerden konnte. Das wusste er.
„Ich weiß, ihr seid enttäuscht von mir.“ Seine grauen Augen füllten sich mit Tränen. „Ich war nicht da, als ich es hätte sein müssen. Ich-“ Sirius’ Stimme versagte und eine einzelne Träne rannte an seiner blassen Wange hinab. „Ich war nicht da, um euch zu beschützen. Ich war auch nicht da, als mich Harry brauchte. Und noch weniger war ich da, als ihr-“ Wütend wischte er sich die Träne aus dem Gesicht. Nein, er würde jetzt nicht weinen. Nicht jetzt, denn jetzt musste er stark sein. „Ich war auch nicht da, als ihr begraben wurdet. Ich habe nicht Abschied genommen. Ich war nie da, wenn ich es hätte sein müssen.“
Der Zorn, über sich selbst, der sich so lange angestaut hatte, drängte sich nun mit voller Wucht in Sirius’ Bewusstsein. „Ich hätte sturer sein sollen, James, als du zu mir kamst. Wegen dieser verfluchten Geheimniswahrersache. Ich hätte viel sturer sein sollen. Dann würdest du vielleicht noch leben. Man, dann könntest du jetzt deinen Sohn aufwachsen sehen. Dann könntet ihr euren Sohn aufwachsen sehen. Euren Sohn, der Junge, der überlebte. Harry, der dir so verdammt ähnlich sieht, James.“
Ein Zittern durchfuhr seinen abgemagerten Körper, als er an das Gesicht seines besten Freundes dachte. An das Gesicht, das er so gerne noch einmal sehen würde. Sein Lachen, dass er sooft mit ihm geteilt hatte. Seine Prahlerei und seine Art. All das, was sie verband. All das, was er so an ihm mochte. All das vermisste er mit einer solchen Heftigkeit, dass es ihm fast das Herz zerriss.
„Es tut mir so leid“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern. „Es tut mir so unendlich leid. James. Lily. Ihr… Ihr ward alles für mich. Meine Freunde, meine Familie, alles. Nichts, außer Harry, ist lebenswert seid ihr weg seid. Nichts wird jemals wieder lebenswert sein. Bis-“ Eine weitere einsame Träne bahnte sich ihren Weg seine Wangen hinab. „Bis ich euch wieder sehe. Bis wir wieder vereint sind. Vereint für die Ewigkeit. Vereint im Himmel.“
Und mit diesen Worten sackte er zu Boden. Unter zahllosen Tränen, die auf das Grab hinabrannten, wiederholte Sirius immer wieder dieselben Worte. Vereint im Himmel… Vereint im Himmel… Vereint für die Ewigkeit.
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