von Vampirella
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Kapitel 48- An den Dämon gefesselt
Das Schreien war eine reine Qual, weil meine Kehle so ausgetrocknet war. Aber ich konnte es nicht unterdrücken, die seltsamen Töne drangen einfach zwischen meinen blutverschmierten Lippen hervor.
Ich war ans Bett gefesselt, im wahrsten Sinne des Wortes, die Stricke umschlangen meine Handgelenke und fixierten sie an den oberen Bettpfosten, und außerdem meine Fußknöchel, die an den unteren Enden festgebunden waren. Ich lag auf dem Bauch, da es anders nicht möglich war. Meine Flügel hatten sich zu einer Spannweite von insgesamt drei Metern ausgebreitet.
Wenn meine Schreie allzu schlimm waren, erstickte ich sie in einem befleckten Kissen, das unter meinem Gesicht lag- falls man das, was mal mein Kopf gewesen war, ĂĽberhaupt noch Gesicht nennen konnte.
In den letzten Stunden war die Verwandlung immer weiter fortgeschritten. Zuerst waren meine Flügel immer weiter gewachsen, bis ins Unermessliche. Dann verformte sich mein Gesicht nach und nach zu einer grausamen, widerwärtigen Fratze. Meine Hautfarbe wechselte von blass zu grünlich-schwarz, dann bekam ich noch längere Zähne und meine Nase bildete sich etwa um die Hälfte zurück. Meine Sinne wurden zunehmend schärfer- ich nahm alle Umrisse gestochener wahr, hörte das Pochen von Cedrics Herz in meiner Nähe und das Rauschen seines Bluts in seinen Adern. Gleichzeitig steigerte sich mein Hunger nach frischem Menschfleisch immer mehr. Als meine Stimme noch normal war, flehte ich Cedric an, mich zu verlassen, solange er die Chance hatte, doch er blieb.
Er hatte einige Weinkrämpfe überstanden und die immer wiederkehrenden, krächzenden Schreie meinerseits. Und doch saß er immer noch zusammengekauert in der Ecke. Aber er hatte mich schon lange nicht mehr angesehen. Ich wusste, dass er meinen schrecklichen, widerlichen Anblick nicht mehr ertragen konnte, mein ekliges Gesicht, meine blitzenden Augen, meine aufgebissenen, blutverschmierten Lippen. Ich konnte ihn verstehen. Ich war sogar dankbar dafür, dass er mich nicht ansah. Das empfand ich als gnädig mir gegenüber.
Ich fragte mich immer wieder, wann es denn endlich vollendet wäre. Mir kam es so vor, als würde ich schon Ewigkeiten auf diesem vermaledeiten Bett liegen, um auf mein Monster-Ich zu warten. Immer wieder kamen neue Veränderungen dazu, immer wieder, wenn ich dachte, es wäre nun wirklich vorbei, schoss wieder ein brennender Schmerz durch meinen Körper. In meinem Mund, meinen Händen und meinen Füßen brannten kleine, stechende Feuer, die sich so anfühlten, als würden sie mir die verfärbte Haut wegätzen.
Mein Rücken schmerzte, da er von meine Flügeln durchdrungen worden und wegen der Fesseln unnatürlich nach oben gebogen war. Meine Schulterblätter schienen versteift zu sein.
Als ich wirklich dachte, ich würde es nicht mehr aushalten, schwand meine normale Stimme. Meine Stimme, die keiner anderen auf der Welt geglichen hatte, veränderte sich und wurde tiefer. Animalischer. Dämonischer. Wie eine Teufelsstimme.
Brennende Tränen rannen mir über die Wangen und ich presste meine Lippen zusammen, damit kein Laut mehr herauskam.
Ich hörte Cedric in der Ecke schluchzen, in der er sich verkrochen hatte, und bat ihn innerlich abermals, endlich zu gehen. Es ihm laut zu sagen, traute ich mich nicht, da ich mich vor meiner eigenen Stimme fürchtete.
Plötzlich bekam ich Bilder vor Augen. Schreckliche, angsteinflößende Bilder. Verwundete Menschen, Blut, leere Augen, roter Rachedurst, Gier nach Fleisch....
All diese Bilder empfand ich selbst. Ich spĂĽrte wieder ein unwiderstehliches Verlangen nach Blut, nach Fleisch, nach etwas Nahrhaftem, was mich befriedigen wĂĽrde.
Vor lauter Verzweiflung schrie und brüllte ich wieder, dass es von den Wänden widerhallte.
„ Lass mich raus! Lass mich frei!“, kreischte ich mit meiner veränderten Stimme.
Ced schluchzte nur noch lauter, noch haltloser. „ Hör auf...hör auf...“, meinte ich ihn flehen zu hören.
Auf einmal raste unbändige Wut durch meinen ganzen Körper. Ich hasste ihn, ich hasste Cedric, dafür, dass er mich hier festgebunden hatte, dass er mich hier ausharren ließ, bis ich sterben würde vor Verlangen.
Mit unglaublicher Kraft bäumte ich mich auf und die Stricke, die mich festgehalten hatten, zerrissen mit einem lauten Knall. Ich rollte mich blitzschnell zu einer Kugel zusammen, um meinen gepeinigten Rücken zu entlasten, der nun von Schmerz durchdrungen war. Leise, knurrende Laute kamen aus meinem Mund hervor. Ich wusste, dass ich nun befreit war und Cedric töten konnte, falls ich es wollte. Aber solange ich hier zusammengekauert saß, konnte ich die Gier unterdrücken, dabei war ich mir sicher. Doch wie lange das funktionieren würde, war ungewiss.
Cedric beging den Fehler, mich anzusprechen. Dann beging er den nächsten Fehler: er näherte sich, obwohl er wusste, dass er sich in Lebensgefahr begab.
„ Eve? Bitte, du... du musst...“ Seine Stimme klang unerträglich, so weinerlich und gebrochen.
Mit einem Mal richtete ich mich auf und breitete meine Arme aus, während sich meine Flügel majestätisch auffalteten. Ich sah ihn an, wie er neben meinem Bett stand, und beobachtete, wie er vor meinem Blick aus den dämonenschwarzen Augen zurückschreckte.
„ Bitte... lauf...“, brachte ich krächzend hervor. „ Geh...“
Dann siegte wieder meine Wut. „ Ich hasse dich!“, brüllte ich ihn an.
Cedric Augen füllten sich mit Tränen, er machte einen Schritt zurück und starrte mich an.
„ Lauf!“, presste ich hervor. Mittlerweile stand ich in voller Statur auf dem Bett.
Doch er rührte sich nicht weiter vom Fleck. „ Wenn du mich töten musst, dann tu's...“, bat er. „ Besser, du ernährst dich von mir, anstatt von irgendwem anders.“
Ich schaute ihn an, und spürte Fassungslosigkeit in mir. Ich lechzte nach seinem Blut, keine Frage, aber konnte ich ihn töten? Ich liebte ihn doch. Das hatte ich immer. Und jetzt...
Lange Zeit wartete ich auf einen Impuls. Ein Zeichen, das mir sagte: Tu dies. Oder: Tu lieber das.
Aber es kam nichts. Die Entscheidung blieb alleine bei mir.
Allerdings wurde mir die Entscheidung zwei Sekunde später abgenommen. Die Tür wurde aufgestoßen und jemand kam herein. Ich brauchte nicht den Kopf zu wenden, um zu sehen, wer dort stand. Ich erkannte Nathan an seinem Geruch. An seinem Blut, das ungewöhnlich schnell für einen Menschen durch seine Adern floss.
„ Eve, schließ die Augen. Was siehst du?“, erklang seine Stimme.
Was war das fĂĽr ein Kinderkram? Wollte er mich verarschen?
Ich war plötzlich nicht mehr auf dem Bett, sondern daneben, in unmittelbarer Nähe von Cedric. Mit unmenschlicher Geschwindigkeit hatte ich mich bewegt.
„ Eve, tu, was ich dir sage!“ Nathans Ton war befehlend, doch seine Stimme war nicht gefestigt. Er hatte Angst. Vor mir.
„ Du hast mir gar nichts zu sagen!“, knurrte ich und ging auf ihn los. Im Bruchteil einer Sekunde war ich bei ihm und hatte meine krallenartigen Fingernägel ausgefahren. Mit einer Hand schleuderte ich ihn herum und stieß ihn gegen die Wand.
Nathan verteidigte sich erst nur halbherzig, doch dann, als er begriff, dass es wirklich ernst war, griff auch er an. Aber war nur ein Halbdämon. Ich war stärker. Hundertfach stärker.
Ich schubste ihn herum, schleuderte ihn mit aller Macht durch den Raum, und lebte all meine Dämonenkräfte an ihm aus. Ein normaler Mensch wäre längst tot gewesen, doch er war zäh. Ich fühlte nichts anderes mehr als Raserei, Wut und Gier nach Blut.
Als ich es nicht mehr aushielt, packte ich ihn fest an den Schultern, dann legte ich meine Hände um seinen Hals, um zuzudrücken.
„ Nein!“, schrie da Cedric hinter mir. „ Wenn du noch einen Funken menschliche Regung in dir hast, dann hör jetzt auf, Eve! Du kannst den Dämon noch aufhalten, die Verwandlung ist erst vollendet, wenn du menschliches Blut getrunken hast! Bitte, Eve, hör auf! Kämpfe dagegen an! Bitte!“
Ich sah Nathans schreckenstarre Augen vor mir, sein geöffneter Mund, sein hektischer Atem. Seine Arme hingen schlaff und wehrlos an seinen Seiten. Er wartete darauf, dass ich ihn umbringen würde.
„ Er hat Recht. Du kannst es noch stoppen, Eve. Du musst nur aufhören. Lass es nicht zu.“ Nathan blieb dennoch ruhig.
„ Ich kann nicht aufhören. Ich kann nicht aufhören“, wiederholte ich immer wieder monoton mit meiner Teufelsstimme.
„ Doch, du kannst es. Zwinge deinen Geist dazu, loszulassen. Löse ihn von der Gier des Dämons. Du musst das nicht tun. Der Fluch zwingt dich dazu, aber du musst mich nicht töten.“, beschwor Nathan mich immer weiter.
„ Hören dann diese Schmerzen auf?“, stöhnte ich.
„ Ja, sie verschwinden. Es dauert, aber sie gehen weg. Versprochen“, erwiderte Nathan. „ Du willst nicht als Dämon enden. Du willst keine Menschen töten. Du willst Cedric nicht töten. Hast du verstanden? Du willst das nicht tun.“
„ Ich kann nicht. Ich kann nicht dagegen ankämpfen. Es geht nicht weg. Es geht nicht weg, Nathan!“, brüllte ich ihn an.
Er blinzelte. Ich erkannte, dass ihm Tränen in den Augen brannten. „ Doch, Eve, es geht weg. Bitte vertrau mir. Lass mich los, und dann geht es weg. Ich werde dir etwas geben, das dir helfen wird. Tu es für Cedric. Bitte.“
Ohne dass ich es merkte, löste ich meine verkrallten Hände von seinem Hals. Mein ganzer Körper, der eben noch gebrannt hatte, fühlte sich nun an, als wäre er zu Eis schockgefroren. Meine trockene Kehle war ausgedörrt, doch auch dort brannte kein Feuer mehr. Ich starrte auf die blutroten Striemen an Nathans Hals, die ich wegen meines brutalen Zupackens verursacht hatte.
Das Blut duftete, es lockte, doch es kĂĽmmerte mich nicht mehr. Mir war unheimlich schlecht, und ich wandte mich zur Seite, um mich zu ĂĽbergeben.
An die nachfolgenden Minuten erinnerte ich mich nur noch verschwommen. Ich wusste noch, dass ich wieder in mein Bett gelegt wurde, wahrscheinlich trugen mich Nathan und Cedric dorthin. Dann gab man mir etwas Kaltes, Wohltuendes in den Mund, was meine Kehle hinunterrann und mich einschlafen lieĂź.
Als ich wieder erwachte, war der nächste Tag angebrochen. Ich hatte die Augen geöffnet, bewegte mich allerdings noch nicht. Dennoch sah ich Ced neben meinem Bett kauern, als wäre er mein Wächter. Er hatte das Gesicht in den Armen verborgen.
Ich versuchte, ihn auf mich aufmerksam zu machen. „ Cedric?“ Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich in diesem Moment vor Freude laut aufgeschrien, denn meine Stimme klang wieder halbwegs normal.
Er schreckte mit einem Mal hoch und starrte mich an. „ Du bist wach“, flüsterte er. „ Oh Gott, Eve, du bist so wunderschön. Deine Augen sind wieder normal. Alles.... alles ist gut.“
„ Ich sehe wirklich wieder normal aus?“, wollte ich fassungslos wissen. Wie war das möglich? Hatte sich die Verwandlung tatsächlich wieder rückgebildet?
„ Nathan hat dir ein Gegenmittel gegeben. Er hatte es von seinen Eltern, zu denen er in den letzten Tagen gereist war. Sie hatten dieses Mittel, seit Nathans Bruder zum Dämon wurde. Ich bin ihm so dankbar“, schluchzte Ced. „ Er hat dich wiedergeholt. Er hat dich gerettet. Und er hat dich tausendmal mehr verdient als ich. Ich konnte dir nicht helfen. Ich konnte einfach nur dasitzen und heulen.“
„ Abe- aber Ced...“, begann ich. „ Er hat mich vielleicht gerettet, aber der einzige, mit dem ich zusammen sein will, bist du. Du warst die ganze Zeit da, auch wenn du nichts tun konntest. Du warst da.“
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