
von MarauderGirl
Ich war immer schon der Meinung gewesen, dass man den Wert von Freundschaft nicht mit Quantität messen konnte. Meine Mutter war der Meinung, dass es sich sehr viel besser machte, wenn man mehr als, wie in meinem Fall eben, nur einen besten Freund hatte. Aber die Ansichten meiner Mutter waren schon immer das absolute Gegenteil von meinen gewesen. Sie war Redakteurin eines Zauberermagazins, das sich „The beautiful side of magic” nannte und, wie der Name vielleicht schon verraten hatte, ging es darin hauptsächlich nur um Mode und Klatsch.
Möglicherweise war dieses Magazin daran schuld, dass meine Mutter sich mit Vorliebe über mein Aussehen und meine Klamotten aufregte. Es war nicht so, dass sie mich nicht hübsch fand, denn immerhin war ich ja ihre Tochter, es war eher so, dass sei mit meinem Stil nicht ganz zurecht kam. Sie hatte es schon immer gehasst, wenn ich mir meine schwarzen Locken so frisierte, dass nur mehr die Hälfte meines linken Auges zu sehen war. Das hatte allerdings andere Gründe als meine Mutter immer vermutete. Denn im Gegensatz zu der Befürchtung meiner Mutter, dass ich mein (ich zitiere) ‚wunderschönes Gesicht’ hinter einer Wand versteckte, war der wahre Grund der, dass mein achso schönes Gesicht nicht mal annähernd schön war, denn genau neben meinem linken Auge war eine hässliche, ungefähr zwei Zentimeter lange, Narbe, die ich mit meinen Haaren zu verstecken versuchte. Warum ich dieses schöne Überbleibsel meiner Kindheit habe, ist so ein Thema, über das ich nicht besonders gerne sprach und dass es diese Narbe überhaupt gab war auch nur meiner Familie und meinem besten Freund Oliver bekannt.
Und auch mit der Wahl meiner Klamotten war meine Mutter nicht besonders einverstanden, denn ich mochte eher weitere und lockere T-Shirts und Hosen, als körperbetonte Sachen. Und ein Rock oder ein Kleid kamen mir sowieso nie in den Sinn. Aber deswegen bin ich nicht, wie meine Mutter immer behauptete, burschikos oder ähnliches, denn meiner Meinung nach bemerkte man noch genug, dass ich ein Mädchen war.
Meine liebe Schwester Jenny dagegen, die ein Jahr jünger war als ich, war das komplette Gegenteil von mir. Sie liebte feminines Gewand und außerdem war sie blond und hatte braune Augen (von unserer Mutter) und ich hatte blau-graue Augen (hatte ich von meinem Dad geerbt, den ich übrigens nicht kannte).
Aber der größte Unterschied zwischen uns beiden war wohl der, dass sie sich eher für Jungs und solche Dinge interessierte, während ich mit diesem Thema überhaupt nichts anfangen konnte und mich lieber in meiner Kunst verkroch. Ich war jetzt nicht die super tolle Künstlerin, doch ich hoffe sagen zu können, dass es schlechtere als mich an Hogwarts gab.
Ach ja, Hogwarts. Heute fuhr ich zum allerletzten Mal mit dem Hogwartsexpress zu dieser wundervollen Schule, denn dann hatte ich (hoffentlich) meinen Abschluss.
Gerade eben kämpften Oliver und ich uns durch den schmalen Gang, auf der Suche nach einem leeren Abteil. Wie beinahe jedes Jahr hatten wir es uns auch heute nicht nehmen lassen, kurz vor der Abfahrt am Bahnhof aufzutauchen. Und wie jedes Jahr war auch diesmal wieder Jenny schuld. Ich mochte meine Schwester echt verdammt gerne, aber wenn sie über zwei Stunden im Bad brauchte und dann mir die Schuld an unserem zu spät kommen gab, musste ich mich echt beruhigen um nicht das Monster, das tief in mir verborgen hinter der netten Versade kauerte und immer wieder auf seinen Einsatz wartete, hervorkommen zu lassen.
„Schaut nicht so aus, als wäre noch was frei…“, knurrte Oliver genervt, als wir am Ende des Ganges angekommen waren und ließ sich auf seinen Koffer fallen. „Schätze mal wir müssen uns zu Jenny setzen.“
Wenig begeistert zog ich eine Schnute und überprüfte noch mal die letzten vier Abteile. Doppelt hielt schließlich besser, doch auch diesmal war ich nicht vom Glück verfolgt. Eher vom Pech.
„Schaut so aus…“, murrte ich, als ich wieder neben Oliver stand und bedachte die doofen Erstklässler, die das Abteil vor dem wir saßen für sich beansprucht hatten, mit bösen Blicken. Doch die grinsten bloß unbeeindruckt zurück. Soviel zum Thema Respekt vor dem Alter…
Ich atmete noch einmal tief ein und ging dann den Gang zurück bis zu dem Abteil in dem meines Wissens nach Jenny sein sollte. Tatsächlich saß sie dort mit zwei ihrer Möchtegern-Model-Freundinnen, die sich offensichtlich gerade über irgendwas totlachten.
„Hey, Jenny“, sagte ich betont freundlich, als ich die Türe zur Seite geschoben hatte.
„Hi“, antwortete diese recht kühl. Achso, hatte sie also heute wieder ihren Ich-hasse-meine-Schwester-Tag? Der kam leider alle paar Tage mal vor und nervte mich extrem. „Was willst du, Cassy?“
„Also ähm…“ Die hochnäsigen Blicke ihrer Freundinnen brachten mich aus dem Konzept. „Dürfen wir uns vielleicht zu euch setzten?“
„Wir?“, fragte Jenny und sah suchend hinter mich. Typisch Oliver. Er war lieber ein paar Meter entfernt stehen geblieben um diesem Gespräch aus sicherer Entfernung lauschen zu können. Jaja, die liebe Cassy würde das schon regeln.
„Oliver!“, zischte ich durch zusammengepresste Zähne und winkte ihm wie eine Verrückte. Er erbarmte sich netterweise dazu, zu mir zu schlendern und sobald er im Sichtfeld meiner lieben kleinen Schwester war, begann ihr Gesicht zu strahlen. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass Olivers Eltern ursprünglich aus Schweden kamen und dass er das Glück gehabt hatte und tatsächlich die strahlend blauen Augen und die naturblonden Haare, auf die die Mädchen nur so abfuhren, geerbt hatte.
„Aber sicher dürft ihr euch zu uns setzten“, versicherte Jenny uns plötzlich mit einem freundlichen Lächeln. Ich würde das jetzt nicht persönlich nehmen. Jenny deutete Oliver sich zwischen ihr und ihrer braunhaarigen Freundin, ich glaube sie hieß Tina, zu setzen. Ich hatte die Ehre neben ihrer anderen Freundin zu sitzen. Wenn ich mich richtig erinnerte hieß sie Wilma und war im Gehirn mindestens genauso blond wie auf ihrem Kopf. Sorry, war nicht gemein gemeint – war einfach nur eine Tatsache, die ihre Noten bestätigten.
Fasziniert beobachtete ich Jenny dabei, wie sie sich an Oliver ranschmiss – vergeblich, dessen war ich mir sicher, denn immerhin kannte ich ihn gut genug um zu wissen, dass er nicht auf solche billigen Schleimereien hineinfiel. Was mich aber wirklich verwunderte, war die Tatsache, dass Jenny noch immer jedes Mal fast durchdrehte wenn sie ihn sah. Man bedenke bitte, dass sie meine Schwester und er mein bester Freund war und sie sich beinahe täglich sahen. Aber das war eben Jenny. Typisch, verwöhnte kleine Schwester.
„Und Oliver? Wie waren deine Ferien?“, fragte Tina zuckersüß und fuhr sich theatralisch durch ihre lange Mähne.
„Ganz okay“, antwortete Oliver und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Sogar ein Blinder hätte gemerkt, dass er sich mehr als unwohl fühlte. Man könnte dies sowohl auf seine Schüchternheit, als auch darauf, dass die beiden Mädchen ihn sichtlich zu nahe rückten, schieben.
„Was hast du denn gemacht? Cassy hat mir erzählt, dass du ihr einen Brief aus Rom geschrieben hast“, sagte Jenny und warf mir einen kurzen Seitenblick zu. In Wahrheit hatte sie Olivers Brief auf meinem Schreibtisch gefunden und einfach mal so durchgelesen. Meine Privatsphäre war ihr egal. Außerdem war ich ihrer Meinung nach selbst Schuld, wenn ich mein Zimmer nicht abschloss und eigentlich suchte sie ja bloß eine Zeitschrift.
Aber bitte glaubt jetzt nicht, sie wäre ein Miststück oder so, denn das war sie (meistens) nicht. Meine Mutter, Jenny und ich waren wie Pech und Schwefel und wenn es hart auf hart kam, hielten wir bis jetzt immer noch zusammen. Außerdem würde ich sie gegen nichts auf der Welt eintauschen. Wäre ja total langweilig so ein Leben ohne meine Jenny.
Während Oliver allerdings noch von den drei Sechstklässlern ausgefragt wurde schaltete ich auf Durchzug. Es gab wohl nichts von alledem was er erzählte, was ich nicht eh schon wusste. Immer mal wieder warf ich ihm dezente mitleidige Blicke zu, die er bloß mit einem kleinen bösen Blick kommandierte. Jaja, sein gutes Aussehen brachte ihm doch so einige Nachteile. Bin ich froh, dass ich nicht so aus der Masse hinausstach.
Um gleich mal eine Frage vorweg zu nehmen, die mir schon verdammt oft, bevorzugt von meinem Mutter und Jenny, gestellt wurde: Warum war ich nicht mit Oliver zusammen? Ganz einfach: Erstens empfanden wir beide bloß Freundschaft füreinander, zweitens war er so was wie ein Bruder für mich und drittens wollten wir beide das alles nicht wegen einer, für uns total sinnlosen Beziehung, aufs Spiel setzen.
„Und warst du auch bei deinen Großeltern in Schweden?“, fragte Wilma plötzlich neben mir und ließ mich zusammenzucken. Ich hatte schon beinahe vergessen, dass sie neben mir saß. Dieses stille Mäuschen.
Gerade als Oliver zu einer Antwort ansetzte, riss jemand die Abteiltür auf und Lily Evans, Vertrauensschülerin unseres Hauses Gryffindor, erschien in der Tür. Erleichtert schloss Oliver, der übrigens ein Ravenclaw war, seinen Mund. Wahrscheinlich würde er sich gerne tausend Mal bei ihr bedanken, aber das war eben nicht so seine Art.
„Entschuldigt wenn ich störe“, meinte Lily mit einem freundlichen Lächeln, „aber ich mache gerade meine Runde und wollte fragen, ob bei euch alles okay ist.“
„Ja, danke“, antwortete ich mit einem mindestens genauso freundlichen Lächeln. „Alles in bester Ordnung.“
„Sehr gut“
„Lily!“, rief plötzlich jemand im Gang, den wir von unserem Sitzplatz aus nicht sehen konnten und Lily überdrehte genervt die Augen.
„Was ist, Sirius?“, fragte sie und drehte sich widerwillig zu ihm. „Ich komm’ ja eh schon wieder.“ Und nachdem sie uns noch einmal zugenickt hatte, war sie auch schon wieder verschwunden. Jaja, immer dieser Stress.
„Habt ihr schon gehört“, begann Tina verschwörerisch, sobald Lily außer Hörweite war, „Lily soll jetzt endlich mit James zusammen sein!“
„Was?! Wirklich?“, fragten Wilma und Jenny wie aus einem Mund.
Als Tina nickte, meinte Jenny entrüstet: „Schon wieder ein fescher Typ weniger…“
„Wurde ja auch mal Zeit, dass die zusammenkommen“, murmelte ich und Oliver nickte zustimmend. Die anderen drei bedachten mich mit tödlichen Blicken. Sollten die sich eben aufregen, ich fand es gut, dass Lily und James endlich zusammen waren. Immerhin versuchte er schon ewig lange sie für sich zu erobern. So viel Ausdauer hatte wirklich mal belohnt gehört.
„Wie auch immer…“, meinte Tina schließlich und setzte erneut zu einem Schwall Fragen über Olivers Leben an. Sie hatte noch nie so eine Chance um alles über ihn in Erfahrung zu bringen, weshalb sie anscheinend beschlossen hatte diese mehr als nur zu nützen.
Erst als es Zeit war unsere Umhänge anzuziehen, wurde Oliver von seinem Leiden erlöst, denn Jenny und ihre Freundinnen sahen das ‚Verhör’ anscheinend für beendet. Als der Zug vor Hogwarts anhielt beeilten Oliver und ich uns, sodass wir eine Kutsche ohne meine Schwester und deren Freundinnen bekamen. Sorry, Jenny. Aber sie war einfach unerträglich heute.
„Falls ich irgendwann mal wieder Lust haben sollte mit dir zu sprechen, werde ich dir sagen, dass ich dich hasse“, sagte Oliver mit ruhiger Stimme und funkelte mich böse an.
„Was denn?“, fragte ich lachend. „Es war immerhin deine Idee, dass wir uns zu Jenny setzen.“
„Aber sie ist deine Schwester“, meinte er, als würde das alles sagen. Kopfschüttelnd tat ich dies ab und sah dem wunderschön erhellten Schloss entgegen. Ich war mir sicher, dass er nicht wirklich wütend auf mich war und tatsächlich unterhielten wir uns beim Abendessen, als wäre nichts gewesen. Wir maulten und lachten über die schrägen Menschen, die sich teilweise in dieser Schule aufhielten und waren beide gleichermaßen fasziniert davon, wie Rund doch die Brötchen waren. Okay, wir waren vielleicht schräger als alle anderen hier, aber uns und unseren etwas gestörten Humor musste eh niemand verstehen. Tat auch niemand.
Das einzige, was uns von den Brötchen ablenkte, war die Faszination, die von Lily ausging. Wie konnte sie es bitte zwischen den lärmenden Maraudern am Tisch aushalten? Okay, einer davon war ihr Freund aber die anderen? Was bitteschön brachte Lily dazu Sirius, einen verdammten Casanova, Remus, einen Bücherwurm, oder Peter, eine kleine hässliche und fette Ratte, auszuhalten? Weder Oliver noch ich hatten eine Erklärung dafür – wahrscheinlich gab es auch keine.
Als ich wenig später in mein kuschelig weiches Bett fiel, waren jegliche Gedanken über Jenny, Lily und die Marauder verschwunden und alles was noch zählte, waren mein Bett, meine Gedanken und diese hinterhältige Müdigkeit, die mich gerade übermannte.
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