von MIR
Auch in den nächsten Tagen musste Annie immer wieder an ihren Besucher denken. Immer mehr hoffte sie, dass er doch noch einmal vorbei kommen würde.
Aber niemand kam.
„Vielleicht morgen...“, tröstete sie sich jeden Abend.
Doch auch der nächste Tag brachte keinen ungewöhnlichen Besucher.
Wahrscheinlich hatte sie ihn von Anfang an richtig eingeschätzt, dennoch sie hätte gerne noch einmal mit ihm geredet, ohne Spione.
Schließlich entschloss sie sich, selbst die Initiative zu ergreifen. Aber das war gar nicht so einfach.
Wo sollte sie suchen, wie sollte sie in Kontakt mit ihm treten?
Sie wusste nicht, wo er wohnte, hatte keine Telefonnummer und war sich auch nicht sicher, ob sie das St. Mungo–Hospital wiederfinden würde.
Vielleicht konnte man ja dort anrufen!
Die Telefonauskunft war leider der Meinung, dass es kein Krankenhaus mit diesem Namen in London gäbe.
Es war zum Verzweifeln! Was konnte sie jetzt noch tun? Nach London fahren und selbst suchen? Es war der einzige Anhaltspunkt, den sie hatte, aber es war verkehrt! Selbst wenn sie tatsächlich den Eingang zum Hospital entdecken würde: Hatte sie nicht beim letzten Besuch alles getan, um den Eindruck zu erwecken, gar nichts mehr zu wissen?
Sie würde sich und Hipp verraten und alles wäre umsonst gewesen!
In den nächsten zwei Wochen wurde Annie Stammgast bei „Ice-Cream-Jack“ in der Baker-Street. Jeden Abend um 19.00 Uhr saß sie dort und bestellte einen Schokobecher. Die Wahrscheinlichkeit, dass dort nochmal ein Zauberer auftauchen würde, war gering, aber irgendetwas trieb sie immer wieder dorthin.
***
Doch eines Abends betrat tatsächlich Hippocrates Smethwyck den Gastraum. Er setzte sich an den Nachbartisch und bestellte ebenfalls einen Schokobecher.
Annie starrte ihn an: Was sollte sie jetzt tun?
Schließlich nahm sie all ihren Mut plus den Eisbecher und setzte sich dazu.
Der neue Tischnachbar sah sie. „Na? Nochmal nachgedacht? Soll's vielleicht doch ein neues Staubsaugermodell sein?“
„Lass den Quatsch!“, fauchte sie, „Du weißt so gut wie ich, dass du einen ganz anderen Beruf hast!“
„Oho! Ganz plötzlich ist die Erinnerung wieder da? Was sollte dann das Theater bei meinem letzten Besuch?“
„Was das Theater sollte?!!! Das fragst du mich? Nach der Show, die du abgezogen hast!!!“
„Ich habe doch nur versucht, Kontakt aufzunehmen! Ich dachte wirklich, du weißt nichts mehr. So hat Ben es mir berichtet.“
Nun verschlug es Annie fast die Sprache, doch dann entgegnete sie: „Heißt das, es gab gar keine Spione? Heißt das, du hieltest dein Werbeprogramm einfach für eine ideale Anmache?!“ Beinah hätte sie gelacht.
Jetzt sah Hipp total verwirrt aus. Das passte so gar nicht zu dem, was er sich zusammengereimt hatte. Und was für Spione meinte sie bloß?
***
Die Eisbecher waren zu einer klebrig braunen Soße zusammen gesunken, als sie endlich alles geklärt hatten. Annie wurde warm um's Herz, wenn sie an den kleinen Jungen dachte, der beinahe ertrunken war. Sie hatte ihn ein paar mal gesehen, als er seine Eltern besuchte. Nur seinetwegen war die Verabredung geplatzt.
Auch Hippocrates war irgendwie gerührt: Sie hatte sich also nur verstellt, um ihn zu schützen! Sie hatte die Gefahr ernster genommen als er. Wie bedrohlich musste die Zauberwelt auf sie wirken!
Ob sie ihn wohl doch ein kleines bisschen mochte?
„Meinst du, wir sollten es einmal miteinander versuchen?“ Der Satz war ihm rausgerutscht, ehe er richtig darüber nachgedacht hatte. Er macht sich schon auf eine Abfuhr gefasst, doch sie lächelte, als sie sagte: „Na ja, wenn wir nicht direkt heiraten müssen, ist es wohl einen Versuch wert.“
Zaghaft nahm er ihre Hand in seine. Schon diese Berührung war wie ein elektrischer Schlag für sie.
Dann stand er auf und zog sie feste an sich. Und während ihr Herz zu fliegen begann, küsste er sie. Erst vorsichtig, dann inniger und beide versanken in einer Welt, die sie alles um sie her vergessen ließ. All das verzweifelte Hoffen der letzten Wochen hatte nun Erfüllung gefunden.
***
Als sie sich – irgendwann – wieder lösten, stand Jack neben ihnen und grinste: „Ich hab ja hier schon einiges erlebt, aber so eine Nummer hatten wir lange nicht mehr! Zur Feier des Tages spendiere ich euch ein neues Eis, oder habt ihr noch Appetit auf die Soße?“
„Wie? ...Ähm ...ja ...nein ...danke!“
Jack brachte den Spezial-Partner-Becher für zwei Personen, der sehr lecker aussah, und zwinkerte: „Haltet ihr es überhaupt noch so lange aus, bis ihr allein sein könnt?“
***
Die nächsten Tage waren rosarot. Beide waren glücklich und schwebten auf Wolken, wenn sie romantische Stellen der Muggelwelt besuchten, kleine Ausflüge machten oder sich einfach nur in Annies oder Hipps Wohnung trafen.
Stundenlang konnten sie darüber reden, wie sehr sie sich liebten, und wie wunderbar der jeweils andere war.
Aber sie erzählten sich auch viel über ihre unterschiedlichen Herkunftswelten. Hipp als Reinblüter wusste fast nichts über Muggel und Annie hatte natürlich noch keinen großen Überblick über die Vielfalt der Zaubererwelt.
Als Hipp ihr einmal ausführlich die verschiedenen Alltagszaubereien erklärte, hakte Annie nach: „Darfst du mir das alles überhaupt mitteilen? Oder müssen wir immer noch allen vormachen, dass ich keine Ahnung habe? Immerhin sind wir nach wie vor nicht verheiratet.“
„Soll das ein Antrag sein?“, grinste Hipp, „Wir können sofort eine Zeremonie anmelden...“
„Du weißt, was ich meine! Also, bitte mal eine ernsthafte Antwort!“, erwiderte Annie.
„Na schön. Also, offiziell ist es tatsächlich so, dass ich dich erst nach der Hochzeit einweihen dürfte. Dieses Gesetz ist schon sehr alt und nie geändert worden. In der Praxis lässt sich das aber gar nicht durchhalten. Die wenigen Ehen, bei denen der magische Partner wirklich so lange geschwiegen hat, sind oft zerbrochen, nachdem der andere die Wahrheit erfahren hat. Oder sehr unglücklich geworden.
Ben erzählt mir da immer so eine Horror-Story von seiner Tante Eileen. Sie hat einen Muggel geheiratet, der...“
„Das will ich jetzt gar nicht wissen. Was ist mit uns?“
„Schön. Nun ja, ganz einfach: Bei einer ernsthaften Partnerschaft wird es heutzutage auch toleriert. Sonst wäre in Askaban kein Platz mehr für Verbrecher und Todesser. Bei einer Trennung wird allerdings wieder jemand zum Löschen der Erinnerung vorbei geschickt. Und das darf nicht der Ex-Partner machen, ...auch wenn er Heiler ist.“
„Aha, du planst also zum Ex-Partner zu werden?“, neckte sie ihn.
Er zog sie an sich und sah ihr in die Augen, gab ihr einen Kuss und schob sie wieder von sich.
„Mal überlegen...“, sagte er und küsste sie erneut.
„Nein, ich glaube nicht!“, resümierte er schließlich.
***
Zwei Tage später war es soweit: Hipp wollte Annie endlich einmal die Winkelgasse zeigen. Gemeinsam würden sie durch die magischen Geschäfte schlendern und sich zum Abschluss bei Florean Fortescue mit ein paar Bekannten von Hipp zum Eis essen treffen.
Hipp versprach, dass es dort aufregende Eissorten geben würde, aber Annie war viel neugieriger auf seine Zaubererfreunde.
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