von MIR
Es war Ben Derwent.
Hatte er etwa die “Briefe” geschrieben? Das konnte sie sich nun gar nicht vorstellen. Ihn konnte sie noch weniger leiden, als seinen Kollegen. In seiner Gegenwart hatte sie immer das Gefühl gehabt, dass er sich für etwas Besseres hielt. Dass er glaubte, dass “Muggel” weniger wert waren.
Hätte er die letzte Behandlung durchgeführt, säße sie jetzt nicht hier. Da war sie sich sicher! Dann hätte sie keine Ahnung mehr von all dem. Keine Erinnerung mehr an irgendwelche Zauberer.
Wie ein Stromschlag durchzuckte sie nun die Erkenntnis, dass er vielleicht genau deshalb hier war. Um die Gedächtnislöschung nachzuholen, die Hippocrates versäumt hatte.
Wie hatte er das rausgefunden? Oder war es nur ein Verdacht?
Sollte sie abhauen? Oder sich einfach dumm stellen? So tun, als hätte sein Kollege das Gesetz doch befolgt?
Wenn sie die Flucht ergriff, war sofort klar, dass sie noch alles wusste und Hippocrates konnte in diesem Zauberergefängnis landen.
Das zu verhindern war sie ihm wohl doch schuldig. Also blieb sie.
Zielstrebig kam Ben Derwent auf sie zu.
„Hallo, Sie wissen sicher noch, wer ich bin...“, begann er und setzte sich zu ihr.
Sie sah ihn verständnislos an. „Ich glaube nicht, dass wir uns kennen und auf so eine primitive Anmache stehe ich auch nicht.“
Sie signalisierte, dass sie bereit war zu gehen.
„Aber … das Krankenhaus … Sie waren Patientin …“
„Ach, Sie sind Arzt? Tatsächlich?“ Sie musterte seine ausgefallene Kleidung.
„Tut mir Leid, ich habe leider ein paar Erinnerungslücken, was meine Zeit in der Klinik betrifft.“
Jetzt war er relativ sprachlos. „Aber ich dachte...“, brachte er noch hervor.
„Waren die Zettel von Ihnen?", wollte Annie jetzt wissen, "Wie haben Sie es geschafft, die Eule zu dressieren? So etwas habe ich noch nie gesehen.“
„Die Eule? Ach so … ja … nein. Eigentlich waren die Zettel nicht von mir, sondern von meinem Freund....“
„Wissen Sie was, das Ganze wird mir allmählich zu bunt!“
Annie stand auf, ging zur Theke, um den Schokobecher zu bezahlen und verließ das Café.
Ben sah ihr irritiert nach. Wie sollte er das bloĂź Hipp beibringen?!
„Möchten Sie etwas bestellen?“
„Ähm, ach so … zwei Kugeln Berties-Bohnen-Eis bitte!“
„Wie bitte?“, fragte die Bedienung erstaunt.
„Bertie... ach nein, lassen Sie. Ich glaube, ich gehe jetzt lieber.“
***
„Sie kann sich an nichts erinnern?!“, wiederholte Hipp, nachdem Ben ihm alles erzählt hatte, „Und du bist sicher, dass du da nicht selbst deine Finger im Spiel hattest?“
„Nein, hatte ich nicht!“, erwiderte Ben ärgerlich, „obwohl ich dich nicht gerne in Askaban gesehen hätte! Aber das hat sich ja nun erledigt. Ich kann sowieso nicht verstehen, wieso du wegen dieser Zicke ein solches Risiko eingegangen bist!“
„Zicke?! Weißt du, es war wohl doch ein Riesenfehler, dich zu schicken!“
„Allerdings! Aber unser Mr. Super-Heiler-Fluch-Brecher hatte ja Wichtigeres zu tun, als sich um sein eigenes Rendezvous zu kümmern!“
„Meinst du, das ist mir leicht gefallen?!!“ Hipp schrie jetzt, „Nach allem, was ich vorher veranstaltet habe, um sie dorthin zu lotsen? Aber es war ein Notfall! Ein Notfall!!! Der kleine Neville... Die Familie hat wirklich schon genug mitgemacht!“
„Ja, ich weiß. Du hast recht“, antwortete Ben jetzt in versöhnlicherem Ton, „Ich meine ja nur, dass du nicht der einzige Heiler hier bist. Auch wenn wir anderen nicht so einen tollen Ruf haben...“
„Es reicht, Ben! Wenn du ihn lieber behandelt hättest, hättest du das vorher sagen müssen! Dann wäre ich liebend gerne zu meiner Verabredung gegangen!“
„Wer' s glaubt...“, murmelte Ben leise vor sich hin.
***
Also musste er nochmal ganz von vorne anfangen. Hipp überlegte hin und her, wie er das wohl am gescheitesten anstellen könnte. Vielleicht war es ja sogar ein Vorteil, wenn sie ihn nicht mehr erkannte, irgendwie hatte sie immer wütend auf ihn reagiert.
Vielleicht wĂĽrde er sich beim zweiten Mal ja besser anstellen.
Irgendwie wollte ihm einfach keine originelle Idee kommen und so beschloss er sie ganz einfach in ihrer Wohnung zu besuchen. Er war schon einmal bei einem Muggel zu Besuch gewesen und hatte erlebt, was man sagen musste, wenn man als Fremder einfach so klingelte.
Wo sie wohnte, wusste er längst. Er apparierte in den Hausflur und klingelte dann an der Wohnungstür.
Schritte kamen näher und schließlich öffnete sich die Tür. Endlich stand sie vor ihm. Er strahlte sie an.
Annie war nur kurz überrascht. „Aha! Jetzt bin ich aber auf eine Erklärung gespannt!“, sagte sie und hoffte, endlich die gestrigen Ereignisse zu verstehen.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber haben Sie einen Staubsauger?“
„Waaas?!“ Alles hatte Annie erwartet, aber nicht das.
„Wenn er von unserer Firma ist und Sie irgendwelche Probleme damit haben, kann ich mir das Gerät mal ansehen. Diesen Service bieten wir unseren Kunden – umsonst.
Falls Sie eine andere Marke besitzen, kann ich ihnen gerne die Vorteile unseres Gerätes erläutern und vorführen.“
Wieder strahlte er.
Normalerweise hätte Annie einem derartigen Vertreter sofort die Türe vor der Nase zugeschlagen, aber sie wusste ja ganz genau, dass es dieser Heiler war. Oder hatte er einen Doppelgänger oder Zwillingsbruder?
„Moment mal! Langsam! Was soll das jetzt?“
„Unser einziges Ziel ist Hausfrauen wie Sie glücklich zu machen. Ärger über Staub und Schmutz sind schnell vergessen, wenn man unseren fantastischen...“ Hipp leierte herunter, was er vorher perfekt gelernt hatte.
„Stopp!!!“, schrie Annie jetzt, „Wer. Sind. Sie?!!“
„Mein Name ist Hippocrates Smethwyck von der Firma...“
„Das reicht!“, unterbrach sie ihn. Also doch! Er war es. Aber was sollte dieses Theater?
Wurde er überprüft? Hatte Mary nicht erzählt, dass manche Zauberer auch unsichtbar sein konnten? Vielleicht standen ja Kontrolleure neben ihm und er konnte nicht frei reden?
„Ich bin ganz zufrieden mit meinem Staubsauger, auch wenn er von einer anderen Marke ist, aber Sie können trotzdem hereinkommen und einen Tee trinken, falls Sie eine Pause gebrauchen können.“
Annie wollte ihm wenigstens die Gelegenheit geben, eine geheime Botschaft los zu werden, falls er deshalb gekommen war.
Hipp freute sich: Das lief ja wie am Schnürchen! Wie gut, dass er sich vorher informiert hatte, wie man Muggel ansprechen kann. So schnell hätte sie einen Wildfremden sicher sonst nicht in ihre Wohnung gebeten.
Er folgte ihr in die KĂĽche, wo sie Teewasser aufsetzte.
„Ich bin mir nicht sicher, ob die Luft rein ist“, erklärte sie zögernd und hoffte, dass er ihre Metapher aufgreifen würde.
Das tat er auch, aber so perfekt, dass sie damit nicht wirklich etwas anfangen konnte: „Unsere Staubsauger haben ein ideales Mehrfach-Filtersystem. Staubmilben haben keine Chance. Vielleicht sollten Sie ihre Wahl noch mal überdenken.“
Es irritierte sie, dass er seine Rolle so gut spielte. Wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass die „Luft eben nicht rein“ war? Wahrscheinlich schon.
Sie seufzte.
Endlich kochte das Wasser. Sie brĂĽhte den Tee auf und bat den Gast, im Wohnzimmer Platz zu nehmen.
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