Geheimnisvolles Gefühl - Teil 1
Der Gefangene kauerte reglos in seiner Zelle und lauschte dem geisterhaften Echo der leise geflüsterten Worte nach, die nur begleitet und untermalt wurden vom schaurigen Klang der Stille.
„Heißt das, du besuchst mich nicht mehr?“
Worte, welche davon zeugten, wie sehr Nurmengard ihm zusetzte. Worte, welche die Gefühle preisgaben, welche die kalte Schwärze des Verließes in ihm heraufbeschwor. Worte der Angst, der Schwäche und der Einsamkeit.
Ja, Gellert Grindelwald, der beinahe sein ganzes Leben lang ein gnadenloser Einzelkämpfer gewesen war, der für andere nichts weiter übrig gehabt hatte als entweder ein flüchtiges Lachen oder einen gut platzierten Fluch, der ganz allein die Welt hatte verändern wollen - Gellert Grindelwald fühlte sich einsam.
Die kalte Schwärze des Verließes und die erbarmungslose bleierne Stille, die sich so unaufhaltsam auf ihn legte wie sachte fallender Schnee, machten ihm schlimmer zu schaffen als er jemals geahnt hätte. Die bedrückende Enge der unnachgiebigen steinernen Mauern, die ihn gefangen hielten, und der Abgrund aus Leere und Aussichtslosigkeit, der sich vor ihm auftat und ihn zu verschlingen drohte, wann immer er Antworten oder auch nur ein wenig Ablenkung zu finden hoffte, brachten ihn beinahe um den Verstand. Am allerschlimmsten jedoch war und blieb diese mächtige, dröhnende Stille, die schwer auf seiner Seele lastete und die ihm stumm zuflüsterte, was er mittlerweile auch selbst erkannt hatte: Es gab kein Entkommen. Er war ganz sich selbst ausgeliefert. Er hatte nichts weiter als seine Erinnerungen, seine Empfindungen und Gedanken. Und das einzige, was in seiner Macht stand, bestand darin, diese Gedanken auf etwas weniger düstere und bedrückende Pfade zu lenken.
Wenn dies tatsächlich Albus' letzter Besuch gewesen war und sie sich nicht mehr wiedersehen sollten, dachte der Gefangene in einem Anflug wehmütiger Nostalgie, so musste er sich diesen Besuch umso fester einprägen, um später davon zehren zu können in seiner selbst verschuldeten Einsamkeit. Musste die letzten Minuten noch einmal Revue passieren lassen und dabei Einzelheiten festhalten, die ihm zuvor in der Gegenwart gar nicht richtig aufgefallen waren.
Der lange, traurige Blick, den Albus ihm zugeworfen hatte, als er sich selbst nichts weiter als einen gescheiterten schwarzen Magier geheißen hatte ... Bereitete Albus sein Sieg vielleicht wirklich keine allzu große Freude? ... Diese unverändert ruhige Stimme, ganz gleich, welches noch so schmerzhafte Thema sie auch angeschnitten hatten ... Wie konnte ein Mensch nur so verdammt gefasst und gelassen sein? Ob es in Albus' Innerem wohl genauso ruhig und gelassen aussah wie er sich gab? ...
„ ... dass Macht nicht für meine Hände bestimmt ist. Das habe ich durch dich gelernt.“ ... Wie konnte er nur so etwas sagen? Sie hätten doch gemeinsam so groß sein können! Und Albus könnte es immer noch ... Einst hatte er geglaubt, diesen Menschen zu kennen ... Jetzt fragte er sich, ob er ihn wohl je verstehen würde ... Ob es Albus genauso erging? ... Er hatte sich nicht gewehrt, als sein Bruder ihm die Nase zertrümmert hatte ... Wann hatte er sich nur so sehr verändert? Der Albus, den er damals kennen gelernt hatte, war doch so stark gewesen ... Aber vermutlich würde er jetzt sagen, dass das wahre Stärke sei, sich nicht zu wehren ...
Er hatte gesagt, dass ihn nicht nur die Furcht vor jener letzten Wahrheit aufgehalten hatte, sondern „noch etwas anderes“ ... Aber was? ... Die Tatsache, dass sie einst Freunde gewesen waren? Oder doch etwas ganz anderes? ... Warum konnte dieser Mann sich nicht einmal klar äußern? Würde ihm deswegen gleich ein Zacken aus der Krone brechen? ... Nun ja, Aberforth hatte ja schon immer gepredigt wie Andere das Morgen- und Abendgebet, dass Albus ein verfluchtes Naturtalent in Sachen Geheimniskrämerei sei ... Unrecht hatte er damit nicht gerade gehabt, selbst wenn er ansonsten ziemlich unterbelichtet war ...
Ob es richtig gewesen war, Albus diese grauenhafte Erinnerung nicht zu zeigen? ... Aber solche Bilder quälten einen doch bestimmt schlimmer als jede Ungewissheit, oder etwa nicht? ... „Sogar meine Grausamkeit hat ihre Grenzen“ - was für ein interessanter Ausspruch aus seinem eigenen Mund ... Das war ihm bis dahin gar nicht so richtig bewusst gewesen ...
Albus hatte den Teddybären in seine Robe gepackt und ihn wieder mitgenommen ... Dabei hätte er ihn doch jetzt so dringend gebraucht wie nie! ... „Wenn du dich ganz einsam fühlst, dann kannst du ihn drücken und in Arm nehmen“, hatte sie gesagt ... Er fühlte sich ganz einsam ...
Was hatte Albus wohl zu den Briefen fragen wollen? ... Aber er hatte ja selbst gesagt, dass es ihm nicht so wichtig sei ... Ob das wohl gestimmt hatte? ... Immerhin hatte er sie ihm dagelassen ... Daran konnte er sich klammern, sich ein wenig damit ablenken, in die Vergangenheit abtauchen ... Das war schon lieb von Albus, dass er sie ihm gegeben hatte, obwohl er doch gar nicht gesagt hatte, dass sie ihm tatsächlich viel bedeuteten ... Er hätte es ja auch nicht erklären können ... Wie soll man bitte schön erklären, dass einem etwas, das man, wie Albus so treffend bemerkt hatte, mutwillig weggeworfen hatte, trotzdem etwas bedeutete? ...
Er hätte ihn bei seinem allerersten Besuch nicht gar so anschreien und beschimpfen sollen ... Das war nicht richtig gewesen ... Aber er war nun mal furchtbar wütend gewesen! ... Und dennoch hatte er sich geirrt ... Jenes besondere Funkeln in Albus Dumbledores Augen war nicht erloschen ... Bei seinem Besuch soeben hatte er es wieder entdeckt ... Jenes ganz besondere, rätselhafte Gefühl, das er nie so richtig deuten konnte ...
Ächzend streckte der Gefangene seine trägen, klammen Knochen und schüttelte leicht den Kopf in einem Versuch, all die Gedanken, die unkontrolliert durch sein Gehirn wirbelten, wieder ansatzweise zu bändigen und zu ordnen.
Was hatte es nur mit diesem geheimnisvollen Gefühl auf sich, welches partout nicht aus Albus Dumbledores leuchtend blauen Augen weichen wollte? Er hatte dieses geheimnisvolle Gefühl ja noch nie so richtig deuten und in Worte fassen können. Er wusste nur, dass darin all die einzelnen positiven Gefühle mitgeschwungen hatten, die Albus ihm entgegengebracht hatte.
Er hatte darin Faszination gelesen, wann immer sie über ihre großen Projekte gesprochen und an der Verwirklichung ihrer Träume gearbeitet hatten. Er hatte darin, nicht ohne sich ein wenig geschmeichelt zu fühlen, Bewunderung gesehen, wann immer am Tag die Sonne und des Nachts der Mond sein goldenes Haar hatten erstrahlen lassen und er in seiner ganzen jugendlichen Schönheit vor Albus gestanden war. Vertrauen und Verbundenheit hatten dieses einzigartige Funkeln ebenfalls ausgezeichnet sowie die Freude zusammen zu sein. Auch Gellerts fröhliches Lachen hatte Albus stets jenes Funkeln in die blauen Augen gezaubert, sogar dann noch, wenn ausnahmsweise er selbst es gewesen war, über den Gellert lachte, was, wie dieser dachte, selten genug vorgekommen war.
Dieses Funkeln in Albus Dumbledores Augen hatte ihre ganze Freundschaft begleitet, doch Gellert Grindelwald begriff nicht, wie es immer noch da sein konnte.
Sie teilten nicht mehr dieselbe Begeisterung und Faszination - im Gegenteil, ihre gegensätzlichen Überzeugungen waren es, die sie als Gegner in einem erbitterten Duell wieder zusammengeführt hatten. Weiterhin war es schlichtweg unmöglich, dass Albus noch immer so etwas wie Bewunderung für jemanden empfand, der gescheitert und geschlagen in einem Verließ kauerte und den die zermürbende Haft bereits seiner Schönheit zu berauben begann. Das Vertrauen und die Verbundenheit waren ihnen über die Jahrzehnte hinweg gründlich abhanden gekommen - Verstanden sie einander doch kaum mehr und hatten genug damit zu tun, ihre Verletzungen voreinander zu verbergen, sei es hinter einer grollenden, zornigen Fassade oder hinter einer Maske aus unnatürlicher Ruhe. Und was Gellerts fröhliches Lachen anging - nun, das hatte Nurmengard ihm wahrscheinlich unwiederbringlich vom Gesicht gewischt!
Dieses geheimnisvolle Gefühl hatte ihre Freundschaft begleitet und obwohl ihre Freundschaft ebenso gescheitert war wie er selbst letztendlich gescheitert war, hatte dieses geheimnisvolle Gefühl überlebt. Und so unerklärlich diese Tatsache auch anmuten mochte, so tröstlich war sie doch gleichzeitig. Denn niemand sonst hatte Gellert Grindelwald je auf diese Weise angeblickt und er war überzeugt, dass es auch niemand sonst jemals wieder tun würde.
Okay, an diesem Punkt müssen wir für heute leider wieder Schluss machen. Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat. Nächstes Mal werden wir uns einzelne Erinnerungen ansehen, die Gellert zu diesem „geheimnisvollen Gefühl“ hat (Ich weiß natürlich, dass es für euch Leser gar nicht geheimnisvoll ist, wir wissen alle, welches Gefühl gemeint ist - aber ich glaube, dass Gellert es wirklich nicht wusste, sonst wäre er nicht fortgelaufen) und die noch einmal all die Schlagworte aufgreifen, die in diesem Kapitel gefallen sind: Faszination, Bewunderung, Vertrauen, Verbundenheit und Gellerts Lachen.
Bis dann und alles Liebe,
eure halbblutprinzessin137
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