von rodriquez
„Also eines muss man unserem Sohn lassen“, pfiff Harry vergnügt. „Er hat einen guten Geschmack…“
Arm in Arm wartete er zusammen mit Hermine und vielen anderen Eltern und Verwandten auf die RĂĽckkehr ihrer Kinder im Bahnhof Kings Cross.
Jamie und Cindy gehörten nicht zu den Ersten, die durch die Barriere schritten.
„Das hat er eindeutig von mir“, strahlte Harry, als er die Beiden endlich erblickte. „Ein wirklich hübsches Mädchen“, dabei himmelte er Hermine an.
„Sag jetzt bitte nicht, dass dieser Jamie dein Junior ist?“
Mit weit aufgerissenen Augen war Alicia Spinnet an Harrys Seite getreten.
„Weißt du, dass du eine sehr hübsche Tochter hast“, lächelte Harry spitzbübig.
„Jetzt wird mir einiges klar“, antwortete Alicia emotionslos.
„Mom“, rief Cynthia und stürzte auf ihre Mutter zu.
Tränen und eine herzliche Umarmung ließen Harry aufblicken. Ein fragender Blick in Hermines Augen bestätigte seinen Eindruck: Hier stand eine schwer gezeichnete Frau.
Alicia wirkte abgemagert, krank. Sie war nicht mehr das fröhliche, heitere Mädchen, das er aus seiner Schulzeit her kannte.
„Hallo, Mr. Potter“, lächelte Cynthia, während Hermine ihren eigenen Spross in die Arme nahm.
„Ihr kennt euch?“, fragte Alicia überrascht.
„Das ist eine lange Geschichte, Mom … Aber sag, wie geht es Daniel?“
Alicia nickte gequält, wirkte aber nicht glücklich dabei.
„Das ist Jamie“, bombardierte das quirlige Mädchen ihre Mutter weiter. „Darf ich ihn in den Ferien besuchen?“
„Ich…“
„Bitte …B…ü…t…t…e“.
„Ich weiß nicht, ob Harry…“
„Es ist kein Problem Alicia“, lächelte Harry nervös. „Cynthia ist jederzeit willkommen. Mach dir deswegen keine Gedanken.“
„Dad“, rief James. „Wir – haben – den – Hauspokal!“
James reckte triumphal die Faust in die Luft.
Cynthia verdrehte ihre Augen, womit sie sich einen Daumen nach oben, von Hermine verdiente. Mit leuchtenden Augen verabschiedete sie sich von James. Eine körperliche Verabschiedung, war wohl doch in Anbetracht der Tatsache: Eltern als Zuschauer, für beide etwas zu peinlich.
Alicia hatte sich bereits mit ihrer Tochter abgewandt, als Hermine sie noch einmal am Arm festhielt. „Alicia“, raunte sie ihr leise zu. „Jederzeit.“
Alicia hatte Tränen in den Augen, und lächelte erneut gequält. „Danke. Vielleicht komme ich wirklich darauf zurück. Aber erst gehört meine erwachsene Tochter mir“. Alicia legte einen schmachtenden Blick auf ihre Tochter.
Fast zwei Wochen vergingen.
Doch dann stand sie plötzlich früh morgens vor der Tür der Potters.
Alicia war sehr kurz angebunden, und entschuldigte sich mehrfach. „Es macht euch wirklich nichts aus?“ – „Gegen Mittag hole ich sie wieder ab…“
Hermine bemerkte Harrys fragende Blicke. Sie wusste sofort: Harry wĂĽrde Alicia nicht einfach so gehen lassen. Bei der eigentlich noch jungen Frau schien einiges im Unreinen zu sein.
Tatsächlich stand Alicia bereits am frühen Nachmittag wieder vor der Tür. Hermine führte die verlegen wirkende Frau ins Wohnzimmer. Harry drückte ihr einen Kaffee in die Hand, und sah sie herausfordernd an.
„Setz dich“, bat er ihr an.
„Nein. Danke, Harry. Ich wollte nur meine Tochter wieder abholen…“
„Die Kinder spielen im Garten. Gib ihnen noch etwas Zeit.“
Alicia zitterte und wirkte extrem nervös und angespannt.
„Was ist los mit dir?“
Alicia starrte Harry einen Moment erschrocken an, aber sofort richtete sie ihren Blick wieder nervös an ihm vorbei.
„Alicia“, behutsam ging er auf sie zu. „Irgendetwas stimmt doch nicht. Du warst früher immer fröhlich. Für jeden Spaß zu haben, und jetzt? Ein Schatten deiner selbst.“
„Ich…“, stammelte Alicia.
„Vielleicht können wir dir helfen“, mischte sich Hermine ein.
„Nein“, sagte sie voreilig. „Danke“, mit schwacher Stimme hinterher geschoben.
„Schwarz?“, fragte Harry.
Scheinbar von Alicia unbemerkt waren einige schweigsame Augenblicke vergangen. Die Potters wechselten Blicke. Hermine nickte Harry zu.
„Wie, was?“ fragte Alicia.
„Dein Kaffee…“
„Ach so. Ja“, Alicia erhob die Tasse und setzte sie an ihre Lippen.
„Komm mit“, sagte Harry, und führte Alicia zur Terrassentür. „Sieh sie dir an. Deiner Tochter geht es gut. Sie fühlt sich wohl.“
Auf dem Quidditchwurf hinter dem Haus flogen vier Kinder auf ihren Besen, und schienen zufrieden und glĂĽcklich.
Für einen ganz kurzen Moment zuckten Alicas Mundwinkel zu einem zufriedenen Lächeln, doch schneller, als es gekommen war, war es auch wieder aus ihrem Gesicht verschwunden.
„Ich habe eine Idee“, lächelte Harry, „komm“. Er öffnete die Tür, griff nach Alicias Arm.
Sie zögerte.
„Was hast du vor?“
Harry lächelte nur, und zog die ängstliche Frau mit in den Garten. An einer kleinen Blockhütte stoppte er, und reichte Alicia einen Besen.
„O, Ja!“ schrien die Kinder begeistert. Cynthia am lautesten von Allen, während ihre Mutter das Herz in die Hosen zu rutschen schien. Völlig entgeistert starrte sie auf den Besen.
Doch schon als Alicia ihren Besen bestiegen hatte, schienen ihre Skrupel regelrecht, und im wahrsten Sinne des Wortes, vom Winde verweht. Ihre Haare schlugen um ihre Schulter, und sie wirkte frei. Als wĂĽrde alle Last von ihren Schultern abfallen. Ihr Gesicht wirkte entspannt. Alicia war ein anderer Mensch. Alle Sorgen schienen von ihr abzufallen und vergessen.
Fast zwei Stunden dauerte das Spektakel.
Die Kids waren begeistert. Boys vs. Girls. Mit einem knappen Sieg der Jungs. Ganz knapp. Äußerst knapp.
Und es roch nach Revanche. Vor allem Cynthias Hunger schien nicht gestillt.
Ihre Augen strahlten glücklich, sie bewunderte ihre Mom, und griff energisch nach James Arm. „Wir zwei!“, funkelte sie ihn voller Emotionen an. „Nur wir zwei! Ich will Revanche.“
„Träum weiter!“
„Ich mach dich alle!“
„Nie und nimmer!“
„Ein Wettrennen!“ Es klang nach einem Befehl, was Cynthia James zuraunte. „Du wirst meinen Staub fressen.“
James begann zu lächeln. „Wenn du das Echo verträgst.“
„Teddy wird das Startsignal geben.“
Harry schnappte sich Alicia, deren Blicke wieder trauriger wirkten. Zusammen mit Lily gingen sie zurĂĽck ins Haus.
Alicias Wangen glühten. Sie war völlig außer Atem, blieb aber an der Terrassentür stehen und ließ keinen Blick von ihrer Tochter. „Ich wusste gar nicht, dass Cyn eine so gute Fliegerin ist“, raunte sie traurig.
„Sie hat es im Blut“, lächelte Harry. „Ihre Mom war eine sehr gute Jägerin, und eine elegante Fliegerin.“
„Danke Harry“, erwiderte Alicia. „Das hat richtig gut getan. Fünfzehn Jahre war ich nicht mehr da oben.“ Mit leuchtenden Augen blickte sie vom strahlendblauen Himmel zurück zu Harry. „Cyn scheint sich wirklich wohl zu fühlen. Sie ist eigentlich immer ein so ernstes Kind.“ Voller Sehnsucht richtete sie ihren Blick zurück auf den Quidditchwurf. Cynthia und James hatten ihre Plätze eingenommen. Nebeneinander scharrten sie mit den Füßen auf dem Boden, sitzend auf ihren Besen. Sie schienen sie gegenseitig anzuspornen. Teddy hatte seine Arme zum Startsignal erhoben. „Eigentlich ist sie gar kein Kind mehr“. Alicias Blick drückte Stolz und Traurigkeit gleichzeitig aus. „Und eigentlich hatte sie nie die Zeit ein Kind zu sein. Sie hatte nie Freunde. Sie hat sich nie beklagt. Und ich bin froh, so ein Goldstück zu haben. Sie war immer der Lichtblick an meinem tristen Horizont.“
Ihre Tochter erhob sich in die Lüfte. Etwas zu früh, nach Harrys Geschmack, was ein Schmunzeln auf Hermines Gesicht trieb. „Du weißt, dass unser Sohn verlieren wird?“
Harry starrte sie an.
„Du hast auch immer verloren.“
„Aber nur weil Ginny gemeine Tricks anwandte.“
Das Schauspiel vor ihren Augen schien ähnlich abzulaufen.
Während Alicia weiterhin ihrer Tochter zusah, redete sie sich ihren Kummer vom Herzen.
„Cyn kümmerte sich schon von Kleinauf um ihren Bruder. Sie war Mutter und Schwester zugleich. Schon mit sechs Jahren konnte sie Essen zubereiten, sowohl kalt als auch warm.“ Ein stolzes Lächeln eroberte ihr Gesicht. „Wenn ich abends nach Hause kam, hatte sie für uns gekocht. Und besonders Daniel ist sehr auf sie fixiert. Aber ich musste uns doch versorgen…“
„Was ist mit ihrem Vater?“ fragte Hermine.
Ein gequältes Lachen entwich ihrer Kehle. „Der hat uns verlassen, als ich mit Daniel schwanger war. Cyn war erst fünfzehn Monate alt. Ich war allein mit zwei kleinen Kindern. Was hätte ich tun sollen?“
„Du hättest das Ministerium um Hilfe bitten können. Sie hätten bestimmt eine Lösung gefunden.“
Alicia überging den Vorwurf, offensichtlich war sie zu stolz, Hilfe anzunehmen. „Ich kellnere seitdem im Tropfenden Kessel. Nur dieses Jahr kam Cyn nach Hogwarts, und ich kam mit Daniel nicht mehr klar. Sein Zustand verschlechterte sich. Seine Schwester war nicht mehr da. Ich sah keine andere Lösung mehr, und so suchte ich einen Heimplatz für ihn. Es ging einfach nicht mehr.“
„Aber dieses Jahr sollte er doch auch nach Hogwarts können?“ fragte Hermine.
„Ich verstehe dich, Harry. Immer mehr. Das Leben kann so grausam sein – Nein, Hermine. Daniel kann nicht nach Hogwarts. Er hat das Down-Syndrom. Und sein Zustand verschlechterte sich immer mehr, nachdem Cyn nicht mehr bei uns war. Ich war überfordert. Es gab keinen Ausweg mehr. Ich konnte ihn nicht alleine lassen. Ich musste doch arbeiten. Ich musste uns doch versorgen“, Alicia begann zu schluchzen. „Ich konnte ihn nicht alleine lassen.“
„Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen“, tröstete sie Hermine, legte ihre Hand auf Alicias Schulter. „Aber du hättest deinen Stolz unterdrücken können. Du hättest Hilfe annehmen können. Hilfe, die du sicher bekommen hättest.“
„Hilfe?“ Mit verweinten Augen verfolgte Alicia den Flug ihrer Tochter. „Von welcher Hilfe sprichst du?“ Die beiden Kinder flogen fast synchron nebeneinander. „Ich spürte, dass meine Tochter sich in Hogwarts verändert hatte. Ich konnte und wollte ihr, das auch nicht mehr zumuten. Sie sollte endlich, oder besser wenigstens für eine kurze Zeit, Kind sein, sie sollte endlich Freunde finden, mit Freunden spielen. Sie sollte ihre neuen Freunde nicht gleich wieder verlieren. Und was tut dieses wunderbare Geschöpf? Dieses Geschenk des Himmels?“ Ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen. „Noch in Kings Cross fragte sie nach ihrem Bruder. Wollte sofort zu ihm.“
„Vielleicht hätte ich eine Lösung für dich“, nahm Hermine ihre Andeutung wieder auf. „Wenn du willst, erkundige ich mich noch einmal. Aber ich denke, es wäre möglich.“
„Was meinst du?“
„Im St. Mungos Hospital. Du könntest als Pfleger arbeiten, und du könntest deinen Sohn dorthin mitnehmen. Es gibt da einen Hort, in den du ihn bringen kannst, während du arbeitest. Es ist sogar möglich, die Kinder über Nacht dort zu lassen. So wärst du immer in der Nähe deines Sohnes.“
„Und sie könnten Cynthia bei uns lassen. Sie hat nicht nur in James einen Freund gefunden“, mischte sich Lily ein. „Sie und James sind zwar wie Hund und Katze. Frei nach dem Motto: Sie küssten und sie schlugen sich … Ähm, geküsst haben sie sich natürlich noch nicht“, fügte sie schnell hinzu, weil sie drei Augenpaare anstarrten. Dennoch trieb ein kleines Lächeln in Alicias Augen. „Denk ich zumindest…“
„Ich weiß, was du damit meinst. Sie war direkt nach ihrer Rückkehr ein völlig anderer Mensch. Ich sah erstmals meine Tochter fröhlich, nicht mehr so ernst wie früher, aber man konnte zusehen, wie sie von Tag zu Tag wieder in den alten Trott zurückfiel, und mir wurde klar, dass Jamie, dass ihr, ihre Freunde dafür verantwortlich seid. Ich will ihr diese neue schöne Erfahrung nicht auch noch nehmen.“
„Ich weiß es klingt blöd, wenn ich behaupte, das zwölfjährige Kinder mit einem, sagen wir unsichtbaren Band miteinander verbunden sind. Aber bei unseren Kindern ist das so. Etwas, dass man nicht mehr durchtrennen kann.“
„Ich weiß, was du meinst, Harry. Wenn man einen einseitigen Brief seines Kindes bekommt, indem neunundzwanzig Mal der Name Jamie erwähnt wird…“
„Aber das ist es nicht alleine…“
Fragend sah ihn Alicia an.
„Sie hat es dir nicht erzählt?“
Alicia schĂĽttelte fragend ihren Kopf.
„Deine Tochter hat Jamie das Leben gerettet, und scheinbar er auch ihres.“
„Die Geiselnahme?“, stammelte Alicia. „Meine … meine Cyn war daran beteiligt?“
Harry nickte und erzählte in Kurzform von den Geschehnissen. Alicias Augen weiteten sich immer mehr. Entsetzt sah sie ihre Tochter das Wohnzimmer betreten. Hämisch grinsend und feixend, während James finster dreinblickte. „Gemeiner Trick“, warf er ihr an den Kopf.
„Ich habe gewonnen, Mom“, lächelte Cynthia und lief auf ihre Mom zu. „Was hast du?“
Alicia schloss ihre Tochter ganz fest in ihre Arme, mit verweinten Augen und Tränen auf den Wangen. „Nichts, Schatz, nichts…“.
Teddy kam als Letzter ins Wohnzimmer, er hielt sich vor Lachen den Bauch. „James hätte fast gewonnen. Doch Cynthia hat ihm in der Luft einen Kuss auf die Wange gedrückt, das brachte ihn irgendwie ins Trudeln…“
„Gemeiner, fieser Trick.“, wiederholte James finster.
„Mom, warum weinst du?“, nachdenklich schritt Cynthia auf ihre Mom zu.
„Weil ich zum ersten Mal seit Jahren wieder glücklich bin“, schluchzte Alicia. „Es geht aufwärts. Ich spüre das. Du hast Freunde gefunden. Das ist gut. Vor allem so tolle Freunde…“
„Aber?“ fragte Cynthia skeptisch.
Ihr Mom schmunzelte. „Nichts aber. Ich wundere mich nur, wie du das hinbekommen hast, bei deinem Dickkopf, deinem Drang direkt zu sein. Vor allem, deiner vorlauten Schnauze.“
„Mom!“ Cynthia sah ihre Mom empört an. „Ich bin doch nicht vorlaut.“
„Das würde ich so nicht … unbedingt … eventuell … sagen“, nuschelte James. Was ihm einen tödlichen Blick einbrachte.
„Was willst du damit behaupten?“, bedrohlich aufbrausend schritt Cynthia auf ihn zu. Die Hände in der Hüfte abgestützt. Die Stirn gerunzelt.
„Ach, nichts“, schluckte James.
„Raus mit der Sprache!“ Cynthia wirkte plötzlich ein ganzes Stück größer als James.
„Du weißt immer alles besser“, blökte James.
„Ha!“ höhnte das künstlich aufbrausende Mädchen.
„Dein Schnabel schnattert unaufhörlich…“
„Du kannst nur nicht verlieren, das ist alles!“
„Pah. Das war doch Zufall. Purer Zufall. Und außerdem hast du mich unfair reingelegt.“
„Wenn du dich reinlegen lässt!“
„Wenn du dich reinlegen lässt“, äffte sie James perfekt nach.
„O – O“, schluckte Lily.
„Du bist ein schlechter Verlierer.“
Wieder formte James ihre letzten Worte mit dem Mund nach. Er brabbelte.
Und tatsächlich.
KNALL.
Vier leuchtend rote FingerabdrĂĽcke bildeten sich auf James Wange.
„Das meinte ich damit“, schluckte Alicia. „Sie ist sehr direkt.“
KNALL
„Das kann ich auch“.
Erschrocken zuckte Cynthia zusammen. Auch auf ihrer Wange befanden sich die AbdrĂĽcke einiger Finger.
Doch im Gegensatz zu James, schossen aus ihren Augen sofort die Tränen.
Im Raum wurde es unheimlich still.
„Wer austeilt, muss auch einstecken können“, verteidigte ihre Mom, James Reaktion.
Etwas verloren und ratlos stand James vor Cynthia und starrte in ihre tränenden Augen.
Mit ihren Tränen hatte er wohl nicht gerechnet.
Das so starke Mädchen hatte eine schwache Stelle.
Und Jedem, auch James wurde schlagartig bewusst, dass er ihre schwache Stelle gefunden hatte.
Er selbst war die schwache Stelle.
Sich der Situation bewusst, legte er ohne Nachzudenken seine Arme um ihren Nacken und wollte sie tröstend zu sich heranziehen. Sie wehrte sich, schlug um sich. Sie schrie. Doch er ließ nicht locker. Ihr Widerstand wurde schwächer und schwächer. Schließlich sank sie in seine Arme und schluchzte unaufhörlich.
„Sie küssten und sie schlugen sich“. Lily war die Erste, die wieder Worte fand.
„Ich glaube ich verstehe was du meinst“, antwortete Alicia.
„James tut meiner Tochter wirklich gut. Sie hat jemanden gefunden, der ihr ebenbürtig ist.“
„Aber warum weint sie?“, fragte James verstört. „Habe ich dir wehgetan?“, vorsichtig hob er Cynthias Kopf an, und strich ihr die Tränen aus dem Gesicht.
„Das glaube ich nicht“, antwortete Cynthias Mutter. „Ich denke vielmehr, es war die Angst dich zu verlieren. Sie ist nicht weinerlich, war sie noch nie. Tränen bedeuten bei ihr, Angst. Sie hatte einfach Angst, das zu verlieren, was sie liebt. Sie hat immer sehr spontane Ideen. Man weiß nie, was geschieht, aber sie überrascht mich immer wieder aufs Neue.“
„Du glaubst ich würde dich hassen, wenn du Emotionen zeigst?“
„Ja!“, schluchzte sie. „Ich kann das einfach nicht kontrollieren.“
„Dann hätte ich mich nicht revanchiert, sondern wäre einfach gegangen.“
„Danke“, schluchzte Cynthia.
„Aber nur wenn du mir versprichst, mich nicht andauernd zu hauen.“
„Ich denke“, schluchzte sie, aber das Lächeln kam zurück. „Ich denke, das lässt sich einrichten. Kann ich noch bleiben, Mom?“
„Ich denke, das lässt sich einrichten“, lächelte Alicia. „Aber nicht heute.“
„Mom?“ Mit einem traurigen Blick, der Stein schmelzen könnte, schmachtete Cynthia ihre Mom an.
„Heute nicht“, ließ sie sich nicht erweichen. „Aber, wenn Hermine es gelingt Daniel und mich im St. Mungos unterzubringen, werde ich dich abschieben müssen.“
„Aber das ist doch nicht abgeschoben“, lächelte Hermine. „Und…“, sie lächelte Cynthia zu. „…gelegentliche Züchtigungen meines Sohnes, erleichtern mir die Arbeit.“
„Trotzdem hast du mit unfairen Mitteln gewonnen“, beharrte James bei der Verabschiedung in der Diele.
„Das waren keine unfairen Mittel“, schmunzelte Cynthia. „Mir war gerade danach.“
„Ach! Welch ein Zufall! In eben genau diesem Moment“, höhnte James.
„Jetzt wäre es mir auch danach, aber ich möchte dir eine weitere glühend rote Wange ersparen.“
Harry klopfte seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter. „wo sie Recht hat, hat sie Recht, oder, Sohn?“
Fassungslos blieb James alleine in der Diele zurück, und starrte auf die sich schließende Tür. Sie war noch nicht ganz ins Schloss gefallen, als sie mit einem Ruck noch einmal aufgestoßen wurde. Mit leuchtenden Augen stand Cynthia nochmals in der offenen Tür. „Ich bin sehr spontan, und man weiß bei mir nie, was geschieht“, lächelte sie, und drückte James einen fetten Schmatzer auf die Wange. „Wie ein Glühwürmchen“, murmelte sie fröhlich. „Aber ich fühle mich wunderbar.“
Trotz diesem Moment dauerte es bis zum ersten September, bis er sie wiedersah.
Von Tag zu Tag verschlechterte sich seine Laune.
Nur zugeben wĂĽrde er es nie.
Sie fehlte ihm.
Kings Cross als Rettungsanker.
Er wusste von seinen Eltern, dass es mit dem Job im St. Mungos geklappt hatte, und dass sie wohl umgezogen sind. Eine neue Wohnung, Mitten in London.
James verabschiedete sich von seinen Eltern, kletterte die Stufen des Wagons nach oben, und sah gerade noch, wie ein gutaussehender, mindestens zwei Köpfe größerer Junge ihren Koffer in den Zug hievte.
Makellos, perfekt gestylt. Ein Gentleman der hohen Schule.
Und er trug ihren Koffer.
James traute seinen Augen nicht.
Sie hatte sich verändert. Ihre Haare nicht mehr buschig, sondern gewellt. Das Herz rutschte ihm in die Hose.
Was wollte dieser geschniegelte Lackaffe von seiner Cindy?
Noch hatte sie ihn nicht bemerkt. Er konnte sehen, wie sie sich artig bedankte.
Und...
Wieder stockte sein Herz.
Sie schenkte diesem, diesem ... er fand keine Worte. Jedenfalls schenkte sie dem Lackaffen ein Lächeln.
Lily polterte an ihm vorbei.
Fröhlich schnatternd fielen sich die beiden Mädchen um den Hals.
„Wo warst du denn? Wir dachten du kommst wieder?“
„Meine Mom hat den neuen Job bekommen. Alles scheint endlich gut zu werden. Und wir sind umgezogen. Da blieb nicht viel Zeit.“
„James wurde von Tag zu Tag unerträglicher.“
„Ach, er wird’s überleben“, winkte Cynthia lachend ab.
„Und wer war dieser hübsche Junge gerade?“ Lily tippte Cynthia mit einem neugierigen, auffordernden Augenzwinkern an.
„Ein süßer Junge, nicht?“ lächelte Cynthia zurück.
Und James Gedanken schalteten vollständig ab.
In ihm brach eine Welt zusammen.
„Aber überhaupt nicht ... mein ... Fall...“, Cynthias Worte verlangsamten sich, weil sich gerade James an ihr vorbeidrängte. Blick stur gerade aus. Und er schien sie gar nicht wahrzunehmen. „Hi, Jamie“, rief sie ihm hinterher. „Was ist denn mit dem los?“, fragend lenkte sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf Lily.
„Ach lass ihn. Vielleicht hat er seine Tage“, grinste Lily. „Was ist nun?“
„Was ist was?“ wiederholte Cynthia gedankenabwesend. Noch immer starrte sie James hinterher.
„Der hübsche Joey...“
„Ach der“, winkte sie ab. „Macht mir den Hof. Ich traf ihn ein paar Mal im St. Mungos, als ich mit Mom und Daniel dort war.“
„Er interessiert dich also nicht?“
„Quatsch. Der nervt mit seiner übertriebenen, höflichen Art. Das ist ein Schleimer.“
„Cynthia ... Cynthia“, der Schleimer rief und winkte ganz aufgeregt. „Ich habe dir ein Plätzchen freigehalten.“
„Danke“, rief sie ihm mit einem künstlichen Lachen zu. „Aber ich habe schon einen Pla ... tz“.
Enttäuscht musste sie feststellen, dass in dem Abteil, indem sie James vermutete, kein Platz mehr frei war. „Ja, danke“, korrigierte sie ihre ursprüngliche Ablehnung.
James hatte unterdessen ein leeres Abteil gefunden, und zog hinter sich die TĂĽr zu.
„Von wegen nicht viel Zeit“, murmelte er vor sich hin. „Nicht viel Zeit war wohl dank dieses Schnösels. Und scheinbar war auch genügend Zeit um zum Friseur zu gehen. Aber ich werd’s ja überleben...“
„Was sitzt du denn hier alleine?“
Erschrocken schaute James zur offenen Abteiltür. „Ist bei dir noch frei?“ Tim Weasley mit seinen feuerroten Haaren, und einigen unsteten Bewegungen, die sehr seinem Vater Ron ähnelten, stand in der Tür, gefolgt von seinen Brüdern, den Zwillingen.
James nickte abwesend, und schlagartig fĂĽllte sich das Abteil mit weiteren Personen, die er gar nicht mehr wahrnahm.
Lauter kleine Kinder, dachte der ein Jahr jĂĽngere James Sirius Potter.
FĂĽr einen kurzen Moment meinte er ihre neugewellten Haare vor der AbteiltĂĽr zu erkennen, und hoffte.
Hoffte, sie wĂĽrde hereinkommen.
Doch scheinbar hatte er sich getäuscht.
Er hoffte vergebens.
Die anderen Kinder hatten noch nicht einmal ihre Plätze eingenommen, aber schon lagen überall Süßigkeiten und Spielzeug herum.
Gelegentlich dachte er, ihr Lachen zu hören. Dann sah er wieder ihr Gesicht vor seinen Augen. Ihr Lachen. Das Strahlen. Das Leuchten ihrer Augen.
„Wer ist auf deiner Schokofroschkarte?“
„Dumbledore“, „Kingsley“, „Mein Dad“.
Ohne Aufmerksamkeit zu schenken, hörte James die unterschiedlichsten Namen, und ärgerte sich, dass seine Altersgenossen nichts Anderes im Kopf haben, als Lakritzstangen, Kichererbsen, Knallfrösche…
„Kinder“, murmelte er genervt.
Seine Begleiter hatten nichts als Dummheiten und Süßigkeiten im Kopf, oder einen Frosch unter den Rock eines vorbeilaufenden Mädchens hüpfen zu lassen.
Wie kindisch, dachte James und schüttelte ungläubig seinen Kopf.
Niemand bemerkte seine Unbeherrschtheit.
Das Mädchen hüpfte schreiend durch den Gang.
Er hatte weiß Gott, andere Probleme. Er war genervt. Und wieder glaubte er ihre Stimme zu hören.
Redete sie ĂĽber ihn?
Lachte sie vielleicht sogar ĂĽber ihn?
Lachten sie gemeinsam über ihn, während der Affe sie begrapscht?
Die Ungewissheit fraĂź ihn auf.
Und die Kinder um ihn herum nervten noch mehr.
Unter einem gemurmelten, schwer verständlichen Vorwand verließ er das Abteil, genehmigte sich einen vorsichtigen Blick in das Nachbarabteil, doch was er sah hatte er so nicht erwartet.
In seiner Vorstellung sah er sie lachen, oder fröhlich in den Armen des schleimigen Gorillas liegen. Sah seine riesigen Pranken auf ihrer nackten Schulter, die ein neues Trägershirt offenbarte. Doch stattdessen sah er ein Mädchen, das alleine an einem Fensterplatz saß und schweigend nach draußen blickte. Er sah ihre Pupillen, die im Rhythmus der vorbeiziehenden Landschaft zitterten. Leise entfernte er sich wieder. Ging in die entgegengesetzte Richtung. In seinen Gedanken hörte er seinen Namen, „Jamie“, den sie ihm leise hinterher rufen würde. Sah einen besorgten Blick in ihrem Gesicht. Und er sah Tränen.
James hatte Angst. Angst vor der Gewissheit. Angst sie zu verlieren. Angst, ihre Freundschaft vollends zu verlieren.
Wie sollte er sich verhalten?
Was könnte er tun?
Ihm wollte nichts einfallen.
Ist er vielleicht doch noch ein kleiner Junge, ein Kind, das nicht versteht, was in seinem Körper vor sich geht? Ein Kind dessen Gedanken Streiche spielen?
Seine Schritte wurden immer schneller.
Die Mitte des Zuges hatte er bereits erreicht. Aus den Augenwinkeln konnte er Lily und Teddy sehen.
Wenigstens sie sind glĂĽcklich, dachte er. Aber auch fĂĽr sie, war es nicht einfach.
Er kam in die Nähe der Toiletten. Mehrere Schüler tummelten sich in diesem Waggon. Hauptsächlich Mädchen. Dumme gackernde Hühner. Er würdigte sie keines Blickes.
Nur ein einziges Mädchen flimmerte immer wieder vor seinen Augen. Mal unter einem brennenden Feuer. Mal in seinen Armen. Mal neben ihm auf dem Boden. Er war ihr Held.
Sie hat ihn mit dem Avada Kedavra verteidigt. Sollte das alles vergessen sein?
„Was willst du denn mit der kleinen Schönheit, Joey?“, hörte er eine hämische Jungenstimme.
„Was denkst du wohl?“
„Aber die ist doch noch viel zu jung.“
„Zu jung gibt es nicht. Und eng ist ein dehnbarer Begriff, wenn du verstehst was ich meine…“. Es folgte ein ironisches, höhnendes Gelächter. Und da stand er. Unmittelbar vor ihm. So groß und so breit, wie ein Bär.
Ein einziger rechter Haken entfernt. James Innereien verkrampften. Seine Faust ballte sich. Nur ein einziger rechter Haken entfernt.
James starrte ihn an. Ekelte sich vor seiner hübschen, gemein grinsenden Visage. Seinen geschleckt, perfekt liegenden Haare, und James dachte, dass er nun wohl seine Zähne verlieren würde. Ein einziger rechter Haken. Das Echo würde er nicht überleben…
Joey Hände zitterten tatsächlich, und ballten sich schon zur Faust.
„Was glotzten so blöd, Zwerg?“, stieß er mit feuchter Begleitung aus. „Verpiss dich!“ Spucke spritzte in James Gesicht. Ekel, Hass, Wut, alles gleichzeitig.
James Fäuste ballten sich erneut. Seine Wut steigerte sich. Stieg ins Unermessliche.
Sie sprechen ĂĽber Cindy, meine Cindy, die vielleicht gar nicht mehr meine Cindy ist.
Ich sollte sie warnen.
Aber sie wird denken, dass ich alles nur erfunden habe, nur eifersüchtig wäre.
Mit glühendem Gesicht, schlich sich James, wie ein Feigling an den Beiden hässlichen Kreaturen vorbei.
„Die legst du niemals flach“, höhnte Joeys Kumpel. Und sein Blut kochte.
„Wetten? Die habe ich schon fast so weit.“
„Du bist einfach unglaublich, du alter Macho. Aber okay. Wette gilt. Um was wetten wir?“
„Zweimal Hausaufgaben für den Anderen erledigen. Spätestens in einer Woche hat sie ihren ersten und Besten Ritt ihres Lebens hinter sich.“
James hörte den Zuschlag. Zwei Hände klatschten aufeinander. Die Wette gilt. Er hörte das Lachen. Das Höhnen.
Spätestens in einer Woche…
Schnell rutschte er durch eine sich öffnende Toilettentür, schloss hinter sich ab, lehnte mit dem Rücken an der Tür. Versuchte durchzuatmen. Das Atmen fiel ihm schwer, verursachte einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Dann sah er sein Gesicht im Spiegel.
Sein Spiegelbild sah noch schlimmer aus, als er sich fĂĽhlte. KreideweiĂź, dicke SchweiĂźperlen auf der Stirn.
Sie haben gewettet.
Gewettet, dass innerhalb einer Woche seine Cindy…
Nein, er wollte es nicht glauben.
Das konnte nur ein Traum gewesen sein.
Die Schweißperlen wurden größer, immer dichter, immer mehr. Sie bildeten eine geschlossene, nasse Schicht, tropften über seine Wangen. James begann zu würgen. Übergab sich in die Toilette.
Schwer atmend, befeuchtete er ein Papierhandtuch, und wischte sich damit ĂĽber die Lippen. Dann spĂĽlte er sich unter dem Wasserhahn den Mund aus. Er schmeckte nur Erbrochenes. Im Spiegel starrte er in seine eigenen grĂĽnen Augen. Sie wirkten blassgrĂĽn und verwaschen.
Sie verfärbten sich blau … ein blasses, aber deutlich erkennbares ozeanblau.
Er schüttelte den Gedanken ab. Atmete tief durch und öffnete die Tür.
Dieses Mal waren die blauen Augen in die er starrte keine Illusion. Sie stand wahrhaftig vor ihm. In voller Größe. Greifbar nahe. Mit Herzkammerflimmern starrte er sie an.
Mitten in ihre wunderbaren, ozeanblauen Augen. Ihre Sorgenfalte, ein kleines Runzeln auf der Stirn. Ach, wie er es an ihr liebte. Ihre herrliche neue Frisur, leicht gewellt. Ihre kleinen, roten Ohren. Ihre Ohrläppchen, in die er so gerne reinbeißen würde. Ihre kleine Stupsnase. Ihre roten, ihn wahnsinnig machenden Lippen.
Ihre Lippen auf denen bestimmt andere lagen, die eines ekelhaften, stinkenden Schönlings.
Diese Lippen bewegten sich: „Was ist mit dir, Jamie?“, fragten sie besorgt. „Ist dir nicht gut? Bist du krank?“
Fremde Lippen im Gesicht seiner Cindy. Eine ekelhafte Zunge, die ĂĽber ihr Gesicht schleckt.
Wieder begann James zu würgen, schlug ihre Hand weg. „Lass mich in Ruhe“.
Schnell drückte er die Toilettentür wieder auf. Die Klinke hat er gar nicht losgelassen, drängte sich rückwärts wieder hindurch.
Ein weiterer Schwall Erbrochenes fiel aus seinem Gesicht.
Und wieder blickte er in den Spiegel, tupfte sich mit einem unter dem Wasserhahn befeuchteten Papierhandtuch ĂĽber den Mund, ĂĽber die Stirn.
Ich muss es ihr sagen, auch wenn ich sie dadurch ganz verliere.
Ich muss es ihr sagen.
Ich muss sie beschĂĽtzen.
Mutig öffnete er wieder die Tür. Sie stand noch immer da. Ihre braunen Augen…
Braun?
Nein!
Seine Knie zitterten. Er rutschte in die Hocke.
Vor ihm stand Lily. Seine Schwester.
„Jamie. Mein Gott. Was ist mit dir?“, Lilys Gesicht verfinsterte sich. „Du bist ja ganz blass. Du zitterst. Was ist mit dir?“
„Nichts“, log er, doch seine Schwester kannte er damit nicht überzeugen.
„Das kannst du Peter, der Ratte erzählen, aber nicht mir.“ Sofort griff sie unter seine Arme und stützte ihn ab. Seine Beine sackten weg. „Was ist mit dir?“
„Nichts“, wiederholte er seine Lüge, ließ sich aber von Lily führen. Er hatte keine Kraft, um sich alleine fortzubewegen.
„Willst du reden?“, änderte Lily ihren Befragungsstil. „Soll ich uns ein leeres Abteil suchen?“
„Nein.“
Von weitem konnte er den riesigen Bär erkennen. Er stand immer noch im Gang. Seine geschmierten, blonden Haare glänzten. Er war nicht zu übersehen. Schritt um Schritt kam James näher heran, immer noch gestützt von einem Mädchen, seiner Schwester.
Er hatte keine Kraft sich aus dieser peinlichen Situation zu lösen.
Seine missliche Lage wurde noch prekärer.
Die hässliche Kreatur hatte seine fetten, riesigen Pranken um Jemanden geschlungen.
Der Jemand war sie.
Sie – seine Cindy.
Er fummelte in ihren Haaren, presste seinen Körper gegen sie, näherte seine Lippen ihrem Gesicht.
„N-E-I-N“, schrie James, nach Leibeskräften, angetrieben von einer wilden Kreatur, tief in seinem Innern.
Cindy blickte auf, und schrak zusammen. Löste sich aus der Umklammerung, der Saugglocke, die sie umgab. Ihr Gesicht passte sich dem seinigen an. Kreidebleich. Besorgt, ängstlich.
„Jamie?“
„Es hat sich Ausgejamiet“, spuckte er enttäuscht, schlug mit letzter Kraft gegen ihre helfende Hand, und schleppte sich mit schweren Schritten vorwärts. Riss sich von Lily los, und bemerkte nicht mehr die Blicke, die besorgten Blicke, die die beiden Mädchen untereinander tauschten. Lily zuckte ahnungslos und voller Sorge mit ihrer Schulter, verstand aber Cynthias besorgte Bitte ihm zu folgen, ihm zu helfen.
Lily nickte ihr zu, und hastete James hinterher.
„Jamie, Jamie. Bitte warte“.
Auf einmal fĂĽhlten sich seine Beine so leicht an.
Lily musste kräftig zufassen, um ihn aufzuhalten. „Was ist mit dir? Komm. Bitte, rede mit mir.“
Jamie antwortete nicht, starrte an ihr vorbei. Cindy stand regungslos, an der gleichen Stelle, und starrte mit dem gleichen Blick zurĂĽck.
Lily bemerkte die Blicke. „Das ist es also“, sagte sie. „Du bist eifersüchtig!“
James zuckte wütend zusammen. „Schrei es doch noch lauter!“
„Warum?“
„Was warum?“, genervt blickte er zu seiner Schwester, behielt aber mit einem Auge Cindy im Blick. „Du hast sie doch gesehen.“
„Da ist nichts.“
„Nichts sieht aber anders aus.“
„Sie macht sich Sorgen um dich. Sie hat mich völlig aufgelöst gebeten, mich um dich zu kümmern. Ich soll es dir eigentlich nicht sagen, also bitte verrate mich nicht.“
„Sie macht sich Sorgen? … Ha!“, lachte James bitter. „Sie macht sich wohl eher Sorgen, dass ich ihr die Tour bei ihrem Gorilla vermassele. Sie findet ihn süß…“, imitierte er wieder einmal höhnisch ihre Stimme.
„Wenn du uns schon belauschst, dann solltest du auch richtig zuhören. Und nicht nur das verstehen, was du verstehen willst. Er ist nicht ihr Typ…“
„Wie man sieht…“, erwiderte James. Der hübsche Joey hatte sich gerade wieder an Cynthia herangeschlichen.
„…Sie will nichts von ihm.“
„Sie findet ihn süß“.
„…Jamie, ich habe dir gerade versucht zu erklären…“
„Die knutschen doch schon…“
„…tun sie nicht. Du siehst nur das, was du sehen willst.“
„Sie findet ihn süß.“
„…Du findest mich auch süß…“
„Und ich liebe dich auch…“.
„…ich bin deine Schwester.“
James schluckte schwer. Zum ersten Mal wankte er, wurde unsicher.
Hatte er sich in einen Wahn reingesteigert?
Sollte er sich seiner Schwester anvertrauen?
Sollte er sie einweihen?
Nein. Erst brauchte er Gewissheit. Was, wenn es Cynthia sogar selber will?
Cynthia?
Er bemerkte, dass er sich von ihr entfernte. Er benutzte gedanklich ihren Spitznamen nicht mehr.
„Beruhige dich, Jamie“, Lily Worte wurden ruhiger, besänftigend.
„Eine Woche“, murmelte er geistesabwesend.
„Was ist in einer Woche?“
„Dann wird er sie flach legen…“
„Sag mal, spinnst du? Wie kommst du denn auf so was?“
Nein, er konnte seiner Schwester nichts von der Wette sagen. Erst brauchte er Gewissheit.
Ihre Reaktion gab ihm Recht. Cynthia hätte genauso reagiert. Sie hätte ihm nicht geglaubt.
Erst musste er wissen, ob er Cynthia … ob er Cindy noch vertrauen kann.
Erst musste er sein eigenes Vertrauen wiederfinden.
James fand einen neuen Platz im Abteil seiner Schwester. Sein GemĂĽt beruhigte sich etwas.
Sein Körper rebellierte nicht mehr. Vielleicht lag es auch daran, dass er ihr aus dem Weg ging, dass sie sich aus dem Weg gingen.
Erst in der groĂźen Halle wĂĽrde er sie wiedersehen mĂĽssen.
Er spĂĽrte ihre Blicke. Sie versuchte ĂĽber Blicke Kontakt mit ihm aufzunehmen.
Verbissen versuchte er auszuweichen.
Ein Zögern, als sie an seinem Platz vorbeiging. Er hatte es bemerkt. Dennoch schien sie zu überlegen, ging auf die gegenüberliegende Seite, und saß zwei Plätze schräg versetzt zu ihm.
Der Gorilla war zum Glück nicht in ihrer Nähe, er saß am Tisch der Hufflepuffs.
James konzentrierte sich voll drauf, sie nicht anzusehen. So hatte er überhaupt nicht bemerkt, dass er eine Schale mit Himbeerpudding in Händen hielt.
Unweigerlich musste er dabei an sie denken, und sah kurz auf. Es war unumgänglich. Ihr Gesicht wirkte erschrocken, aber voller Erwartung. Ihre Augen leuchteten wieder. Nur kurzzeitig.
James atmete tief durch, nahm einen Löffel und … sah ihr enttäuschtes Gesicht. Ja, sie wirkte enttäuscht und überrascht. Der Löffel mit Himbeerpudding war in seinen Mund gewandert. Ohne Regung, ohne Emotionen. Ein klarer Hinweis.
Was sollte er tun?
„Eine Woche…“
Lily starrte ihn an. Danach wechselte sie einen weiteren stillen, besorgten Blick mit Cynthia.
Das jüngere Mädchen winkte ab, und gab ihr mit ihren Augen zu verstehen: Lass es. Lass ihn!
Die ersten Schultage schaffte er es standhaft zu bleiben. Es gelang ihm ihren Blicken auszuweichen. Sie versuchte es immer wieder, machte es ihm nicht leicht. Und jede freie Minute stand der Gorilla auf der Matte. Er schien nichts unversucht zu lassen. Seine Absichten wurden immer offensichtlicher.
„Der Typ baggert wie ein Aas“, murmelte James verbissen, und wieder schritt er unsicher, aber erhobenen Hauptes an ihr vorbei, oder besser an ihnen vorbei.
Aber seine Schritte wurden schneller, nachdem er sie passiert hatte, nachdem er ihre Blicke, wie Nadelstiche in seinem RĂĽcken spĂĽrte.
Im nächsten Gang lehnte er sich erschöpft gegen die Wand, und rutschte daran herunter, bis er am Boden saß, und die Tränen über sein Gesicht kullerten.
Und James saĂź nicht nur auf dem Boden. Er war am Boden.
Er konnte es nicht länger ertragen. Etwas musste geschehen. Die Zeit wurde knapp. Eine Lösung, eine Idee musste her.
Die Zeit spielte eindeutig gegen ihn. Das Zittern in seinem Körper war zurück, und es wurde stündlich intensiver.
Seine Hoffnungslosigkeit zermürbte ihn. Seine Kräfte waren am Ende. Er sah nur noch Sterne vor Augen.
Sein Kreislauf spielte ihm einen Streich. Immer öfter wurde ihm schwindelig.
Doch was sollte er tun?
Seine Gedanken wurden immer wirrer.
Ihm wollte keine Lösung einfallen.
Die Angst um Cindy wuchs.
Was, wenn er doch falsch dachte.
Was, wenn es doch gegen ihren Willen wäre?
BeschĂĽtzen. Er musste sie beschĂĽtzen.
Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
Sie hat ihm das Leben gerettet. Sie sind fĂĽr immer miteinander verbĂĽndet. Auch wenn sie einen Anderen lieben sollte.
Er wĂĽrde sie nie im Stich lassen!
Seinem Instinkt folgend schritt er die Gänge des Schlosses ab. Und sie führten ihn zum richtigen Ort. Schon von weitem konnte er den Hünen erkennen. Er war nicht zu übersehen. Und er wusste, wer verdeckt von seinem massigen Körper, vor ihm stand. Wen er massiv gegen die Wand presste.
Jamies Schritte beschleunigten sich, er flog förmlich heran. Wütend, zornig, voller Emotionen. Und als er sah, dass sich seine Cindy scheinbar hoffnungslos wehrte, wurde er noch rasender. Der Hüne presste sie gegen die Wand, eine Hand auf ihrer Schulter, die Andere rutschte bedrohlich in Richtung ihres Hinterteils.
„Lass sie in Ruhe“, schrie James, aus Leibeskräften. „Lass sie in Ruhe, du Arsch!“
Vergessen waren mindestens zwanzig Kilo Gewichtsunterschied.
Vergessen waren seine Riesenpranken.
Vergessen die zwei Köpfe, die ihm fehlten, um ihm in die Augen zu sehen.
James warf sich auf den massigen Körper, und sein Gegner war zu überrascht von der Kühnheit, dem Mut, so dass sie beide zu Boden gingen.
Ein Zwerg kniete auf der Brust eines Riesen, und trommelte mit seinen Fäusten auf ihn ein, traf Brust, Kopf und Oberarme. Rasend vor Wut.
„Jamie!“ hörte er Cindys besorgte Schreie. „Jamie, bitte. Er wird dir keine Chance lassen!“
James trommelte unaufhörlich auf ihn ein. Patschend, klatschende Geräusche erfüllten den Flur.
Noch wehrte sich sein Gegner nicht, war nur damit beschäftigt, dem Trommelfeuer in sein Gesicht auszuweichen.
„Hast du je daran gedacht, was du ihr antust?“ schrie James.
Patsch, Patsch.
Die Schläge prasselten immer weiter.
„Sie ist fast noch ein Kind!“
Patsch, Patsch.
„Denkst du nur an dich? Hast du je daran gedacht, was du ihr antust?“
Jamie trommelte, wie ein Besessener mit seinen Fäusten.
Patsch, Patsch.
„Sie ist mein Mädchen!“
Patsch, Patsch.
„Du wirst sie nicht verletzen! Du nicht!“
Patsch, Patsch.
„Du eingebildeter, selbstsüchtiger Schnösel!“
Patsch, Patsch.
„Hast du je ihr herzerweichendes Lachen bemerkt, die kleine Falte auf ihrer Stirn, die sich dabei bildet?“
Patsch, Patsch.
„…Hast du sie je danach gefragt, ob sie das will, was du mit ihr tun willst?“
Patsch, Patsch.
„…Weißt du überhaupt, dass sie Himbeerpudding mag? Es liebt Himbeerpudding auszuweichen, aber sich dennoch freut, wenn er ihr Gesicht trifft?“
Patsch, Patsch.
„Was willst du Zwerg überhaupt?“
Zum ersten Mal raffte sich der HĂĽne auf.
„N-e-i-n!“ Cynthia schrie unaufhörlich. „Nein!“
Patsch, Patsch.
„..hast du sie je traurig oder weinen gesehen?“
Ein kräftiger Schlag erschütterte Jamies Kopf. Unglaubliche Schmerzen an seiner Schläfe. Seine Stirn pochte. Seine Lippen schmeckten Blut. Das Gesicht unter ihm entfernte sich.
Nein, er, Jamie entfernte sich. Er flog durch die Luft. Rückwärts. Ein langer Flug.
Ein harter, spitzer Stein! Ein weiterer stechender Schmerz an seinem Hinterkopf. Erst stechend, dann pochend. Blut tropfte aus seinen Haaren, färbte seinen Hemdkragen rot. Vor Jamies Augen begann sich alles zu drehen. Seine Augen drehten sich im Kreis – sich schnell im Kreis bewegende Umrisse, Farben, Gegenstände. Cindys Stimme: „Nein! Lass ihn in Ruhe! Hör auf!“
Ein Schatten, eine riesige Faust unmittelbar vor seinen Augen.
Er spürte das Zittern in seinem Körper.
Dann wurde es still. Schwarz. Tiefe Dunkelheit.
Das Zittern, das seinen Körper zu lähmen schien, legte sich.
James spĂĽrte, wie sich die innere Unruhe verflĂĽchtigte.
Alles wirkte plötzlich ruhig und friedlich.
Vorsichtig öffnete er seine Augen.
Grelles Licht flutete seine Pupillen.
Er presste die Augen zusammen.
Langsam gewöhnte er sich an die Helligkeit, die nach einer Weile doch nicht mehr so blendend hell zu sein schien. Er spürt einen leichten Widerstand gegen seinen Bauch und einen festen Druck auf seiner linken Hand. Etwas warmes, Wohliges krallte sich daran fest.
Der KrankenflĂĽgel, dachte er.
Über ihm das schwache Flackern einer Gaslampe. Eine helle, gewölbte Decke.
Der Widerstand auf seinem Bauch gab nicht nach, ebenso nicht der Druck gegen seine Hand. So neigte er seinen Blick. Schaute entlang seines liegenden Körpers. Seine Hand lag angewinkelt in Höhe seines Herzens. Sie war fest verkeilt, mit einer anderen Hand. Finger um Finger, wie ein Knäuel miteinander verschlungen.
Die Handinnenflächen lagen aufeinander, von der Wärme fest verschweißt, wie unter einer Saugglocke angezogen.
Lockige, gewellte, braune Haare, unter denen ein paar geschlossen Augen zu erkennen waren, nannten seinen Bauch als ihr Eigen.
Cindy schlief friedlich und ruhig.
War sie etwa die ganze Zeit bei ihm?
Wie lange lag er schon hier?
Mit jedem Atemzug neigte und senkte sich sein Bauch ganz leicht, in einem gleichmäßigen Rhythmus.
Seine Vorsicht, sie nicht aufzuwecken, und eine damit verbundene Veränderung des Rhythmus, ließ sie ihre Augen öffnen. Sie suchten sofort seine Pupillen, und sie verschmolzen miteinander. Sie waren Eins.
Und ihre Augen begannen zu leuchten. So wie immer. So wie er es an ihr liebte.
„Na, mein Held“, flüsterte sie, und strich sich mit der Zunge über ihre Lippen. „Wieder unter den Lebenden?“
James sah, wie ihre Lippen verklebten, wie sie trocken waren.
Ein Zeichen, dass sie schon lange bei ihm sein musste. Vielleicht schon lange in dieser Lage schlief.
„Wie lange bist du schon hier?“, fragte James, mit qualvollen Erinnerungen. „Wie lange bin ich schon hier?“, schob er hinterher. „Was...?“
„Ein paar viel Fragen auf einmal“, lächelte sie. „Für einen Idioten...“
„Für einen Idioten?“, wiederholte James, lächelte aber. „Ja, du bist es. Eindeutig. Kein Traum. Wie immer spontan und direkt.“
Noch immer lag ihr Kopf auf seinem Bauch. Noch immer krallte sie ihre Finger in seine Hand, sie dachte gar nicht daran loszulassen.
„Wir haben Sonntagabend“.
„Sonntagabend?“ wiederholte James, und rechnete gedanklich nach. Die Woche war vorbei...
„Freitagabend, etwa zwanzig Uhr, brachten wir dich hierher.“
Bevor James eine weitere Frage stellen konnte, beantwortete sie seine ungestellte Frage. „Deine Schwester, Teddy, Eloise, und ich.“
Warst du die ganze Zeit hier, hier bei mir? Die Frage wollte nicht ĂĽber seine Lippen.
Er versuchte es mit einer diplomatischen Lösung: „Habt ihr euch abgewechselt?“
Ihr immer noch liegender Kopf drehte sich auf und ab.
Das Leuchten ihrer Augen wurde intensiver. „Nein.“
„Was nein?“
„Ich war die ganze Zeit bei dir“, die Betonung lag eindeutig auf dem ich, „das ist es doch was du hören wolltest?“
„J ... a“, bestätigte James kleinlaut. Inflagranti erwischt. Peinlich...
„Peinlich?“, ihr Lächeln war ansteckend.
„Ich habe dich nur für einen Gang auf die Toilette verlassen. Pomfrey gefiel es ganz und gar nicht, dass sich darauf bestand, hier zu bleiben. Aber wenn ich mir was in den Kopf gesetzt habe...“
„…Dann Gnade mir Gott“, vervollständigte Jamie.
„Deine Schwester ist genauso hartnäckig. Sie leistete mir lange Gesellschaft. Erst Teddy konnte sie überzeugen, dass ihr Bruder in den besten Händen wäre.“
„In den besten Händen?“
Schmunzelnd hob sie die umschlungenen Hände in die Höhe.
„Ich soll dich von ihr grüßen, und sie sofort informieren, wenn du wach wirst.“
„Warum tust es nicht?“
„Das hat Zeit“. Sie legte dabei ein freundliches, warmherziges Gesicht an den Tag. „Diese ersten Minuten mit dir allein, habe ich mir wohl verdient. Lily wird es überleben.“
James blickte sie wieder einmal verlegen an.
„Du hättest dir das alles ersparen können, wenn du gleich zu mir gekommen wärst.“
Wieder antwortete James nicht, seine Augen verschwammen unter sich bildenden Tränen.
„Es ... es...“, schluckte er. „Es tut mir leid. Ich habe gezweifelt – Du fandest ihn süß...“
„Du findest auch so manches Mädchen süß.“
„Ich konnte es dir nicht sagen. Ich dachte du würdest mir nicht glauben, ich wäre nur eifersüchtig, und würde versuchen ihn schlecht zu reden. Du hättest mir nicht geglaubt...“
„Von was redest du überhaupt?“, fragte sie verwirrt.
„Er hat mit seinem Freund gewettet.“
„Gewettet?“
„Im Hogwarts – Express. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, mir wurde schlecht. Ich habe mich übergeben.“
„Was für eine Wette?“, fragte Cindy mit empörten, aufgerissenen Augen.
„Dass er dich innerhalb einer Woche flach legen würde, wortwörtlich.“
„Dieses gottverdammte Arschloch. Was war ich ihm wert?“
„Zwei Hausaufgaben sollte der Verlierer für den Anderen erledigen“, lachte James ironisch.
„Er hat es versucht“, schnaufte Cindy. „Aber ich befürchte in der nächsten Zeit, wird er an so was nicht denken.“
James horchte auf.
„Er hat zwei wichtige Dinge übersehen.“ Cindy atmete einmal tief durch. „Das Eine, war mein sehr spitzes Knie, das auf unerklärlicher Weise, in seinem Gehänge landete. Volle Kanne, würde ich mal behaupten.“
„Ich habe da überhaupt keine Zweifel“, auch Jamie konnte lächeln. „Und das zweite?“ fragte er vorsichtig, aber er kannte die Antwort. Er hoffte auf die Antwort.
„Du Idiot“, fluchte sie. „Er rechnete nicht damit, dass mein Herz schon lange vergeben ist.“
„Und Lily wusste es?“
„Sie wusste es immer. Sie ist ein Mädchen.“
„Ach?“, James offenbarte einen empörten Blick. „Und ich bin ein gefühlskalter Junge, oder was?“
„Ich habe mich ihr anvertraut“, überging sie zunächst seine Erwiderung. „Ich habe es in deinen Augen gesehen. Ich habe deine Zweifel gesehen. Und ich hätte sie dir gerne genommen, aber ich hatte auch Angst, alles noch schlimmer zu machen. Du warst in einem Stadium, indem du nicht mehr kontrollierbar warst. Du warst nicht mehr, du selbst.“ Cynthia schluckte und sah ihn traurig an. „Ich war irgendwie hilflos, deswegen bat ich Lily um Hilfe. Und nein, gefühlskalt würde ich nicht sagen. Idiot trifft es in meinem spontanen Wortschatz wohl am Besten.“
„Dann hältst du aber nicht viel von mir“, traurig senkte James seinen Blick.
„Brauchst du etwa die Hilfe deiner Schwester, um die Wahrheit zu erfahren?“, empörte sich Cynthia.
„Du verhöhnst mich schon wieder.“
„Nein, tu ich nicht. Auch Himbeerpudding in meinem Gesicht mag ich nichts so sehr, eher schon auf einem Löffel, den du mir in den Mund schiebst. Nein Jamie, ich brauche keinen Beweis. Den hast du mir schon eindrucksvoll gegeben.“
„Warum sagst du es dann nicht endlich?“
„…warum sagst du es nicht?“
„Weil ich zuerst gefragt habe“. Ein Lächeln schlich sich auf Jamies Gesicht.
Ja, er fĂĽhlte sich ihr gewachsen. Er konnte ihr Paroli bieten, und er hatte die richtige Antwort parat.
„Also gut, ich sage es“.
Cindys Augen weiteten sich. Mit diesem Mut hatte sie eindeutig nicht gerechnet.
„Du liebst mich!“
Ihr Kopf schnellte in die Höhe, sie schluckte schwer. Sichtlich beeindruckt von seiner Schlagfertigkeit.
Aber das letzte Wort gehört nun mal immer dem Mädchen.
Sie hatte ihren Kopf ganz erhoben, neigte ihn etwas zur Seite, und kam seinem Gesicht gefährlich nahe.
Schon spürte er auf seinen Lippen ihren heißen Atem, der sein Blut in Wallung brachte, und alle Schmetterlinge in seinem Körper aufwühlte. Es waren abertausende, die wild aufgescheucht, durcheinander flatterten. Sein Herz schlug einen panischen, nicht mehr kontrollierbaren Takt.
„Dann liebst du mich auch“, hauchte sie. Seine Augen klappten indem Augenblick zu, als er die sanfte, weiche Haut ihrer Lippen ganz und gar spürte.
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