von rodriquez
In dem Augenblick, als es geschah lag tatsächlich ein Lächeln auf meinem Gesicht, aber es war nur der Geschmack von Kirschen, den ich auf meinen Lippen spürte, und der Gedanke an ein anderes Mädchen, das sich wünschte in seinen Armen zu liegen.
Der Moment war also gekommen, und es tat mehr weh, als ich je zu träumen wagte.
Aus, vorbei. Die erste Entscheidung war gefallen, es schmerzte so sehr, dass ich mich die nächsten Tage größtenteils in der Bibliothek versteckte.
Wenigstens waren Harry und Ginny so taktvoll und hielten sich in Anwesenheit von mir, oder Ron zurück.
Aber ihre Liebe war überall zu spüren, und das Glücksgefühl zierte ihre Gesichter.
Ich sollte mich glücklich fühlen, denn das was ich mir immer für Harry wünschte war eingetreten. Er wirkte glücklich, war ein anderer Mensch, mit anderen Gedanken, anderen Gefühlen, etwas dass er wohl so noch nie erlebt hatte.
Dennoch blieb dieser gewisse Stich unter der linken Brust zurück, ein Stich, der schlimmer und schmerzhafter war, als ich mir je gedacht hatte, als ich je vermutet hatte.
Natürlich fragte ich mich woran das lag, dem richtigen Gedanken erlaubte ich nicht an die Oberfläche zu kommen.
Fatal, ein fataler Fehler, doch ich redete mir ein, dass ich daran nicht mehr ändern konnte, nichts mehr ändern wollte.
Und es waren nur wenige Tage und Wochen, genau wie Mom wieder einmal richtig prophezeite, an denen sie ihr Glück genießen konnten.
Niemand konnte wissen, dass die Uhr unerbittlich tickte.
Unerbittlich gegen ein paar unbeschwerte, wenige glückliche Tage, die ich Harry eigentlich hätte gönnen sollen, und die ich ihm unter bestimmten Umständen auch gegönnt hätte.
Ginnys ZAG – Prüfungen rückten unweigerlich näher, so dass ich mich dabei ertappte, Harry erneut zu ermahnen, er solle Ginny nicht von ihren Prüfungen ablenken.
Böse Zungen könnten behaupten, dass ich ein anderes Ziel damit verfolgte, dem war nicht so.
Ihre Treffen wurden noch seltener als bisher, weil Ginny oft in die Bibliothek verschwand um für ihre Prüfungen zu lernen, und an einem dieser Abende passte ich Harry im Gemeinschaftsraum ab, mit einer Information, die ich seit einigen Tagen mit mir herumschleifte.
Ich beschloss mich zusammenzureißen und wieder in alte Gepflogenheiten zurückzukehren, auch wenn es nur noch allgemeine Gesprächsthemen zwischen Harry und mir geben würde.
Keine heimlichen Küsse in einem kleinen, verträumten Cafe, oder einem Badezimmer, kein Liebesgeflüster, keine Ratschläge in diese Richtung.
Ich vermisste diese Gespräche, ich vermisste ihn, obwohl er noch immer in meiner Nähe war, so nah, und doch so weit entfernt, greifbar und doch unerreichbar.
Oder sollte ich mich getäuscht haben, und alles ist schlimmer als ich gedacht habe?
„Ich muss mit dir reden, Harry“, fasste ich neuen Mut.
Ginny hatte sich, wie erwähnt in die Bibliothek verdrückt und Harry saß völlig in Gedanken vertieft am Fenster des Gemeinschaftsraumes.
Seine Augen waren aus dem Fenster gerichtet, und doch sah er nicht das, was er hätte sehen müssen, offensichtlich durchlebte er gerade noch einmal eine besonders glückliche Stunde.
„Worüber?“ fragte er argwöhnisch.
Nicht über uns!
Ich gab ihm den gleichen argwöhnischen Blick zurück.
„Über den sogenannten Halbblutprinzen.“
„Oh, nicht schon wieder“, stöhnte Harry. „Hörst du bitte mal auf damit?“
„Nein, ich hör nicht auf“, antwortete ich entschieden, „bis du mich mal ausreden lässt. Also, ich habe ein wenig nachgeforscht, wer sich möglicherweise ein Hobby daraus gemacht haben könnte, schwarzmagische Zauber zu erfinden…“
„Er hat sich kein Hobby daraus gemacht…“
„Er, er – wer sagt, dass es ein Er ist?“
„Prinz, Hermine, Prinz nicht Prinzessin!“
„Richtig!“ bestätigte ich lächelnd, und mit einem nervösen Leuchten meiner Augen zog ich einen uralten Zeitungsabschnitt aus meiner Tasche und knallte ihn vor Harry auf den Tisch. „Schau dir das an! Schau dir das Bild an!“
Das Bild zeigte ein hageres Mädchen in etwa unserem Alter. Sie war nicht hübsch, sondern wirkte eher mürrisch und trotzig, und hätte eine Schwester der Maulenden Myrte sein können.
Eileen Prince, Kapitänin der Koboldsteinmannschaft von Hogwarts, lautete die Überschrift.
„Na und?“ fragte Harry gelangweilt, und drehte das Blatt wieder in meine Richtung.
„Ihr Name war Eileen Prince. Prinz, Harry.“
Harry sah mir einen Moment in die Augen. Eine lange nicht gespürte innere Unruhe erfasste mich, doch dann begann Harry schallend zu lachen.
„Auf keinen Fall.“
„Was?“ fragte ich ungläubig.
„Du glaubst, sie war der Halbblut…? Ach, hör doch auf.“
„Warum eigentlich nicht? Es gibt in der Zaubererwelt keine echten Prinzen, Harry! Das ist entweder ein Spitzname, ein erfundener Titel, den sich jemand selbst gegeben hat, oder es könnte der tatsächliche Name sein, richtig? Nein, pass auf! Angenommen, ihr Vater war ein Zauberer, der mit Nachname Prince hieß, und ihre Mutter Muggel, dann würde das bei ihr einen Halbblutprinzen ergeben.“
„Ja, sehr findig, Hermine…“
„Aber das stimmt doch! Vielleicht war sie stolz, ein halber Prinz zu sein!“
„Hör zu, Hermine, ich weiß, dass es kein Mädchen war. Ich weiß es einfach.“
„In Wahrheit glaubst du nur nicht, dass ein Mädchen dafür schlau genug gewesen wäre“, erwiderte ich trotzig und wütend.
Wieder sah mir Harry tief in die Augen, das Kribbeln kam sofort zurück. „Wie könnte ich fünf Jahre lang mit dir rumhängen und immer noch nicht glauben, dass Mädchen schlau sind? Es ist die Art, wie er schreibt. Ich weiß einfach, dass der Prinz ein Typ war, ich spüre das. Dieses Mädchen hat nichts damit zu tun. Wo hast du das überhaupt her?“
„Ich fand den Artikel in einer Sammlung alter Propheten in der Bibliothek.“
Wir wurden von Jimmy Peakes aus den Gedanken gerissen, der plötzlich neben uns auftauchte und Harry ein Pergament entgegen hielt.
Harry sollte so schnell wie möglich in Dumbledores Büro kommen.
„Ob es um einen Horkrux geht?“ fragte mich Ron leise, kaum war Harry aufgebrochen.
„Könnte gut sein“, murmelte ich. „Immerhin war diese Nachricht eilig, sonst hat Dumbledore seine Stunden immer frühzeitig angekündet.“
„Was will Dumbledore?“ fragte ich aufgeregt.
Eine knappe halbe Stunde später kam Harry eilig zurück.
„Harry, alles okay mit dir?“
Er war völlig außer Atem, blass und wirkte sehr aufgewühlt.
„Mir geht’s gut!“ erwiderte er knapp und rannte an uns vorbei in den Schlafsaal.
Nur Sekunden später tauchte er wieder auf, immer noch in Eile, immer noch hektisch.
Verdutzt sah ich ihn an.
„Ich habe nicht viel Zeit“, keuchte er. „Dumbledore glaubt, dass ich meinen Tarnumhang hole. Hört zu! Er wartet auf mich. In fünf Minuten muss ich in der großen Halle sein, daher nur kurz. Auf dem Weg zu ihm traf ich Trelawney, die scheinbar gerade unsanft aus dem Raum der Wünsche geflogen ist, irgendjemand hatte darin gefeiert, ich denke Malfoy, behaltet ihn im Auge! Sie erzählte mir dass es Snape war, der damals das Gespräch im Eberkopf belauscht hatte. Hört ihr Snape! Es war Snape, und so was darf hier unterrichten! Dumbledore hat tatsächlich einen Horkrux ausfindig gemacht, und wir gehen jetzt dahin. Er sei in einer Höhle am Meer, in der er als Kind zwei anderen Waisenkindern Angst gemacht hatte. Mir ist nicht wohl dabei, deswegen wollte ich nochmals hierher, zu euch.“
Ich stieß ein entsetztes Keuchen aus, auch ohne Harrys Erklärung hatte ich verstanden.
Dumbledore würde heute Nacht nicht hier sein, nicht hier in Hogwarts.
„Ich weiß, dass es Malfoy war, der im Raum der Wünsche gefeiert hat. Hier…“
Er drückte mir die Karte des Rumtreibers in die Hand. „Ihr müsst ihn überwachen, und Snape auch. Spannt sämtliche Leute von der DA ein, die ihr auftreiben könnt. Hermine, diese Galleonen, die alle benachrichtigen, funktionieren doch immer noch, oder? Dumbledore sagt, er hat die Schule mit zusätzlichem Schutz versehen, aber wenn er das mit Snape abgesprochen hat, weiß Snape, worin Dumbledores Schutz besteht und wie er ihn umgehen kann – aber dass ihr auf dem Posten seid, wird er nicht erwarten, stimmt’s?“
„Harry…“, begann ich vorsichtig, die Angst ließ mich erzittern.
Doch ich spürte, dass ich ihm vertrauen musste.
„Ich hab keine Zeit zu diskutieren“, sagte er schroff. „Das hier nehmt ihr auch…“. Er drückte Ron die Socke mit dem Felix Felicis in die Hand. „Teilt es euch und gebt auch Ginny davon. Grüße sie von mir. Ich muss mich beeilen, Dumbledore wartet…“
„Nein!“ schrie ich auf, während Ron die Flasche auswickelte. „Wir wollen es nicht, nimm du es, wer weiß, was dich erwartet!“
„Mir wird schon nichts passieren, Dumbledore ist ja bei mir“, sagte Harry und legte gefühlvoll seine Hände auf die Meinigen. „Ich will nur sichergehen, dass mit euch alles okay ist … Guck nicht so, Hermine, wir sehen uns später…“
„Denkst du?“ fragte Ron besorgt, nachdem Harry durch das Portraitloch verschwunden war.
„Ja, Ron, ich denke … wir sollten ihm vertrauen, und wachsam sein. Behalte du die Karte und beobachte Snape und Malfoy. Ich überlege, wie und wann wir die Anderen informieren, wir müssen sie warnen, aber dürfen sie nicht voreilig verunsichern.“
„Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut!“ murmelte Ron und tippte mit seinem Zauberstab auf die Karte. „Da ist Harry … er kommt gerade in die Vorhalle … und da ist Dumbledore … jetzt sind sie weg … Snape ist in seinem Kerker … und Malfoy kann ich nirgends erkennen, er scheint wirklich im Raum…“
„Dann sollten wir handeln, aber nicht unüberlegt, wenn wir alle DA – Mitglieder alarmieren, könnte eine Panik ausbrechen, wir sollten zunächst nur ein paar wenige informieren.“
„Vielleicht die, die auch im Ministerium dabei waren, Ginny, Neville und Luna“, schlug Ron vor.
„Gute Idee Ron, sieh du zu, dass du Neville findest, ich kümmere mich um Ginny und Luna. Wir treffen und dann in der Bibliothek.“
Ich lag mit meiner Vermutung richtig, Ginny und Luna traf ich beim gemeinsamen Lernen in der Bibliothek, schon bei meinem Eintreten erkannten sie mein besorgtes Gesicht.
In Harrys Worten erklärte ich ihnen die Lage, ich hatte gerade geendet, als Ron mit Neville ankam.
„Wir können nicht die ganze Zeit auf die Karte starren“, seufzte Ginny. „Wir sollten uns aufteilen. „Ein Teil sollte den Raum der Wünsche bewachen, die Anderen vor Snapes Kerker Wache stehen.“
Luna erklärte sich bereit mit mir in die Kerker zu gehen, während Ron, Neville und Ginny den Raum der Wünsche im Auge behalten wollten.
„Hier“, hielt ich alle zurück, bevor wir uns aufteilten. „Es war Harrys Wunsch, dass jeder einen Schluck Felix Felicis zu sich nehmen soll. Er wird uns beschützen.“
Gemeinsam mit Luna nahm ich eine sichere Position in der Nähe von Snapes Büro ein.
Die Zeit verging, ohne dass etwas geschah, ohne zu wissen, was oben los war.
Die Stimmung im Kerker war erdrückend, und unaufhörlich tickte die Uhr.
Mittlerweile zeigte sie kurz vor Mitternacht, endlich hörten wir Schritte, die in den Kerker hinuntereilten. Es war Flitwick, der schon von weitem schrie. „Todesser sind im Schloss. Professor Snape – schnell, kommen sie, wir brauchen sie.“
Flitwick rannte an uns vorbei und stürmte in Snapes Büro. „Kommen sie bitte mit Severus, wir brauchen sie“.
Es folgte ein lauter, dumpfer Schlag, die Tür ging auf, und Snape kam herausgestürmt.
„Was machen sie denn hier?“ rief er Luna und mir zu. „Aber wenn sie schon hier sind, kümmern sie sich bitte um Professor Flitwick, er ist hatte einen Zusammenbruch, scheinbar die Nerven, kümmern sie sich um ihn, und bringen ihn in den Krankenflügel, ich werde beim Kampf gegen die Todesser helfen.“
Luna und ich taten wie geheißen, fanden den bewusstlosen Flitwick vor und schleiften ihn in den Krankenflügel.
„Wir können nur warten“, sagte ich, während Poppy sich um Flitwick kümmerte.
In diesem Augenblick erschienen immer mehr Personen. Lupin, Tonks, sie trugen einen verletzten Bill Weasley herein, er sah furchtbar aus, sein Gesicht schrecklich entstellt.
Greyback, der Werwolf habe ihn angefallen, aber er wäre nicht verwandelt gewesen, deswegen könnte Bill Glück im Unglück gehabt haben. Kurze Zeit später kam Ron mit dem leicht verletzten Neville an.
Nur Harry und Ginny fehlten noch.
Wo ist Harry?
Wo bleibt Ginny?
Erneut ging die Tür zum Krankenflügel auf.
Ginny führte einen völlig verstörten Harry herein.
Er stand völlig neben sich.
Was ist geschehen?
Ich konnte mich nicht mehr halten, und rannte direkt auf ihn zu, und drückte ihn in meine Arme.
Auch Lupin kam näher heran.
„Alles in Ordnung mit dir, Harry?“
„Mir geht’s gut … was ist mit Bill?“
Niemand antwortete.
Harry blickte über meine Schulter hinweg, und erkannte ein Gesicht, das so übel zerschnitten und aufgerissen war, dass es grotesk aussah.
Lupin erklärte Harry, dass Bill wohl kein echter Werwolf werden würde, aber die Narben bleiben würden.
„Aber vielleicht weiß Dumbledore etwas das wirkt“, sagte Ron verzweifelt. „Wo ist er? Bill hat auf Dumbledores Befehl gegen diese Wahnsinnigen gekämpft, Dumbledore sollte ihm dankbar sein, er kann ihn nicht in diesem Zustand lassen…“
„Ron“, sagte Ginny behutsam, und alle Augen richteten sich auf sie. „Dumbledore ist tot!“
Dumbledore … ist?
Nein!
Alle Augen blickten zu Harry, der still Ginnys Worte mit einem schwachen Nicken bestätigte.
Noch immer krallte sich Harry an Ginnys Hand fest, sein Blick verharrte traurig und entsetzt auf Bill.
Wie gerne wäre ich es gewesen, die ihn getröstet hätte, aber diese Aufgabe war jetzt Ginny zu teil.
„Wie ist er gestorben?“ flüsterte Tonks. „Was ist geschehen?“
„Snape hat ihn getötet“, sagte Harry. „Ich war dabei, ich hab es gesehen. Als wir zurückkamen, sind wir auf dem Astronomieturm gelandet, weil dort das Dunkle Mal war … Dumbledore war krank, er war schwach, aber ich glaube, ihm wurde klar, dass es eine Falle war, als wir schnelle Schritte auf der Treppe hörten. Er hat mich gelähmt, ich konnte nichts tun, ich war unter dem Tarnumhang – und dann kam Malfoy durch die Tür und hat ihn mit einem Zauber entwaffnet.“
Ich schlug entsetzt meine Hände vor den Mund.
Harry hatte Rechte gehabt, hatte mit seiner Vermutung, seiner Besessenheit, immer Recht gehabt!
Und ich habe ihm nicht vertraut!
Mein Fehler, alles mein Fehler.
Meine Schuld!
Ich bin Schuld am Tod von Dumbledore!
O – Mein – Gott!
Ich hörte gar nicht mehr richtig zu, war den Tränen nahe.
Nur noch Wortfetzen schlugen wie ein Dampfhammer gegen meinen Kopf.
„…dann kamen noch mehr Todesser – und dann Snape – und Snape hat es getan. Mit dem Avada Kedavra.“
Unaufhörlich starrte ich mit traurigen Augen Harry an, der sich von Ginnys Hand gelöst, und seine Hände in den Taschen vergraben hatte.
Irgendeinen Gegenstand ließ er durch seine Hände gleiten.
Ein Horkrux?
Hatten sie einen gefunden?
„Snape hat Dumbledore getötet“, immer wieder wiederholte Harry diese Tatsache.
Draußen erklang der Gesang von Fawkes dem Phoenix, ein unbeschreiblich trauriger, aber schöner Klang, Gänsehaut bedeckte meinen Körper, als wäre die Musik in mir. Die Tränen schossen aus meinen Augen, und kullerten über meine Wangen.
Und ich wusste, es war kein Traum, Dumbledore war wirklich von uns gegangen.
Dumbledore hatte uns verlassen.
Wir wären von nun an auf uns gestellt.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir alle dastanden und dem Gesang lauschten.
McGonagall und Mr. & Mrs. Weasley erschienen im Krankenflügel, und erneut wiederholte Harry seine traurigen Worte: „Snape hat Dumbledore getötet“.
Immer noch prallten die Geschehnisse gegen meinen Kopf, ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Es war Draco Malfoy, der den Todessern mit einem reparierten Verschwindekabinett über den Raum der Wünsche, den Zugang zu Hogwarts ermöglichte.
Warum habe ich nur nicht auf Harry gehört?
Warum nur?
Nicht Harry war besessen, sondern ich!
Ron, Ginny und Neville haben zwar den Raum bewacht, konnten aber nichts tun: Draco hat mit Hilfe von Instant - Finsternispulver und seiner Hand des Ruhms die Todesser im Schutz undurchdringlicher Dunkelheit an ihnen vorbeigeführt.
Der Todesser Gibbon war sofort auf den Astronomieturm gerannt, um als Falle für Dumbledore das Dunkle Mal über der Schule heraufzubeschwören. Kaum zurückgekehrt hatte er versehentlich von einem seiner eigenen Leute einen Todesfluch abbekommen.
Snape hatte Flitwick magisch betäubt, und Luna und mich getäuscht.
Warum ließ ich mich so einfach überrumpeln?
Warum habe ich nie Harrys Befürchtungen bezüglich Snape geglaubt?
Warum?
Warum?
Warum?
Nein, ich habe Harry nicht verdient, ich habe sein Vertrauen missbraucht.
Während McGonagall Harry zu einem Vieraugengespräch in ihr Büro zitierte, gab es noch als Randerscheinung, eine Versöhnung zwischen Mrs. Weasley und Fleur.
Wie nicht anders zu erwarten war der Gemeinschaftsraum bei unserer Rückkehr völlig überfüllt.
Jeder wollte wissen, was geschehen war, und alle warteten auf Harry.
Mucksmäuschenstill wurde es, als er endlich herein kam, aber ohne auf irgend jemanden zu achten, durchschritt er den Raum, vorbei an Dean und Seamus, vorbei an mir und auch vorbei an Ginny, ging die Treppen nach oben und verschwand im Jungenschlafsaal, wo nur Ron auf ihn warten würde.
Ich konnte es ihm nicht verübeln, und fühlte mich schuldig, schuldig, weil ich ihm nicht genügend Vertrauen entgegenbrachte.
Enttäuscht über mich selbst, verließ ich den Gemeinschaftsraum, und zog planlos durch die Korridore.
Mein Weg führte mich zum Ort des Geschehens, nach oben in den Astronomieturm, überall lagen Steinbrocken, die aus den Wänden gesprengt wurden. Blutspritzer, denen ich ausweichen musste.
Ich wollte nicht in das Blut eines Freundes treten, es gab zwar außer Dumbledore nur einen weiteren Toten, einen Todesser, aber der Gedanke, das Blut eines Freundes an den Schuhen kleben zu haben, war als ich hätte ich es selbst vergossen.
Ich hatte Schuld auf mich geladen!
Schuld, weil ich Harry nicht vertraut hatte.
Weil ich zu sehr auf mich konzentriert war.
Es war, als würde ich die grausamen Geschehnisse nacherleben, obwohl ich hier nicht selbst dabei war.
Ich spürte Flüche um meine Ohren fliegen, und wie sie alle ganz knapp an mir vorbeizischen würden, dank Felix Felicis.
Wieder eine lebensrettende Idee.
Wieder hatte Harry Leben gerettet.
Ich unterdrückte die Angst, das unbehagliche Gefühl, überwandt die innere Unruhe, und stieg immer weiter nach oben, an den eigentlichen Schauplatz des Schreckens.
Es war still, unheimlich still, dort ganz oben.
Ängstlich sah ich mich um, und suchte nach jedem kleinen Hinweis, was sich hier vor einigen Minuten abgespielt haben könnte.
Ein kalter Wind erfasste mich, und lies mich erschaudern.
Ein unheimlicher Wind, der mit einem Schrillen pfeifen durch den Astronomieturm rauschte.
Ich ging in eine Ecke des Turms und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand.
„Hier müsste Harry gelegen haben, und bewegungslos den Geschehnissen zugeschaut haben“,
dachte ich laut. „Warum habe ich ihm nur nicht vertraut?“
Ich begann bitterlich zu weinen, und rutschte an der Wand entlang nach unten, meine Hand berührte ein Stück weichen, samtigen Stoff.
Ich griff danach, und hielt Harrys Tarnumhang in meinen Händen, ganz fest presste ich mein Gesicht auf den Tarnumhang, meine Tränen durchweichten den samtigen Stoff.
Eine weiche, beruhigende Hand berührte meine Haare, und strich sanft darüber.
Ich wagte nicht meinen Kopf anzuheben, und spürte wie sich Harry neben mich hinkniete.
Warum habe ich ihm nicht vertraut?
Es konnte nur Harry sein, wer sonst könnte ein solches Gefühl in mir erzeugen?
Eine brennendheiße Träne verirrte sich in meinen Haaren, und trieb mir eine Gänsehaut über den Rücken.
Auch jetzt noch in dieser Situation, in meiner großen Schuld, verzieh er mir und versuchte mich zu trösten.
Nein, das habe ich nicht verdient!
„Ich habe das nicht verdient, Harry. Ich verdiene deinen Trost nicht, weil ich dir nicht genügend vertraut habe.“
Seine Hand hörte nicht auf über meine Haare zu streicheln, langsam spürte ich wie alles in mir immer weiter zusammenbrach.
Nein, das habe ich nicht verdient!
Er presste seine Hand ganz fest auf meinen Kopf, und verharrte für einen kurzen Moment.
„Sag das nicht, Hermine. Du hast soviel für mich getan, du hast soviel für mich aufgegeben. Ich kann das niemals wieder gutmachen.“
„Es ist eigentlich meine Aufgabe, dich zu trösten, dich vor unbedachten Handlungen zu bewahren.“
Ich hatte meinen Kopf leicht erhoben und starrte mit versteinerter Miene in sein Gesicht, vermeid aber den direkten Kontakt mit seinen smaragdgrünen Pupillen.
„Das hast du doch getan. Ich habe mich in die Sache mit Malfoy verrannt und hätte ihn fast getötet, weil ich nicht auf dich hören wollte.“
„Aber du warst doch im Recht?“
„Es spielt keine Rolle mehr, ob ich Recht hatte oder nicht, Dumbledore hat es im Endeffekt nicht geholfen.“
Mit Tränen in den Augen rutschte er entlang der Wand abwärts, bis er unmittelbar neben mir saß.
„Und dabei war alles umsonst“, stöhnte er leise.
„Umsonst?“
Harry fingerte in seiner Hosentasche herum und hielt mir ein Medaillon unter die Nase.
„Das Medaillon? Ihr habt es gefunden?“
„Alles umsonst – mach es auf.“
Automatisch, ohne recht nachzudenken, öffnete ich das Medaillon und fand ein Stück Pergament darin vor. Ich faltete es auseinander und begann zu lesen:
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel