von rodriquez
Ein Blick auf meine Armbanduhr ließ mich zusammenschrecken, „kurz vor Mitternacht!“.
Der Schreck, der durch all meine Glieder fuhr, hatte allerdings nichts mit der bevorstehenden Geisterstunde zu tun.
Ich vielmehr ein ganz anderes Problem. Eigentlich ein Schönes, das einen neuen Abschnitt meines Lebens einläuten würde.
Ohne weiter darüber nachzudenken legte ich meine Bücher bei Seite, ging in meinen Schlafraum, schnappte mir ein Handtuch und einen Bikini, zog mir meinen Bademantel über, dann begab ich mich auf leisen Sohlen in den fünften Stock.
Ein paar besinnliche Minuten wollte ich mir gönnen, allein, bei einem entspannenden Bad im Badezimmer der Vertrauensschüler.
Meine Eltern konnten nicht bei mir in Hogwarts sein, und ich hatte keine Lust irgendwelchen mir eigentlich wildfremden Personen zu begegnen, die einzigen, deren Nähe ich geduldet hätte waren schon vor über eine Stunde in ihren Schlafräumen verschwunden.
So achtete ich sorgfältig darauf, dass niemand meine Absichten bemerken würde.
Der Gemeinschaftsraum war zu dieser Uhrzeit für gewöhnlich menschenleer, so auch an diesem Abend.
Ein paar Minuten nur für mich waren angebracht.
Ja, das wäre jetzt genau das Richtige.
Immerhin stand ich vor einem wichtigen Moment, einem wichtigen Schritt in meinem Leben.
Das ganz in Marmor gehaltene, große Bad der Vertrauensschüler wird um diese Zeit nicht mehr besucht, so würde ich diesen Moment ungestört verbringen können.
Sorgfältig richtete ich mir eines der flauschigen, weißen Badetücher, drehte drei, der unterschiedlich duftenden Wasserhähne auf, und stieg in das große Becken.
Es war schön gemütlich warm, unterschiedliche farbige Badezusätze verbreiteten eine angenehme, fast romantische Stimmung.
Genießerisch lehnte ich mich nach einigen kurzen Schwimmzügen gegen den Beckenrand, und schloss meine Augen.
Während ich mich mit meinen nach hinten ausgestreckten Armen am Beckenrand festhielt, bewegte ich meine Beine im warmen, angenehmen Wasser auf und ab, als würde ich Fahrrad fahren.
Entspannend spürte ich dabei den Widerstand, den das Wasser bot.
Ein paar Minuten nichts hören, nichts sehen, nichts denken.
Nichts denken?
Von wegen!
Ich war froh Harrys besessene Idee über Malfoy zu verdrängen, froh Rons dummes Geplapper nicht ertragen zu müssen, froh Ginnys Liebeskummer nicht um die Ohren zu haben, froh den Halbblutprinzen, das unsägliche Buch abzustreifen, froh für einige Augenblicke dem Schulstress zu entkommen.
Gemächlich tauchte ich meinen ganzen Körper in die weiche, weiße Pracht. Das ganze Bad war überzeugen mit einer dichten Schicht weißem Schaum. Ich tauchte unter und mit wenigen Schwimmzügen streifte ich die ganze Last von mir ab. Ich tauchte wieder zurück zu meinem Ausgangspunkt, tauchte auf, streifte das Wasser und den Schaum aus Gesicht und Haar, und stützte mich mit meinen Armen wieder ab.
Ich fühlte mich so leicht, winkelte meine Beine im neunzig Grad Winkel an, und ließ sie langsam wieder abwärts. Leichte Wellen schwappten bis zum Ansatz meines Bikinioberteils. Dadurch, dass ich mein komplettes Körpergewicht mit meinen Armen auf dem Beckenrand abstützte stieg ich kurzzeitig höher aus dem Wasser, um mich kurz danach wieder komplett abzusenken.
Ich wiederholte das mehrmals ohne irgendwelche Gedanken zu hegen.
Doch dann atmete ich tief durch und spürte, wie die Fragen sofort wieder da waren.
Ob Mom und Dad an mich denken?
Sirius?
Harry?
„Ich wusste, ich würde dich hier finden“
Überrascht öffnete ich meine Augen und sah über meinen Kopf hinweg nach hinten.
„Dachtest du etwa, du könntest diesen Moment alleine verbringen?“, sagte die Stimme aus meinem Rücken, zu der zwei nackte Beine gehörten, die mir zuerst ins Augen stachen, bevor meine Augen aufwärts wanderten, vorbei an eine äußerst altertümlichen Badehose, vergleichbar mit einer Socke von Kreacher, einem nackter Oberkörper, gefolgt von einem grinsenden Gesicht, pechschwarzen Haaren und einer Blitznarbe an der Stirn, lediglich die Brille fehlte.
Meine entzückten Augen brachten mein Blut in Wallung.
„Wie lange stehst du schon da?“
„Nicht lange genug“, Harry zuckte enttäuscht mit seinem Kopf. „Du hattest den Bikini schon an.“
„Dein Glück!“ fauchte ich mit gespielter Empörung.
„Warum? Du hast eine tolle Figur, und dein Bikini betont das noch ein bisschen mehr, du brauchst wahrlich nichts zu verstecken“, sagte er ohne Rot zu werden, im Gegensatz zu mir.
„Dan – ke“, hustete ich verlegen.
„Wenngleich…“, lächelte er.
Wenngleich?
„Dein Bikinioberteil sehr knapp ausgefallen ist.“
Upps, Nein!
„Du brauchst dich gar nicht über Ginnys geöffnete Bluse zu beschweren.“
„Habe ich das?“
„Nicht unbedingt mit Worten…“, lächelte er.
„Übrigens hatte ich mit keinem Gast gerechnet, ich wollte alleine...“
„Warum verschließt du dich? Zeig doch ruhig was du hast.“
Schluck.
„Wenn ich das aber nicht möchte? ... Und übrigens deine Badehose betont auch sehr deinen Körper, wenngleich sie wohl eher falsch platziert ist, und mich an eine Socke von Kreacher erinnert.“
„Du bist fies! Ich mache dir ein Kompliment, und du fällst über mich her. Soll ich sie lieber ausziehen, wenn sie dich stört?“
„Untersteh dich!“ schrie ich empört, als er an seinem Hosenbund zu fingern begann.
Erneut schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, und er blickte zur Uhr.
Er versucht dich zu reizen!
Warum tut er das?
Ich verglühe innerlich.
Es ist nicht fair.
Das darf nicht sein!
„Ist es dir unangenehm, dass ich hier bin?“, fragte er vorsichtig „Soll ich lieber wieder gehen?“
Die Frage war durchaus Ernst gemeint, ich konnte es an seinen Augen erkennen.
Nein! Bloß nicht!
„Nein“, murmelte ich leise.
„Was wäre denn schlimm daran, wenn ich die Hose wirklich ausziehen würde? Wir tun nichts Verbotenes!“
„Ich dürfte das niemals sehn!”
„Was?“, schüttelte sich Harry. „Muss ich das verstehen?“
„Es wäre…“, ich suchte nach dem richtigen Wort, „wäre, wäre … unnatürlich!“
„Hermine, du spinnst! Was wäre daran unnatürlich? Alles an dir, oder an mir, ist echt, ich kann da nichts Unnatürliches feststellen?“
“Nein, du verstehst mich nicht … es ist nur, dass du … wir … uns … niemals … lieben ... nackt … sehen dürften!”
“Du sprichst in Rätseln?”
Er hatte mich ganz schon in die Enge getrieben, und genoss das Bad vor dem Bad.
„Weil wir verdammt noch mal Freunde sind! Beste Freunde! Und die sehen sich gewöhnlich nicht nackt an…!”
Harry lachte. „Beste Freunde tun das nicht?“
„Nein! Verdammt noch mal!“
Er machte mich wahnsinnig, mit Worten, mit seinem Körper, mit seiner Anwesenheit.
Komm jetzt endlich ins Wasser.
Spinnst du?
„Darf ich jetzt zu dir rein ins Wasser, oder tun das Freunde auch nicht?“
„O Harry, du machst mich wahnsinnig!“
„Das will ich doch hoffen“, sagte er, neigte sein Knie nach vorne und tauchte sein erstes Bein ein.
Harry stieg neben mir ins warme Wasser, das mir sofort kochend heiß vorkam.
Ein paar Schritte lief er zur Mitte des Beckens, dann sank sein Körper nach unten weg, bis er völlig untergetaucht war. Direkt neben mir tauchte er wieder auf, lehnte sich an den Beckenrand, legte wie ich den Kopf zurück und schloss die Augen.
Wasser plätscherte und auf der Wasseroberfläche bildeten sich kleine Wellen.
Schließlich öffnete er wieder seine Augen, richtete seinen Blick nach oben über die reichverzierte Decke, dann über die Oberfläche des heißen Wassers, über dem der Dampf sich in kleinen Spiralen nach oben kräuselte. In den hohen Bleiglasfenstern, spiegelte sich verschwommen der Mond, da die Scheiben wegen dem Dampf beschlagen waren.
Der einzige Junge, den ich wirklich Liebe, mein bester Freund, und doch unerreichbar.
Es darf nicht sein.
Ob Harry genauso denkt?
„Herzlichen Glückwunsch zur Volljährigkeit“.
Harry stand mir plötzlich unmittelbar gegenüber, Auge in Auge, Nase an Nase.
Ich hatte es gar nicht bemerkt.
Ach, es ist einfach so unbeschwert in seiner Nähe.
Einige Wellen des wohlig warmen Wassers schwappten mir entgegen, und hoben und senkten wellenförmig meine Brust.
Wieder einmal standen wir uns also Nase an Nase gegenüber, und ich spürte ein energiegeladenes Surren in meinem Körper, alle Innereien schienen die Plätze untereinander, in rasantem Tempo zu tauschen.
Dann legte er seine Arme um meinen Hals und zog mich zu sich heran, ich konnte mich nicht dagegen wehren, ich wollte mich nicht wehren.
Seine Lippen kamen näher, und näher, und näher, und näher ... und dann spürte ich sie, ganz innig, leidenschaftlich und weich.
Ganz fest drückte er mich an sich, mein knapper Bikini mit seinem weichen Inhalt drückten gegen seinen Brustkorb, seine Beine streiften in dem mittlerweise kochenden Wasser die Meinigen, eine Hand löste er aus meinem Genick und vergrub sie in meinen nassen Haaren.
Ich wehrte mich nicht, es war unmöglich für mich.
So sehr ich es auch zu verhindern versuchte, meine linke Hand machte sich selbstständig, sie strich ganz sachte mit den Fingernägeln über sein Schulterblatt, wanderte nach hinten auf seinen Rücken und presste ihn noch näher an mich heran.
„Alles Liebe zum Geburtstag“, hauchte er, nach einem gefühlten, viel zu kurzen Augenblick.
Es war offensichtlich, dass er den Moment in Little Whinging nur andeuten, aber nicht die Intensität wiederholen wollte.
Aber es genügte, um alles wieder aufkeimen zu lassen.
Alles was ich so sehr versuchte zu verdrängen, war auf einen Schlag, auf den Bruchteil einer Sekunde wieder da.
Noch einmal erlebte ich den schönsten, peinlichsten und aufgewühltesten Moment meines bisherigen Lebens, und wieder lag der Geschmack von Kirchen auf meinen Lippen.
„Danke“, hustete ich verlegen zur Antwort. „Aber wenn uns hier jemand erwischt? Vor allem eine gewisse Person würde uns Vierteilen“, lächelte ich gequält.
Ich schloss enttäuscht über mich, meine Augen und seufzte.
Noch immer stand er mir gegenüber, wortlos streichelte er über meine Haare, und klemmte verträumt eine Strähne meines Haars hinter mein Ohr. Seine Finger wanderten über mein Gesicht, streichelten zärtlich meine Wangen, meine Augen, die ich unter der Berührung schließen musste, und schließlich beendete er den Moment an meinen Lippen.
Dann besann er sich und rückte wieder ab, zurück in die Ausgangsstellung, neben mir am Beckenrand.
„Hier habe ich das Ei für die zweite Prüfung des Trimagisches Turniers geöffnet“, sagte er in Gedanken vertieft. „Es war eine glückliche Zeit, weil ich da noch einen Paten hatte.“
Sein Kopf drehte sich hastig in meine Richtung. „Tut mir leid“, krächzte er hervor. „Tut mir leid, dass ich so unbedacht geredet habe.“
Ich schüttelte leicht meinen Kopf. „Ist schon okay, Harry. An diesem heutigen Tag, sollte es erst Recht erlaubt sein, sich an eine wichtige Person, in unser beider Leben zu erinnern. Mir fehlt er genauso, auch wenn ich nach wie vor nicht die volle Wahrheit kenne.“
Wie verbrachten die nächste Minute schweigend, wie zu einer Gedenkminute, dabei strich ich mir ohne zu Überlegen mit dem Zeigefinger über meine Lippen, bewegte ihn ein kurzes Stück weiter nach oben, und sog den Geruch von Kirschen genussvoll ein.
„Warum tust du mir das an, Harry?“ fragte ich unüberlegt, und wie aus meinen Gedanken heraus.
„Was willst du von mir hören, Hermine? Willst du hören, dass ich dich Liebe, dass ich dich zu jederzeit küssen möchte? Dich berühren möchte? – Oder willst du hören, dass ich sage wir sind wie Bruder und Schwester, es ist normal, dass ich in deiner Nähe sein will?“
Eine kleine Träne verirrte sich in meinem Auge.
Meint er das ernst, oder nimmt er mich wieder nur auf den Arm?
„Weißt du“, sagte er, nachdem ich es nicht schaffte meinen Mund zu öffnen, „ich verstehe dich nicht, du möchtest nicht über Little Whinging sprechen, aber fragst mich jetzt warum ich dir das antue? Denkst du dabei nur an dich? Hast du auch nur einmal daran gedacht, wie ich mich fühlen könnte? Oder glaubst du ich spiele wirklich nur ein was wäre wenn Spiel mit dir?“
„Wir sind so was wie Bruder und Schwester, du hast es selber gesagt, wir dürfen das nicht, wir dürfen diese Gefühle nicht haben.“
„Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, die wir nicht kennen, aber wir sind keine Geschwister. Aber in einem Punkt gebe ich dir mittlerweile Recht, es steht zuviel auf dem Spiel, viel mehr, als wir selbst wert sind.“
Die letzten Worte klangen verbittert.
„Dann sage ich dir jetzt das, was du hören willst“, schwer schluckend schielte ich zu ihm hin. „Ich begehre dich nicht, ich spiele nur mit dir“, und leise fügte er hinzu. „Auch wenn es nicht der Wahrheit entspricht.“
Aus meinem Auge tropfte eine weitere Träne, die sich im heißen Wasser des Bades sofort verlor.
Bleib stark!
Reiß dich zusammen!
„Darf ich dir eine Frage stellen?“ sagte ich nachdenklich. „Der Amortentia, du erinnerst dich? Nach was...?“
„Es war irgendwie komisch“, Harry schien zu überlegen. „Etwas, das mich irgendwie an einen Hund erinnerte, ein sehr blumiger Duft war dabei, und dann noch ein Dritter Duft, der mich an Kirschen erinnerte.“
Kirschen? Dachte ich erschrocken und schluckte schwer.
Sirius, und der blumige Duft, den Ginny als Parfüm an sich trägt.
„Bei dir war es frisch gemähtes Gras, neues Pergamentpapier und …“.
Kirschen!
Doch ich war wieder einmal zu feige, und versiegelte meine Lippen.
„Du hast dich aber gut daran erinnert“, antwortete ich stattdessen, ohne auf den dritten Duft einzugehen. „Ginny trägt einen blumigen Duft an sich“, erwähnte ich stattdessen und in voller Absicht.
„Das habe ich selber schon bemerkt“, sagte er, für mich nicht überraschend. „Der Hundegeruch erklärt sich von selbst, und Kirschen esse ich für mein Leben gerne, du erinnerst dich auch an die Cherry - Coke?“
Und ob!
Erschrocken zuckte ich zusammen.
„Entschuldige“, sagte er besorgt.
„Kein Problem“, log ich, und dachte: Die Kirschen kann er mir nicht zuordnen, weil er selber oft den Kirschengeschmack im Mund hat.
Schade
Nein, nicht schade, das ist sogar gut so!
„Was hast du?“
„Nichts“, log ich weiter.
„Denkst du noch daran?“ fragte er vorsichtig weiter.
Und ich spürte erneut, dass er gerne darüber sprechen würde.
Aber wieder verhielt ich mich, wie ein Feigling, und antwortete mit der größten Lüge der Welt. „Nein.“
Ob er mir glaubte?
Ob er etwas spürte?
Ob er etwas wusste?
Ob er es bewusst noch mal angesprochen hatte?
„Tut mir leid, dass ich erneut davon angefangen habe, wenn du irgendwann mit mir darüber sprechen willst, dann werde ich dir zuhören. Und deine Antwort war eine Lüge...“
Was wollte er noch von mir hören?
Ich hatte Angst, etwas Anderes zu hören als das, was ich mir erhoffte.
Ich hatte sogar Angst, das zu hören, was ich hören wollte.
Aber was wollte ich wirklich von ihm hören?
Eigentlich waren doch alle Worte dazu gefallen.
Hast du wirklich, je daran gedacht, wie er sich fühlen könnte?
Du hast dich wieder feige verhalten und geschwiegen, im Gegensatz zu ihm!
Ich hätte ihm nie mein Herz ausschütten können, ich war so ein erbärmlicher Feigling.
Er hatte es getan, und er hätte meine Bedenken verstanden.
Aber was, wenn nicht?
Ich hätte ihm nie sagen können, ich liebe dich, niemals, denn ich hatte noch mehr Angst davor, dass es unsere Freundschaft zerstört hätte, und unsere Freundschaft zu verlieren, war das schlimmste, was ich mir hätte vorstellen können.
Was wenn er nicht so empfunden hätte?
Du zweifelst noch immer?
Ja! Das tue ich, weil wir es nicht riskieren dürfen!
„Ich befürchte dein nächster Geburtstag könnte nicht so ruhig und besinnlich verlaufen“, wechselte er radikal die Richtung.
Ich nickte nachdenklich. „Ab deinem Geburtstag werden wir … ich mag gar nicht daran denken“. Ich tat es dennoch und noch etwas für das ich mich hätte ohrfeigen können. „Wie steht’s mit deiner Aufmerksamkeit für Ginny?“
„Du hast es bemerkt?“
„Ist ja nicht zu übersehen“, lächelte ich. „Du redest mit uns, und deine Augen sind an einem anderen Ort.“
„Tut mir leid, ich hoffe Ron hat noch nichts bemerkt?“
„Ach der, der ist doch blind!“ fauchte ich.
„Wegen dir?“
Wegen mir?
„Ich meine, weil er dir nicht die Aufmerksamkeit entgegenbringt, die du dir vielleicht wünschst?“ beantwortete er meine ungestellte Frage.
Woher willst du wissen, was ich mir wünsche?
„Ach der, der kann machen was er will“, antwortete ich etwas zu energisch.
„Was ist jetzt mit dir und Ginny?“ hakte ich erneut nach.
„Nichts – sie ist Rons Schwester und sie geht mit Dean.“
„Mit dem sie sich andauernd zofft“.
War des gerade ein Leuchten in seinen Augen?
„Wie das?“ fragte er vorsichtig.
„Ist mir nur aufgefallen, für Details musst du sie schon selber fragen.“
Erschrocken zuckte er. „Ich werde mich hüten.“
„Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass ich was von Ron will?“
„Stimmt es etwa nicht?“ fragte er erstaunt. „Nun, ich spüre es an der Art, wie er über dich spricht, sich aber nicht traut … und Ginny hat auch schon eine Andeutung gemacht.“
„Ginny?“ schrie ich auf. „Was hat sie gesagt?“
„Ach nichts schlimmes, dass du sie dafür hassen müsstest. Sie hat mich nur danach gefragt, ob mir schon das heimliche Geturtel zwischen euch aufgefallen wäre.“
„Die spinnt doch!“
Beide in Gedanken vertieft, trockneten wir uns ab, zogen unsere Badmäntel über, und gingen wortlos nebeneinander zurück in den Gemeinschaftsraum.
„An was denkst du?“ fragte Harry vorsichtig.
„Daran, dass ich jetzt volljährig bin“, log ich.
Feigling!
Denn in Wirklichkeit stand ich wieder einmal an einer Bushaltestelle und hoffte der Bus würde niemals kommen.
„Feigling!“
War es Harry, oder mein Gewissen?
Ich konnte nicht unterscheiden, wer mir das Wort gegen meinen Kopf warf.
Der Gemeinschaftsraum war bei unserer Rückkehr immer noch verlassen, kein Mensch weit und breit. „Gute Nacht, Harry!“ wünschte ich ihm, etwas zu schnell.
Wieder einmal, wollte ich mich so schnell wie möglich verkriechen.
„Bitte warte noch einen kurzen Moment“, bat Harry, und hielt mich am Arm fest. „ Nur einen kurzen Augenblick noch. Ich bin gleich zurück.“
Er verschwand in seinem Schlafsaal, und kam nur einen Wimpernschlag später wieder zurück, mit einem kleinen zum Geschenk verpackten Gegenstand in der Hand.
„Was ist das?“ fragte ich erstaunt, als er mir den Gegenstand entgegenreichte.
„Eine kleines Geburtsgeschenk…“, begann Harry.
„Aber du brauchst doch nicht…“, unterbrach ich.
Harry ließ sich nicht unterbrechen. „…von einem sehr guten Freund, der mir aufgetragen hatte, dir das an deinem siebzehnten Geburtstag zu geben. Mein Geschenk bekommst du morgen früh, damit niemand auf dumme Gedanken kommt“, zwinkerte er mir zu.
Ein Freund?
Beruhigend legte er seine Hände auf meine Hand, die an dem Papier zu zerren begann.
Erneut zog ein heißer Vulkan durch meinen Körper, und die Lava breitete sich überall, und bildete an der Oberfläche Gänsehaut.
„Nicht hier!“, schluckte Harry, nach einigen langen Augenblicken, auch an seinem Arm konnte ich die Gänsehaut erkennen. „Öffne es ... alleine. Es gehört nur dir, nur dir allein.“
Langsam und zuckend zog er seine Hand weg, und mit ruckartigen Bewegungen drehte er seinen Kopf zum Gehen.
Küss mich noch einmal!
Doch Harry hatte mir schon den Rücken zugewandt.
Küss mich noch einmal, bitte, küss mich noch einmal, flehte ich hinterher.
„Gute Nacht, Hermine!“
Seine smaragdgrünen Pupillen unmittelbar vor meinen Augen, ich schloss sie, und er erhörte meinen Wunsch … für etwa eine Sekunde.
„Darf ich dir noch eine letzte Frage stellen?“, sagte er, und hielte meine Handgelenke umschlossen.
Ich nickte vorsichtig.
„Denkst du Ginny wäre die Richtige?“
Ein schwerer Klos machte sich auf die Wanderschaft durch meinen Hals bis in die Tiefen meines Magens, und es dauerte länger als der Kuss.
„Warum fragst du das mich?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage. „Ausgerechnet mich?“
„Wen soll ich sonst fragen?“
„Ich bin deine Schwester“, keuchte ich unüberlegt. „Ginny liebt dich schon lange. Sie versteht dich, und ihr steht auf einer Welle.“
„Du meinst Quidditich?“
„Sie hört dir zu, sie hat Einfluss auf dich.“
„Das hast du auch.“
„Aber wir sind eher, wie Bruder und Schwester“.
Die symbolische Ohrfeige schmerzt heute noch.
Harry nickte mir lediglich zu, und schloss seine Augen, dann wandte er sich endgültig zum Gehen.
Aber noch auf der Treppe drehte er sich noch einmal um.
„Bruder und Schwester küssen sich aber nicht so, wie wir es getan haben“.
Zum Abschied schenkte er mir ein trauriges Lächeln.
Zurück in meinem Bett öffnete ich unter der Decke, das Geschenk, und fand eine kleine hölzerne Schatulle vor.
Langsam öffnete ich den Verschluss.
Ein glänzender silberner Schlüssel und eine goldene Uhr lagen darin, und eine kurze handschriftliche Botschaft.
Liebste Hermine.
Alles, alles Liebe zu deinem siebzehnten Geburtstag.
Sehr wahrscheinlich werde ich dir dein Geschenk zur Volljährigkeit, nicht selbst überreichen können, aber ich denke mit Harry einen ebenbürtigen Überbringer ausgewählt zu haben.
Verzeihe mir bitte alles was ich dir antun und verheimlichen musste, auch jetzt noch.
Mein Geschenk ist ein Schlüssel, der zu einem Verlies passt, dessen Inhalt, den zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben Zutritt verschafft.
Ich denke, du weißt, wo sich dieses Verlies befindet.
Benutzte ihn aber bitte erst, wenn ihr alles überstanden habt.
Die goldene Planetenuhr ist das Standartgeschenk für die Volljährigkeit, du bist schlau genug, um herauszufinden, welche Funktionen man den zwölf Zeigern zuordnen kann.
Bitte verzeihe mir meine Verschwiegenheit und meine unzähligen Fehler.
Ich hoffe du wirst irgendwann mein Handeln verstehen.
Ein schnüffelnder Freund
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel