von rodriquez
Es herrschte einige Minuten eisernes Schweigen im Zimmer, es war mucksmäuschenstill, dann vernahm ich ein leises Schluchzen, das zunächst einem Schluckauf ähnelte, aber unverkennbar sich weiter entwickelte.
Das Geräusch kam eindeutig von dem zusammengerollten, rothaarigen Knäuel im Bett neben dem Meinigen.
Urplötzlich meldete sich mein schlechtes Gewissen.
Hatte ich sie zu massiv attackiert?
War ich unfair? – Ungerecht?
Ich hatte wohl nicht das Recht, ĂĽber sie zu urteilen.
Und ich war wohl auch zu stark von den eigenen Emotionen gesteuert.
„Ginny, es tut mir leid“, flüsterte ich leise in die Dunkelheit. „Ich habe nicht das Recht über dich zu urteilen.“
„Nein, nein“, schluchzte sie. „Es ist nicht deine Schuld. Im Gegenteil, mir ist klar geworden, dass du Recht hast. Ich bin bewusst zu Harry gegangen, mit der festen Absicht ihn anzumachen, und mit der Hoffnung auf Informationen. Es war ein Fehler, weil ich einen Freund habe und es war egoistisch von mir.“
„Bist du nicht glücklich mit Michael?“
„Ich weiß es nicht“, schniefte sie. „Er ist ein netter Junge, aber viele Dinge kann ich einfach nicht mit ihm bereden, und immer wieder kommt Harry darin vor, er ist wie eingebrannt, in meine Gedanken. Michael spürt, dass ich gedanklich woanders bin, vielleicht spürt er sogar, dass ich gedanklich bei einem Anderen bin.“
„Also liebst du Harry immer noch, stimmt das?“ fragte ich.
„Vielleicht … aber nur ein klein wenig … ich denke aber, eher nicht … weil Michael …“, stammelte sie.
„Ich verstehe“, sagte ich, stand auf und ging zu ihrem Bett.
Ginny hatte sich tränenaufgelöst gesetzt.
„Ich werde niemals aufhören ihn zu lieben, vielleicht ist gerade das mein Problem, alles Andere war eine Lüge an mich selbst.“
Wir umarmten uns, ganz herzlich und mit einem ehrlichen GefĂĽhl.
„Wenn ich jemals wirklich über Harry hinweg kommen sollte, musst du aber auch aufhören den Leuten zu erzählen, dass ich ihn liebe“, sagte sie unter einem abschließenden Schniefen.
„Willst du damit andeuten, dass du dich wirklich von Michael trennen würdest … wenn?“
Ich legte meine Hand auf ihren Mund, um sie an einer LĂĽge zu hindern.
„Glaubst du so was wirklich von mir? Ich bin mit Michael zusammen. Und wenn ich bemerken sollte, dass Harry seine Blindheit ablegen würde, und er mir die bewusste Frage stellen sollte, ich würde ihm sagen, dass ich vergeben bin“, sagte sie trotzdem.
Ich starrte sie ungläubig an.
„Wenn es so wäre, wie du … wolltest?“ provozierte ich weiter.
„Ja! Ich würde“
„Dann müsstest du jetzt zugeben, dass du nichts mehr für Harry empfindest.“
„Ich bin über Harry weg!“ knurrte sie.
Sie wandte sich von mir ab, so energisch, dass ihr Haar in mein Gesicht peitschte, ließ sich seitwärts in ihr Kissen fallen, und trommelte mit ihren Fäusten auf das Bett.
„Es tut mir leid Ginny“, murmelte ich erneut. „Ich glaube dir“, sagte ich, und legte meine Hand auf ihre Schulter. „Von mir aus bist du über Harry hinweg.“
Sie akzeptierte meine Entschuldigung und ich konnte meine beste Freundin ein weiteres Mal umarmen.
„Ich liebe Harry“, flüsterte sie in die Dunkelheit. „Und ich werde ihn immer lieben.“
Der Morgen unserer Abreise nach Hogwarts begann sehr hektisch.
Bereits in den frĂĽhen Morgenstunden, wurde ich von der RĂĽckkehr Hedwigs geweckt.
Direkt nach meiner Erkenntnis, VertrauensschĂĽler geworden zu sein, lieh ich sie mir von Harry aus, um meine Eltern von der erfreulichen Nachricht zu informieren.
Sie freuten sich sehr über diese Nachricht, allerdings warnte mich Mom auch, sehr behutsam mit Harry umzugehen, immerhin hätte es sein Dad in seiner Abschlussklasse zum Schülersprecher geschafft, das könnte ihm einen Knacks verpassen, weil Harry meilenweit aus diesen Fußstapfen heraus wäre.
Schlaftrunken wankte Ginny hinaus auf den Flur.
Es gab einen fĂĽrchterlichen Knall und ein folgendes Gepolter und Geschrei.
Ich reimte mir zusammen, dass die Zwillinge, um sich die MĂĽhe des Schleppens zu ersparen, ihre Koffer verhext hatten, sie nach unten schweben lieĂźen, dabei waren sie wohl gegen Ginny geknallt, die die Treppen nach unten in die Halle stĂĽrzte.
Als ich selbst den Flur betrat, hatte Mrs. Weasley ihre Tochter gerade wieder magisch gesund gepäppelt.
Den Weg nach King’s Cross mussten wir zu Fuß zurücklegen.
Eine Leibgarde mit Molly Weasley, Mad-Eye Moody, Tonks, Lupin und einem Sturgis Podmore, der aber nicht erschien, sollte uns begleiten.
Entgegen Dumbledores Anweisungen nutzte Sirius die Gunst der Stunde und ersetzte Podmore in Gestalt eines Hundes.
Ausgelassen genoss Sirius diesen Freigang.
Ich fühlte mich ziemlich unwohl bei dieser gefährlichen Aktion, doch Tatze tollte bellend umher, benutzte unsere Beine, wie Slalomstangen.
Etwa zwanzig Minuten dauerte der aufregende, aber beschwerliche FuĂźweg, auf dem nichts Bedeutendes geschah, auĂźer das Sirius zur Belustigung, einige Katzen erschreckte, nach Tauben schnappte, und andauernd Harry und mir um die Beine schlich.
So gelangten wir ohne größere Probleme auf den Bahnsteig von Gleis 9 3/4.
Der Hogwarts – Express stand bereit und blies seinen rußigen Dampf abfahrbereit über das dichte Getümmel abreisender Schüler und deren Familien.
Er kehrt tatsächlich zurück, dachte ich glücklich, als Harry vor mir in den Zug kletterte.
Wie lange musste ich hoffen, dass dem so sein wĂĽrde!
Moody und Lupin sprachen ihm aufmunternde Worte zu, wobei Moody es sich nehmen lieĂź, uns alle noch einmal eindringlich zu warnen.
„Den Kopf in Deckung und die Augen offen halten“, sagte Moody zu Harry, „und vergesst nicht, das gilt für alle – seit vorsichtig, was ihr schreibt.“
„War großartig, euch alle kennen zu lernen“, sagte Tonks und umarmte Ginny und mich ganz herzlich.
„Um Himmels willen, benimm dich mal ein bisschen mehr wie ein Hund, Sirius“, mahnte Mrs. Wesley.
Für einen kurzen Moment stellte sich der große schwarze Hund auf die Hinterläufe und legte die Vorderpfoten zunächst auf meine, dann auf Harrys Schultern.
Langsam fuhr der Zug an, und noch immer rannte ein groĂźer schwarzer Hund, wie ein Besessener neben dem Zug her, bis der Zug in die erste Kurve einbog, der Bahnsteig zu Ende war, und die Fahrt an Geschwindigkeit aufnahm.
Die Gestalten auf dem Bahnsteig verschwammen im dichten Rauch, und waren schlieĂźlich vollends verschwunden.
„Er hätte nicht mitkommen sollen“, murmelte ich traurig.
Hoffentlich kommen sie auch wieder heil zurĂĽck!
Der Zug hatte mittlerweile volle Fahrt aufgenommen, und wir standen immer noch auf dem Gang und starrten durch ein Fenster zurĂĽck auf London.
„Wollen wir uns ein Abteil suchen?“ fragte Harry.
Ron schenkte mir einen ängstlichen Blick.
Mist, das hatte ich ja fast vergessen!
„Wir – ja – Ron und ich müssen ins Vertrauensschülerabteil“, stotterte ich zusammen.
Ron mied Harrys Blick, er schien sich brennend für die Fingernägel seiner linken Hand zu interessieren.
„Oh“, sagte Harry enttäuscht. „Gut. Na schön.“
Zu meiner Überraschung übernahm Ginny die Initiative. „Komm schon“, trieb sie ihn an, „wenn wir uns beeilen, können wir ihnen Plätze freihalten.“
Energisch griff sie nach seinem Arm und zerrte ihn hinterher.
Hatte sie sich nicht auf ein Wiedersehen mit Michael gefreut?
Von wegen, ich bin ĂĽber Harry weg!
Ron und ich waren die Letzten, die im VertrauensschĂĽlerabteil ankamen.
Die Einweisung hatte schon begonnen.
Ăśberrascht registrierte ich auĂźer uns noch, Anthony Goldstein und Padma Patil aus Ravenclaw, sowie Ernie McMillan und Hannah Abbott von Hufflepuff.
Der Mund klappte mir auf als ich die Vertreter von Slytherin erblickte.
Draco Malfoy und die dumme Kuh Pansy Parkinson, grinsten uns hämisch entgegen.
War für ein Triumph für Malfoy, stöhnte ich.
Egal was Harry jetzt tun würde, Malfoy könnte ihm Strafen verhängen und Punkte abziehen.
Und diese Parkinson, bei ihrem Anblick rollte ich mit den Augen.
Für mich ein völliges Rätsel wie die es geschafft hatte, die ist doch dümmer als ein Troll mit Gehirntrauma...
Allerdings haben Trolle in meiner Phantasie kein Hirn.
Ab und zu im Zug nach dem Rechten sehen, notfalls Strafen androhen und verhängen, und bei der Ankunft in Hogsmeade darauf achten, dass alle aussteigen, und die Erstklässler führen, waren unsere ersten Anweisungen.
Fast eine Stunde dauerte diese Einweisung.
Ron’s Magen knurrte schon verdächtig.
Im Anschluss mussten wir fast den ganzen Zug durchqueren, um unsere freigehaltenen Plätze zu finden.
Neville Longbottom, war der Erste der mir auffiel, als wir eine der letzten Abteiltüren öffneten.
Ihm Gegenüber saßen Harry und Ginny, angestrengt vertieft in ein Gespräch.
Am Fenster ein weiteres Mädchen, dass mir Ginny im letzten Jahr schon vorgestellt hatte.
Luni … Luna Lovegood.
Das Mädchen am Fenster blickte auf.
Mir fiel als Erstes auf, dass sie die Zeitschrift in die sie vertieft war, verkehrt herum hielt.
Der Klitterer, ich rĂĽmpfte meine Nase.
Kein Wunder, den kann man nur verkehrt herum genieĂźen.
Billige Boulevardpresse.
Luna hatte zotteliges, hĂĽftlanges, schmutzig wirkendes, blondes Haar.
Dazu helle Augenbrauen und Glubschaugen.
Fast konnte man meinen, sie wurde permanent staunen, so auch als sie uns erblickte.
„Oh – Hallo“, säuselte sie mit einer seltsamen verträumten Stimme.
„Die ist nicht ganz knusper“, murmelte Ron.
Empört trat ich ihm auf den Fuß.
„Aua!“
Allerdings hatte er damit nicht ganz Unrecht.
Allein schon die Tatsache, dass sie ihren Zauberstab zur sicheren Aufbewahrung hinter ihr linkes Ohr geklemmt hatte oder dass sie ein Halsband aus Butterbierkorken trug, lieĂźen sie spleenig erscheinen.
Ron richtete sofort seine Aufmerksamkeit etwas Essbarem zu.
Nachdem ich in Kurzform die Versammlung erklärte und die Vertrauensschüler erwähnte, räusperte sich Luna.
„Du bist doch mit Padma Patil zum Weihnachtsball gegangen“.
Sie starrte Ron an, der eine krebsrote Farbe im Gesicht angenommen hatte.
Fast hätte er sich an einem Schokofrosch verschluckt.
„Ja, weiß ich wohl...“, murmelte er.
„Ihr hat’s nicht besonders gefallen“, sagte sie frei heraus.
Offen, ehrlich, spontan!
Ginny unterdrückte ein Kichern, aber auch Harry wirkte belustigt, und warf mir einen heimlichen Blick zu, den ich wohl nicht bemerkt hätte, wenn ich ihn nicht hundertprozentig erwartet hätte, und so Harry im Auge behielt.
So schnell er kam, so schnell war der Blick wieder verschwunden.
Ich habe mit keiner Silbe seine Notiz beantwortet, vielleicht hat er jetzt die gleichen quälenden Gedanken, die mich vor diesem Hinweis plagten: Traum oder Wirklichkeit?
Realität, Harry!
„Sie findet, du hast sie nicht sonderlich gut behandelt, weil du doch nicht mit ihr tanzen wolltest. Ich glaub mir hätte das nichts ausgemacht – ich steh nicht so auf Tanzen.“
Harry runzelte die Stirn, als er einen Blick auf den Klitterer richtete.
Darin behauptet doch tatsächlich eine Doris Purkiss, Sirius Black sei der Tarnname eines Popsängers, mit dem sie zum Zeitpunkt seiner angeblichen Morde ein Rendevouz gehabt habe.
Weitere haarsträubende Artikel handelten über Cornelius Fudge, der angeblich Kobolde zu Pasteten verarbeiten lässt, oder über die geheime Unterwanderung der britischen Quidditchliga, oder über die rätselhaften alten Runen, die Sinn ergäben sobald man sie auf dem Kopf lesen würde.
Ich hätte besser meinen Mund gehalten, anstatt meinen Unmut über dieses Schundblatt zu äußern, denn damit setzte ich mich peinlicherweise voll in die Nesseln.
„Der Klitterer ist totaler Mist, das weiß doch jeder“, erwähnte ich beiläufig, nachdem Harry erneut seine Nase über einen Artikel rümpfte.
„Entschuldige Mal“, echauffierte sich Luna, ihre Stimme hatte plötzlich den verträumten Ton verloren. „Mein Vater ist der Chefredakteur!“
Schluck!
Peinlich.
Abgelenkt wurden wir von der Malfoygang, die es sich nicht nehmen lieĂź Harry ĂĽber seine Zweitklassigkeit aufzuziehen.
„Sag mal, wie fühlt man sich, wenn man Zweitbester nach Weasley ist, Potter?“
„Halt die Klappe Malfoy“, schrie ich empört.
„Da scheine ich ja einen Nerv getroffen zu haben“, grinste Malfoy. „Übrigens, sieh dich vor, Potter, weil ich dir auf den Fersen bleibe, wie ein Hund, falls du aus der Reihe tanzen solltest.“
Wie ein Hund? Hatte ich richtig gehört?
Ich tauschte nervöse Blicke mit Harry.
Es war also doch kein lustiges Spiel, dass Sirius mitgekommen war.
Es war leichtsinnig und gefährlich, und genau dieser Eindruck schien Harry jetzt klar zu werden.
Nachdenklich starrte er aus dem Fenster.
War etwa Malfoy Senior, der schwarze Hund aufgefallen?
Könnte er jetzt zum Schluss gelangen, dass die Weasleys, Moody oder Lupin wissen könnten, wo sich Sirius aufhält, und damit womöglich sogar Dumbledore?
Sollte Malfoy seinen Verdacht gegen Dumbledore begründen können, würde er alles daransetzen, um dessen Ablösung zu erwirken.
Dumbledore in Askaban? – Unvorstellbar.
Arbeitet Malfoy womöglich mit Fudge zusammen?
Arthur Weasley sprach von einem Treffen im Ministerium.
Ist uns Malfoy womöglich gefolgt?
Oder war das Wort Hund, doch eher zufällig gewählt?
Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, nicht mehr an Zufälle zu glauben.
Eine weitere unangenehme Ăśberraschung erwartete uns bei unserer Ankunft.
„Wo ist Hagrid?“ hörte ich Harry enttäuscht rufen, bekam aber keine Antwort, Professor Raue-Pritsche brachte die Erstklässler an Hagrids Stelle, über den See.
„Diese Pferdewesen, die die Kutschen ziehen!“ fragte Harry ungeduldig.
Was meint er?
Ich war in Gedanken noch bei Malfoy, der sein Amt absolut missbrauchte und Erstklässler einschüchterte und Zweitklässler vor sich her schubste.
Sollte ich Sirius über meine Vermutung informieren, oder würde ihn das nur unnötig beunruhigen?
Harry, ich musste das mit Harry besprechen. Allein!
„Wovon redest du eigentlich?“ Fragte Ron verwirrt, und riss mich aus den Gedanken.
„Ja, was meinst du eigentlich?“, schloss ich mich Rons Frage an.
„Wovon ich rede – macht doch mal die Augen auf!“
Harry packte Ron am Arm und wirbelte ihn herum.
„Was soll ich bitte schön angucken?“
Das fragte ich mich mittlerweile auch.
„Das – hier, zwischen den Deichseln! Vor die Kutsche gespannt! Direkt da vor deiner Nase“. Harry sah verwirt zu Ron und dann zu mir, er schien zu begreifen.
„Kannst du ... kannst du sie nicht sehen?“
„Was denn sehen?“ fragte Ron kopfschüttelnd. „Alles in Ordnung mit dir, Harry?“
„Alles in Ordnung“, sagte die wieder verträumt klingende Stimme von Luna, die längst in der Kutsche Platz genommen hatte. „Du wirst nicht verrückt oder so. Ich kann sie auch sehen.“
„Wirklich?“ Harry wirkte erleichtert.
„O ja“, säuselte Luna. „Ich hab sie schon an meinem ersten Tag hier gesehen. Die haben die Kutschen immer gezogen. Mach dir keine Sorgen. Du bist genauso wenig verrückt wie ich.“
Schwacher Trost!
Fast hätte ich laut losgeprustet.
„Was siehst du denn?“ fragte ich neugierig.
„Seltsame Kreaturen zwischen den Deichseln, sie ziehen die Wagen.“
„Wie sehen die aus?“ fragend sah ich nach vorne, konnte aber nur die leere, alleine nach vorne gerichtete Deichsel erkennen.
„Fast wie Pferde, aber sie ähneln auch Reptilien – sie sind vollkommen fleischlos, man sieht nur ihre Skelette und sie haben drachenartige Köpfe. Ihre Augen sind pupillenlos und weiß. An den Seiten haben sie gewaltige Flügel die aussehen als wären sie aus Leder, und das lässt sie wie Fledermäuse erscheinen.“
Harry beschrieb die Tiere so genau, dass es keine Einbildung sein konnte.
Aber wieso kann er sie sehen, und ich nicht?
Ginny wich nicht von unserer Seite und blieb hartnäckig, bis wir in der großen Halle ankamen in seiner Nähe.
Kaum hatten wir den Tisch der Gryffindors erreicht, fiel ihr Blick erstmals hinĂĽber zu Ravenclaw.
Dennoch setzte sie sich zunächst an unseren Tisch, ohne Michael zu begrüßen.
Ich lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Tisch der Lehrer.
Hagrid fehlte auch in dieser Runde.
„Er ist nicht da“, auch Harry schien seine Aufmerksamkeit wichtigeren Dingen zu zuwenden.
„Er kann doch nicht weg sein“, stöhnte Ron.
Hoffentlich ist ihm nicht passiert.
Wo könnte er nur sein?
„Vielleicht ist er noch nicht zurück. Ihr wisst schon – sein Auftrag – was er den Sommer über für Dumbledore erledigen sollte.“ fügte Harry mit gedämpfter Stimme hinzu.
„Wer ist das denn?“ fragte ich erschrocken.
In der goldenen Mitte des Lehrertisches saĂź eine Person, die aussah wie eine alte Jungfer.
Untersetzt, mit kurzen mausgrauen Locken, in denen ein fürchterlicher, rosafarbener Haarreif steckte, passend zu einer flaumigen, grässlichen rosa Strickjacke.
„Das ist diese Umbridge!“ erwähnte Harry beiläufig.
„Wer?“
„Die war bei meiner Anhörung dabei, sie arbeitet für Fudge!“
Sie arbeitet fĂĽr Fudge?
„Was um Himmels willen hat sie dann hier zu suchen?“ fragte ich nachdenklich.
Nachdenklich suchte ich den Lehrertisch ab.
Sollte sie etwa?
„Nein ... nein, sicher nicht...“, murmelte ich.
Aber ich konnte sonst kein neues Gesicht erkennen.
Verteidigung gegen die dunklen KĂĽnste?
Sollte sich etwa das Ministerium in die schulischen Belange einmischen?
Meine Befürchtungen bezüglich Malfoy und Fudges möglichen Komplott verstärkten sich, sollte das nur annähernd zutreffend, müssen wir alle höllisch vorsichtig sein, besonders Harry, den der Minister auf dem Kieker hat, weil er ihm nicht glaubt. Passend wäre auch die Dementorengeschichte.
Vor der Zuordnung der Erstklässler zu ihren Häusern sang der Sprechende Hut wie jedes Jahr ein Lied, dieses Mal jedoch, war es ein sehr ungewöhnliches Lied.
Er appellierte an die Schülerschaft, trotz ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Häusern zusammenzuhalten, sonst würde die Schule untergehen.
Der Fast Kopflose Nick erklärte uns, dass der Hut immer wieder in Krisenzeiten solche Warnungen gegeben hätte.
Zwei Veränderungen kündigte Dumbledore an.
Professor Raue-Pritsche würde das Fach Pflege magischer Geschöpfe unterrichten.
Hagrid wurde mit keinem Wort erwähnt.
Und wie ich schon vermutet hatte, diese Umbridge wurde als neue Lehrerin fĂĽr Verteidigung gegen die dunklen KĂĽnste, vorgestellt.
„Sie ist eigentlich die Erste Untersekretärin des Zaubereiministers“, erklärte Harry.
Unerwartet hält Professor Umbridge gleich nach Dumbledores Begrüßungsworten eine Ansprache, die fast alle für langweiliges Geplapper hielten.
„Bla Blupp“, rutschte schon nach wenigen Worten ihrer einschläfernden Stimme über die Lippen mehrerer Schüler, darunter die Zwillinge, Ginny, natürlich Ron, aber auch bei den Slytherins löste die Frau keine Hochstimmung aus.
Aber nur bei fast allen.
Noch niemand hatte es bisher gewagt, Dumbledore einfach zu unterbrechen, und dann auch noch mit einer piepsigen Kleinmädchenstimme.
Die Frau ähnelte äußerlich einer Kröte, und wirkte sofort unsympathisch.
Ihre Rede war trocken und öde, deswegen hat wohl auch niemand richtig zugehört, außerdem unterbrach sie andauernd mit einem ekelhaften Räuspern, „chrm, chrm“, und man hatte das Gefühl sie würde nie zu einem Ende kommen. Eintönig, langweilig, einschläfernd. Aber ihre Augen schienen jeden Schüler einzeln zu begutachten.
Umbridge hatte wohl nicht mit jemand gerechnet, der ihr vollkommen zuhören würde und auch noch die Frechheit besaß, zwischen den Zeilen zu lesen.
Ihre Richtlinie war mir sofort klar ersichtlich.
„Ja, das war wirklich aufschlussreich“, murmelte ich nach dem Umbridge ihren Platz endlich wieder eingenommen hatte.
„Willst du sagen, du fandest sie gut?“ fragte Ron. „Das war so ziemlich die langweiligste Rede, die ich je gehört habe, und ich bin immerhin mit Percy aufgewachsen.“
„Ich hab gesagt aufschlussreich, nicht gut“, erwiderte ich, „sie hat vieles erklärt.“
„Tatsächlich?“ auch Harry schien überrascht. „Mir kam’s vor wie ein Haufen Geschwafel.“
Zuhören Jungs.
Aber Harry hatte ja immer Sommer schon nicht richtig lesen könne, und dabei das wesentliche übersehen.
„In dem Geschwafel waren einige wichtige Hinweise versteckt“, sagte ich mahnend.
„Wirklich?“ Ron sah mich treudoof an.
„Was ist mit: Dem Fortschritt um des Fortschritts willen muss eine Absage erteilt werden? Oder mit Säubern, wo wir Verhaltensweisen finden, die verboten gehören?“
„Ja und?“ sagte Ron ungeduldig.
„Das heißt, das Ministerium mischt sich in Hogwarts ein“, fauchte ich genervt.
Das groĂźe StĂĽhlerĂĽcken begann, die Feier war zu Ende, und ich musste Ron auffordern, dass wir unseren Pflichten nachkamen:
Aufsicht der Erstklässler.
„Bis später dann“, sagte Harry und verließ allein die große Halle.
Mir fiel auf, dass ihm viele Augen hinterher starrten.
„Erstklässler? – Hier lang, bitte“.
Ron führte die Erstklässler durch das Portraitloch und ich wartete davor, bis alle hindurch waren.
Nachdem der Letzte passiert hatte, sah ich mich um, und hörte eine aufgeregte, mir wohlbekannte Stimme.
Vorsichtig sah ich um die nächste Ecke.
„Ich habe dich gesucht“, sagte Michael Corner gerade.
„Hast du?“ lächelte Ginny.
Sie standen etwas abseits in einem kaum einsehbaren Bereich, aber ich kannte ihre Stimme, und konnte die Worte verstehen.
Sie schien zu lächeln, ging auf ihn zu und umarmte ihn.
„Ich habe dich vermisst Michael“, säuselte sie, neigte ihr Gesicht nach vorne, und spitzte kussbereit ihre Lippen.
„Ich habe schon geglaubt du hättest mich vergessen“, sagte er fordernd und drückte sie wieder, von sich weg.
Erschrocken blickte sie ihn an.
„Dich vergessen?“ fragte sie mit zitternder Stimme, und gab ihm zumindest einen Kuss auf die Wange.
„Wo warst du im Zug?“ fragte er eindringlich, „oder auf dem Weg zum Schloss?“
„Ron und Hermine sind Vertrauensschüler, und Harry sah so verloren aus. Ich wollte ihn nicht alleine lassen“, war ihre ehrliche Antwort.
Ich beschloss den Dingen ihren Lauf zu lassen und zog mich zurĂĽck.
Ich sollte nicht hier sein, und ich sollte das schon gar nicht hören!
Noch bevor ich durch das Portraitloch schlüpfte erwartete mich die nächste Überraschung.
Professor McGonagall stand mit verschränkten Armen vor mir.
„Professor?“ begrüßte ich sie nervös.
„Ich gehe davon aus“, begann sie, „dass zumindest sie, Miss Granger, sich der Bedeutung der Worte von Professor Umbridge bewusst sind?“
„Ich befürchte ja, Professor…“
Ihr Blick war ernst auf mich gerichtet, es war offensichtlich, dass sie mich warnen, oder mir Instruktionen geben wollte.
„Das Ministerium wird sich in Hogwartsangelegenheiten einmischen, und versuchen die Geschehnisse um sie – wissen – schon – wem zu vertuschen.“
„Dann sind sie sich auch der Gefahr bewusst, die daraus resultiert…“
Was meint sie?
Welche Gefahr?
„Welche Gefahr?“ fragte ich überrascht.
„Dann denken sie mal gut darüber nach, sie kennen die Gefahr“, lockte sie mich aus der Reserve.
Harry?
Aber was hat das mit mir zu tun?
„Harry ist kein Lügner“, sagte ich, von einer plötzlichen Erkenntnis wachgerüttelt.
Sie lächelte mir zu. „Sie haben es erfasst, und damit wissen sie auch was das bedeutet.“
Umbridge würde Harry und alle die ihn unterstützen bis aufs Blut bekämpfen!
Ärger ist vorprogrammiert.
„Ihr nachdenkliches Gesicht, sagt mir … sie haben verstanden“, sprach sie weiter. „Schützen sie Potter vor sich selbst, das ist eine emotionale Sache….“
„Und wenn sie ihn als Lügner darstellt?“, unterbrach ich nachdenklich.
„…wird sie ihn auflaufen lassen, und mit ihm machen was sie will“, bestätigte McGonagall meine Befürchtungen. „Sie sind die einzige Person, die ihn davor bewahren kann. Sie kennen Potter besser als jeder andere.“
„Sie meinen, das ist meine Aufgabe in einem Spiel, das kein Spiel ist?“
„Eine Aufgabe von vielen“, nickte sie mir zu.
„Sie sind die Klügere, der denkende Kopf, behalten sie ihren Kopf kühl, und beschützen dadurch Harry vor sich selbst.“
Nachdenklich und ĂĽberrascht schlĂĽpfte ich durch das Portraitloch.
Meine Überraschung schlug schnell in Ärger um, als ich den Gemeinschaftsraum betrat.
Ron hatte nicht auf mich gewartet, scheinbar war er direkt in den Schlafsaal verschwunden.
Erwartungsvoll schauten mich die wartenden Erstklässlermädchen an.
„Na kommt“, lächelte ich den verängstigten Kindern zu. „Ich zeuge euch eure Schlafräume.“
„Hey, Hermine“, begrüßte mich Lavender, die gerade in ihr Nachthemd schlüpfte. „Schöne Ferien gehabt?“
„So lala“, murmelte ich, da ein wahrheitsgetreuer Bericht, den größten Teil der Nacht in Anspruch genommen hätte und zum anderen nichts für ihre hübschen, roten Ohren waren.
„Und bei dir?“ fragte ich beiläufig.
„Wie man es nimmt“, zischte sie.
„Meine Mom wollte nicht, dass ich wieder zurückkomme, und Parvati durfte nur unter schwerem Protest zurückkommen.“
„Aber – wieso?“ fragte ich erstaunt.
„Nun ja...“, murmelte sie und sprach erst weiter, als sie sich das Nachthemd völlig übergezogen hatte, „...ich denke mal – wegen Harry und seinen Lügengeschichten.“
„Wegen seinen was?“ schrie ich auf, „habt ihr sie nicht mehr alle?“
Mein Herz begann vor Empörung zu rasen.
„Nun ja“, stotterte sie weiter, „es ist auch wegen Dumbledore...“
„Und wieder hat der Tagesprophet ein paar Dumme gefunden“, würgte ich hervor.
„Sprich nicht so über meine Eltern!“, schrie Lavender. „Dumbledore ist ein Lügner und ein alter Narr, er ist nicht umsonst aus dem Zaubergamot und aus der internationalen Zauberervereinigung geflogen ...“
„Wenn du so sicher bist – was willst du dann von mir?“
„Hör mal ... was ist in dieser Nacht, als Cedric starb, wirklich geschehen?“
„Steht doch alles im Tagespropheten, wie du gerade selbst erwähnt hattest…“.
„Ich hätte es aber gerne von dir gehört, oder von...“
„...von Harry?“ unterbrach ich sie. „Dann musst du ihn auch selber fragen, ich war selbst nicht dabei, und wenn er es dir erzählen will, dann soll er das selbst tun“.
„Dann weißt du also nicht was geschehen ist, und beziehst dich einzig und allein auf seine Erzählungen?“
„Doch ich weiß es!“
„Und warum ist es dann so ruhig, wenn du – weißt – schon – wer angeblich wieder zurück sein sollte?“
„Ich kann dir nur eins sagen, Harry – lügt – nicht!“
„Du bist noch verrückter, als Potter...“, sie schüttelte ihren Kopf.
„Weißt du was, du Dummtorte, halte einfach dein großes Schlappermaul in Dingen von denen du keine Ahnung hast.“
„Verliebt?“ grinste Lavender.
„Nein, aber ich vertraue ihm, wenn du überhaupt die Bedeutung dieser Worte verstehst, was ich stark bezweifle bei einem IQ von unter Zehn. Blond allein hilft da nicht aus der Patsche.“
Wutschnaubend warf sie sich in ihr Bett, zog die Decke bis zum Hals und murmelte, „ich sollte mir einen anderen Schlafraum suchen“.
Wenn sie wüsste, welchen Gefallen sie mir damit getan hätte, und was mir alles erspart geblieben wäre…
Am nächsten Morgen starrte ich fassungslos auf eine Mittelung am schwarzen Brett.
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