von Xaveria
Hermine beobachtete Severus besorgt bei seinem Weggang. Die Art, wie er verschwand, war nicht normal, genauso wenig wie den Ruf des Schulleiters zu ignorieren. Da hat Schmerz in seinem Blick gelegen, als er letztendlich zu ihr gesehen hatte und ihr erster Impuls war es, ihm zu folgen. Vernunft jedoch überstimmte ihre impulsiven Gefühle und sie blieb, wo sie war. Ihm jetzt in seinen aufgewühlten Zustand vor allen anderen nachzulaufen, würde nur dazu führen, dass er sich noch weiter zurückzog. Sie würde ihn etwas Luft zum Atmen geben. Dann würde sie nach ihm suchen.
Etwas stimmte ganz und gar nicht. Sie hatte ein schlechtes Gefühl bei dieser ganzen Sache und sie war sich nicht sicher, was sie damit anfangen sollte. Die Gleichungen, an denen sie arbeitete, waren ein Teil davon. Severus war ein Teil davon. Vectors Reaktion auf ihre Fragen zur Matrix hin, obwohl ihre Lehrerin versucht hatte, es als nichts abzutun, war ebenfalls ein Teil von dem, was hier los war. Vector verschwieg ihr etwas und sie war entschlossen herauszufinden, was es war – besonders wenn es auf irgendeine Weise Harry, Severus und die bevorstehende Schlacht betraf.
„Er will, dass ich mich um ein Baby kümmere? Das ist sein großer Plan?“
Der Unglaube in Harrys Stimme ließ Hermines Aufmerksamkeit wieder in den Garten zurückkehren. „Zeig mal her, Harry.“
Harry schmiss ihr das dünne Buch zu und sie kämpfte mit dem Drang, ihn nicht wegen seines flegelhaften Verhaltens anzustarren. Sobald das weiche Leder ihre Hand berührte, wusste sie, welches Buch es war. Nachdem sie es umgedreht hatte, bestätigte es nur ihre Vermutung – Die Erziehung eines magischen Kindes von Dr. Spook.
„Es ist ein Zauberbuch, Harry“, sagte Dumbledore bevor Hermine antworten konnte. „Viele Zauber dort drinnen sind sehr alt, selbst älter als die Nutzung eines Zauberstabes. Obwohl die meisten der Zauber darauf abgezielt sind die Entwicklung von jungen Hexen und Zauberern zu drosseln, bedienen sich die anderen einem etwas weiteren Spektrum. Aber am allerwichtigsten, diese Zauber sind das absolute Gegenteil zur dunklen Magie.“
Ginny stand von ihrem Platz auf und ging zu Hermine hinüber. „Mum hatte dieses Buch“, sagte sie, als sie auf den Buchdeckel tippte. „Sie hat mir mal erzählt, dass sie es von ihrer Mutter bekommen hatte.“ Ginny hielt inne und atmete zitternd ein. „Sie sagte, dass sie es eines Tages an mich weitergeben wollte.“
„Gin-“, flüsterte Ron.
Ginny lächelte ihren Bruder traurig zu. „Mir geht’s gut, Ron. Ich vermisse sie einfach nur. Dad auch. Aber ich kann zumindest hoffen, dass er noch immer lebt. Zumindest so tun als ob.“ Sie schüttelte sich selbst und straffte dann ihre Schultern.
Ginny zu sehen, wie sie sich so entschlossen aufrichtete, dachte Hermine, dass sie Molly Weasley in diesem Augenblick unglaublich ähnlich war. Ginnys nächste Frage festigte nur Hermines Gedanke, dass Ginny dazu aufstieg ihren Platz als Familienoberhaupt einzunehmen. Es war eine Rolle von der Hermine dachte, dass Ginny sie äußerst gut ausfüllen würde.
„Also, wie soll dieses Buch Harry nun helfen?“
Dumbledore verwandelte einen Felsen in einen bequemen Stuhl, bevor er einen Wärmezauber um sie alle legte. Als er sich setzte, sagte er: „Ältere Magie, von der typischerweise auch als ‚die Magie der Mutter‘ gesprochen wird – obwohl sie nicht wirklich an Hexen oder Mütter in diesem Fall gebunden ist – ist abhängig von Gefühlen wie Liebe und Schutz, genauso wie die dunkle Magie in Abhängigkeit zu den eher negativen Gefühlen steht. Ich schätze, es ergibt durchaus Sinn, da es beide sehr alte Magieformen sind. Zerstörung jedoch ist sehr einfach und ist zusammen mit der Zaubergesellschaft gewachsen. Alte Zauber wurden über die Jahre an die Nutzung eines Zauberstabes angepasst, wodurch wir sowohl die Flüche als auch die Unverzeihlichen erhalten haben. Die Absicht, die Intention dahinter, die hat sich dennoch nicht geändert.“
Harry streckte seine Hand aus und Hermine überreichte ihm wieder das Buch. Er durchblätterte die Seiten und überflog die Zauber. „Sie sehen recht einfach aus.“
„Sind sie nicht.“ Die Worte hatten ihren Mund verlassen, bevor sie richtig darüber nachdenken konnte und sie verfluchte sich augenblicklich dafür, als sich vier Paar Augen auf sie richteten. Harrys, Rons und Ginnys Blicke waren neugierig. Der zutiefst amüsierte Blick des Schulleiters verlangte schon fast von ihr, etwas nach ihm zu werfen. Sie hegte keinerlei Zweifel, dass der Schulleiter ganz genau wusste, warum sie mit diesen Zaubersprüchen vertraut war.
Ron neigte seinen Kopf, als er sie beobachtete. „Professor Snape sagte, dass du uns mit dem Buch helfen könntest. Wie das, Hermine?“
Sie seufzte. „Ich habe einen der Zauber benutzt.“
Harry runzelte mit der Stirn. „Aber das ist ein Kinderbuch.“
„Bevor ihr jetzt irgendwelche komischen Gedanken bekommt, ich bin nicht oder war jemals schwanger. Also fangt erst gar nicht damit an. Ich habe jedoch einen dieser Zauber ausprobiert. Erinnert ihr euch noch an letztes Jahr, als ich fast meine Magie verloren habe?“ Alle nickten und sie fuhr fort. „Das war das Ergebnis.“
Sie würde ihnen nicht erzählen, was genau sie getan hatte, da das etwas war, was nur sie und Severus anging, aber sie erklärte es ihnen. „Ich habe einen der Schutzzauber in diesem Buch erstellt – einen wirklich mächtigen, der jede Menge Versuche und Fehlschläge beinhaltete, bevor ich es schließlich richtig gemacht habe. Und selbst dann, nun, ihr habt alle gesehen, wie es mir anschließend ging. Ihr müsst an diese Zauber glauben, genauso wie ihr an die Unverzeihlichen glauben müsst. Diese Art von Gefühlen zu bündeln, ist nicht einfach.“
„Noch sollte es einfach sein“, fügte Dumbledore mit dem Hauch der Weisheit eines alten Mannes hinzu, dass Hermine erneut den Drang verspürte wieder etwas nach ihm zu werfen. „Im Gegensatz zu den dunklen Zaubern, beinhalten diese Zauber normalerweise ein Opfer, sei es Zeit oder magische Energie oder-“
„Meine Mutter, die ihr Leben geopfert hat.“
Hermine bemerkte, wie sich Ron neben Harry anspannte, er seine Augen zusammen kniff, als wenn er mitten in einem Schachspiel stecken würde.
Dumbledore stand auf. „Ein Opfer ist niemals einfach, aber wir sind nicht an den Weg deiner Mutter gebunden. Lies das Buch, Harry. Anschließend komm zu mir. Wir können dann das, was du gelesen hast, besprechen.” Mit einem Nicken an Hermine und Ron sprach der Schulleiter Ginny an. „Ich glaube, Ihr Bruder wird bald aufwachen. Es wäre vielleicht klug sicherzustellen, dass Fred und George-“
„Gefesselt sind?“, sagte Ginny mit einem leichten Lachen, als sie aufsprang.
„Ich dachte eher daran sie in Schach zu halten, aber gefesselt sollte auch funktionieren. Ich habe vorhin mit Severus gesprochen. Er wird Sie mit den nötigen Informationen versorgen.“
Ginny strahlte ihn leicht an. Es war nicht das breite, fröhliche Lächeln von früher, aber es war ein Lächeln und Hermine war froh es zu sehen. Ginny war dazu ausgewählt worden sich um Percy zu kümmern, da sie ihm am wenigsten feindselig gegenüber gesonnen war. Hermine zweifelte nicht an Ginny, dass sie es schaffen würde, ihn auf ihre Seite zu holen, besonders nicht mit den Beweisen, den sie ihm präsentieren würden. Sie hegte so etwas wie Mitleid für Percy. Sein ganzer Glaube würde in ihren Fundamenten erschüttert werden.
Als Ginny dem Schulleiter zurück in das Haus folgte, entschied Hermine, dass sie Severus jetzt genug Zeit gegeben hatte und dass sie ihn jetzt aufsuchen würde. „Harry, ich werde jetzt ebenfalls reingehen. Lass es mich wissen, wenn du eine Frage zu dem Buch hast.“
Hermine hatte gerade die Pflastersteine betreten, als Harry sie zurückrief. „Hey, Hermine, welchen Zauber hast du benutzt?“
Sie hielt inne und rief zurück. „Ich habe die Laken erstellt.“
„Haben sie funktioniert?“
Sie strahlte ihn an. „Haben sie.“
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Percy schüttelte verwirrt seinen Kopf. Er blinzelte wild gegen ein helles, weißes Licht, welches direkt in seine Augen schien und er rümpfte angewidert bei dem Geruch von Moder und Zwiebeln die Nase. Als er versuchte seinen Arm zu heben, um das Licht abzublocken, bemerkte
er, dass er sich nicht bewegen konnte. Der Hauch von Panik begann in ihm aufzusteigen, als er versuchte zu verstehen, was geschehen war. Er kniff seine Augen zusammen und versuchte in die Dunkelheit, hinter dem Lichtkegel zu blicken, aber er konnte nichts ausmachen.
„Hallo?“
„Oh, ist er wach?“
Percy kämpfte gegen die Seile an, die ihn auf dem Holzstuhl fesselten. „Und so streitsüchtig.“ Eine weitere Stimme aus der Dunkelheit.
Percy wirbelte seinen Kopf herum, das einzige Körperteil, welches er frei bewegen konnte, genau in die Richtung der Stimmen. Er konnte nur ungefähre Umrisse in der Dunkelheit ausmachen, als sich die Angst begann, in ihm auszubreiten. Wurde er von Todessern gefangen genommen? „Wer ist da? Was wollt ihr? Ich arbeite für das Ministerium. Sie werden das hier nicht gutheißen. Ich will sofort freigelassen werden.”
„Fordernd, nicht wahr?“, sagte die erste Stimme.
„Ziemlich“, stimmte die Zweite zu.
Percy schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, als die erste Stimme anfing zu lachen. Das Geräusch war leise und unheimlich, als es von den Wänden um ihn herum hallte.
Es erklangen Fußschritte, die die Treppe hinuntergingen und dann ein „Klatsch“. Das Hallen eines Schlages vibrierte durch den Raum, gefolgt von einem schnellen und beleidigten „Au.“
„Hört auf damit, ihr beiden. Ich schwöre, man kann euch beiden nicht mal für zehn Minuten aus den Augen lassen. Lumos.“
Percys Augen füllten sich mit Tränen, als das grelle Licht von einem etwas normaleren Lichteinfall ersetzt worden war und auch der Rest des Raumes erhellt wurde. Er konnte jetzt erkennen, dass er sich in einem Vorratskeller befand, da sich Kartoffel und Zwiebeln in Körben um ihn herum stapelten. Er kämpfte damit zu verstehen, wie er hier hergekommen war und was hier los war. Erinnerungen der letzten Stunden schlugen auf ihn ein – die Zwillinge, ihr Kampf und seine Entführung. Er hatte eine flüchtige Erinnerung von Hermine Granger und Harry Potter, aber da war er sich nicht sicher, ob es echt oder doch nur ein Traum gewesen war.
„Ginny?“
Seine Schwester starrte noch immer seine beiden jüngeren Zwillingsbrüder an, keiner von ihnen sah auch nur ein bisschen reuevoll aus.
„Ginny?“, wiederholte er noch immer komplett verwirrt. „Was ist hier los? Binde mich los.“
Seine Schwester bedachte ihn mit einem Blick, den er nicht deuten konnte. „Entschuldige, Percy, aber das kann ich nicht tun.“
Percy blinzelte sie an und ignorierte die kichernden Zwillinge hinter ihr. „Aber warum denn nicht?“
„Weil du dich mit dem Feind verbündet hast“, zischte Fred.
Ginnys Hand klatschte augenblicklich gegen Freds Bauch.
„Autsch!“ Fred starrte Ginny an. „Wofür war das denn?“
Ginny drehte sich leicht zu ihren Brüdern um und bedachte sie mit einem Blick. „Wir haben uns doch geeinigt, wie wir das hier machen wollen. Ich werde reden.“
Fred beugte sich leicht zu George. „Sie sieht aus wie Mum, wenn sie das tut.“
George nickte. „Das tut sie“, stimmte er liebevoll, wenn auch etwas traurig hinzu.
Ginny ignorierte die beiden und zog einen dreibeinigen Stuhl zu Percy hinüber. „Hier ist der Deal, Percy. Das Ministerium wurde von Tom Riddle und seinen Todessern übernommen.“
Sie sagte den Namen mit solch einem Hass, das selbst Percy zurückzuckte, aber verspürte das Verlangen zu protestieren. „Ginny, ich verstehe, dass du aufgebracht bist, aber wir sind das Ministerium. Ich glaube, ich würde es wissen, sollte Du-weißt-schon-wer durch die Hallen des Ministeriums laufen.“
George schnaubte grob. „Du würdest noch nicht einmal deinen eigenen Hintern mit deinen beiden Händen erkennen, ganz zu schweigen von einem Todesser.“
Ginny hob eine Hand. „Entweder haltet ihr eure Klappe oder ihr verschwindet.“
Beide murmelten etwas, aber schwiegen.
„Hör zu, Percy“, begann Ginny. „Riddle ist Devrom Dollort. Das letzte Jahr über hat er systematisch Schlüsselpersonen aus dem Ministerium mit seinen Todessern ersetzt. Die Leute, die gefangen genommen wurden, Leute wie Mum und Dad, waren eine Gefahr für Riddle.“
„Die Leute, die vom Ministerium eingesammelt wurden, waren identifizierte Bedrohungen für die Stabilität der Zauberwelt. Alles, was das Ministerium getan hat, war nur geschehen, um die Sicherheit aller Beteiligten zu sichern. Wir haben eidliche Aussagen von ergebenen und vertrauenswürdigen Ministeriumsangestellten, dass viele dieser Leute selbst Todesser oder loyale Anhänger seien. Und ich habe Mr. Dollort getroffen. Er ist ein brillanter Mann mit umfangreichen Ideen die Zauberwelt zu verbessern. Du wurdest verwirrt durch deinen Umgang mit Potter und Dumbledore. Falls Mr. Dollort Du-weißt-schon-wer ist, dann würde er versuchen das Ministerium zu übernehmen – es sogar zu leiten. Aber Mr. Dollort hat immer darauf bestanden, dass er diese Position nicht einnehmen möchte.“
George gab ein weiteres Geräusch von sich, doch diesmal unterbrach Ginny ihn nicht.
„Ganz zu schweigen davon“, fuhr Percy mit einem gezielten Blick über Ginnys Schulter fort, „dass, wenn all die Leute, die das Ministerium gefangen hält, wirklich alle so unschuldig waren, warum haben die Todesser dann versucht sie aus ihrem Internierungslager in Askaban zu befreien? Das Ministerium hat in diesem Kampf einige sehr gute Auoren verloren.“
„Internierungslager?“, spuckte Fred. „Jetzt sag mir nicht, dass du wirklich diesen Dreck aus den Schriften des Ministeriums wegen den besonderen Unterkünften, wo alle überprüft wurden, glaubst?“
„Und warum sollte ich es nicht glauben? Warum sollte das Ministerium lügen?“
„Und was ist mit Mum und Dad, du Trottel? Glaubst du wirklich, dass sie heimliche Todesser waren?“
Percy seufzte schwer und kämpfte einen Moment gegen die Seile an, die ihm an den Stuhl fesselten. Er hasste es, das er aus dieser lächerlichen Position mit ihnen diskutieren musste. „Nein, Mum und Dad waren keine Todesser, aber sie haben sich sicherlich mit Kräften abgegeben, die darum kämpften, die Autorität des Ministeriums zu untergraben. Sie wurden in ihrer Zugehörigkeit irregeführt, das ist alles. Sie wurden nur so lange festgehalten, bis das Ministerium die Zauberwelt stabilisiert hat und dann kann man ihnen die Dinge einfach erklären. Ein bewundernswertes Ziel, wenn ihr mich fragt. Ganz zu schweigen davon, dass ich mit Mr. Rowle ein ernsthaftes Gespräch bezüglich der frühzeitigen Entlassung von Mum und Dad, geführt habe. Die Razzia auf die Todesser von Askaban war unglücklich und haben mich in meinen Verhandlungen sicherlich zurückgeworfen, aber dafür könnt ihr wohl kaum mir oder dem Ministerium die Schuld geben.“
„Er wird nicht zuhören“, sagte Fred.
„Ich bin noch immer dafür, dass wir ihn einfach mit dem Imperius belegen und sind dann fertig damit“, fügte George hinzu.
„Nein.“ Sie lächelte Percy etwas traurig an und Percy verspürte ein nervöses Kribbeln seine Wirbelsäule hinunterklettern.
„Was hast du vor?“
Sie ignorierte seine Frage, als sie eine kleine Phiole, gefüllt mit etwas, was wie Quecksilber aussah, aus ihrer Tasche zog. Sie gestikulierte kurz und Fred zog eine alte, schmucklose Holzschüssel aus den Regalen.
„Was machst du da?“
Sie fuhren damit fort ihn zu ignorieren und Ginny schüttete das Silber in die Schüssel und verwirbelte sie vorsichtig. Da erkannte Percy, was sie taten. „Das ist ein Denkarium. Wessen Erinnerungen sind das?” Er zog wieder gegen die Seile, plötzlich sehr ängstlich vor dem, was sie dachten, ihm zeigen zu wollen. „Lasst mich gehen!“
Ginny trug die Schüssel zu seinem Kopf als er sich soweit es ging zurücklehnte, um der Schüssel und ihren Inhalt auszuweichen.
„Das hier sind Professor Snapes Erinnerungen, Percy. Ich habe ihn gefragt, als er sie erstmals entfernt hatte, ob ich sie mir zuerst ansehen dürfte. Er ließ mich nicht, aber er sagte, dass du sie sehen musst.“ Sie atmete tief durch und fügte dann hinzu: „Er sagte mir auch, dass ich dir sagen sollte, dass es ihm leidtut.“
Percy war so auf Ginny und das Denkarium konzentriert, dass er nicht bemerkte, wie sich die Zwillinge auf die andere Seite des Stuhles hinter ihm stellten, bis sein Kopf von vier Händen gepackt und in das flüssige, wirbelnde Silber gestoßen wurde.
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Nachdem Hermine Ginny und dem Schulleiter in das Innere des Hauses gefolgt war, machte sie sich auf die Suche nach Severus. Sie schätzte, dass sie einfach eine der Hauselfen hätte fragen können, aber irgendwie kam ihr das vor, als wenn sie betrügen würde. Sie glaubte nicht, dass er das Haus verlassen hatte und so begann sie einfach ganz oben und schlängelte sich ihren Weg hinunter durch die Zimmer. Sie fand Severus dann letztendlich unten im Kellerbereich vom Grimmauldplatz, wo der Orden einen spärlichen Arbeitsplatz für Zaubertränke eingerichtet hatte. Sie gab sich keinerlei Mühe leise zu sein, als sie die hölzerne Treppe hinabging, also wusste sie, dass er sie hörte, auch wenn er keine Anstalten machte, ihre Gegenwart wahrzunehmen, als er methodisch etwas vor sich auf der Arbeitsfläche zerkleinerte.
Das war schon in Ordnung. Sie war zufrieden damit zu warten, da es für sie beide am besten zu funktionieren schien, wenn sie einfach auf ihn wartete. Mittig der Treppe setzte sie sich und machte es sich bequem. Einen Augenblick später beobachtete sie ihn eingehend. Sie hatte ihn oftmals in Hogwarts beobachtet, aber sie musste da immer bedacht und vorsichtig vorgehen, damit sie nicht erwischt wurde. Jetzt allerdings starrte sie ihn schon geradezu unverschämt an und verwöhnte sich selbst mit dieser einzigartigen Möglichkeit.
Er war legere gekleidet oder was für Severus als legere galt. Er trug seine gewohnten dunklen Hosen, aber sein Mantel und seine äußeren Roben hatte er abgelegt. Ein weißes Hemd, die Ärmel ordentlich seinen Unterarm hinaufgekrempelt, vervollständigte seine Erscheinung. Sowohl der Kontrast zwischen Schwarz und Weiß als auch die Einfachheit standen ihm, entschied sie, obwohl es immer noch seltsam war, ihn so ausgezogen zu sehen. Sie hatte ihn nur einmal zuvor so unvollständig gekleidet gesehen – in jener Nacht als eine der Gryffindors erkrankt war. Damals, so wie heute, war sie noch immer der Meinung, dass er zu dünn gewesen war und so war sie erfreut zu sehen, dass seine Kleidung jetzt nicht mehr länger an ihm hinunterhing, darunter lagen jetzt elegante Muskeln, die sich unter dem Stoff bewegten und nicht mehr die scharfen Kanten seiner Schulterblätter. Hermines Fingerspitzen kribbelten. Sie wollte diese dünnen Muskeln unter ihren Fingern in Bewegung fühlen.
Sie spürte die heiße Röte in ihren Wangen und riskierte einen Blick zu seinem Gesicht, aber er ignorierte sie weiterhin. Sie seufzte leise. Sie wurde in ihrem Leben bisher von drei Jungen geküsst. Der erste war in ihrem achten Lebensjahr. Ihr zweiter war in ihrem ersten Sommer zurück aus Hogwarts gewesen. Der dritte war Victor Krum. Sie hatte in den Jahren genug über die reine Biologie in den Textbüchern und den romantischen Schwärmereien in den Büchern ihrer Mutter gelesen. Nichts davon jedoch hatte sie auf das hier vorbereitet – diese Anziehung – dieses Verlangen. Sie wusste, was sie wollte, aber sie hatte noch keine Ahnung, wie sie dort hinkommen sollte, ganz besonders nicht mit einem Mann wie Severus Snape. Sie bezweifelte, dass er es für gutheißen würde, wenn sie sich ihm an den Hals schmiss und das letzte Mal, als sie ihren eher aggressiven Gryffindor-Instinkten folgte, war er regelrecht vor ihr geflohen.
Sie war sich nicht einmal sicher, welche Gefühle er ihr gegenüber hegte. Wenn sie vielleicht mehr Erfahrung mit Männern hätte, würde sie ihn dann besser deuten können, aber ihre Erfahrungen, auf die sie sich berufen könnte, waren bisher eher dürftig. Das bedeutete dann also, dass das hier, was auch immer das hier war, zu seiner eigenen Zeit passieren würde. Das bedeutete natürlich nicht, dass Hermine nicht den Anblick genießen durfte. Da war etwas Besonderes darin, seine Hände beim Arbeiten zuzusehen. Seine Finger, lang, sicher und geschickt. Sie wusste, sie waren vernarbt und mit Hornhaut bedeckt, aber sie jetzt zu beobachten, da konnte sie nicht anders als sich diese Hände auf ihren Körper vorzustellen. Ein Schaudern krabbelte ihre Wirbelsäule hinauf. Es fühlte sich befreiend und gleichzeitig verhext an, so etwas von Severus zu denken, wenn er direkt in ihrer Nähe war.
„Planen Sie dort den ganzen Tag zu sitzen?“
Sie senkte ihren Kopf, um ihre Röte und ihr Lächeln zu verbergen. „Ich mag es, Sie bei der Arbeit zu beobachten. Es ist…“ Sie suchte nach dem richtigen Wort. „Es ist aufschlussreich“, sagte sie schließlich. „Auf ganz unerwarteter Weise.“
„Hmm.“
Es war ein nichtssagendes Geräusch, aber sie fasste es als Ermutigung auf, dass er jetzt bereit war zu reden. „Die Erziehung eines magischen Kindes?“
Der stetige Rhythmus seines Schneidens stolperte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er wie gewohnt weitermachte. „Er wird eine Macht besitzen, die der Dunkle Lord nicht kennt. Der Schulleiter und ich haben lange darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte. Wir wussten schon immer, dass es mit der ersten Niederlage des Dunklen Lords durch… Lily Potter zusammenhängt. Nachdem ich die Laken entdeckt hatte, habe ich ihre Herstellung und Geschichte studiert. Das war das Buch, welches Sie als Anleitung benutzt hatten, nicht wahr?“ Für einen kurzen Moment blickte er zu ihr auf, bevor er sich wieder seiner Aufgabe widmete.
„Das war das Buch. Aber…“ Sie zögerte.
„Aber?“, hakte er nach, als sich das Schweigen weiter ausbreitete.
„Was soll Harry tun? In dem Buch stehen viele verschiedene Zaubersprüche. Welcher ist für ihn richtig?”
„Das kann ich Ihnen, beziehungsweise Potter, nicht sagen. Dumbledore hat das letzte Jahr damit verbracht Potter über den Dunklen Lord zu unterrichten, darüber wie Tom Riddle zu ihm wurde. Dieses Wissen sollte Potter dabei helfen, den richtigen Zauberspruch auszusuchen.“
„Können Sie nicht mit der Auswahl helfen?“
„Kann ich nicht. Selbst ich kenne nicht alles, was der Schulleiter mit Potter teilt.“
Empörung seines halber stieg in ihr auf und ihre Stimme wurde scharf. „Ich dachte, er vertraut Ihnen?“
Das Messer hielt in seiner endlosen Bewegung inne, bevor es nach einem Moment noch schneller wieder zu arbeiten begann. „Hier geht es nicht um Vertrauen. Es ist eine Frage der Sicherheit. Der Dunkle Lord ist ein mächtiger Legilimentiker. Hätte er jemals eine Erinnerung, einen Gedanken von etwas in meinem Kopf gefunden, was dort nicht sein sollte…“ Severus verstummte. „Es war bisher immer der beste Weg gewesen, wenn ich nur die nötigsten Informationen erhalte. Zu meinem eigenen Wohle, genau wie dem des Ordens und für den Plan des Schulleiters.“
Hermine ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie verstand die Notwendigkeit. In ihren Grundzügen stimmte sie dem sogar zu. Aber es kam ihr dem Mann gegenüber, der so viel mehr als jeder andere riskierte, geschmälert und unfair vor.
„Potter muss das Buch lesen. Er muss sich entscheiden und ich darf nichts von euren anschließenden Plänen wissen. Wenn ich gerufen werde, ist es am besten, wenn ich dem Dunklen Lord wahrheitsgemäß sagen kann, dass mir nicht vertraut wird und dass man mit mir nicht die Pläne für den Angriff auf ihn geteilt hat.“
„Es ist unfair.“
Er zuckte anmutig mit einer Schulter. „Es ist unvermeidbar. Zudem habe ich schon seit Langem vermutet, dass Lilys Sieg weit mehr als alles andere mit der schieren Plötzlichkeit ihrer Verteidigung zu tun hatte.“
Er verfiel in erneutes Schweigen. Hermine beobachtete, wie er die geschnittenen Zutaten aufnahm und sie in einen kleinen Kupferkessel rieselte. Heilungstränke erkannte sie. Eine der stärkeren Variationen, die Phönixfedern benötigten. Zweckmäßig in Anbetracht des bevorstehenden Kampfes, der ihnen in den nächsten Tagen bevorstehen würde.
Lily Potter. Oder Lily Evans. Es schien immer alles zurück zu Lily zu führen – für Voldemort, für Harry und für Severus. Sie bemerkte jedes Mal sein Zögern, wenn er von Lily sprach. Alles, was er getan hatte, alles, was er jetzt war, war ein Tribut seiner Liebe zu einer Frau, die schon lange verstorben war. Die Erinnerungen schienen ihm jedoch zu verletzen und brachten ihn nicht die Erinnerungen der Liebe und Zuneigung, die Hermines jedes Mal hatte, wenn sie an ihre eigene längst verschiedene und sehr geliebte Großmutter dachte. Andererseits betraf es immer ihren Tod, wenn sie erwähnt wurde. Niemand schien jemals über ihr Leben zu reden. „Werden Sie mir von Lily Evans erzählen?“ Lily Evans, nicht Lily Potter. Es war eine bewusste Wortwahl ihrerseits.
Sein Kopf war vorgebeugt und seine Augen geschlossen, doch er strauchelte nicht in seinem Rühren.
„Severus?“, flüsterte sie zum ersten Mal seinen Namen, seitdem sie die Treppe hinunter gekommen war. „Erzählen Sie mir etwas über das Mädchen, welches Sie geliebt haben. Erzählen Sie mir von Lily Evans“, sagte sie und legte ihre Betonung auf den Familiennamen.
Mit noch immer geschlossenen Augen begann er zu reden. „Die Snapes sind zum größten Teil reinblutig. Ähnlich wie die Weasleys ist es eine Linie, die nie sehr viel Wohlstand oder eine Position von Macht in der Zauberwelt erhalten hatte. Unser Haus, mein Haus, lag in einer heruntergekommenen, alten Textilstadt. Als ich noch jung war, zog Lily Evans mit ihrer Familie in die Nachbarschaft. Sie wurde zu meiner einzigen Bezugsperson. Meine Vertraute. Es war egal, dass sie eine Muggel war oder zumindest dachte ich das bei unserem ersten Treffen. Sie war wie ein Diamant unter gewöhnlichen Kieselsteinen. Das erste Mal, als ich sah, wie sie etwas unkontrollierte, stablose Magie zauberte, da entschuldigte sie sich verlegen.“ Er lachte daraufhin leise. „Entschuldigte sich, als ob sie irgendetwas Schreckliches getan hätte.“
Hermine erinnerte sich an ihre eigenen, frühen Ausbrüchen von stabloser Magie – die Verwirrung und die Angst vor dem, was die Leute sagen, wie sie sie ansehen würden. Sie verstand, warum Lily sich entschuldigt hatte. Wie sie sich davor gefürchtet hatte, dass sie ihren neuen Freund Severus davontreiben würde.
„Ich war derjenige, der ihr sagte, dass sie eine Hexe sei. Ich habe ihr von Magie und Hogwart und der Zauberwelt erzählt. Der Tag, an dem ich ihr erzählte, dass Einhörner und Drachen echt waren, war der Tag, an dem sie mich umarmte.“
Hermine grinste bei dem Bild, welches ihr Severus‘ Worte zeichnete. Ihr selbst war fast schwindelig gewesen, als sie erfahren hatte, dass es Einhörner wirklich gab.
„Meine Kindheit war… weniger als ideal. Es wurde nur sehr wenig Zuneigung im Snape-Haushalt gezeigt. Lilys spontane und einfache Zuneigung war überwältigend.“ Er hielt für einen Moment inne und fuhr dann fort. „So etwas habe ich noch nie gefühlt. Ich glaube, in diesem Moment habe ich mich in sie verliebt.“
Er verstummte erneut, begutachtete den Trank und fügte drei Phönixfedern der Mischung hinzu und nutzte offenbar die Ablenkung, um seine Gedanken zu ordnen.
„Ich war die erste Person, zu der sie kam, als sie ihren Hogwarts-Brief erhalten hatte. Wir sind daraufhin zum ersten Mal in die Winkelgasse gegangen. Ich konnte ihr endlich mit voller Stolz all das zeigen, von dem ich ihr alle Geschichten erzählt habe. Und dann kam Hogwarts.“
„Es muss aufregend gewesen sein.“
„Es war einer der schlimmsten Tage in meinem jungen Leben.“
Hermine runzelte verwirrt mit der Stirn. „Sie haben Harrys Vater und Sirius getroffen?“, riet sie blind.
Er schnaubte abfällig. „Sie waren da, aber solange ich Lily an meiner Seite hatte, waren sie belanglos. Nein, es ist mir einfach nie in den Sinn gekommen, dass Lily in ein anderes Haus sortiert werden würde.“
„Aber Sie sind dennoch befreundet geblieben.“
„Waren wir“, stimmte er ihr zu. „Unsere Freundschaft war stärker als der Stolz des Hauses oder der Politik, zumindest für eine Weile. Aber das, was mich zu Lily hingezogen hatte – ihre Heiterkeit, Wärme und Persönlichkeit – zog auch andere an.“
„Jemand wie James.“
„Jemand wie James Potter.“
Er rührte ein letztes Mal um und verringerte dann mit einem Schwung seines Zauberstabes die Flamme unter dem Kessel. Zum ersten Mal drehte er sich komplett zu ihr um. „Ich habe Lily geliebt. Ein Teil von mir tut es noch immer, selbst jetzt, wo ich hingenommen habe, dass sie mich nie auf die Art lieben konnte, wie ich es gerne gewollt hätte.“
„Es ist egal, ob sie Ihre Gefühle erwidert hat oder nicht. Ihre Liebe zu ihr war genug. Es hat Sie verändert. Es hat Sie zu einem besseren Menschen gemacht.“
„Damals machte es keinen Unterschied. Jetzt jedoch… vielleicht. Manchmal bin ich mir nicht sicher.“
„Ich bin mir sicher“, antwortete sie mit absoluter Überzeugung in ihrer Stimme.
Severus trat einen Schritt von dem Arbeitstisch zurück und auf sie zu. „Sie gleichen ihr in so vielen Dingen und zugleich unterscheiden Sie sich in genauso vielen. Ein Teil von mir verlangt, dass ich Sie von mir fernhalte. Sie sind zu jung, zu unschuldig… einfach alles.“
Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu und plötzlich veränderte sich die Luft. Hermine fürchtete sich davor, sich zu bewegen. Sie fürchtete sich nicht vor ihm, sondern dass eine Bewegung ihrerseits seine langsamen Schritte in ihre Richtung aufhalten würde. Sie schenkte ihm ein weiteres Lächeln, eines, welches mit alledem gefüllt war, was sie für diesen komplexen Mann empfand. „Ich werde immer jünger sein. Verglichen mit all den Dingen, die Sie gesehen und getan haben, fürchte ich, werde ich immer unschuldig sein.“
Er näherte sich einen weiteren Schritt und Hermine stand letztendlich auf. Sie trat jedoch nicht vor, sondern blieb auf der Stufe stehen. „Was das… alles… angeht.“
Severus blickte jetzt zu ihr auf. Ihre überlegene Position fühlte sich seltsam an, da sie es gewohnt war, zu ihm auf und nicht hinabzublicken. Ihr Herz pochte wild unter ihrem Brustkorb, was absolut keinen Sinn ergab, da er nichts Weiteres getan hatte, als sie anzusehen. Er stand einfach nur da und beobachtete sie.
„Severus?“ Es war mehr ein Keuchen als alles andere, da nicht genug Sauerstoff da zu sein schien und ihr fiel es schwer, vernünftig zu atmen.
Er riss leicht seine Augen auf, obwohl sie sich nicht sicher war, ob es wegen seinem Namen oder etwas anderes war. Da war etwas dort in seinem Blick. Etwas Gefährliches und doch Aufregendes. Es rief nach ihr und sie trat einen Schritt hinunter. Sie waren jetzt auf Augenhöhe und Hermine war sich nicht sicher, ob auch nur einer von ihnen atmete.
Er griff nach ihrer Hand. Das Streichen seines Daumens über ihre Handfläche ließ sie ihre Knie zusammenschlagen, damit sie nicht fiel. „Jemand hat mal gesagt, dass es besser sei, geliebt und verloren zu haben, als niemals je geliebt zu haben.“
Sie runzelte leicht mit ihrer Stirn, als sie versuchte die Bedeutung zu entschlüsseln. Er sagte ihr etwas, aber sie verstand die Feinheiten nicht, da ihre Sinne durch den Daumen, der noch immer über ihre Handfläche strich, zu verwirrt und abgelenkt waren.
„Severus?“
Er schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob der Sprecher richtig lag - sowohl damals als auch heute. Alles zu bekommen, nur um es dann wieder--“
„Ich werde nirgendwo hingehen.“ Sie versuchte ihn zu beruhigen und wurde mit einem leichten Lippenkräuseln belohnt, als sich die Luft um sie herum zu verdicken drohte und mit Elektrizität … oder vielleicht Magie funkte.
Seine Hand, groß und stark, die ihre so sicher gehalten hatte, bewegte sich jetzt nach oben. Sie spürte sie, warm und rau durch seine Hornhaut gegen ihr Gesicht. Ihr Kopf wurde ganz leer, als er sie zu sich zog. Sie spürte kurz bevor seine Lippen gegen die ihren streiften seinen Atem. Einmal, dann zweimal und Hermine hatte vergessen zu blinzeln und so sah sie, wie er sich leicht zurückzog. Severus‘ Augen waren dunkler als sie sie jemals gesehen hatte und sie konnte einfach nicht widerstehen. Sie lehnte sich vor, vertraute darauf, dass er ihr Gewicht halten würde.
Diesmal war das Aufeinandertreffen ihrer Lippen fester, bevor er sich selbstbewusst gegen ihren Mund lehnte. Er hatte sie geküsst. Hatte sie wie jeder Held jemals die Heldin aus all den Romanzen ihrer Mutter geküsst hatte. Ihr einziger Gedanke war Oh bevor ihr vollkommen die Luft wegblieb. Hermine war in dem Gefühl von ihm verloren – die Berührung seiner Lippen, das Gefühl von seiner Hand auf ihrem Gesicht, seine Fingerspitzen fingen einige ihrer Locken ein und plötzlich spürte sie die Wärme seiner anderen Hand fest auf ihrer Hüfte.
Wie von alleine hob sie ihre eigenen Hände und ihre Fäuste umfassten die Vorderseite seines Hemdes. Sie lag irgendwo dazwischen, ihn ganz fest zu halten und ihn zu sich zu ziehen. Sie war sich nicht sicher, wer von ihnen die Geräusche der Genugtuung von sich gab, als sie ihren Mund öffnete und seine Zungenspitze über ihre Unterlippe fuhr. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie es war. Der Kuss wuchs weiter und doch blieb er unschuldig. Severus drängte sie nicht, noch verlangte er mehr von ihr und für einige lange Minuten war Hermine verloren in dem Geschmack und Gefühl von ihm.
Hermine spürte, wie die Hand auf ihrer Hüfte kurz zupackte, bevor er sie zurückstieß. Sie zitterte bei dem Ausdruck in seinem Gesicht, bevor er leicht seinen Kopf beugte und sein Haar nach vorne fiel, um seinen Blick zu verstecken.
„Sie müssen jetzt nach oben gehen.“ Seine Stimme klang rau und ruhig, auf eine Weise, wie sie es zuvor noch nie gehört hatte.
„Ich will nicht--“
„Bitte.“
Hermine erschauderte erneut, ein Zittern, von welchem sie wusste, dass er es fühlen musste, da seine Hände sie noch immer festhielten. Sie war sich nicht sicher, wie sie darauf antworten sollte, also nickte sie. Als er sie schließlich losließ, fühlte sie sich plötzlich kalt. Nicht wie die Kälte seiner Okklumentikschilde, sondern durch den Verlust seiner Körperwärme. Sie trat einen Schritt zurück und gleichzeitig hoch und plötzlich blickte sie wieder auf ihn hinunter und verspürte eine unerwartete Angst – Linien und Arithmantikgleichungen flogen durch ihren Kopf. Sie drehte sich schließlich um und schritt dann die Treppe hinauf, ihre plötzliche Angst verlieh ihren Schritten Tempo. Als sie die Tür öffnete, erhaschte sie einen letzten Blick auf ihn, wie er dort halb bekleidet, regungslos am Fuße der Treppe im Schatten stand.
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Sie zitterte noch immer am ganzen Körper, als sie ihr Zimmer erreichte. Er hatte sie geküsst. Grundgütiger Merlin! Severus hatte sie geküsst. Ihre Fingerspitzen fanden den Weg zu ihren Lippen. Sie konnte ihn noch immer dort spüren. Sie war sich nicht sicher, ob sie durch das Zimmer tanzen sollte oder… oder… „Jemand hat mal gesagt, dass es besser sei, geliebt und verloren zu haben, als niemals je geliebt zu haben. Ich bin mir nicht sicher, ob der Sprecher richtig lag - sowohl damals als auch heute. Alles zu bekommen, nur um es dann wieder--“
Angst übermannte sie erneut. Er hatte ihr etwas gesagt. Alles zu bekommen, nur um es dann wieder- was wollte er ihr sagen? Nur um was… was dann? Es zu verlieren? Erwartete er sie zu verlieren? Und sein Bezug zu damals und heute. Meinte er das damals auf Lily oder der Zeit des Sprechers bezogen, wie es das Sprichwort besagte?
Hermine schluckte den Geschmack von Galle hinunter. War es ein erster oder letzter Kuss? Ihr Blick fiel auf die Pergamentrollen ihres Arithmantikprojektes. Irgendetwas stimmte nicht mit Severus. Sie wusste, dass diese beiden Dinge irgendwie im Zusammenhang standen und sie stand kurz davor das Gesamtbild zu sehen. Sie hatte nur noch nicht alle Stücke zusammengesetzt. Sie schaute den Flur hinunter. Der Teil von ihr, der noch immer vor schwindeligen Unglauben umhertanzte, wollte zurück nach unten zu Severus rennen, doch dann schüttelte sie mit ihrem Kopf.
Was hatte Severus noch gleicht gesagt: zu jung, zu unschuldig und einfach alles? Sie verzog ihr Gesicht. Verglichen mit ihm war sie all diese Dinge. Aber sie war nicht mehr so jung und unschuldig, wie sie es einst gewesen war. Und dieser Teil von ihr, nicht der schwindelerregende, spornte sie dazu an die Rollen, an denen sie zuvor noch gearbeitet hatte, zu nehmen. Sie setzte sich in den Sessel und begann damit ihre Gleichungen noch einmal zu überarbeiten.
Als Hermine letztendlich ihre Feder niederlegte, war das Zimmer in rotes Licht getaucht. Sie überprüfte erneut ihre Zahlen, hoffte, dass sie sich verrechnet hatte, ein vertauschtes Zeichen, irgendwas, was ihr sagte, dass sie sich irrte. Oh, Merlin steh ihr bei, das konnte sie einfach nicht tun.
Sie war bereits aus dem Sessel gesprungen und hatte den Raum halb durchquert, um mit dem Schulleiter zu reden, als sie auf einmal innehielt. Eine Unterhaltung, die sie letzten Sommer mit Professor Dumbledore geführt hatte, schoss durch ihren Kopf. Es war, als Severus verletzt und bewusstlos gewesen war und sie wütend auf Dumbledore war, weil er ihres Erachten nach Severus‘ Leben vernachlässigte. Dumbledore hatte ihr da gesagt: „Ich habe viel von Severus in diesem Jahr verlangt. Er hat mich bisher nicht enttäuscht. Ich werde auch noch in Zukunft viel von ihm verlangen.“ Dann hatte sich der Schulleiter zu ihr umgedreht: „Es wird vielleicht eine Zeit kommen, in der ich dasselbe von Ihnen verlangen werde. Sie werden, ganz genau wie Severus, in Ihr Inneres blicken müssen, um die Antwort darauf zu finden. Was würden Sie opfern, Miss Granger, um Tom zum Fall zu bringen? Was ist es Ihnen wert? Ich beschütze so viele wie möglich. Mit all meinen Fähigkeiten und Wissen versuche ich Sie alle zu beschützen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich keine Fehler mache. Das bedeutet auch nicht, dass die, die an meiner Seite stehen, niemals bedroht werden.“
Sie wussten es. Dumbledore und Vector wussten es. Langsam ging sie wieder zu ihrem Sessel zurück, setzte sich hinein und zog ihre Knie an sich heran. Severus wusste es. Und plötzlich ergab einiges von seinem Verhalten einen Sinn. Was er vorhin zu ihr gesagt hatte, ergab einen schrecklichen Sinn. Die Distanz, den Ausdruck, der manchmal in seinen Augen lag. Er fürchtete sich nicht davor, dass sie ihn verlassen würde. Er bereitete sich darauf vor, sie zu verlassen. Er bereitete sich darauf vor, zu sterben.
Sie wartete auf die Wut. Sie haben es vor ihr verheimlicht. Bewusst. Aber die Wut kam nicht. Sie schlang ihre Arme um ihre Knie und rollte sich zu einem qualvollen Ball zusammen. Sie konnte es nicht tun. Ihr Herz brach in ihrem Inneren entzwei. Sie würde es nicht tun. Sie kletterte aus dem Sessel und ging den Flur hinunter zu den Treppen. Severus‘ Zimmer befand sich in der oberen Etage. Er war der Einzige in diesem Haus, der sein Zimmer dort oben hatte. Sie stieg die Stufen hinauf und setzte sich, um dort auf ihn zu warten.
Sie saß noch immer auf den oberen Stufen, als er hinaufkam. Es war zügiger hier oben und sie zog ihre Knie an sich und schlang ihre Arme darum, um sich warmzuhalten. Er kam nur langsam die Treppe hinauf, jeder Schritt bewusst gesetzt und sie wusste bei dem kleinen Zögern in seinem Gang, dass er sie gesehen hatte. Er würde wissen, dass sie auf ihn wartete, aber wie sie den Mann kannte, ging er entschlossen weiter und hielt erst an, als er mit ihr auf Augenhöhe war.
Severus betrachtete sie für einen langen Moment. Es muss etwas in ihrem Blick oder ihrer Körpersprache gewesen sein, denn er erwähnte nicht den Kuss. Stattdessen, als er sprach, klang er resigniert, aber nicht überrascht. „Sie wissen es.“
Ein winziges Lächeln zeichnete ihre Lippen. Es sollte niemals behauptet werden, dass Severus Snape nicht ein intelligenter und scharfsinniger Mann war. „Professor Vector sagt, dass ich wirklich talentiert in Arithmantik bin.“ Sie hielt inne und atmete tief durch und sammelte all ihre Willenskraft um sich unter Kontrolle zu halten. „Sie können das nicht tun. Ich werde es nicht tun.“
Severus nahm den letzten Schritt und setzte sich zu ihr auf die Treppe, seinen Rücken lehnte er gegen die Wand. Um sich selbst von seinem nur allzu wissenden Blick abzulenken, streckte sie ihre Hand aus und fuhr mit einer Fingerspitze über den weißen Stoff, der unter seinen Kragen hervorlugte. Sie hatte es genossen ihn so legere gekleidet zu sehen, aber das hier war der Severus Snape, den sie am besten kannte – dunkel, mit all seinen zugeknöpften Knöpfen. Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der Kleidung so trug wie er. Der schwarze Stoff war Kleidung und ein Schutzschild zugleich in seinem zugeknöpften Mantel.
Er griff mit seiner großen Hand nach der ihren und stoppte ihre Bewegung. „Sie werden es tun. Sie müssen es. Genau, wie Potter sich dem Dunklen Lord gegenüberstellen muss.”
„Ich-“ Sie spürte, wie sie ihre Kontrolle verlor, als die Tränen, die sie versucht hatte zurückzuhalten, ihre Wangen hinunter liefen. Hastig zog sie ihre Hand aus seiner und wischte die verräterische Feuchtigkeit aus ihrem Gesicht.
Er fuhr mit zwei Fingern über ihre Wange, fing weitere Tränen auf und sie rang um Luft. „Sie haben alles geschafft, was sie sich vorgenommen haben, Hermine. Diese Aufgabe muss erfüllt werden und Sie werden es tun.“
Sie lachte kurz unter Tränen auf. „Ich will nicht die streberhafte Besserwisserin sein.“ Sie atmete zitternd aus, während seine Finger weiterhin ihr Gesicht streichelten. „Ich will bei etwas scheitern. Ich will hierbei scheitern.“
„Ein Scheitern steht nicht zu Option. Zu viel hängt davon ab.“
Sie schloss ihre Augen, nicht willig zu zeigen, wie sehr sie das hier umbrachte.
„Komm her.“
Die Worte waren sanft und so leise gesprochen, dass Hermine erst dachte, dass sie sich nur eingebildet hatte. Sie öffnete ihre Augen.
„Komm her”, wiederholte er seine Worte, nicht lauter als das erste Mal, aber dieses Mal hatte er seine Hand nach ihr ausgestreckt, seine Handflächen zeigten nach oben und er hatte seine Finger leicht einladend zusammengerollt.
Es lag keinerlei Zögern in ihrer Reaktion, als sie regelrecht in seine Arme flog. Es war egal, dass sie für jedermann sichtbar oben auf der Treppe saßen. Sie schlang ihre Arme um seine Schultern und drückte sich in seinen Körper, akzeptierte den Trost, den er ihr anbot. Sie legte ihren Kopf unter sein Kinn und atmete tief durch, inhalierte seinen beruhigenden Duft. Trotz seines Kusses vor nicht allzu langer Zeit war für Hermine dieser Moment viel persönlicher.
Seine Hand streichelte zögernd über ihren Rücken, was nur zu neuen Tränen und einem unangebrachten Auflachen führte. Er war abgrundtief schlecht darin zu trösten, aber er versuchte es zumindest für sie.
„Sie sollten mir eigentlich sagen… sagen, dass alles in… in Ordnung sein würde.“
Er verlagerte leicht sein Gewicht und seine Arme festigten sich um sie. „Ich habe auch gesagt, dass ich nur die Wahrheit sagen würde.“
„Lüg mich an.“ Es war ein Flehen, ein Gebet und ein verzweifelter Wunsch gleichzeitig.
Severus‘ Arme lösten sich leicht, bis er sie leicht von sich drücken konnte. Er hob ihren Kopf, bis sie seinen Blick traf und sie wünschte sich augenblicklich, dass sie es nicht getan hätte. „Was hat Vector erzählt?“
Sie senkte ihren Kopf und sprach zum Boden. „Sie hat mir gar nichts erzählt. Obwohl wir nicht in Hogwarts sind, habe ich an meinem Arithmantik-Projekt weiter gearbeitet. Ich habe mich mit der abnormalen Linie, die in Vectors Gleichungen auftaucht, beschäftigt.“ Sie riskierte einen flüchtigen Blick. „Ich bin nicht weiter gekommen, also habe ich angefangen zu spielen.“
Eine Augenbraue zog sich nach oben. „Spielen?“
„Verschiedene Gleichungen, Einstellungen… Menschen. Und die gesamte Matrix veränderte sich.” Bei seinem Nicken fuhr sie fort. „Zuerst habe ich gar nicht verstanden, was ich da gesehen habe. Erst als Vector beinahe panisch wurde, habe ich es mir genauer angesehen. Die Gleichungen waren beunruhigend. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte und ich habe sie noch einmal von Anfang an durchgerechnet. Ich arbeite bereits seit einigen Tagen daran.“ Sie wandte ihren Blick ab und begann mit ihrem Fingernagel an der Treppenstufe zu stochern. „Dann der Kuss“, flüsterte sie. „Es war eher traurig als fröhlich. Es kam mir genauso falsch wie die Gleichung vor. Also habe ich sie mir noch einmal vorgenommen.“ Hermine sah ihn letztendlich wieder an und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. „Severus, ich werde dich umbringen.“
Die Worte hingen scharf, schneidend zwischen ihnen.
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