von Xaveria
Es passierte allzu oft in letzter Zeit, das Gerede und Gelächter, mit der die Große Halle ansonsten immer gefüllt war, kam zum Erliegen. Es war einfach das unterdrückte Schluchzen von Glynnis Colbern am Hufflepufftisch und die schockierten Stimmen vom Ravenclawtisch zu hören, die immer wieder wiederholten: „Ich kann das nicht verstehen.“
Dann begann das Flüstern, erst ganz leise, aber dann wurde es immer lauter und breitete sich wie eine erklimmende Welle aus. Auf dem Höhepunkt erhob sich Professor Dumbledore. Er machte keinerlei Anstalten die Aufmerksamkeit der Schüler auf sich zu ziehen, aber dennoch breitete sich Schweigen in der Halle aus. Hermine sah, wie einige Auroren, die sich an der Wand positioniert hatten, nervös von dem einen Fuß auf den anderen traten. Sie sah, wie Auror Garmin nach seinem Zauberstab greifen wollte, aber auf Andeutung von Auror Dawlish hin, senkte er seine Hand wieder.
Dumbledores Gesichtsfarbe war aschfahl, glich schon fast der seines langen Bartes. „Gefährliche Zeiten liegen vor uns“, begann er. „Gefährliche Männer befinden sich unter uns.“ Er hielt inne, sein Blick glitt durch den Raum. „Glauben Sie, was Sie wollen. Glauben Sie jedoch nicht alles, was Sie lesen oder hören.“ Mit einem unleserlichen Ausdruck sammelte Dumbledore seine Robe um sich und verließ die Große Halle.
Schweigen folgte seinen Weg, bis lautes Gemurmel ausbrach und jeder den anderen übertreffen wollte.
„Ich verstehe nicht“, sagte Ron. „Warum hat er denn nicht … denn nicht wirklich etwas gesagt?“
Hermine klopfte mit ihren Fingerknöcheln auf die ausgebreitete Zeitung. „Hier. Aberforth Dumbledores Name steht auf der Liste.“
„Aber warum hat er dann nicht--“ Ron verstummte kurz und senkte dann seine Stimme. „Warum hat er es uns denn nichts gesagt, als er uns von Mum und Dad und Remus erzählt hat?“
„Er hat es vielleicht nicht gewusst“, sagte Ginny.
Ron zog seine Lippen in einem stummen Knurren zurück, als er die Folgen durchdachte. „Verdammt. Aberforth gefährdet die Stellung des Schulleiters. Im Grunde wette ich sogar, dass sich viele auf die Familien verlassen, um gutes Verhalten oder eine Art von Druckmittel zu vermitteln.“
Harry knurrte neben Ron auf. „Ich möchte Voldemort wirklich, wirklich tot sehen. Denkt ihr der Schulleiter, wird …“ Harry verstummte, um nicht genau das auszusprechen, was er auch wirklich dachte.
Ron und Hermine tauschten einen Blick aus, bevor Ron schließlich mit dem Kopf schüttelte. „Nicht mit Sicherheit. Aber--“, er zögerte, aber fasste dann zügig seinen Gedanken in Worte. „Dumbledore hat eine Menge Zeit und viel Mühe in diesen Kampf um Ihr-wisst-schon-wen zu besiegen, gesteckt. Vermutlich mehr als jeder andere außer vielleicht der alte Snape und ich glaube nicht – selbst aus Liebe zu seinem eigenen Bruder – dass er jetzt noch einen Rückzieher machen kann.“
„Der Schulleiter ist wie Voldemort auf seine eigene Art genauso skrupellos und engstirnig“, sagte Hermine und fügte dann, als sie Harrys aschfahles Gesicht sah, hastig hinzu: „Und ich sage nicht, dass das schlecht ist. Wir brauchen jemand, der skrupellos ist, es ist nur etwas, was man nicht vergessen sollte.“
Es verging ein angespannter Moment, als Harry schließlich nickte. „Hermine, wie viele Namen stehen auf der Liste.“
Sie zählte schnell durch. „Zweiundzwanzig Leute wurden lebend verhaftet.“ Sie atmete einmal tief durch und fügte dann hinzu: „Vier sind bei ihrer Verhaftung gestorben.“ Sie erwähnte nicht Remus Lupins Namen, aber sie wusste, dass die anderen an dasselbe dachten.
„Weißt du wie viele von Ihnen Mitglieder im Orden waren?“
„Nur von denen, die regelmäßig dort waren. Der Schulleiter ist der Einzige, der die Namen aller Mitglieder und Unterstützer kennt.“
„Verdammt.“
„Was also nun?“, fragte Ron.
Als Ginny aufstand, griff sie nach Harrys Hand. „Wir machen das, worüber wir gesprochen haben. Meine Eltern und Brüder sind keine Anhänger von Ihr-wisst-schon-wem.“ Mit einer demonstrativen Kopfbewegung hob sie ihr Kinn an und führte Harry hinüber zum Hufflepufftisch.
Harry setzte sich neben Glynnis Colbern, während sich Ginny gegenüber dem verzweifelten Mädchen setzte. Jegliche Verwunderung, dass zwei Gryffindors am Hufflepufftisch saßen, wurde durch das Gerede von Voldemort und seinen Anhängern und die Antwort des Ministeriums darauf, überschattet. Während sie Harry und Ginny beobachtete, versuchte sie ihre Ohren für die Unterhaltungen um sie herum offen zu halten. Genau wie Professor Snape es vorhergesagt hatte, reichte das Gerede von dem einen Ende zum anderen. Viel Misstrauen und noch mehr Angst begleiteten all ihre Worte.
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Von dem Podest, auf dem der Lehrertisch stand, beobachtete Severus die Schockwelle, die die Schüler in der Großen Halle erfasst hatte. Es war, als ob mehrere Kieselsteine auf einmal in einen See geworfen wurden. Der erste Stein fiel beim Propheten, als er alle Anhänger von Voldemort offenbarte. Plop. Die zweite Welle folgte schnell auf die Erste, als sich die Schüler gegenseitig betrachteten und sich fragten: Bist du einer von ihnen?
Plop. Der dritte und ein größerer Stein verursachte viele kleinere Wellen bei Dumbledores knapper Ansprache und sein plötzliches Verschwinden; es wuchs nur dadurch noch mehr an, dass sich auch Aberforth Name auf der Liste befand.
Er versuchte die Wellen zu beobachten, zu sehen, welche Schüler auf die Neuigkeiten mit Schrecken oder Wut reagierten und welche ihren Klassenkameraden schuldige Blicke zuwarfen. Albus würde sehr an seiner Antwort, wie die Schüler reagierten, interessiert sein. Er versuchte, versuchte wirklich sich auf das zu konzentrieren, was getan werden musste, aber seine Kontrolle wurde überschattet und immer wieder ertappte er sich dabei, wie sein Blick zum Gryffindorttisch gezogen wurde.
Zu ihr.
Jedes Mal, wenn er ihren Blick einfing, spürte er die Wut in ihm aufsteigen und wie sie seine Sicht in Rot und schwarz tauchte. Plop. Er kämpfte mit sich, um seine aufgewühlten Gefühle unter der stillen Oberfläche wieder zu bändigen, aber wie bei seinen Schülern, auf denen er hinabblickte, wurde auch er von unkontrollierten und unaufhaltbaren Wellen erfasst.
Plop.
Wie konnte sie es wagen?! Wollte sie ihm zum Narren halten?
Plop.
Sie würde noch den Tag bereuen, an dem sich ihre Wege gekreuzt hatten.
Plop.
Mit zusammengebissenen Zähnen schluckte er das Knurren, welches seinen Hals verlassen wollte, wieder hinunter. Er griff nach seiner Tasse, seine Finger umschlossen das kalte Porzellan, während er so fest zudrückte, dass sich bereits seine Knöchel weiß färbten. Ich werde nicht beherrscht werden. Die widersprüchliche Natur dieses Gedankens, brachte ihm wieder einen Teil seiner Kontrolle zurück. Er wurde schon immer beherrscht – beherrscht von Dumbledore, beherrscht von dem Dunklen Lord, beherrscht von ungezügelten Gefühlen, die er so verzweifelt versuchte zu kontrollieren. Die er auch für gewöhnlich kontrolliert hatte. Er hatte seine Momente über die Jahre gehabt, in denen er sie verloren hatte. Wenn die dürftige Kontrolle, zerfasert von dem jahrelangen Nutzen der Dunklen Magie, brach und er alles um sich herum vergaß und nichts weiter als sein Verlangen und seinen Willen sehen konnte. Dieser Köter von Sirius Black hatte die Fähigkeit besessen, ihn in diesen Zustand zu versetzen. Die Potters. Alt, wie auch jung schafften es.
Er hatte nicht erwartet, dass Hermine Granger ebenfalls diese Kontrolle über ihn besaß.
Sein Blick fuhr wieder durch die Große Halle, er bemerkte automatisch die Position der Auroren, bevor er letztendlich wieder auf den Gryffindortisch blickte.
Er war an diesem Morgen in einem Durcheinander an Laken aufgewacht, etwas, was schon seit einer langen Zeit nicht mehr geschehen war. Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der er nass geschwitzt in einem Durcheinander an Laken aufgewacht und es für ihn ein Normalzustand war. Aber da er sich an keinerlei Albträume erinnern konnte, er sich gut erholt fühlte, hatte er es als eine Absonderlichkeit abgetan und war seiner morgendlichen Routine nachgegangen. Erst als er die Laken glatt streichen wollte, hatte er das Siegel gesehen.
Sein Blick fand ihre schlanke Gestalt. Sie und ihre Freunde waren über den geöffneten Propheten gebeugt, ihre Köpfe steckten in geteilter Kameradschaft zusammen.
Zuerst war Severus verwirrt gewesen, Unglaube mit einer Mischung aus etwas Belustigung bei den Gedanken, dass ein erwachsener Mann offenbar in Babylaken schlief. Als er die Löwin gesehen hatte, glitten seine Gedanken zu Albus und Minerva. Erst als er mit seiner Hand über die Signatur fuhr und die Magie, die dort eingearbeitet war, spürte, wusste er, wie sehr er sich geirrt hatte. Seine vorherige Belustigung wich einem Verrat, den er zuletzt bei Lily Potter gespürt hatte. Dicht gefolgt von dem Verrat folgte die Wut, ihre Tiefe und Odem hatte sogar ihn überrascht. Wütend hatte er nach den Lacken gegriffen, hatte sie vom Bett gerissen und hatte beim Zerreißen der feinen Seide so etwas wie Genugtuung verspürt.
Aber das war erst der Anfang gewesen. Da hatte er alles erkannt. All die kleinen Dinge, die dem gefolgt waren, die kleinen Schritte, um seine Aufmerksamkeit, sein Vertrauen zu erlangen, wie sie sich in seine Nähe geschlängelt hatte. Sie hatte seine Lektionen gut verinnerlicht, dass musste er ihr lassen. Seine Hauselfe abzuziehen war brillant und einem Slytherin ebenbürtig gewesen.
Jetzt blieben für ihn nur noch Fragen übrig: Warum er? Warum jetzt? Und was hatte sie zu gewinnen?
Er war sich ziemlich sicher die Antwort auf all die Fragen zu kennen. Potter. Es ging immer, immer wieder nur um Potter und Hermine Granger würde alles tun, um Potter zu retten. Wenn sie Severus überzeugt hätte … wenn sie ihn gefragt hätte … was hätte er getan, wenn sie ihn darum gebeten hätte, Potters Leben zu retten?
Er spürte ein undankbares Lachen in sich aufkeimen, aber er unterdrückte es. Das Mädchen hatte es alles umsonst getan. Sie hätte ihn nicht um mehr bitten können, als Dumbledore bereits getan hatte … als Lilys Erinnerungen bereits getan hatten. Er spielte diese Szene eintausend Mal in tausend verschiedenen Variationen durch. Es machte keinen Unterschied, wer ihn um etwas bat. Er wusste, wie es enden würde. Potter würde den Dunklen Lord herausfordern. Der Dunkle Lord würde antworten. Potter würde etwas unglaublich Dummes tun und Severus würde sich zwischen Potter und dem sicheren und ultimativen Tod werfen, um dem Jungen noch mehr Zeit zu kaufen.
Sie hatte es umsonst getan. Ein scharfes, kaltes Lächeln zeichnete seine Lippen. Vielleicht werde ich es ihr sagen.
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Voldemort lehnte sich in seinen Stuhl zurück, als er den Zaubereiminister gegenüber von sich betrachtete. Er hasste diese Treffen, aber sie waren ein nötiges Übel, um das Ministerium zu kontrollieren. Für eine komplette Übernahme waren noch zu wenige seiner eigenen Leute platziert. Der Grund seiner ersten Niederlage war es gewesen seine Mittel nicht weise genug genutzt zu haben und seine Ungeduld nach Erfolg hatte ihn in die Knie gezwungen. Er würde nicht noch einmal denselben Fehler begehen. Sein Blick huschte über den Tisch, bis er wieder die Aufmerksamkeit des Ministers hatte.
„Wie wir bereits in unserem letzten Treffen besprochen haben, haben wir die Sicherheit der Zauberwelt in diesen schweren Zeiten noch weiter erhöht.“ Dankend neigte Dollort seinen Kopf. „Auf Empfehlung unseres Ministers, unterliegt es der Pflicht der Auroren einzelne Personen, die eventuell Anhänger von Er-dessen-Namen-nicht-genannt-werden-darf, sind, zu verhaften. Aufgrund dieser Verhaftungen haben wir Azkaban einer weiteren Bevölkerung gegenüber geöffnet. Diese Schritte waren äußerst bedauerlich“, sagte Dollort und sprach somit die Abteilungsleiter an, die sich gegen den Plan ausgesprochen hatten, „aber ich glaube, dass wir noch positive Resultate unseres Handelns sehen werden.“
„Was ist mit den Neuen, von denen ich gehört habe?“, fragte Marigold Shrinker, Abteilungsleiterin für Landwirtschaft, nasal.
Dollort schenkte ihr ein geübtes Lächeln, als er die Hand der alten Schachtel tätschelte. „Ja, wir haben noch weitere Leute hinzugezogen.“
Er stülpte seine Finger und konzentrierte sich, damit er den Imperius vertiefen konnte. „Einige meiner Leute aus meiner Belegschaft haben noch zusätzliches Personal mit fehlerloser Vergangenheit in Azkaban eingesetzt, um auch zu vergewissern, dass sich um jeden Insassen entsprechend gekümmert wird.“
Thicknesse blinzelte mit einem leichten Stirnrunzeln. „Wäre es nicht am besten dort noch mehr Auroren einzusetzen?“
„Nach weiteren Diskussionen erachteten wir es für angemessener, dass sich die Auroren um wirkliche Notfälle kümmern und nicht nur Wache stehen. Ein oder zwei Vorgesetzte der Auroren sollten genügen. Die anderen Männer und Frauen, die ich vorgeschlagen habe, sind weitaus qualifizierter.“
Das Stirnrunzeln des Ministers vertiefte sich, als er gegen die unbekannte Macht in seinem Kopf ankämpfte. „Wir sollten mit der offiziellen Befragung augenblicklich beginnen. Ich bin mir sicher, dass es sich bei einigen nur um einen Fehler handelt.“
Ein amüsierter Dollort ließ ihn für einen Moment ankämpfen, bevor er die Kontrolle festigte. „Eine ausgezeichnete Idee, Minister. Wir wollen ja nicht jeden wissen lassen, dass wir hinter all dem stehen.“
Thicknesse blinzelte schnell und lächelte den Abteilungsleitern zu. „Nun, ich denke, das wäre dann alles, es sei denn, jemand möchte noch etwas hinzufügen.“ Niemand der Abteilungsleiter sagte ein Wort. Als sich das Treffen auflöste, stand Dollort auf. „Wenn es nichts Weiteres zu besprechen gibt, werde ich mich meinen weiteren Aufgaben zuwenden.“
Thicknesse winkte ab. „Ja, ja, natürlich.“
Dollort wandte sich ab an die Person, die dezent an der Wand stand. „Mr. Rowle. Wenn Sie so freundlich wären, ich habe noch etwas, was ich gerne mit Ihnen besprechen würde.“
„Natürlich, Sir. Ich folge Ihnen in Ihr Büro.“
Beide Männer schwiegen, als sie die Gänge des Ministeriums entlanggingen. Als sie sich Dollorts Büro und somit der Sicherheit der Schweigezauber näherten, wandte sich Voldemort an Rowle. „Alles ist an seinem Platz und bereit?“
„Ja, Sir. Unsere Leute sind bereits vor Ort und die Inszenierung ist fast beendet.“
„Gut, dann ist es fast so weit. Verhaften sie die weiteren Personen auf der Liste. Und dann führen Sie den Plan aus.“
Rowle neigte seinen Kopf. „Es wird geschehen, mein Herr.“
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Miranda Vector verließ mit gesenkten Kopf und gezielten Schritten die Große Halle. Schüler gingen ihr aus dem Weg, aber sie war zu vertieft in ihre Gedanken, um es überhaupt zu bemerken. Das Frühstück war ein totales Desaster gewesen. Zwischen dem Schrecken aus dem Tagespropheten und den Verdächtigungen unter den Schülern, bis hin zu Albus Verschwinden – zu sagen, dass Miranda das nahende Unheil spürte, wäre eine Untertreibung gewesen.
Aberforth war ein Schock gewesen. Sie und Dumbledore waren die Auswirkungen durchgegangen, die das Ministerium mit den Verhaftungen von Ordensmitgliedern verursachte. Sie hatte letzte Nacht lange daran gearbeitet die Schlussgleichung mit all den Informationen, die Albus noch von seinen Schlüsselpersonen aus dem Ministerium erhalten hatte, zu modifizieren. Dumbledores Bruder war nicht Teil dieser Überarbeitung gewesen.
Verflucht nochmal, aber ich hasse das.
Als sie ihr Arbeitszimmer betrat, zog sie ein „Nicht stören“ Schild hoch und holte dann die Matrix zum Vorschein. „Das stimmt nicht“, murmelte sie, bevor sie die Matrix wieder verschwinden ließ und dafür die Gleichungen auf den Tafeln hervorzauberte. Sie verlor sich in den Feinheiten der Arithmantik und ging jede Gleichung noch einmal durch. Viele Minuten später starrte Miranda mit so etwas wie aufkeimender Wut fassungslos auf die Gleichung. „Das darfst du nicht“, murmelte sie jetzt bereits zum vierten Mal. Die Matrix und alle Gesetze der Arithmantik ignorierten ihre Wut und fuhren damit fort genau das zu tun, was sie bereits die letzten Stunden getan hatten.
Wie es Miranda bereits Tausende Male zuvor getan hatte, schob sie die visuelle Darstellung zur Seite. Eine weitaus kompliziertere Zauberstabbewegung materialisierte jede einzelne Tafel mit ihrer Gleichung. Erneut ging sie jede durch, suchte nach irgendwelchen Abweichungen oder zufälligen Aussetzern ... irgendetwas … irgendetwas, was ihr erklärte, was sie da gerade sah. Zum fünften Male fand sie rein gar nichts. Sie schloss ihre Augen, obwohl sie wusste, dass diese Geste absolut nutzlos war, zauberte sie erneut die Matrix herbei. Nach einem tiefen Atemzug öffnete sie wieder ihre Augen. „Was für’n Mist.”
Vor ihr blinkte die Matrix wie eines der Muggelgeräte, die die Straßen von London zäumten, auf. In dem einen Moment, war die Matrix so, wie sie noch gestern war und wenige Sekunden später zeigte sie wie Du-weißt-schon-, wer den Krieg gewinnt und die Zauberwelt in bunten Flammen aufging. Es ergab keinen Sinn.
Letzte Nacht war die Matrix noch stabil gewesen. Zugegeben, der Verlust von so vielen Ordensmitgliedern hatte das gesamte Muster und die Wahrscheinlichkeiten verschoben, aber sie und Albus waren beide überrascht und erleichtert gewesen, dass es sich nur leicht verschoben hatte und nicht in dem Maße, wie sie befürchtet hatten. Sie hatte sogar Severus merkwürdige Schlussfolgerung erwähnt, dass am Ende nur wenige Ordensmitglieder eine entscheidende Rolle spielen würden.
Und jetzt das.
„Ich übersehe doch etwas“, murmelte sie genervt. Zwischen dem Aufblitzen und all den Farben und dem Durcheinander von Berechnungen war es schwer überhaupt noch irgendwas, zu erkennen. Sie rieb sich die Augen. „Irgendwas ist passiert.“ Aber nichts, was sie nicht mit einbezogen hätte, stand noch im Propheten; sie hatte sogar Severus Informationen von seinem Treffen mit Du-weißt-schon-wer berücksichtigt.
Dieser Gedanke ließ sie aufschrecken. „Severus? Sicherlich nicht“, dementierte sie mit sich selbst. Sie zog seine Gleichung aus dem Durcheinander und ging noch einmal die Zahlen durch. „Das kann nicht sein. In den letzten sieben Jahren war er mitunter die stabilste Gleichung gewesen. Nichts schien jemals--“ Sie verstummte und starrte auf ihre Matrix, während sie nach etwas suchte. Mit Schrecken wartete sie, bis sich die Wahrscheinlichkeit wieder verschob, und erstarrte dann das Bild. Sie wirbelte mit ihrem Zauberstab und begann alle Gleichungen zu entfernen, bis nur Severus‘ Linie alleine in ihrem Arbeitszimmer hing.
Wo zum Hades steckt die abnormale Linie?
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„Hermine!“
Als Hermine ihren Namen schreien hörte, drehte sie sich suchend in der Großen Halle um. Als sie Lavender erspähte, ging sie zu dem anderen Mädchen hinüber. „Lavender“, begrüßte sie ihre Zimmerkameradin.
„Vor dem Frühstück musste ich noch mal zurück ins Zimmer, weil ich ein Buch vergessen hatte.“
In der Hoffnung, dass sich Lavender beeilen würde, nickte Hermine, obwohl sie nicht verstand, was all dies mit ihr zu tun hatte.
Lavender warf ihr einen Blick zu, den Hermine nicht ganz deuten konnte. „Ich denke einfach nur, dass du wissen solltest, dass ich hinter deinen zugezogenen Bettvorhängen einige merkwürdige Geräusche gehört habe.“
Besorgnis breitete sich in Hermine aus. „Merkwürdig?“, fragte sie, als sie damit kämpfte ihre Stimme ruhig zu halten. „Wie merkwürdig genau?“
Lavender zuckte halbherzig mit den Schultern. „Weinen und unterdrücktes Schluchzen, solche Geräusche eben.“
Besorgnis breitete sich zur ausgewachsenen Sorge aus. Nur ein einziges Wesen würde sich um diese Uhrzeit in ihrem Bett befinden, Rink. Sie drückte leicht Lavenders Arm. „Danke, Lavender.“ Bevor Lavender überhaupt antworten konnte, war Hermine bereits auf den Weg zum Gryffindorturm.
Als sie einmal die anderen Schüler hinter sich gelassen hatte, beschleunigte Hermine ihre Schritte. Dankbar sah sie, dass sich die untere Treppe in ihre Richtung bewegte. Sie wusste, dass Severus vermutlich letzten Abend gerufen worden war und bei den Gedanken an seinen finsteren Blick von heute Morgen, wuchsen ihre Sorgen in unermessliche Höhe. Irgendwo auf der zweiten Etage wurde sie von den drehenden Treppen aufgehalten. Als sie dann irgendwann endlich den Schlafsaal der Mädchen erreichte, rannte sie die letzten Stufen hinauf. Nachdem sie ihr Zimmer betreten hatte, ließ sie abrupt ihre Tasche fallen und atmete einmal tief durch. Zwischen ihren groben Atemzügen konnte sie deutlich Rinks verzweifelten Schluchzer hören.
Als sie den Vorhang zurückzog, hatte sie das Gefühl jeglichen Boden unter ihren Füßen zu verlieren. Rink saß vor und zurückwippend auf ihrem Bett, dicke Tränen rollten sein Gesicht hinunter, während seine Ohren flach in Verzweiflung an seinen Kopf gepresst lagen. Um Rinks Beine herum lagen die Laken, die sie für Snape gemacht hatte.
„Rink?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Rink hielt stumm die Laken hoch. Hermine hatte keinerlei Schwierigkeiten damit den großen Riss zu erkennen, als ob jemand die Ecken gegriffen und dann einmal den Stoff zerrissen hätte.
Augen. Aber sie würde sich erst später damit befassen können, also schaute sie zurück zu Rink. Sie kletterte auf ihr Bett, zog die Vorhänge zu und mit einer kurzen Zauberstabbewegung hatte sie den Schweigezauber auf ihr Bett gelegt. Gegenüber von Rink setzte sie sich im Schneidersitz hin und nahm vorsichtig seine Hände und entfernte daraus die Laken. „Hey, ist schon in Ordnung. Sag mir, was passiert ist.“
Rink schluchzte erneut auf. „Rink weiß nicht, was passiert ist. Meister der Zaubertränke hat Rink schon sehr früh gerufen. Der Herr war wütend. Als Rink erschien, hat der Herr gesagt…Herr sagte…“
Beruhigend drückte sie Rinks Hand. „Was hat er gesagt, Rink?“
Rinks ganzer Körper begann schluchzend, zu zittern. „Herr sagte, er bräuchte R-Rinks Dienste nicht länger.“
Hermine spürte einen großen Knoten in ihrem Bauch. „Oh, Rink, das tut mir so leid. Ich hätte dich niemals in all dies hineinziehen sollen.“ Dann erfasste sie ein grausamer Gedanke. „Rink, hat dir Professor Snape Kleidung geschenkt?“
Wild schüttelte Rink mit dem Kopf, wobei seine Ohren gegen sein Gesicht schlugen. „Der Herr hätte es lieber tun sollen. Rink wünscht sich, Herr hätte ihm Kleidung gegeben.“
Hermine riss ihre Augen auf. Noch nicht einmal Dobby hatte sich Kleidung gewünscht. Wieder drückte sie fest Rinks Hände. „Er hat dir keine Kleidung gegeben. Wag es ja nicht zu wünschen, dass er es getan hätte“, sagte sie bestimmt. „Verstehst du mich?“
Rink nickte, aber Hermine war sich nicht sicher, ob er auch wirklich überzeugt war. „Was ist noch passiert?“, fragte sie, obwohl sie eine ungefähre Ahnung hatte.
„Herr hatte die Laken in seinen Händen. Herr hat sie Rink vor die Füße geworfen. Hat Rink gesagt, er soll Miss Hermine eine Nachricht übermitteln.“
Rink verstummte und Hermine zwang sich die nächste Frage, zu stellen. „Was hat er gesagt?“
„Herr sagte: „Sag Miss Granger, dass welches Spiel auch immer gedenkt zu spielen, es ist jetzt vorbei. Ihre Dienste sind ebenfalls nicht länger erwünscht.“
Hermine hatte immer gewusst, dass die Möglichkeit bestand, dass Snape die Laken finden würde. Um die Wahrheit zu sagen, hatte sie mit der Zeit angefangen zu glauben, dass er sie niemals finden würde, und hatte nicht weiter als an ihre gute Wirkung gedacht. Sie hatte sich weder am Anfang noch in der Zeit, in der sie Snape näher gekommen war, nie wirklich Gedanken über die Konsequenzen gemacht.
Konsequenzen, schalte sie sich. Wie überaus Gryffindor von dir. Jetzt war es an der Zeit sich mit diesen Konsequenzen auseinanderzusetzen.
Als Hermine auf ihre Uhr blickte, bemerkte sie, dass sie bereits den Beginn von Magische Geschichte verpasst hatte. Sie schob die Laken auf die andere Seite des Bettes und zwang sich so viel gute Laune in ihre Stimme zu legen, wie nur möglich. „Komm schon, Rink. Du musst mich zur Küche bringen. Kannst du das für mich tun?”
Rink nickte und mit ihrer Hand noch immer in seiner, disapparierte Rink sie beide. Die beiden tauchten inmitten auf dem riesigen Küchentisch im ganzen Treiben der anderen Hauselfen wieder auf.
Mit schwerem Herzen blickte Hermine auf, unsicher, wie die Elfen auf ihre Anwesenheit reagierten, da sie sich ziemlich sicher war, dass Rinks Leid bereits alle Ohren in Hogwarts zum Flattern gebracht hatte. Vorsichtig kletterte sie vom Tisch, nur um von einer ganzen Ansammlung von Hauselfen umrundet zu werden, die sie alle gleichzeitig begrüßten. Innerhalb weniger Sekunden saß sie mit einer Tasse Tee und einen Tablett voll mit ofenwarmen Keksen am Tisch. Rink wurde neben sie gesetzt und man kümmerte sich genauso um ihn.
„Miss Hermy ehrt uns“, sagte eine der Elfen, die Hermine nicht kannte.
Hermine schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob es im Moment eine Ehre ist, mich zu kennen.“
Die unbekannte Elfe gab ihr einen leicht amüsierten Blick. Denselben Blick hatte sie immer von ihren Eltern bekommen, wenn sie dachten, dass sie etwas überaus Kindliches oder Naives getan hatte. Mit einer leichten Verbeugung sagte die Elfe: „Neena wird Lonny holen“, und disapparierte.
Hermine wusste genau wann Lonny eingetroffen war, da sich der Kreis um sie und Rink auf einmal teilte um, die Hogwarts Matriarchin durchzulassen. Augenblicklich sprang Hermine auf. „Lonny ehrt mich“, sagte sie.
Lonnys Mund zuckte in derselben Belustigung, bevor sie sich wieder denselben kleinen Stuhl herbeizauberte, auf dem sie auch schon beim ersten Mal gesessen hatte. Mit viel Würde und Stolz setzte sich Lonny und winkte dann mit ihrer Hand. „Raus!“ Innerhalb weniger Sekunden befanden sich nur Hermine, Rink und Lonny in der Küche.
Konsequenzen, dachte sie, als sie sich darauf vorbereitete die Verantwortung für das, was mit Professor Snape und Rink geschehen war, zu übernehmen. Sie atmete einmal tief durch, bevor sie ganz am Anfang begann und erzählte, wie sie das erste Mal bei den Elfen aufgetaucht war, um die Hilfe der Elfen zu bitten und weiter mit der Zerstörung der Laken und die Reaktion des Professors an diesem Morgen, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass Rink Lonny bereits diese Einzelheiten berichtet hatte. Aber sie wollte sichergehen, dass Lonny wusste, dass Hermine die volle Verantwortung, besonders, wenn sich Rink in irgendwelchen Schwierigkeiten befinden sollte, übernahm.
Lonny lauschte mit voller Aufmerksamkeit bis Hermine schließlich verstummte. Dann betrachtete sie die beiden, bis Hermine sich kontrollieren musste, um nicht auf ihren Platz herumzurutschen.
„Rink“, sagte Lonny, „wem dienst du?“
Rinks Ohren, die sich in den letzten Minuten etwas aufgestellt hatten, legten sich wieder an seinen Kopf. „Rink dient keinem Herren oder Herrin außer Hogwart.“
Lonny nickt, als ob sie mit seiner Antwort zufrieden war. Dann fragte sie: „Rink, wem hast du gedient?“
Rinks Ohren richteten sich wieder auf. „Rink diente Meister der Zaubertränke und Miss Hermine.“
„Mir?“, stotterte Hermine überrascht mit aufgerissenen Augen. „Du kannst mir nicht dienen.“
Bei ihrem Ausbruch, fixierte Lonny sie mit einem Blick. Beschämt verzog Hermine ihr Gesicht. „Entschuldigung.“
Lonny nickte und wandte sich wieder an Rink. „Meister der Zaubertränke hat Rinks Dienste beendet?“
„Ja.“
Lonny schielte flüchtig hinüber zu Hermine und dann wieder zurück zu Rink. „Würde Rink seine Dienste ändern?“
Rinks Antwort kam augenblicklich und ohne zögern. „Rink diente dem Meister der Zaubertränke. Herr geht es jetzt besser. Rink hätte nicht so gut ohne die Hilfe von Miss Hermine dienen können. Rink würde seine Dienste nicht ändern.“
Hermine wirbelte auf der Bank zu ihm herum. „Aber Rink, er hat dich entlassen.“
Bevor Rink antworten konnte, schlug Lonny auf den Tisch und zog somit Hermines Aufmerksamkeit zurück auf sich. „Wem dient Miss Hermine?“, verlangte die Elfe zu wissen.
Hermine zuckte, überrascht von der Frage, zusammen, aber verstand augenblicklich was Lonny versuchte. „Ich diene niemanden“, antwortete sie mit einem traurigen Lächeln.
„Wem diente Miss Hermine?“, fragte Lonny als Nächstes, genau wie bei Rink.
„Ich diente Professor Snape.“
„Der Meister der Zaubertränke hat Miss Hermines Dienste beendet.“
Genau schon wie Rink, antwortete Hermine mit einem einfachen: „Ja.“
„Würde Miss Hermine ihre Dienste ändern?“
Hermine seufzte leise. „Nein, ich würde das, was ich getan habe nicht ändern. Professor Snape brauchte jemanden … braucht noch immer jemanden. Ich bin froh über das, was ich tun konnte. Ich wünschte nur …“ Sie verstummte und schüttelte dann mit dem Kopf. „Nicht so wild“, murmelte sie.
Lonny betrachtete sie einen Moment, bevor sie nickte. Dann wandte sie sich wieder an Rink. „Rinks nächster Dienst wird für das Hause Slytherin sein.“
Rink nickte und Hermine konnte die Erleichterung an seinen Ohren ablesen. Sie entschied, dass es vermutlich damit etwas zu tun hatte, dass er immer noch in der Nähe von Professor Snape bleiben konnte.
Dann wandte sich Lonny an Hermine und sie war neugierig auf die ‚Aufgabe‘, die die Hogwarts Matriarchin ihr zuteilen würde. „Miss wird nie wieder dienen.“
„Was?“, schnappte Hermine und warf dann fast augenblicklich ihre Hände über ihren Mund und murmelte ein „Entschuldigung“, durch ihre Finger.
Lonny warf ihr wieder einen dieser Blicke zu. „Miss hat alles, was Miss mit ihren Diensten erreichen konnte, erreicht. Jetzt ist es für Miss an der Zeit, eine neue Rolle zu übernehmen. Meister der Zaubertränke braucht noch andere, als die, die ihm dienen“, sagte Lonny.
Verwirrt runzelte Hermine die Stirn. „Ich verstehe nicht.“
„Miss Hermine wird Miss Hermines Antwort finden. Rink wird Slytherin dienen und die Elfen von Hogwarts werden dem Meister der Zaubertränke an Rinks und Miss Hermines Stelle dienen.“
„Aber-“, versuchte Hermine es erneut, aber verstummte dann, als sie sah, wie sich Lonnys Ohren enttäuscht legten. Lonnys Wort als Matriarchin war Gesetz und Lonny hatte gesprochen. „Ja, Ma’am“, sagte Hermine seufzend. „Meine Dienste werden nicht mehr benötigt.“
Lonny lachte. „Miss wird ihren Weg schon finden.“ Sie schielte zurück zu Rink und nickte ihm zu. „Rink wird Miss jetzt zurückbringen.“
Hermine spürte, wie Rink ihren Arm umfasste und sich dann wieder auf ihrem Bett befand. Einen Augenblick später war Rink verschwunden, um seine neue Aufgabe anzugehen und Hermine war vollkommen allein. Als sie aus dem Bett kletterte und sich umblickte, war sie sich nicht sicher, was sie genau tun sollte. Zum ersten Mal seit sie hier in Hogwarts angefangen hatte, hatte sie aus keinem wirklichen Grund einen Großteil des Unterrichts verpasst. Wenn sie jetzt sofort loslief und sich beeilte, dann konnte sie es noch bis zu Zaubertränke schaffen, aber sie hatte keine wirkliche Lust. In diesem Moment waren ihr Slughorn und ihre Note vollkommen egal. Ein Teil in ihr erkannte, dass sie sich noch im Schock befand und sie konnte sogar alle Symptome und Anzeichen auflisten. Dem Rest von ihr war es einfach nur egal. Zuviel hatte sich in den letzten vierundzwanzig Stunden geändert – die Weasleys, die Zauberwelt, Severus und Rink. Sie wusste wirklich nicht, was sie zuerst fühlen sollte.
Ziellos lief sie durch ihr Zimmer und nahm irgendwas auf, nur um es gleich wieder abzustellen. Als sie ihre Büchertasche mit dem verstreuten Inhalt sah, machte sie sich daran das Durcheinander zu beseitigen, aber als sie einmal fertig war, hatte sie keine Kraft mehr vom Boden aufzustehen. Bewusst vermied sie auf das Bett zu sehen, wo Severus zerrissenes Bettlaken in einem zerknüllten Haufen lag. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Sie hatte immer irgendwelche Pläne gehabt und hatte immer den nächsten Schritt gewusst. Pläne und Schritte waren gut und passten gut in ihre sortierte Welt. Harry hatte Hilfe gebraucht, also hatte sie etwas gefunden, um ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Ron und Ginny brauchten Unterstützung, also hatte war sie als Freundin für sie da. Rink war verloren, also hatte sie das getan, um sein Leiden zu lindern und hatte versucht zumindest etwas von dem Schaden, den sie angerichtet hatte, wieder gut zu machen. Ordentliche, logische Schritte.
Aber Severus? Hier war sie komplett verloren. Hier boten sich keinerlei Schritte an. Keine Pläne sprangen ihr in den Kopf. Keine Bücher, die ihr jetzt noch helfen konnten. Dort auf dem Boden sitzend, mit nichts weiter als die erdrückende Stille um sie herum, lauschte Hermine ihrem eigenen Herzschlag. Immer wieder hob sie die Hand, um die Tränen fortzuwischen.
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Während der nächsten Tage traf all das ein, was Snape vorhergesagt hatte. Hogwarts wurde zu einem düsteren Ort, gefüllt von schweigenden, misstrauischen Schülern. Kleinere Gruppen flüsterten miteinander im Korridor, nur um zu verstummen, wenn ein anderer Schüler an ihnen vorbeilief. Streitereien und Anschuldigungen mussten schon mehrere Male geschlichtet werden und es waren nicht unbedingt Auseinandersetzungen zwischen den Häusern, sondern innerhalb der Häuser. Ein Streit im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws endete damit, dass sich vier Schüler in die Obhut von Madam Pomfrey begeben mussten.
Mit jedem weiteren Tag wuchs die Anspannung langsam weiter an, nur um jeden Morgen, wenn neue Namen im Propheten verkündet wurden, auszubrechen. Der einzige Lichtpunkt schien Harry zu sein, der jetzt seine Bestimmung gefunden hatte. Seine launische Stimmung und seine Paranoia waren zwar nicht gänzlich verschwunden, hatten jetzt aber zumindest einen Punkt, worauf sie sich konzentrieren konnten. Harry hatte einen Feind gefunden, anstatt den unerreichbaren Lord Voldemort, auf den er sich fokussieren konnte, und er schaffte es, darin einen Unterschied zu erkennen.
„Wie viele sind es heute?“, fragte Harry Hermine.
Es war zur Gewohnheit geworden, dass Hermine jeden Morgen die Zeitung durchblätterte. Sie schlug schnell die richtige Seite auf und überflog die Neuigkeiten. „Nur vier Stück. Keinen Namen, den ich kenne.“
Ron verzog sein Gesicht. „Immerhin etwas. Nicht viel, aber zumindest etwas.“ Dann schob er seinen Frühstücksteller von sich fort und sah sich in der Halle um. „Werden wir heute Morgen mit irgendwem reden?“
Harry nickte und lehnte sich ebenfalls zurück. „Dunnigan in Ravenclaw. Er ist ein Muggelgeborener.“
„Dann sollten wir es besser hinter uns bringen. Oh, das hätte ich fast vergessen, ich habe heute Nachmittag mein Treffen mit Dawlish. Verdammter Mistkerl.“
„Es ist nur zu unserem Gunsten, wenn die Auroren noch immer denken, dass du für sie spionierst“, sagte Hermine.
„Das heißt ja nicht, dass ich es unbedingt genießen muss und mich wie Percy aufzuführen, bringt mir nichts weiter als Kopfschmerzen.“
Mit einem halben Lachen nickte sie in den offenen Raum hinein. „Hör auf herumzumeckern und mach schon.“ Als sie die beiden beobachtete, wie sie zum Ravenclawtisch gingen, wagte sie einen flüchtigen Blick hinauf zum Lehrertisch. Professor Snape beobachtete Ron und Harrys Weg durch die Halle mit einem finsteren Blick, aber er blickte nicht einmal in ihre Richtung.
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Hermine hatte damit begonnen einfach so zu tun, als ob sich zwischen den beiden nichts geändert hatte. Sie versuchte weiterhin höflich und freundlich zu bleiben, damit er sie weiterhin wahrnahm und hoffte, dass Professor Snape ihre Reue erkennen würde. Das brachte ihr nichts weiter als Schweigen. Wenn sie Professor Snape im Korridor begegnete, begrüßte sie ihn weiterhin. Er schaute jetzt durch sie hindurch. Verteidigung wurde zu einer einzigen Qual. Es war nicht gerade so, dass Snape es auf sie abgesehen hatte. Obwohl er vielleicht ihre Anwesenheit registrierte, sie war im Unterricht so gut wie unsichtbar für ihn.
Hermine empfand seine Gleichgültigkeit verletzender als seine normalerweise bittere Person. Er betrachtete sie nicht einmal wütend oder voller Hass oder mit Verachtung, er sah sie überhaupt nicht an. Es war, als ob sie noch unsichtbarer als die Geister im Schloss war. Sie hatte sogar in Erwägung gezogen ihm eine Nachricht zu schreiben, aber am Ende hatte sie diesen Gedanken wieder verworfen. Was getan und gesagt werden musste, musste von Angesicht zu Angesicht getan und gesagt werden.
Immer wieder sagte sie sich, dass er verletzt und wütend war, aber sie konnte einfach nicht die Tatsache ignorieren, dass auch sie verletzt war. Hermine, obwohl sie keine große Verfechterin von Fiktion war, hatte genug Liebesromane in ihrem Leben gelesen – meistens aus dem Sammelsurium ihrer Mutter – sodass sie durchaus das Schicksal der verschmachtenden Heldin kannte. Höchstpersönlich hatte sie immer gedacht, dass dies absoluter Schwachsinn war und sie nie zulassen würde, dass ihr ein Mann dermaßen wehtun würde. Sie erkannte jetzt, dass sie mehr als nur etwas naiv gewesen war. Der Schmerz war allzu real und nicht so einfach zu ignorieren, aber als die Tage verstrichen, entschied Hermine, dass sie jetzt genug geschmachtet hatte.
Der Schmerz mag vielleicht nicht vergehen, wenn Severus sie einfach übersah, aber sie würde nicht so mitleiderregend wie eine dieser dummen Buchheldinnen werden. Harry und Ron brauchten sie. Und Severus … nun, sie konnte nur hoffen, dass er ihr eines Tages vergeben würde, aber sie sollte verdammt sein, wenn sie wie irgendeine Gothicheldin in einer kitschigen Schnulze verkümmern würde.
Aber wie die meisten Dinge im Leben, war es einfacher gesagt als getan. Aber sie lernte und nahm einen Schritt nach dem anderen.
Daher suchte sie sich wieder ihre ganzen Nähutensilien zusammen und breitete sie erneut auf ihrem Bett aus. Sie wählte ihre Nadel mit großer Sorgfalt aus und begann damit einige Seidenfäden behutsam zurechtzulegen. Dann griff sie unter ihre Bettdecke und tastete sich so lange vor, bis ihre suchenden Finger gegen einen weichen Stoffhaufen stießen. Sie zog das darunterliegende Laken hervor, bis sie es auf ihrem Bett ausgebreitet hatte. Die Magie, die die Laken enthielten, war noch immer da und kribbelte in ihren Fingerspitzen. Erleichtert atmete sie durch. Vor diesem Augenblick, die Laken wirklich anzufassen, hatte sie sich gefürchtet, aus Angst, dass die Magie darin verschwunden war. Es war ein dummer Gedanke gewesen, aber wenn sie es nicht mit absoluter Sicherheit wusste, dann musste sie sich auch nicht eingestehen, dass jetzt alles vorbei war. Aber sie waren nicht ganz zerstört, selbst wenn alles andere zusammengebrochen war.
Aber das hier, entschied sie, war der letzte Schritt sich von etwas zu lösen, von dem sie sich noch nicht einmal sicher war, ob es ihr überhaupt gehört hatte.
„Dummes Mädchen“, murmelte sie zu dem Laken in ihren Händen. Tief durchatmend sammelte Hermine all ihre Magie in der Mitte ihrer Brust. Als sie schon fast das Pulsieren wie einen zweiten Herzschlag spüren konnte, war sie bereit. Seit dem ersten Mal, seit sie das hier versucht hatte, hatte sie schon viel gelernt und war sich jetzt ihrer selbst und ihrer Magie sicher. Diesmal würde sie nicht wie zuvor ihre Magie verausgaben.
Leise begann sie zu singen, und wenn diesmal ihre Worte mit einer Spur von Traurigkeit belegt waren, so war niemand außer die Magie anwesend, um es zu hören..
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