Pet Project - Noch mehr Fragen und Antworten
von Xaveria
Noch mehr Fragen und Antworten
Severus beobachtete wie Granger zu ihrem Stuhl ging. Das Knirschen von Porzellan zog seinen Blick hinunter auf den abgewetzten Boden. Ein leichtes Stirnrunzeln zeichnete sich ab, bevor er verstand. Eine beschämende Hitze stieg in seinen Wangen auf. Gedemütigt von seinem Kontrollverlust – Wut und Magie in gleichermaßen – neigte er leicht seinen Kopf, um sein Gesicht vor den scharfen Blick des Mädchens zu verdecken. Es war schon schlimm genug, dass sie seinen Kontrollverlust beobachtet hatte. Sie musste nicht auch noch seine Erniedrigung mitbekommen.
Trotz der finsteren Blicke, die er jedes Mal den Gryffindors für ihre ungezügelten Gefühle zuwarf, war er sich seinen eigenen Schwächen durchaus bewusst. Dass er dermaßen seine Kontrolle verloren hatte, war unentschuldbar. Seit damals, als der Schulleiter ihm erzählt hatte, dass Lupin den Posten in Verteidigung bekommen würde, hatte er nicht mehr einen so unkontrollierten Wutausbruch gehabt. Zumindest hatte er damals genug Kontrolle gehabt, um bis zu seinen Gemächern zu gelangen. Unter diesen Umständen und dann auch noch ausgerechnet vor dem Mädchen die Kontrolle verloren zu haben, war mehr als unverzeihlich. Er durfte sich, jetzt wo er fast täglich dem Dunklen Lord gegenübertrat, keinen einzigen Fehler leisten. Mehr als nur sein Leben hing von seinen Fähigkeiten seine Wut zu zügeln und seine Geheimnisse zu bewahren, ab.
Er zog seinen Zauberstab heraus, schwang ihn in einer ausholenden Geste durch die Luft und beseitigte das Durcheinander, welches er verursacht hatte. Vielleicht war es an der Zeit Albus nach dem Zaubertrank oder den Zauber zu fragen, den der alte Manipulator verwendet hatte, um ihn zum Einschlafen zu bringen. Es war offensichtlich, dass Severus seine Nerven verlor.
Mit einem beginnenden Pochen hinter seinen Augen beugte er sich der neuen Verantwortung, die ihm das Mädchen vor die Füße gelegt hatte. Ein Teil von ihm weidete sich in ihrem Vertrauen zu ihm. Sie war mit ihren Sorgen zu ihm gekommen; nicht zu Molly, nicht zum Schulleiter, noch nicht einmal zu Lupin. Ein ganz anderer Teil in ihm wünschte sich, sie wäre zu den anderen gegangen. Er unterdrückte ein melodramatisches Seufzen. Bevor er sich ausruhen konnte, musste er sich noch um das Mädchen kümmern.
Das Mädchen. Hermine Granger. Er könnte sich auch ebenso gut daran gewöhnen, sie bei ihren Namen zu nennen. Er hatte sich immerhin freiwillig dazu entschieden in die Rolle ihres Mentors zu schlüpfen. Sie weiterhin ‚das Mädchen' zu nennen, als ob sie eine der geistlosen Idioten sei, mit der er sich jeden Tag herumschlagen musste, würde ihr nur einen schlechten Dienst erweisen. Es war dieser Augenblick, in dem er sich an das Jahr erinnerte, als er nach Hogwarts zurückgekehrt war. Er war genauso begierig gewesen, sich vor Albus zu beweisen. Er konnte sich noch immer an den ersten Tag erinnern, an dem er ihn Snape und nicht mehr Mr. Snape genannt hatte.
Er schielte zu dem Mädchen, wie sie erwartungsvoll noch immer in ihrem Schlafanzug vor ihm saß, ihr ungekämmtes Haar ein haltloses Durcheinander, ihre Augen waren wach und vertrauend und sie wartete auf ihn. Merlin, steh mir bei. Aber wenn er sich um Potter kümmern sollte, dann brauchte er ihr Vertrauen und ihre Hilfe, bevor alles danebenging und sie alle tot enden würden. Es war natürlich ein kalkuliertes Wagnis – eine eindeutige Slytherin-Taktik, für die Albus ihn tadeln würde, zwischenmenschliche Beziehungen auszunutzen,– aber dem Mädchen die Gefälligkeit zu erbringen sie mit einer gewissen Vertrautheit anzureden, würde ihn auf langer Sicht nur helfen.
Als er seinen Weg entschieden hatte, nahm er seinen eigenen Platz wieder ein. „Also, Granger, ich glaube, Sie wollten nichts auslassen."
Er versteckte sein Lächeln, als sie bei der Erwähnung ihres alleinigen Familiennamens leicht die Augen aufriss. Es stellte ihn mehr als zufrieden, dass sie die Wichtigkeit seiner Worte erkannte. Er versteckte jedoch nicht sein Lächeln, als sie erkannte, nach was er fragte und jegliche Farbe aus ihrem Gesicht wich. Wieder einmal brauchte er keine Legilimentik, um in ihrem ausdruckstarken Gesicht ihre Gedanken zu lesen. Gryffindors, dachte er voller Verachtung.
„Beruhigen Sie sich, Granger. Ihre Geheimnisse und Schulmädchenfantasien scheren mich nicht im Geringsten. Es reicht, wenn Sie sich auf die Antworten beschränken, die etwas mit Potter zu tun haben."
Als er die Empörung, die schnell von Erleichterung abgelöst wurde, sah, bestätigte dies nur seine Vermutungen. Kinder waren immer davon überzeugt, dass sich andere für ihre kleine Leben und Geheimnisse interessierten. Als ob ein siebzehnjähriges Mädchen Geheimnisse hätte, die ihn interessieren würden.
„Erzählen Sie mir von Potter."
„Ich-"
Eine Reihe von lauten Schlägen an der Decke unterbrach sie. Die Schläge wurden abgelöst von dem erschreckenden Gekreische, die nur von Mrs Blacks Porträt stammen konnten. Severus erster Gedanke war gefüllt mit schwarzem Humor. Kriege ich denn niemals eine Pause? Verachtet mich das Schicksal dermaßen? Noch bevor die Geräusche von oben verstummt waren, war er bereits auf den Beinen.
„Die anderen werden inzwischen wach sein. Und während ich lieber nicht die falsche Gastfreundschaft Ihrer Landsleute in Anspruch nehmen möchte, werden wir diese Diskussion zu einem angemesseneren Zeitpunkt fortsetzen."
Granger war ebenfalls aufgestanden und betrachtete ihn, als ob er die Antworten auf all ihre Fragen hätte. Merlin, war ich jemals so jung und vertrauensschenkend gewesen? Sie ließ ihn alt und müde aussehen, was sich nur in seiner gereizten Stimme widerspiegelte. „Ich vertraue darauf, dass Sie Ihre Vermutungen bis dahin für sich behalten werden?"
„Natürlich, Sir."
Wieder bemerkte er in ihrer Antwort diesen gewissen Anflug von Empörung, auch wenn ihr Ton außerordentlich höflich und respektvoll war. Er schenkte ihr schon fast ein Lächeln. Sie lernte wirklich schnell. Vor nicht noch ganz einer Minute war sie von seinen Worten und seinem Verhalten erzürnt und empört gewesen.
Als er in der oberen Etage Bewegung und Geräusche hörte, nickte er ihr knapp zu und verließ die Küche. Im Wohnzimmer erwartete er bereits Kingsley und Lupin. Vielleicht konnte er dort seine noch immer aufgebrachten Gefühle besänftigen, bevor er wieder zum Dunklen Lord zurückkehrte.
+++
Obwohl Hermine nach ihm Ausschau hielt, war Professor Snape für den Rest des Morgens nicht mehr auffindbar. Lediglich andere verschiedene Ordensmitglieder wurden auf der Türschwelle gesichtet. Ihre plötzliche Anwesenheit erregte jedoch Rons und Harrys Aufmerksamkeit. Selbst mit den Langziehohren konnten die unüberwindbaren Schutzzauber nicht durchbrochen werden. Hermine war sich ziemlich sicher, dass sie von Professor Snape stammten.
Als sie ihn um die Mittagszeit noch immer nicht gesehen hatte, musste sie sich eingestehen, er hatte den Grimmauldplatz schon vor einer langen Zeit verlassen und war an Voldemorts Seite zurückgekehrt. Dieser Gedanke rüttelte eine innere Unruhe wach, die sie für den Rest des Tages eingenommen hatte.
Da sie nicht ihre schlechte Stimmung an den anderen im Haus auslassen wollte, zog sie sich in die Bibliothek zurück, wo sie ein überaus faszinierendes Buch über den Besitz von magischen Geschöpfen fand. Erst als ein Schrei und ein Scheppern, welches Tonks Eintreffen ankündigte, aus dem Flur zu hören war, verließ Hermine an diesem Abend ihr Versteck.
Hermine vermutete, Tonks ständige Besuche hatten etwas mit einem gewissen Werwolf zu tun, obwohl weder Tonks, noch sonst irgendwer Mrs Weasleys Hausmannskost ausschlagen konnte.
Darüber hinaus war Tonks für die, die hinter den Wänden des Grimmauldplatzes eingesperrt waren, zur persönlichen Postbotin geworden. Sie traf mit einem ganzen Armvoll an Briefen, Päckchen, Einkaufstaschen für Mrs Weasley und einigen Zeitungen, wie den Tagespropheten, den Klitterer, die Hexenwoche und die Times, ein. Mr Weasley nutzte die Gefangenschaft von Hermine und Harry zu seinem Vorteil aus, um sich alles in den Muggel-Zeitschriften erklären zu lassen. Die Times diente ebenfalls dazu dem Orden zu zeigen, wie die Muggels auf die Todesfälle und die Sachbeschädigung reagierten.
Mit ihrem Buch also in der Hand, stand Hermine aus ihrem Sessel auf und warf Würde und Anstand über Bord, als sie sich in das Rennen um die Post einklinkte. Als sie um die Ecke bog, rutschte sie leicht auf den frisch polierten Boden und schlidderte ohne jegliche Eleganz weiter.
Eine Etage über ihr konnte sie das Trampeln der Jungen, als sie die Treppe hinuntersprangen, hören. Da es kein Geheimnis war, dass das Haus recht hellhörig war, dauerte es nicht lange, bis Mrs. Black aus ihrem gezeichneten Schlummer gerissen wurde. „SCHLAMBLÜTIGER ABSCHAUM! Blutsverräter! Dreckige Bastarde besudeln das Haus meiner Väter, entehren den stolzen Namen der Familie Black!"
Zwei Sekunden nachdem Mrs Black ihre gewöhnliche Litanei von Gekreische aufgenommen hatte, klinkte sich Molly Weasley ebenfalls in den Lärm ein. „Ronald Bilius Weasly! Harry James Potter! Was habe ich euch dazu gesagt, dieses schreckliche Gemälde aufzuwecken?"
Und mitten in diesem ganzen Trubel stand eine ziemlich verärgerte Tonks, lag eine zerbrochene Vase zu ihren Füßen, während sie nur mit Mühe die Päckchen, Zeitungen und Briefe in ihren Armen halten konnte.
Als Hermine sah, wie die beiden Jungen bereits am letzten Treppenabsatz angekommen waren, legte sie noch mal an Tempo zu und nutzte ihre rutschigen Socken, um praktisch Nase an Nase vor Tonks zum Stehen zu kommen.
Rons „Unfair!" hallte durch das Foyer, als Hermine Ron mit ihren spitzen Ellbogen zur Seite stieß.
Bei dem verzweifelten Versuch die neusten Neuigkeiten der letzten Tage zu erlangen, schnappte Hermine nach der ersten Zeitung in Griffbereitschaft und begann breit zu grinsen, als sie sah, dass sie den Tagespropheten erwischt hatte. Vor ein paar Tagen hatte es nur für die neusten Ausgabe der Hexenwoche gereicht und bis Mr Weasley ihr endlich den Tagespropheten gegeben hatte, war sie vollkommen gelangweilt von diesem Abklatsch gewesen.
Mit einem weniger damenhaften Siegesschrei zog sich Hermine in einen sicheren Abstand zurück. Wenige Minuten später war das Durcheinander zu jedermann – außer Rons vielleicht – Zufriedenheit geklärt.
„Warum bekomme ich immer die Hexenwoche?" Es war ein Zeichen, wie ausgehungert sie nach Neuigkeiten waren, dass selbst Rons eiserner Griff um die Zeitung nicht nachließ, selbst als die blonde Hexe auf dem Titelblatt versuchte seine Finger von ihrem Bild zu wischen.
Remus schlug Ron auf die Schulter. „Reine Glückssache, Ron."
Ron warf Hermine einen mehr oder weniger verächtlichen Blick zu. „Ich hätte mehr Glück gehabt, wenn jemand nicht so verdammt spitze Ellbogen hätte."
Hermine lächelte unschuldig und schlug ihre Wimpern auf. Ein Anblick, bei dem Harry schnauben und Tonks auflachen musste.
Mit einem Händeklatschen erlangte Molly die Aufmerksamkeit aller und tat das, was sie am besten konnte und setzte die Meute wieder in Bewegung. „Tonks, könntest du bitte versuchen, den alten Drachen zum Schweigen zu bringen? Remus, wärst du so freundlich und könntest du mir helfen die Einkäufe in die Küche zu tragen? Ron, Hermine, Harry – gegessen wird um halb, also solltet ihr besser jetzt eure Zeit nutzen, um etwas zu lesen."
Damit zog sich jeder dahin und kehrte zu der Sache zurück, die sie vor Tonks zeitlicher Ankunft getan hatten – diesmal jedoch mit Post, Päckchen und Zeitschriften im Schlepptau.
Nachdem Hermine es sich auf ihren Lieblingssessel in der Bibliothek gemütlich gemacht hatte, schlug sie die Titelseite der Zeitung auf, nur um mit großen Lettern konfrontiert zu werden. Die Geschichte wurde von einem Bild, auf dem man das Dunkle Mal über einem Familienhaus schweben sah, begleitet.
MINISTERIALBEAMTER VON TODESSERN ENTFÜHRT
Der Schrecken macht auch nicht vor dem Herzen des Ministeriums halt, als gestern Nachmittag der Untersekretär Bingley Glossop bei vollem Tageslicht entführt worden war. Mrs. Glossop, Gärtnerin von seltenen Pflanzen, wurde tot im Hause der Glossops aufgefunden, wo sie praktisch von ihrer fangzähnigen Geranie gegessen wurde. Die Auroren am Tatort bestätigen, dass Mrs Glossop bereits vor der Verfütterung an die Pflanze tot gewesen war.
Der Verbleib von Mr. Glossop ist bisher noch unbekannt, aber die Auroren vermuten, dass er bereits tot ist.
Die Hintergründe der letzten Attacke der Todesser sind bis auf Weiteres unbekannt. Jedoch hat dieser Reporter ein paar ernsthafte Fragen an das Ministerium: Was wird getan, um die britische Zaubereibevölkerung zu beschützen? Welchen Schutzgrad kann ein Normalbürger noch erwarten, wenn selbst die Ministerialbeamten bereits zu Zielen geworden sind? Und schlussendlich, wie konnte dies nur am helllichten Tage passieren? Wo sind die Auroren in diesen Krisenzeiten?
Lesen Sie weiter auf Seite sechs.
Glossop. Das war der Name über den Professor Snape und der Schuldirektor gesprochen hatten. Glossop, der höchstwahrscheinlich schon tot war. Glossop, der ohne Zweifel ebenfalls ein Ordensmitglied war oder zumindest jemand, der das Netzwerk des Ordens unterstützt hatte – es waren die Leute, die Informationen an den Orden weiterleiteten, damit Entscheidungen getroffen werden konnten.
Was hatten sie noch in dieser Nacht gesagt? Hermine zermarterte sich ihr Gehirn. Sie hatte sich mehr auf Snape und ihre eigene Aufregung mit ihm zu reden als auf die Unterhaltung konzentriert. Was hatte Snape noch gleich gesagt? Sie biss fest auf ihre Unterlippe und versuchte sich an die Unterhaltung zu erinnern. Ich war nervös, gelangweilt und müde und … die Professoren Snape und Dumbledore waren aus dem Zimmer gekommen … Professor Snape hatte sehr aufgebracht gewirkt und hatte sich mit dem Schulleiter gestritten. Es ging um…
Schutz!
Als die Erinnerung zurückkam, fuhr sie abrupt hoch. Sie hatten über Schutz gesprochen. Professor Snape hatte gesagt, dass Glossop Schutz bräuchte. Der Schulleiter hatte argumentiert, dass sie nicht genug Leute – Ordensmitglieder und Auroren – hatten, um jeden, der ein potenzielles Ziel war, zu beschützen.
Eine Kälte, ähnlich derer, die sie in Professor Snapes Gegenwart gespürt hatte, ließ eine Gänsehaut über ihren Körper jagen. Der Professor hatte gesagt, Glossop hätte Schutz gebraucht. Vergangenheitsform.
Ihr Blick fuhr erneut über den Artikel und mit einer bösen Vorahnung bestätigte sie den Todeszeitpunkt der Glossops. Es war der Tag, an dem sie mit Snape gesprochen hatte. Er war dort gewesen. Vielleicht hatte er sogar Glossop und seine Frau umgebracht. Tränen stachen in ihre Augen. Verzweifelt versuchte sie die Tränen wegzublinzeln, obwohl es ein paar dicke Tränen schafften, auszubrechen und auf die Zeitung in ihrem Schoß zu landen.
Weinte sie um die Glossops, zwei weitere Opfer in Voldemorts Wahnsinn oder weinte sie um Professor Snape und das, was er getan hatte?
Ein weiteres Zittern ergriff sie. Das war der Mann, dessen Umgang sie pflegte. Wollte sie das wirklich? Das war der Mann, dem sie vertraute, dass er Harry helfen könnte.
Sie betrachtete das Dunkle Mal auf dem Titelblatt. Snape war gefährlich und todbringend. Als sie sich an die Leere in seinem Blick erinnerte, wusste sie, seine Taten gingen nicht spurlos an ihm vorbei.
Sie begann wieder Wärme in ihre Arme zu reiben, als sie zu einem Entschluss kam. Sie würde über so einiges nachdenken müssen und die Ironie dieses Gedankens ging selbst an ihr nicht verloren.
+++
Am Ende war Hermine zu dem Entschluss gekommen, sie würde ihre Arbeit mit Professor Snape fortsetzen. Es war ja nicht unbedingt so, als ob sie nicht gewusst hätte, dass er schon mal die Unverzeihlichen angewandt hatte. Das hatte sie, aber es zu wissen und mit den Beweisen konfrontiert zu werden, hatte sie erschüttert und wieder einmal hatte sie das recht simple Gerüst ihres Professors neu definieren müssen.
Je mehr sie von ihm erfuhr, desto neugieriger wurde sie. Dass er seinen Mitmenschen gegenüber sarkastisch und gemein war und nicht besonders viel Geduld für sie aufbringen konnte, war nur eine oberflächliche Schicht und eine recht dünne noch dazu. Dass er ebenso ein harter und gefährlicher Mann war, war mehr als offensichtlich. Um die Wahrheit zu sagen, faszinierte und verängstigte er sie. Sie begann sich zu fragen, ob der Schulleiter wirklich die Tatsache würdigte, wie sich Professor Snape so bereitwillig seinen Befehlen und Richtungsvorgaben beugte.
Ein oder zweimal fragte sie sich auch, wie es wohl sein musste die Person zu sein, der Severus Snape freiwillig seine Loyalität schenkte.
Und so kreisten ihre Gedanken weiterhin um Snape. Gedanken, die sich mit den zunehmenden Berichten von den toten Muggeln und Zauberern und Snapes fortwährender Abwesenheit, immer weiter verschlimmerten.
Eisern hielt sie an ihrem neuen Regime ihren Mund geschlossen und Augen und Ohren offen zu halten, fest und war entschlossen auf diese Weise herauszufinden, was die Ordensmitglieder noch wussten. Gelegentlich schnappte sie Gesprächsfetzen, die Snape erwähnten, auf, aber nichts, was ihre Gedanken beruhigte. Mit den Jungen zusammen benutzte sie die Langziehohren, aber der Orden war ihnen auf die Schliche gekommen und sie hatten ihre Treffen gegen die Drei abgeschottet. Einmal hatte sie mit Harry auf einen der obersten Stufen gesessen, als ein Treffen in der Bibliothek abgehalten worden war, aber auch hier hatten sie nichts erfahren. Besorgt hatte sie gemerkt, wie ruhig und zurückgezogen Harry gewesen war.
Nur durch Zufall hatte sie herausgefunden, dass sie überhaupt nicht hinterlistig sein musste, um die anderen zu belauschen. Wenn sie mit einem Buch in ihrem Stuhl saß, redeten die Ordensmitglieder recht offen vor ihr, da sie sich sicher waren, sie war viel zu sehr in dem geschriebenen Wort versunken, als die Welt um sich herum zu bemerken.
Während sie also mit angezogenen Knien und einem großen Buch in ihrem Schoß in einem abgenutzten Sessel in der Bibliothek saß, kämpfte sie darum nicht so hinterlistig wie Malfoy zu grinsen, als sie Moody und Tonks belauschte, wie sie die Sicherheit des Ordens diskutierten. Sie vergewisserte sich auch regelmäßig weiterzublättern, und fragte sich, ob Professor Snape auf diese Art und Weise viele seiner Informationen gesammelt hatte. Es war für sie ziemlich einfach sich ihren Professor vorzustellen, wie er ruhig in einer Ecke saß und Informationen sammelte.
Er würde in irgendeiner heruntergekommenen Zauberbar sitzen. Rauch würde schwer in der Luft hängen und die Ecken mit den niedrigen Decken würden in Schatten getaucht sein. Die einzigen Lichtquellen würden die Kerzen auf den Tischen sein, die einen aussichtslosen Kampf mit der Dunkelheit ausführten. Ein paar fragwürdige Stammkunden - ihre Gesichter unter großen Kapuzen verborgen – würden an den befleckten, dunklen und alten Tischen sitzen.
Der Professor würde wie gewöhnlich ganz in Schwarz gekleidet sein, aber er würde eher den eleganteren Reiseumhang als seine Lehrerroben tragen. Er würde seine Kapuze nicht über sein Gesicht gezogen haben. Seine Haare würden gegen seine Kieferknochen streichen, um seine Augen vor allen anderen verstecken.
Als sich Hermine ganz in dem Bild in ihrem Kopf verlor, schloss sie ihre Augen, um sich noch besser darauf konzentrieren zu können.
Auf seinem dreckigen Tisch würde ein dickes Buch – etwas Altes, aber nicht allzu kostbar – liegen. Ein Glas Feuerwhisky würde direkt vor seinem Buch stehen. Sie wollte sich erst ein verschnörkeltes Kristallglas ausmalen, aber entschied dann, dass es in solch einem Ambiente nur billige Trinkgläser geben würde.
Die anderen würden denken, dass er sich auf sein Buch konzentrierte. Sie würden flüstern und wispern. Sie würden sich über Dinge auslassen, über die sie nicht reden sollten und sie würden sich sagen, dass sie sich vor dem Mann, der lesend in der Ecke saß, nicht fürchten mussten. Aber die ganze Zeit über würde ihr Professor zuhören und das Gesagte abspeichern.
Und dann nach einer Weile, wenn er nichts weiter tat als zu lesen, würde ein mutiger – oder vielleicht auch törichter – Betrunkener, vollgetankt mit Alkohol und den Zusprüchen seiner Freunde hin, am anderen des Raumes aufstehen. Er würde sich durch die Tische weben, bis er vor ihrem Professor stand und Snape – Hermine hielt ihre Augen geschlossen, als ein Lächeln ihre Lippen kräuselte – Snape würde schweigen. Er würde lediglich aufschauen und ihn mit seinem typischen Blick betrachten. Den Blick, bei dem die Ravenclaws ihre Köpfe wieder in ihren Büchern vergruben, die Hufflepuffs in Tränen ausbrachen und die mutigen Gryffindors zum Zittern brachte und den die Slytherins mit mehr oder weniger lachhaften Ergebnissen versuchten zu imitieren.
Dann würde sich das wahre, verachtende Lächeln auf seinen Lippen abzeichnen und -
„Hey, Hermine. Bist du wach?"
Erschrocken öffnete Hermine ihre Augen und griff automatisch nach dem Buch, welches drohte von ihrem Schoß zu rutschen.
„Wollte dich nicht erschrecken", grinste Tonks sie freundlich an, als sie Hermine einen Brief mit einer Muggelbriefmarke entgegenhielt. „Ich wollte dir nur das hier geben. Ich hatte ganz vergessen, dass ich den hier in meine Tasche gesteckt hatte und bei dem Gedränge vorhin ist es wohl irgendwie untergegangen." Tonks schüttelte amüsiert ihren Kopf. „Die Eulen verdienen meinen ganzen Respekt. Sie haben sich wirklich alles verdient, was sich ihre kleinen Herzchen wünschen."
Als Hermine die ordentliche Handschrift ihrer Mutter erkannte, nahm sie den Brief mit einem gemurmelten „Danke" an sich. Neugierig darauf, was ihre Mutter ihr wohl schreiben würde, riss Hermine den Briefumschlag auf, um ein Stück Papier herauszuziehen.
Liebste Hermine,
ich schicke dir diesen Brief, in der Hoffnung, dass er dich erreichen wird, an die Weasleys. Sie haben zumindest eine anständige Postanschrift. Weißt du, es wird vielleicht langsam mal Zeit darüber nachzudenken, uns selbst eine Eule anzuschaffen. Nur Gott alleine weiß, was wir den Nachbarn oder dem nervigen Mr. Peterson erzählen sollen, aber es würde den Kontakt zu dir um einiges erleichtern. Besonders wenn du nach deinem Abschluss vermutlich noch mehr Zeit in der Zauberwelt verbringen wirst. Aber ich schweife ab.
Deinem Vater und mir geht es gut. Im Grunde werden wir nächste Woche auf einer Konferenz in Straßburg sein. Dein Vater freut sich schon darauf.
Hermine grinste, als sie den Brief ihrer Mutter las. Es freute sie und sie war ziemlich erleichtert, dass ihre Eltern für eine Weile England verlassen würden. Besonders jetzt, wo Voldemorts Gewaltausbrüche immer häufiger zutage kamen. Sie hatte ihren Eltern nie von den Dingen erzählt, die sie, Ron und Harry getan hatten. Jetzt, nach so viel verstrichener Zeit und so vielen Geheimnissen wusste sie einfach nicht, wie sie es ihnen beibringen sollte. Aber wenn sie das Land verließen, dann hätte sie eine Sorge weniger.
Hermine grinste, als sie den Brief ihrer Mutter las. Es freute sie und sie sollte noch mit Tonks oder Moody darüber reden, die Auroren während ihrer Abwesenheit woanders einzusetzen. Das würde nur helfen andere potenzielle Ziele zu beschützen. Mit dieser geistigen Notiz wandte sie sich wieder dem Brief von ihrer Mutter zu.
Aber, Schatz, das ist nicht der Grund, warum ich dir schreibe. Dieser Brief betrifft deinen kleinen Freund mit den zu großen Ohren. Ich werde seinen Namen nicht nennen, da du angedeutet hast, dass er für seine – wie soll ich es sagen? – außerschulischen Aktivitäten Ärger bekommen könnte. Ich weiß, du dachtest, wenn du einmal von hier verschwunden bist, dann würde auch er wieder in sein Zuhause zurückkehren. Das ist nicht der Fall gewesen. Und wenn ich auch nicht unbedingt böse bin, morgens frische Milchbrötchen zu bekommen, will ich wirklich nicht, dass er irgendwelche Schwierigkeiten bekommt.
Im Grunde hatten wir uns den einen Abend sogar recht nett unterhalten.
Hermine lachte leise. Der Gedanke an ihre Mutter und Rink, wie sie sich gemeinsam mit einer Tasse Tee zum Gespräch hinsetzen, war mehr als amüsant.
Wusstest du, obwohl ich eine Muggel bin, kann ich ihn genauso, wie du, rufen? Dein Freund sagt, er muss nur aktiv nach mir horchen. Nicht, dass ich wirklich die Erklärung, die er mir gegeben hat, verstanden habe, da ich nicht verstehen kann, wie jemand aktiv nach jemandem horchen kann, wenn dieser jemand mehr als hundert Meilen entfernt ist. Außerdem neigt er dazu abzuschweifen, weshalb es manchmal etwas schwierig ist, seinen Unterhaltungen zu folgen. Er erinnert mich etwas an deinen Großonkel Dennis. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, hatte Dennis auch extrem große Ohren und die Angewohnheit gehabt hinter deiner Großtante Dorothea herzuräumen.
Aber jetzt fange ich an abzuschweifen. Ich wollte dir nur Bescheid geben, für den Fall, dass etwas sein sollte.
Lass mich wissen, ob es dir gut geht. In diesem Sommer passieren einige sehr merkwürdige Dinge hier in England. Ich mache mir Sorgen um dich.
Mum
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Samstag, 01.07.
Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
Meine größte Angst ist es, dass man mich immer mit meiner Rolle identifiziert. Ich möchte noch andere Dinge tun.
Emma Watson