Pet Project - Schlafe schön, mein Baby
von Xaveria
Schlafe schön, mein Baby
„Sollen wir sie aufwecken?"
Lavender starrte auf die gefragte Person und zuckte halbherzig mit den Schultern. „Ich denke schon. Sie rastet aus, wenn sie den Unterricht verpasst."
Das gesagt, starrten die beiden Mädchen weiterhin regungslos auf Hermine, keine wagte es, ihrer schlafenden Zimmergenossin zu nahe zu kommen.
Hermine, die sich der Beobachtung ihrer beiden Freundinnen nicht bewusst war, rührte sich nicht. Es hatten sie weder die routinierten Geräusche der beiden Mädchen, als sie sich für den Tag fertiggemacht hatten, noch die einfallenden Sonnenstrahlen wecken können. Sie schlief den Schlaf der Toten. Im Grunde war Lavender sogar etwas besorgt gewesen, dass ihre Freundin tatsächlich tot war, bis sie das leichte Wehen ihrer Locken, die halb ihr Gesicht bedeckten, gesehen hatte.
Schließlich stieß Parvati Lavender an. „Du tust es."
„Ich?", fragte Lavender und ging einen kleinen Schritt zurück. „Ich habe bereits ihre Vorhänge zurückgezogen." Mit einem ausgestreckten Finger auf Parvati, sagte sie: „Ich denke, du solltest sie aufwecken."
„Was, wenn sie mich verflucht?", jammerte Parvati.
Lavender dachte einen Moment darüber nach. Es war ein berechtigter Einwand. Hermine hatte in letzter Zeit ziemlich oft ihren Zauberstab geschwungen. Dann kam ihr ein weiterer Gedanke. „Was glaubst du, wird sie wütender machen; sie aufzuwecken oder sie nicht zu wecken, wodurch sie dann so kurz vor den Abschlussprüfungen den Unterricht verpassen würde?"
Parvati riss ihre Augen auf. „Da ist was dran." Sie war immerhin eine Gryffindor; Mut war ein Teil ihrer Natur. Einmal tief durchatmend bereitete sie sich auf einen möglichen Kampf vor – vorsichtig richtete sie ihre Robe und strich ihre Haare glatt, bis es samtig schwarz über ihre Schultern fiel. Mit gezogenem Zauberstab warf sie noch einen letzten Blick über ihre Schulter zu Lavender. „Halt mir den Rücken frei, Lav, ich gehe jetzt rein."
+++
Hermine erregte ganz schönes Aufsehen unter den älteren Mitschülern aus Gryffindor und Ravenclaw, als sie eine Stunde später zwischen den beiden Tischreihen in der Großen Halle von Lavender und Parvati zu ihrem gewohnten Platz geführt wurde.
Es war nicht die Tatsache, dass sie kaum ihre Augen offen halten konnte, oder, dass sie Schwierigkeiten hatte, überhaupt gerade zu laufen. Im Grunde genommen kommentierte niemand, wie sie nur durch Lavender und Parvati aufrecht gehalten wurde.
Nein, alle starrten Hermine aus einem vollkommen anderen Grund an. Ihre für gewöhnlich ordentliche Uniform schien sich von ihrer gestrigen etwas zu unterscheiden. Sie versteckte nicht länger ihren Körper, sondern war zugeschnitten und knackig, sodass die Kurven ihrer Brust und Hüften deutlich zu erkennen waren. Ihr Haar, das gewöhnliche buschige Durcheinander auf ihren Kopf, war gezähmt in einem französischen Zopf gebunden, aus dem nur ausgewählte Strähnen ihr Gesicht umrahmten. Die größte Veränderung hatte jedoch Hermines Gesicht erfahren. Sie trug Make-up – geschmackvoll und natürlich, aber nichtsdestotrotz da, wenn man die schwarzen Wimpern und leicht geschminkten Wangen und den Lipgloss berücksichtigte.
Angetrieben von einem kleinen Schubs seitens Lavender, setzte sich Hermine auf ihren Platz gegenüber von Ron und Harry. Sie lächelte die beiden Jungen leicht amüsiert an, bevor sie wieder halb ihre Augen schloss. Sie schien auf ihrem Platz einzuschlafen.
Ron warf Dean einen finsteren Blick zu, der Hermine, für seinen Geschmack mit etwas zu viel Interesse betrachtete. Harry jedoch starrte Parvati und Lavender böse an. „Was habt ihr mit ihr angestellt?"
Lavender schürzte ihre Lippen. „Wirklich, Harry Potter, warum glaubst du, dass wir etwas mit Hermine angestellt haben?"
Ron, der sich so auf seinen Platz herumgedreht hatte, damit er Dean die Sicht auf Hermine versperrte, zeigte wütend auf seine Freundin. „Sieh sie dir doch an!", befahl er. „Ihr beide habt ihr was gegeben oder sie mit dem Imperius belegt oder … oder … was weiß ich." Ron beugte sich plötzlich vor und sein Blick fuhr über Hermine. „Warte mal kurz, das ist noch nicht mal ihre Bluse. Das ist deine, Lavender!"
Lavender lächelte durchtrieben und schlug ihre Wimpern auf. „Du bemerkst was ich trage, Ron? Das ist so süß von dir."
Ron ruderte zurück, mit aufgerissenen Augen lief er rot an. Er öffnete seinen Mund, aber er brachte keinen Ton heraus.
Harry eilte zu der Rettung seines Freundes, als er sah wie absolut sprachlos Ron war. „Das ist nicht der Punkt, Lavender. Der Punkt ist, dass Hermine sich so nicht anzieht. Und ihr Haar ist niemals geflochten. Und sie schminkt sich nicht!"
Ron, der wieder all seine Sinne zusammengesammelt hatte, mischte sich wieder ein. „Und sie sitzt ganz bestimmt nicht nur einfach schweigend da, wenn andere Leute sich darüber unterhalten, was sie trägt."
Das richtete wieder alle Aufmerksamkeit auf Hermine, welche im Moment mit einem faszinierten, gläsernen Blick auf ihre Schüssel mit Haferflocken starrte. Sie blickte erst auf, als Ginny, die neben Ron saß, sagte: „Oh, Grund gütiger Merlin, haltet alle eure Klappe. Was sie jetzt braucht, ist Tee; je stärker, desto besser."
+++
Mit dem Frühstück und zwei Tassen starken schwarzen Tee in ihrem Bauch später war Hermine schon etwas wacher, dennoch war sie sich sicher, dass sie heute bestimmt nicht am Zaubertränkeunterricht teilnehmen konnte. Die Tatsache, dass sie sich nur kaum daran erinnern konnte, wie Lavender und Parvati sie geweckt, angezogen und fertiggemacht und hinunter zum Frühstück gebracht hatten, war Beweis genug, dass sie nicht mit reaktionsfreudigen Ausgangsstoffen herumspielen sollte. Als sie versucht hatte einen einfachen „Wingardium" im Flur zu zaubern, erkannte sie, dass ihre Magie so gut wie verschwunden war. Das bisschen, was sie schaffte, war außergewöhnlich schwerfällig gewesen, wie zäher Sirup, anstatt des silbernen Blitzes, den sie gewohnt war. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt einen Zaubertrank herstellen konnte.
In ihrem derzeitigen Zustand wusste sie, war sie für ihre anderen Klassenkameraden eine Gefahr. Sie wollte niemand ihretwegen verletzten. Ganz zu schweigen von der Ablenkung, die sie zu verursachen schien. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, dass ein paar äußerliche Veränderungen andere Menschen veranlassen würden, sie so anzustarren. Sie fühlte sich äußerst unwohl und sehnte sich nach der ersten Möglichkeit sich wieder umziehen zu können. Dann würde sie eine gründliche Unterhaltung mit ihren beiden Zimmerkameradinnen darüber führen, was die beiden sich gedacht hatten, sie in eine lebensgroße Puppe zu verwandeln.
Ihr noch immer vernebelter Verstand hielt es für das Beste mit Professor Snape zu reden, bevor der Rest der Klasse eintraf und so war sie, sobald sie gesehen hatte, wie Professor Snape aufgestanden war, aus der Großen Halle verschwunden und in Richtung Kerker gegangen.
Nicht, dass Ron und Harry sie ohne ein kleines Theater hätten gehen lassen. Sie musste noch daran denken, sich später bei Ron zu entschuldigen. Erschöpfung schien nicht ihre Geduld zu besänftigen, was sie zu den Gedanken führte, dass Professor Snape mit seinem wenigen Schlaf vielleicht dasselbe Problem hatte.
„Nur noch ein paar Schritte", murmelte sie, gleichgültig, ob sie jemand hörte oder nicht. Im Moment war sie einfach viel zu müde, um sich darum zu kümmern. Jegliche Klarheit, die der Tee ihr gegeben hatte, war irgendwo zwischen der Großen Halle und dem Zugang zu den Kerkern verschwunden. Alles, was Hermine wollte, war anzuhalten und sich für einen Moment gegen die Wand zu lehnen. Sie fürchtete jedoch, wenn sie einmal anhielt, dann würde sie nicht weitergehen können. Das konnte sie gerade noch gebrauchen – von irgendwem schlafend gegen die Kerkerwand gelehnt vorgefunden zu werden.
„Endlich", sagte sie gähnend, als die Holztüren, die zum Zaubertränkeraum führten, vor ihr auftauchten.
Zu müde, um anzuklopfen, öffnete Hermine einfach mit ihrer Schulter die Tür.
Bei ihrem Eindringen blickte Professor Snape von seinem Schreibtisch auf. Ihr Auftauchen musste den Professor für ein paar Sekunden aus dem Gleichgewicht gebracht haben, da es einen Moment dauerte, bevor er schnappte: „Was hat das zu bedeuten, Miss Granger? Der Unterricht beginnt erst in einer halben Stunde."
Hermine blinzelte, sie wünschte sich wirklich, dass es ihr nicht so schwer fallen würde, zu denken.
Der Klang seiner Stimme wandelte sich von leicht genervt zu ernsthaft genervt. „Miss Granger, ich habe Sie etwas gefragt."
Sie hatte wirklich vorgehabt ihm zu sagen, dass sie heute nicht an seinem Unterricht teilnehmen könnte, das hatte sie wirklich vorgehabt. Was jedoch ihren Mund verließ, war etwas vollkommen Unerwartetes. „Lavender würde für Ihre Wimpern Morde begehen."
Professor Snapes Wangen wurden von einem verärgerten Rot gezeichnet, als er aufsprang und seine Hände hart auf die Schreibtischoberfläche aufschlugen. „Zehn Punkte, Miss Granger", schrie er.
Mit dem Gefühl durch ein milchiges Glasfenster zu sehen, blinzelte Hermine ein paar Mal, bevor sie nickte. „Okay." Zehn Punkte waren mehr als gerechtfertigt; sie hätte zwanzig abgezogen.
Augen, die sich normalerweise zu verachteten und verspottenden Schlitzen verzogen, wurden aufgerissen. „Okay?", wiederholte er ungläubig, als ob er nicht seinen Ohren trauen konnte. Er war drauf und dran noch mehr zu sagen, als er innehielt und sie anstarrte. „Miss Granger, sind Sie betrunken?"
„Nein, Sir, nicht betrunken." Hermine ließ sich ohne jegliche Eleganz auf einen Holzstuhl im hinteren Teil des Raumes fallen und stützte ihr Kinn auf ihren Handflächen ab. „Nur müde." Mit leicht singender Stimme murmelte sie: „So müde."
Professor Snape betrachtete sie noch immer, als ob sie ihren Verstand verloren hätte. Es war schwer zu denken und die Worte dann auch noch auszusprechen, aber sie versuchte es. „Zu müde für den Unterricht. Nicht viel Magie. Will niemanden gefährden … kriege lieber null Punkte."
Sie wollte einfach nur schlafen. Sich zu setzen, war vielleicht doch nicht die beste Idee gewesen. Sie war sich nicht sicher, wann sich ihre Augen geschlossen hatten, aber sie riss sie wieder auf, als kalte Finger ihre Wangen und ihr Kinn berührten. Hermine starrte in die dunkle Augen ihres Professors und Worte torkelten aus ihrem Mund, bevor ihr Gehirn sie überhaupt richtig verarbeitet hatte: „Sie haben wirklich schöne Wimpern."
Ihr Professor atmete einmal tief durch, als sich seine dünnen Lippen zu einer Linie verzogen. „Miss Granger, Sie sind offensichtlich nicht Herr Ihrer Gedanken, also werde ich für den Moment Ihre Faszination für meine Wimpern ignorieren. Jedoch reicht meine Geduld auch nur so weit. Es würde sich für Sie ziemen sich zu konzentrieren und meine Fragen zu beantworten, bevor sich Gryffindor in einem Minus wiederfinden wird. Was haben Sie getan, Miss Granger, um in solch einen Zustand zu gelangen? Und belügen Sie mich nicht. Ich kenne sehr wohl die Anzeichen von magischer Erschöpfung."
Unter normalen Umständen wäre Hermine bei den Gedanken, dass A.S.V.U.R auffliegen würde in Panik geraten. Absolute und vollkommene Erschöpfung – körperlich, geistlich und magisch – eilte zu ihrer Rettung. Sie war einfach viel zu müde, um in Panik zu geraten. Also erzählte sie ihm die Wahrheit. „War ein Zauber", murmelte sie müde. Sie knurrte leicht, als sich ihre Lippen kurz missfällig verzogen. „'s war ein sehr schwerer Zauber. Immer wieder und wieder versucht, aber er hatte nicht funktioniert." Sie hielt inne und atmete einmal tief durch, bevor sie lautstark ausatmete. „Dann hat er aber funktioniert", sagte sie mit einem leichten Lächeln.
„Funktioniert, in der Tat", antwortete Professor Snape mit einem finsteren Blick. „Ich sehe, wie gut er funktioniert hat. Idiotisches Kind. Ihr Übereifer zu lernen hat wohl neue Ausmaße angenommen. Ich hoffe wirklich für Sie, dass Professor Flitwicks Abschlussprüfung die null Punkte, die Sie heute in meinem Unterricht erhalten werden, es wert waren."
Sie korrigierte fast seine Vermutung, dass der Zauber, der sie in diesen Zustand versetzt hatte, für ihren Zauberkundeunterricht gewesen war, bevor ihr vernebelter Verstand ihren Mund eingeholt und sie zum Schweigen brachte. Was herauskam war ein unverständliches Schnauben. Sie hatte noch nicht einmal die Kraft wütend zu werden. Stattdessen nickte sie nur, bevor sie abermals ihre Augen schloss.
Sie spürte, wie seine Fingerspitzen leicht über ihr Gesicht fuhren und zwei Finger leicht auf den Punkt zwischen ihren Augen drückten. Seine Finger verharrten kurz an dieser Stelle und sie hörte, wie er etwas murmelte, was sich ganz nach einem Zauber anhörte, selbst wenn sie die Beschwörung nicht mitbekam.
„Selbst ohne Potter und Weasley schaffen Sie es sich in Schwierigkeiten zu bringen, Miss Granger", erklang seine Stimme irgendwo über ihrem Kopf. „Sie und ich werden uns noch ernsthaft darüber unterhalten."
Hermine hörte, wie er weiter irgendwelche Beschwörungen murmelte, aber seine kalten Finger fühlten sich so gut an, dass sie, so oder so zu müde, um zu protestieren, einfach dort sitzen blieb. Einen Moment später merkte sie, wie er sich von ihr entfernte. Zwei Sekunden waren verstrichen, bevor Hermine, mit ihrem Kopf auf ihren gefalteten Armen gebettet, nach vorne auf den Tisch fiel. Sie bekam nur unbewusst den Lärm mit, den Professor Snape verursachte, als er sich um sie herumbewegte, aber es war ihr vollkommen egal, was er machte, da es einfach viel zu gemütlich war, um überhaupt die Absurdität dieser gesamten Situation zu verstehen.
„Setzen Sie sich auf und öffnen Sie Ihre Augen, Miss Granger."
Als sie sich für die Stimme über ihr nicht schnell genug bewegte, umfasste eine feste Hand ihre Schulter und zog sie in eine sitzende Position. Hermine kämpfte gegen das Blei an, welches ihre Augen wieder zu zog. Müde oder nicht, sie war darauf trainiert, den Befehl in seiner Stimme nicht zu ignorieren. Er hatte gesagt, sie sollte ihre Augen öffnen und sie würde es tun, auch wenn sie ein paar Sekunden brauchte, um sich auf die beiden Phiolen mit einem grünen Zaubertrank, die er vor ihre Nase hielt, zu konzentrieren.
Als sich Professor Snape sicher war, ihre Aufmerksamkeit zu haben, fuhr er fort: „Ich habe Sie für den Rest des Tages vom Unterricht entschuldigt, Miss Granger. Sie werden neben meinen null Punkten auch in Ihren anderen Fächern keine Punkte erhalten. Wenn ansonsten nichts, sollte Ihnen das eine Lehre sein, so dermaßen töricht mit Ihrer eigenen Magie umzugehen. Sie werden in Ihr Schlafgemach zurückkehren, wo Sie augenblicklich eine Phiole trinken werden. Sie werden sich Ihren Wecker stellen, um zum Mittagessen wieder wach zu sein. Sie werden hinunter in die Große Halle kommen und Sie werden dort einen ganzen Gang essen. Dann werden Sie zum Lehrertisch kommen, damit Madam Pomfrey und ich Sie begutachten können. Nach dieser Begutachtung werden Sie in Ihr Bett zurückkehren, wo Sie dann die zweite Phiole trinken werden. Sie werden wieder bis zum Abendessen durchschlafen, wo Sie erneut den gesamten Gang essen werden, und sich dann einer weiteren Begutachtung unterziehen. Anschließend kehren Sie zurück und schlafen."
Schlafen? Sie konnte nicht schlafen. Sie musste lernen.
Professor Snape schien ihre erwachende Meuterei zu erkennen, da diese kalten Fingerspitzen wieder ihr Kinn umfassten und sie zwangen, ihn anzusehen. „Das sind die Konsequenzen Ihres Handelns und Sie werden damit leben müssen. Der Trank ist ein Beschleuniger, aber Ihr Körper braucht reichlich Ruhe und Nahrung, um Ihre magischen Reserven wieder aufzuladen. Sie werden nicht lernen. Sie werden nicht lesen. Sie werden nicht in die Bibliothek gehen. Sie werden Ihre Zeit nicht mit Ihren Freunden verschwenden."
Derselbe verwirrte Teil in ihrem Kopf, der den Kommentar über seine Wimpern abgegeben hatte, wählte sich diesen Moment aus, um gehört zu werden. „Gehen Sie nicht über Los und ziehen Sie nicht einhundert Pfund ein."
„Wie bitte?"
Uups. „Entschuldigung, Sir. Eine Muggel-Sache."
Er sah sie an, als ob sie ihn verspotten wollte. Hermine schluckte schwer. Sie würde das niemals, niemals wieder tun. Letztendlich wandte sich der starrende Blick von ihr ab. „Wie Sie meinen, Miss Granger. Sie werden sich genausten an meine Anweisungen halten. Sie werden sich auch am Donnerstag direkt nach dem Abendessen bei mir wegen Ihrer Strafarbeit melden."
„Strafarbeit?" Hatte sie den Teil verpasst, wo er was von einer Strafarbeit erzählt hatte? Sie erinnerte sich an seinen Abzug von Hauspunkten. Wann war auch noch von einer Strafarbeit die Rede gewesen?
„Nachsitzen, Miss Granger, für die offensichtliche Missachtung Ihrer Gesundheit und Magie, ganz zu schweigen dafür, dass Sie mich mit Ihrer Dummheit gestört haben." Professor Snape entfernte sich ein paar Schritte von ihr, um ihr Platz zum Aufstehen zu geben. „Und jetzt folgen Sie mir."
Ihr Mund hatte offenbar noch immer nicht die Verbindung zu ihrem Gehirn wiedergefunden, denn wieder einmal fanden Worte ihren Weg, die sie unter normalen Umständen niemals ausgesprochen hätte. „Folgen, wohin, Sir?", fragte sie.
Professor Snape stand bereits an der Tür und wartete auf sie. Hermine bemerkte, wie er seinen Nasenrücken massierte, als ob sich Kopfschmerzen ankündigen würden. Sie war sich ziemlich sicher ein geknurrtes „Geduld" in einem Ton gehört zu haben, der nur recht wenig mit der Bedeutung des Wortes gemein hatte.
„Wir, Miss Granger, werden jetzt zu Ihrem Schlafsaal gehen. Ich bin verantwortlich für Ihre Sicherheit und in Ihrem derzeitigen Zustand sind Sie nicht in der Lage alleine durch die Korridore zu wandeln." Er atmete einmal kontrolliert aus, bevor er schnappte: „Und jetzt kommen Sie endlich her!"
Müde oder nicht, Hermine sprang augenblicklich auf und ging, bevor sie es überhaupt registriert hatte, auf ihren finster dreinblickenden Professor zu. Wieder einmal redete ihr Mund ohne Verstand. „Das ist einfach nur brillant", sagte sie. Mit einem breiten Grinsen, begann sie zu kichern. „Eines Tages will ich es auch mal schaffen, dass die Leute alleine durch den Klang meiner Stimme zusammenzucken." Sie nickte weise. „Würde für Ron und 'arry Wunder vollbringen."
Professor Snape ignorierte ihr Grinsen und ihr allzu vertrauten Ton; er konnte jedoch nicht ihre Freude ignorieren. „Hören Sie mit diesem kindischen Gekicher auf, Miss Granger. Betrunken oder nicht, es steht Ihnen nicht."
Etwas weiter den Korridor hinunter, versuchte sie noch immer das Gekicher unter Kontrolle zu halten und ging sogar so weit ihre Hände über den Mund zusammenzuschlagen. Es ließ das Lachen nicht vollkommen verstummen. Noch schlimmer allerdings war die Tatsache, das, egal wie sehr sie auch versuchte, sich zu kontrollieren, sie es nicht schaffte, besonders dann nicht, als sie den Kerker verließen und die belebteren Korridore der Schule passierten. Die Blicke der Schüler, die von einem finster blickenden Professor Snape, gefolgt von einer kichernden und schnaubenden Hermine, zur Seite gedrängt wurden, waren einfach zu viel. Sie konnte ihr Lachen gerade so lange halten, bis es zwei Schritte später aus ihr ausbrach.
Glücklicherweise befanden sich die meisten Schüler, als sie den Gryffindor-Turm erreicht hatten, bereits im Unterricht und Professor Snape legte sie vor dem Porträt der Fetten Dame, die enttäuschend mit ihrem Kopf schüttelte, ab. „Sie, Miss Granger, sind die schlimmste Sorte von Betrunkenen."
Mit dem Gefühl, das sie beleidigt sein sollte, obwohl es ihr vollkommen egal war, zog Hermine in dem Versuch, ihn mit seinem Blick über ihre Nase hinweg anzusehen, ihre Augenbraue hoch. Eine Aufgabe, die aufgrund ihres Größenunterschieds umso schwieriger war. „Und um welche Sorte von Betrunkene handelt es sich, Sir?"
„Die Glücklichen", schoss er zurück, bevor er kehrt machte und wieder verschwand.
+++
Hermines erster Gedanke, als sie am nächsten Morgen ihre Augen öffnete, war, dass sie den merkwürdigsten Traum aller Zeiten gehabt hatte. Ihr Zweiter galt der kleinen Spinne, die sich am oberen Pfosten ein heimisches Nest gewoben hatte. Ihr Dritter ließ sie so schnell hochschnellend, dass ihr Herz drohte, aus ihrer Brust zu springen.
„Oh, du lieber Gott, ich habe Professor Snape gesagt, dass er schöne Wimpern hat!"
Mit angezogenen Knien versteckte Hermine ihr Gesicht in ihrer Decke. Als ein Erinnerungsfetzen von dem gestrigen Tag sie erreichte, stöhnte sie auf und sie vergrub ihren Kopf zwischen ihren Armen. Das war schlecht. Nur ihr Drang nach Luft ließ ihren Kopf wieder hochfahren. Es brachte sie jedoch nicht dazu, die Sicherheit ihres Bettes zu verlassen. Würde es möglich sein Ihre Abschlussprüfungen zu machen, ohne die Sicherheit ihres Himmelbettes zu verlassen? Wie sollte sie sich nur jemals wieder ihren Freunden gegenüberstellen? Und noch viel wichtiger, wie sollte sie Professor Snape gegenübertreten? Schöne Wimpern! Was HATTE sie sich nur dabei gedacht? Es ließ sich nicht ändern, Gryffindor oder nicht, sie würde ihr Bett nicht verlassen.
Zehn Minuten später gewann der Ruf der Natur über den Gryffindor-Stolz. Mit dem Gefühl sich einem Erschießungskommando stellen zu müssen, rollte sich Hermine aus ihrem Bett, nur um eine halb bekleideten Parvati zu erblicken.
Beide Mädchen starrten sich an, Hermine beschämt und Parvati neugierig. Hermine fand schließlich ihre Sprache wieder. „Ich-" Sie hielt inne, räusperte sich und begann erneut: „Ich wollte mich bei dir und Lavender dafür bedanken, dass ihr mich gestern aus dem Bett geholt habt."
Perfekte Grübchen umrahmten Parvatis antwortendes Lächeln. „Gern geschehen." Sie verstummte und aus ihrem Lächeln wurde ein durchtriebenes Grinsen. „Du wärst nicht zufällig daran interessiert, wenn Lav und ich dich noch einmal fertigmachen würden?"
Hermine riss ihre Augen auf und sie trat einen unfreiwilligen Schritt zurück, bis sie gegen ihr Bett stieß. „Nein, danke", schaffte sie zu würgen, als sie sich an all die Blicke vom Vortag erinnerte.
„Bist du dir sicher?", fuhr Parvati fort. „Du hast gestern ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt. Ich glaube sogar, Dean hat angefangen zu sabbern."
Hermine konnte nicht ganz die entsetzte Grimasse unterdrücken. „Bitte, kein Sabbern."
Parvati seufzte melodramatisch. „Oh, was soll's, ich hab's zumindest versucht. Lavender wird wirklich enttäuscht sein. Wir hatten Dutzende von Ideen, die wir ausprobieren wollten." Parvati drehte sich um, um sich komplett anzuziehen und fügte dann hinzu: „Aber solltest du jemals deine Meinung ändern, lass es uns wissen."
Damit zog sich Hermine eilig in das Badezimmer zurück. Sie hatte das ungute Gefühl, dass sich heute eine Peinlichkeit an die nächste reihen würde.
Als sie ungefähr eine drei viertel Stunde später ihr Zimmer verließ, hatte Hermine dafür gesorgt, wieder wie die richtige Hermine auszusehen. Sie trug die lockerste Kleidung, hatte ihre Haare nicht angerührt, sodass jetzt ihre Locken in alle Richtungen abstanden und sie hatte ihr Gesicht so lange gewaschen, bis man nichts anderes als frische, saubere Haut erkennen konnte. Sie hoffte so - jedoch glaubte sie nicht wirklich daran - sämtliche Gerüchte, die durch die Schule kursierten, zu zerschlagen.
Das vermutete Desaster entgleiste in der Minute, in der sie den Gemeinschaftsraum betrat. Jeder Kopf drehte sich in ihre Richtung um und der ansonsten so laute Raum war in Schweigen gehüllt. Mit leicht angehobenem Kinn durchquerte Hermine den Raum und versuchte mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, hinüber zu Ron, Ginny und Harry zu gelangen. Sämtliche Befürchtungen für den Tag wurden aus Ginnys ersten Worten herausgeboren.
„Hast du wirklich in Professor Snapes Gegenwart gekichert?"
Hermines feuerrote Wangen beantworteten die Frage besser als jegliche Worte. Hermine war einfach nur dankbar, dass niemand ihr Kommentar über seine Wimpern gehört hatte. Das hätte man sie nie vergessen lassen. Kichern, da war sie sich ziemlich sicher, da konnte sie drüberstehen.
Zumindest hatte sie das gedacht, bis sie hinaus auf den Korridor trat und die Schüler der anderen Häuser und die meisten Porträts sie anstarrten. Sie war Rons und Harrys flankierenden Schutz noch nie so dankbar gewesen. Mit Ginny vorne weg, saßen sie schon bald auf ihren gewöhnlichen Plätzen in der Großen Halle. Mit den Lehrern anwesend, wagte es kaum jemand sie offen anzustarren, wenn auch Hermine sich einiger flüchtiger Blicke durchaus bewusst war.
Mit gesenktem Kopf begann Hermine damit, ihren Teller zu füllen. Sie war am Verhungern und vermutete, dieses Gefühl würde vermutlich noch ein paar Tage anhalten, da ihre magischen Reserven noch immer nicht ganz aufgefüllt waren.
„Also, was ist gestern wirklich passiert, Hermine?", fragte Harry, nachdem er von einem Stück Schinken abgebissen hatte.
„Ich nehme mal nicht an, dass ihr ein ‚Nichts ist, passiert' akzeptieren würdet?" Es war eine Aussicht auf wenig Erfolg, aber es schadete zumindest nicht, alles zu versuchen und alles zu verleugnen. Aus ihrem Blickwinkel war Verleugnung wirklich verführerisch.
Ron schüttelte mit dem Kopf. „Keine Chance. Du hast mich als eine sich einmischende Möchtegern-Molly bezeichnet, die dem Irrtum erlegen sei, dass du ihr Eigentum seist."
Hermine errötete. Rot, entschied sie, würde ihre Farbe des Tages sein. „Habe ich das?", fragte sie mit einem gequälten Blick.
„Hast du", bestätigte Ginny, als sie sich näher zu ihr beugte. „Dann bist du aufgestanden und mehr aus der Halle in Richtung Kerker getorkelt als gegangen."
Hermine seufzte. „Entschuldige, Ron. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich kann mich wirklich nur noch an Bruchstücke erinnern. Alles ist etwas verschwommen, wie in einem Traum."
„Aber was hast du gemacht? Du hast absolut beschissen ausgesehen, als du zum Mittag- und Abendessen heruntergekommen bist und Madam Pomfrey hat dich ziemlich schnell nach dem Essen wieder weggeschickt. Man hat uns sogar verboten, mit dir während des Essens zu reden."
Als sie erkannte, dass sie ihren Freund einen Teil der Wahrheit erzählen musste, wiederholte sie das, was sie bereits zu Professor Snape gesagt hatte. „Ich habe an einen Zauber gearbeitet. Es war eine Art fortgeschrittener Zauber und ich glaube, etwas ist schief gelaufen, denn es hat nicht so funktioniert, wie es im Buch stand. Es hat mich fast vollkommen ausgesaugt."
„So viel dann also dann zu deiner Brillanz", ging Ron dazwischen. „Weißt du denn nicht, wie gefährlich das ist?"
Hermine zuckte mit den Schultern. „Nicht allzu gefährlich. Meine Magie kommt bereits nach meinem Ruhetag wieder zurück."
Ron jedoch war wütend, seine Hände hatte er vor sich zu Fäusten geballt. „Hermine, es war gefährlich. Es gibt einen Grund, warum es Hexen und Zauberer außerhalb von Hogwarts verboten ist zu zaubern."
Da sie die Verbindung nicht sah, antwortete Hermine: „Was hat meine Situation damit zutun magische Kinder vor Schwierigkeiten zu bewahren?"
Diesmal war es Ginny, die das Wort ergriff. „Okay, ein Teil des Verbotes hat sicherlich damit zutun Menschen wie Fred und George unter Kontrolle zu halten, aber Hermine, die Magie eines heranwachsenden Zauberers oder einer heranwachsenden Hexe ist sehr verletzbar. Wenn die Magie einer Person, die noch nicht ausgewachsen ist, überbeansprucht oder zu sehr erschöpft wird, dann kann man die Magie für immer verlieren. Das ist der Grund, warum wir auch mit kleinen Zaubern anfangen und uns dann zu den größeren, mächtigeren Zaubern vorarbeiten, anstatt uns gleich auf das große Zeug zu stürzen. Auf diese Weise beanspruchst du nicht deine magischen Reserven und es gibt Lehrer, die immer ein Auge auf das haben, was du tust."
„Jeder weiß das", fügte Ron hinzu.
Jegliche Farbe war aus Hermines Gesicht gewichen. „Nein, Ron, nicht jeder weiß das", flüsterte sie.
+++
Der Tag hatte sich als das Desaster herausgestellt, welches Hermine vorhergesagt hatte. Die Gerüchte grassierten durch das Schloss. Zwischen Hermines morgendlichem Auftreten als die wohnhafte Barbiepuppe von Hogwarts und ihrem anschließenden Verhalten lachend und kichernd hinter einen offensichtlich verärgerten Professor Snape herzulaufen, hatten sich die Gerüchte bereits selbstständig gemacht.
Schüler, und schon gar nicht Gryffindors, folgten dem am meist gefürchtetsten Professor und lachten. Schniefend, an den Fingernägeln kauend und weinend waren noch akzeptierbar und auch schon oft vorgekommen. Kichern jedoch nicht. Noch nicht einmal, wenn man ein Slytherin war.
Ihr Erscheinungsbild während der Mahlzeiten war noch immer das Thema Nummer eins in Hogwarts. Hermine mochte es nicht im Mittelpunkt zu stehen, was auch der Grund war, warum sie sich derzeitig hinter zugezogenen Vorhängen versteckte. Es war wirklich nicht schlimm; sie musste immerhin einen ganzen Tag an Schularbeiten nachholen. Es erklärte jedoch nicht, warum sie momentan nicht an ihren Hausarbeiten arbeitete oder für ihre Abschlussprüfungen lernte.
Blind starrte Hermine hinunter auf ihren Runentext, während sie über ihr letztes Zusammentreffen mit Professor Snape nachdachte. Sie hatte wirklich keine Ahnung von der Gefahr gehabt, der sie sich ausgesetzt hatte. Selbst mit der Gefahr war sie sich sicher, dass es das wert gewesen war. Hätte sie den Zauber auch angewandt, wenn sie von der Gefahr gewusst hätte? Sie war sich gegenüber ehrlich genug, um diese Frage mit einem Ja zu beantworten. Okay, einem eingeschränkten Ja. Sie hätte vielleicht nicht allzu viel von sich in den Zauber gegeben. Aber die alte Magie hatte die Kontrolle übernommen, und auch wenn es sich bereits in ihrem Kopf dämlich anhörte, so vermutete sie, diese alte Magie hätte es nicht zugelassen, dass ihr etwas passiert wäre. Ihre Absichten waren gut gewesen und Angst hatte keinen Platz in dem Zauber gehabt.
Eine Hand fuhr unter ihr Kissen, um dort das Laken zu berühren. Es war kein wirklicher Schaden entstanden und damit war das Thema abgeschlossen. Was jetzt noch übrig blieb, war Rink dazu zu bringen die Laken über das Bett des Professors zu ziehen.
Das brachte ihre kreisenden Gedanken wieder zurück zu ihrem Professor. Wie auch schon Menschen vor ihr hatte sie in ihrem Zustand der Trunkenheit eine bahnbrechende Entdeckung gemacht. Anders als die meisten Menschen konnte sie sich noch an diese bahnbrechende Offenbarung erinnern, als sie wieder all ihre Sinne zusammenhatten.
Es war in der Tat eine herausragende Erkenntnis. Professor Severus Snape war nicht so gemein, wie er vorgab zu sein. Nicht, dass sie auch nur für eine Minute daran glaubte, dass er unter seiner harten Schale warmherzig und flauschig war. Sie war nicht dumm. Was sie jedoch gestern bemerkt hatte, war, dass obwohl seine Worte so grob wie das Rückgrat eines norwegischen Stachelbuckel waren, sein Handeln nicht seinen Worten entsprochen hatte. In ihrem eigenen Falle hätte sie alle Sinne beisammengehabt, wäre sie so verärgert und wütend über die verspottenden Worte ihres Professors gewesen, dass sie nicht bemerkt hätte, wie er möglicherweise ihre Magie gerettet hatte. Er hatte sich um sie gekümmert. Er war überraschenderweise sanft mit ihr umgegangen. Natürlich hatte er sie auch ein idiotisches Kind genannt, Punkte abgezogen und sie am nächsten Tag zum Nachsitzen zitiert.
Als sie erneut den gefalteten Stoff unter ihrem Kissen berührte, erkannte sie eine große Wahrheit in ihrer Welt an – sie würde Severus Snape niemals verstehen.
Ihre Gedanken als einen hoffnungslosen Fall abschiebend, wandte sich Hermine wieder ihren Runen zu. Sie war halb durch ihre Bedeutungen durch, als Rink vor ihr auftauchte.
Ohne inne zu halten, warf sich Rink Hermine um den Hals und wickelte sie in seine dünne Arme ein. „Rink ist so glücklich, dass es Hermy gut geht."
Hermine, gefangen von den Armen der Hauselfe, war sich nicht sicher, was sie tun sollte. „Danke, Rink. Ich fühle mich schon viel besser."
„Rink ist sehr froh."
Hermine erinnerte sich an eine Sache, die sie verwirrt hatte, und stieß den Elf sanft von sich. „Rink hast du mich ins Bett gebracht und die Laken versteckt?"
Rink senkte seinen Kopf, unsicher, ob sie zufrieden mit seiner Hilfe war oder nicht.
Hermine, die inzwischen sehr gut darin war die Gesichtsausdrücke und die Körpersprache ihres kleinen Freundes zu deuten, lächelte ihn sanft an. „Du hast dich sehr gut um mich gekümmert. Danke. Ich bin dir wirklich dankbar."
Das waren offensichtlich die richtigen Worte gewesen, denn wieder einmal warf Rink seine Arme um sie. Die Umarmung dauerte nur ein oder zwei Sekunden, bevor Rink sich zurück auf seine knöchrigen Knie setzte. „Jetzt ist es an der Zeit. Der Herr ist nicht da. Hermy muss mitkommen."
„Was?", fragte sie, und konnte dem abrupten Themenwechsel nicht folgen. „Mitkommen, wohin?"
Rink streckte seine Hand aus, um unter ihr Kissen zu greifen und umfasste ihre Hand. „Hermy muss mit zum Herrn kommen."
Hermine hatte gerade genug Zeit, um die Hornhaut auf Rinks Handfläche zu spüren, bevor sie disapparierte.
+++
Nicht mal eine Sekunde später befand sie sich nicht mehr in ihrem Zimmer. Von der Kälte um sie herum war sie sich ziemlich sicher, dass sie sich auch nicht mehr in dem sonnengewärmten Gryffindor-Turm befand. An Ort und Stelle um ihre eigene Achse wirbelnd, nahm Hermine ihre Umgebung auf. Die Eindrücke, die Hermine von ihrer Umkreisung erhielt waren, dass der Raum dunkel und männlich, klassisch elegant war, jedoch mit einer dekadenten Note von reichhaltigen Texturen, Ledergarnituren und tiefen, warmen Farben versehen war.
In das glückliche Gesicht von Rink blickend, befürchtete Hermine ganz genau zu wissen, wo sie sich befand.
„Hermy ist zufrieden?"
Mit all ihrer Kraft versuchte sie nicht zu hyperventilieren und trampelte ihren Instinkt in Grund und Boden. Jetzt war nicht die Zeit in Panik zu geraten. Wenn sie in Panik geriet, dann fing sie an zu schreien und Rink würde denken, dass er etwas falsch gemacht hatte. Und eine Hauselfe, die dachte, sie hatte etwas falsch gemacht, war eine Hauselfe, die sich bestrafen wollte. Jetzt in diesem Moment konnte sie es nicht auch noch gebrauchen, wenn Rink seinen Kopf gegen die nächste Wand schlug.
„R-Rink?" Sie war beeindruckt, außer dem kleinen Stotterer, klang sie schon fast ruhig.
Große, blinzelnde Augen trafen ihren Blick. „Ja, Hermy?"
„Rink befinden wir uns in Professor Snapes Schlafzimmer?" Hermine versuchte nicht zusammenzuzucken, als ihre Stimme bei dem Wort ‚wir' brach.
Rink nickte begeistert, seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. „Oh, ja. Hermy hat ein Geschenk für den Herrn. Hermy muss ihr Geschenk selbst hinterlassen." Rink drückte ihr die Laken in die Hand. „Der Meister der Zaubertränke ist nicht da. Hermy muss ihr Geschenk jetzt hierlassen."
Hermine war nie der fluchende Typ gewesen. Sie hatte es immer als eine rüde Angewohnheit angesehen. Aber wenn es jemals eine Zeit oder einen Ort und eine Situation für Schimpfwörter gegeben hätte, das war sie. Leider war das einzige Wort, welches ihr einfiel „Scheiße!" Dann wiederholte sie es sicherheitshalber noch ein paar Mal.
Vergiss einen Schulverweis; Professor Snape würde sie umbringen, und niemand würde jemals ihren Leichnam wiederfinden. Das überschritt eindeutig schöne Wimpern und wahnsinniges Gekicher.
Kurz davor so schnell und so weit wie möglich aus diesem Zimmer zu rennen, kam ihr der praktische Gedanke, dass wenn sie schon umgebracht werden würde, dann könnte sie auch genauso gut ihre Mission erfüllen, bevor Professor Snape sie von … nun, von ihrem Elend erlöste.
Sie war immerhin eine Gryffindor – es war an der Zeit ihren Mut zu sammeln. Selbst als sie sich entschieden hatte, verbrauchte Hermine fast ihren ganzen Mut für den ersten Schritt, um auf sein Bett zuzugehen. Jeden Augenblick erwartete sie, Professor Snape durch die Tür treten zu sehen und sie auf frischer Tat ertappte. „Gryffindor, ich bin eine Gryffindor", wiederholte sie immer wieder und wieder, wenn auch mehr als einmal ein „Ich bin, eine verdammt bescheuerte Gryffindor" zu hören war.
Bescheuert oder nicht, sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Nachdem sie ihr kostbares Laken abgelegt hatte, begann Hermine damit es vorsichtig auseinander zu falten. Sie hatte sowohl einem Kissen – als auch Bettbezug genäht, aber lediglich der Bettbezug trug das magische Siegel. Es würde sich auf dem Laken befinden, in denen ihr Professor schlief.
„Rink?", rief sie.
„Ja, Hermy?"
Rink, bemerkte sie, zitterte schon fast vor Aufregung. Sie dirigierte ihn auf die andere Seite des großen, schwarzen Bettes. „Könntest du bitte die alten Laken entfernen, damit ich die neuen aufziehen kann?"
Als Rink um das Bett ging, begutachtete Hermine ihre Umgebung etwas genauer. Das war eine Gelegenheit, die bisher vielleicht nur wenige, wenn überhaupt, ein Schüler gehabt hatte. Professor Snapes Schlafgemach war ganz und gar nicht so, wie sie vermutet hatte. Bei genauerer Betrachtung war ihr oberflächlicher Eindruck von dezenter, aber auch üppiger Eleganz richtig gewesen. Der Raum fesselte all ihre Sinne. Das dunkle Holz und die reichhaltigen Farben gefielen ihrem Auge. Die texturierte, genoppte Seide des Bettbezugs, führten ihre Finger in Versuchung, es in ihrer Faust zu umschließen. Sie atmete einmal tief ein und fing den Duft von Bienenwachs und eine Art von rauchiger Würze auf, sodass sie ihre Augen schließen und noch einmal durchatmen wollte. Es war, bis auf die Geräusche von Rink, wie er das Bett abzog, vollkommen still um sie herum, aber sie konnte sich leicht den Klang von klassischer Musik im Hintergrund vorstellen.
Dieser Raum war die Fantasie eines jeden Genussmenschen. Es war auch ein kompletter Kontrast zu ihrem Zaubertränkemeister, einen Mann, der vorgab ein kalter, berechnender, gefühlloser Mistkerl zu sein. Die Zweiteilung war verunsichernd und etwas, worüber sie sich noch später Gedanken machen würde. Dieser Raum war ein wertvoller Hinweis darauf wie Severus Snape tickte und sie musste ihm die Zeit widmen, die er verdient hatte.
Vorläufig wandte sie sich wieder ihrer Aufgabe zu und fing prompt bei dem Anblick oder dem fehlenden Anblick von Rink zu kichern an. Das Bett war so hoch, dass sie von ihrer Seite aus nur seine fledermausartigen Ohrenspitzen über der Matratze sehen konnte. Dieser Leichtsinn half ihr, sich wieder in Bewegung zu setzen.
Als sie das Laken mit dem Siegel auf dem Bett ausbreitete, beobachtete sie, wie es sich sanft über die Matratze legte. „Komm her, Rink", sagte sie. „Lass mich dir zeigen, wie du zukünftig sein Bett machen sollst." Sie fuhr mit ihren Fingern leicht über die Stickerei. „Professor Snape darf es nicht sehen. Also musst du immer daran denken, dass sich das Siegel immer hier oben an seinem Kopf befindet und die Ecken werden unter die Matratze gestopft." Hermine demonstrierte es für ihren Begleiter und legte viel Wert darauf, die Stickerei versteckt zu halten. „Kannst du das?"
„Wird die Magie verschwinden, wenn der Herr sie findet?"
Hermine schüttelte den Kopf, ihre Lippen verzogen sich zu einer Grimasse. „Nein, die Magie wird nicht verschwinden, aber ich werde es sicherlich. Denke einfach nur daran es versteckt zu halten und alles wird gut."
Rink verbeugte sich leicht. „Rink wird sich gut um den Herrn und um Hermys Geschenk kümmern."
Hermine lächelte den kleinen Elf an und tätschelte seine knochige Schulter. „Danke, Rink. Ich bin mir sicher, dass du das wirst."
Als sie Rink seiner Arbeit überließ, wanderte Hermines Blick erneut durch den Raum und sie bemerkte die Bücher und die Tapete, die die Kanten der Steinwand abrundete. Sie drehte sich leicht und fand ein Buch auf einen grünlich, verzierten Nachttisch. Sie fuhr mit ihrem Finger gegen die rabenschwarze Feder, die als Lesezeichen diente.
Es war jedoch die altmodische Brille, die auf dem Buch lag, die Hermine innehalten ließ. Es war etwas Verletzliches und irgendwie Privates diese Brille zu sehen und es verursachte eine schwere Enge in ihrer Brust und ließ einen Schauer ihre Wirbelsäule hinunterfahren. Ich gehöre nicht hier hin.
Als sie die ersten Anflüge ihrer unterdrückten Panik spürte, rief sie nach Rink. „Rink, wir müssen von hier verschwinden. Sofort."
„Rink ist fertig." Nachdem Rink ihre Hand umschloss, verließen sie das Zimmer.
+++
Severus ließ die Schutzzauber um seinen Raum mit einer Handbewegung verschwinden und murmelte das Passwort. Das heutige Treffen mit dem Dunklen Lord war nicht nur für seinen Körper, sondern auch für seine Seele erschöpfend gewesen. Er kümmerte sich nicht darum, die Schutzzauber wieder zu erheben. Er wusste, Albus würde schon bald da sein. Das Schloss würde ihn umgehend über seine Rückkehr in Kenntnis setzen. Bis der Schulleiter seinen Weg bis zum Kerker hinunter zurückgelegt hatte, würde Severus noch wenige Minute des Friedens und der Ruhe haben.
Nachdem er die geschrumpfte Todesserrobe und Maske aus seiner versteckten Tasche gezogen hatte, verwandelte Severus sie wieder zurück. Dann, mit bedachten Bewegungen säuberte er den schwarzen, schweren Stoff des Umhanges, bis er das gedämpfte Licht vollkommen zu verschlingen schien und die silberne Maske in ihrem eigenen Glanz erstrahlte.
Mit jeder Berührung, mit jeder Politur, jedem sorgsamen Falten, ließ Severus etwas von der Wut ab, die ihm diese Treffen überleben ließ.
Als Severus das erste Mal der Diskussionsrunde beigetreten war, die von dem selbst ernannten Lord Voldemort angeführt wurde, hatte er einen jungen Mann, gefüllt mit Wut und Hass, gesehen. Die Diskussionen, die damals noch von einem gut aussehenden und charismatischen Voldemort geführt worden waren, hatten eine Leere in seinem Inneren gefüllt. Voldemort hatte selbstsicher von den Stärken und Schwächen innerhalb der Zauberwelt gesprochen. Es hatte aufrichtige und offene Diskussionen über die Rolle der Muggels und der Muggelgeborenen gegeben. Es war eine berauschende Zeit gewesen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte sich Severus im Kreise von mächtigen Individuen befunden, die ihm zugehört, seinen Ansichten widersprochen und es ihm erlaubt hatten ihre Punkte anzuzweifeln.
Severus hatte an jedem von Voldemorts Worten gehangen, hatte mit ganzem Herzen an die Botschaft geglaubt, die er verbreitet hatte. Es war nur von Belangen, dass er glaubte, dass er die glorreiche Zukunft sah, in die sie Lord Voldemort führen würde; die magische Version von Camelot und Voldemort würde ihr Artur sein. Es war diese Zukunft, gefüllt mit all den Versprechen, die Severus wollte – Stellung, Macht, Anerkennung und Gerechtigkeit – zu der er seine Loyalität verschrieben hatte.
Die Nacht, in der Lucius Malfoy ihn persönlich Lord Voldemort vorgestellt hatte, war eine seiner glücklichsten und ehrfürchtigsten Nächte in seinem jungen Leben gewesen.
Voldemort hatte in dieser Nacht etwas in ihm gesehen; hatte die Wut und den Schmerz erkannt, die unter der Oberfläche brodelten. Und als Lord Voldemort, mit seinem guten Aussehen, seiner glänzenden Aura und teuren Roben, eine warme und freundschaftliche Hand auf Severus Schulter gelegt und ihn ‚Sohn' genannt hatte, hätte Severus alles getan, worum er gebeten hätte.
Am Anfang hatte er nur um seine Loyalität und seinen Glauben gebeten. Dann hatte er seinen Verstand und seine Fähigkeiten verlangt. Er hatte diese stolz preisgegeben und hatte sich in der Anerkennung seines ausgewählten Lehnsherren geaalt. Dann eines Nachts wurde er um seine Wut und seinen Schmerz gebeten. Anschließend, selbst nachdem er sein Abendessen erbrochen und auf dem Badezimmerboden zusammengebrochen war, hatte er weiterhin geglaubt und sich an die Freundschaft, die er diese Nacht mit seinen Brüdern geteilt hatte, geklammert. Sie hatten den Muggeln immerhin keinen dauerhaften Schaden zugefügt.
Severus würde gerne behaupten, dass die Nacht, in der Lord Voldemort um seine Seele gebeten hatte, die Nacht gewesen war, in der er sich abgewandt hatte. Aber selbst die hatte er freiwillig hergegeben, selbst wenn er jedes Mal nach Hause zurückgekehrt war und sein Abendessen erbrochen hatte. Es war die Nacht, in der er sich nicht übergeben hatte, vor der er sich fürchtete. In dieser Nacht war er von einer ihm aufgezwungenen Aufgabe zurückgekehrt und er hatte sich ruhig vor den Kamin in seinen Lieblingssessel gesetzt und einen guten Merlot getrunken und sich halb durch ein geröstetes Hähnchen gegessen, als ihm endlich die Augen geöffnet wurden. Das war die Nacht, in der Severus erkannt hatte, dass seine Seele nicht nur befleckt, sondern verschwunden war. Verschwunden war seine Seele, zusammen mit seinen Idealen und Träumen. Das Einzige, was noch zurückblieb, war die Wut und der Hass. Das war die Nacht, in der er die Seiten gewechselt hatte.
Bei diesem Seitenwechsel hatte er schließlich seinen Kopf gehoben und sich lange umgesehen. Camelot lag in Trümmern; der Geschmack von Asche lag schwer auf seiner Zunge, Artur war zu dem Drachen geworden, der sie alle vernichten würde und Severus hatte ihm auf seinen Thron verholfen.
Aber jede Geschichte von Camelot hatte seinen Merlin. Severus hatte Albus Dumbledore. Severus hatte seine Sünden vor dem alten Zauberer dargelegt und Albus hatte ihm eine Chance gegeben. In seinen besinnlicheren Stimmungen amüsierte es Severus sich daran zu erinnern, dass Lord Voldemort ihn Sohn genannt hatte und er jetzt in die Rolle des Mordred geschlüpft war.
Albus hatte ihm all die Dinge gegeben, die Voldemort ihn versprochen hatte. Mit diesem Geschenk hatte Albus ihn gelehrt von der Wut, die ihn gefüllt hatte, abzulassen. Es war eine schwere Lektion gewesen, eine, mit der ständig zu kämpfen hatte. Ein Kampf, der mit jedem weiteren Treffen schwieriger wurde, da der Dunkle Lord den Geschmack von Severus' Schmerz und Hass kannte. Also mit jedem weiteren Ruf hatte Severus die alten Gefühle heraufbeschworen und hatte sie wie eine Rüstung getragen, um seinen wahren Glauben zu beschützen. Und je öfter er sich in ihnen gekleidet hatte, desto schwieriger wurde es für ihn von diesen Gefühlen, wenn er fertig war, abzulassen.
Also hatte er seine Rituale, die ihn wieder zurückholten. Mit Todesserumhang und Maske gesäubert, hängte er sie in eine versteckte Kammer hinter der Steinwand. Er entzündete das Feuer und ließ sich in seinen Lieblingssessel nieder. Als er seinen Kopf zurück gegen das Leder lehnte, starrte er hinauf zu der schattigen, gewölbten Decke.
Er wartete, zählte jeden Atemzug.
„Severus?"
Blinzelnd sammelte er sich wieder und fand Albus gegenüber von sich stehend, der ihn mit offener Besorgnis betrachtete. Er beantwortete die unausgesprochene Frage. „Mir geht es gut."
Scharfsinnige blaue Augen betrachteten den jungen Zauberer schweigend. Albus durchbrach die Stille zuerst. „Severus, ich …"
„Wünschten, Sie hätten mich nicht losschicken müssen", beendete Severus für ihn den Satz; Worte, so oft gesprochen, dass sie bereits bedeutungslos waren. „Sie mögen es nicht. Es tut Ihnen leid. Sie würden mich nicht zurückschicken, wenn es einen anderen Weg geben würde."
Einst waren diese Worte noch Trost gewesen. Severus verlieh ihnen allerdings einen Dreh, der sie alles andere als tröstend erklingen ließen. Es war nur allzu einfach die noch immer brodelnde Wut unter seinen Worten zu hören.
Albus zuckte zusammen, aber schritt nicht zurück. Er kannte den Preis besser als jeder andere, den Severus zahlte. „Ich verlange mehr von Ihnen als von sonst jemanden", flüsterte er. „Es schadet nicht, hin und wieder daran erinnert zu werden."
Severus schnaubte, aber antwortete nicht, sondern lehnte seinen Kopf lediglich wieder zurück. Das war ebenfalls ein Teil seines Rituals. Während Severus darum kämpfte wieder seinen Platz zu finden, durchstöberte Albus den Raum, knochige Finger fuhren achtsam über die weichen Lederrücken zahlreicher Bücher und einer Whiskeykaraffe, dessen Kanten scharf in seine Fingerspitzen stachen.
Als Albus umherstreifte, erfüllte das sanfte Rascheln seiner Gewänder den Raum. Es war ein beruhigendes Geräusch, eines, welches Severus schon lange mit dem Gefühl von Sicherheit und Heimat verbunden hatte. Nach und nach entspannte er sich, erlaubte es der Wut, bis er wieder frei atmen konnte, von ihm ab zu gleiten. Noch mehr Anspannung ließ von ihm ab, als Albus nach dem alten Porzellanservice seiner Großmutter griff und eigenhändig Tee zubereitete.
Keiner der Zauberer sprach ein Wort, Albus, weil er in Severus langjähriger Gesellschaft gelernt hatte, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Verfassung war, um eine vernünftige Unterhaltung zu führen und Severus, weil er noch immer nach seinem Gleichgewicht suchte.
Der reichhaltige Geruch von Tee begann den Raum zu füllen und Severus fühlte sich bereits ruhiger. Er würde den Rest seiner Anspannungen heute Nacht in den Korridoren ablaufen. Jedes Mal jedoch, wenn er seine Wut und seine metaphorische Rüstung abgelegt hatte, fühlte er sich entblößt und offen. Bisher war es nur der Schulleiter, der ihn so gesehen hatte und selbst als er die Mauern des Schutzes neu um sich aufbaute, fühlte er sich verletzlich.
Es war jedoch ein Indiz dafür, wie nahe er seiner inneren Balance gekommen war, dass er nur noch bei dem leisen Klirren des Porzellans, das unter seine Nase geschoben wurde, zusammenzuckte.
„Tee ist hingegen der verbreiteten Meinung kein Allheilmittel, Albus." Severus schnupperte an dem Dampf, der von der Tasse aufstieg. „Und auch wenn ich es schätze, so glaube ich nicht, dass wenn auch Kamille, Minze und Baldrian für ihre einschläfernde Wirkung bekannt sind, sie mich heute Abend zur Ruhe bringen können."
Albus setzte sich mit einem leisen Knacken der Gelenke in den Stuhl gegenüber von ihm. Severus machte sich eine geistige Notiz einen weiteren Schub vom Arthritistrank zu brauen. Wenn er vielleicht einen Bonbongeschmack hätte, vielleicht könnte ich dann Albus dazu bringen, ihn auch regelmäßig einzunehmen. Seine geistigen Abschweifungen, ob er Anis verwenden sollte, wurde durch Albus Frage, wie der Abend verlaufen war, unterbrochen.
Also nippte er wie ein zivilisierter Mann und nicht wie das seelenlose Monster, von dem er wusste, dass er es war, an seinem Tee und erstattete seinem persönlichen Merlin Bericht. „Er stockt seine Bemühungen noch mehr Anhänger zu bekommen auf." Severus Stimme nahm einen leicht spöttischen Unterton an. „Es war schon fast wie in den alten Tagen, mit all den offenen Ideen und Diskussionen in der vornehmen Atmosphäre von Getränken und Gefolgschaft. Er trug heute Abend sogar einen ziemlich verfälschten Zauber, um offensichtlich für seine allgemeinen Gefolgsleute menschlicher auszusehen. Er sah fast so aus wie vor zwanzig Jahren."
Albus trommelte mit seinen Fingern gegen die Armlehne und hielt dann inne. „Waren viele Leute da?"
Severus fuhr mit einer Hand durch seine Haare und drückte sie fest gegen seinen Kopf. „Es waren mehr als ich erwartet hatte und nicht alle von den traditionellen Slytherin-Familien. Einige Gryffindors, zahlreiche Ravenclaws und ein hoher Prozentsatz an Hufflepuffs." Severus zog eine dünne Rolle aus seinen Roben und reichte sie seinem Mentor. „Ich habe die Namen derer, die ich erkannt habe, und wie empfänglich sie für seine Botschaften sind, aufgeschrieben."
Albus nickte müde mit dem Kopf. „Ja, das ergibt Sinn. Die Hufflepuff-Familien, die während Toms ersten Aufstieg zur Macht ihre Loyalität gegeben haben, würden sich selbst jetzt noch verpflichtet fühlen diese Schwüre einzuhalten."
Diese Schlussfolgerung ließ ein leises zustimmendes Schnauben erklingen. „Ersparen Sie uns die Loyalität der Nagetiere."
„Severus", strafte Albus sanft.
Severus ignorierte den Tadel und fuhr fort, als ob er ihn nicht gehört hätte. „Von dem, was ich gesehen habe, waren viele für die Botschaft, die er verbreitet hatte, empfänglich gewesen. Er hat sich von den Themen, wie Gewalt und Eroberung ferngehalten und hat sich stattdessen der Themen angenommen, die im Moment die Ängste der meisten Hexen und Zauberer nährt – Muggels, der Einfluss der Muggelgeborenen in unserer Gesellschaft, unsere Isolation und die allgemeinen Unruhen, die das Ministerium uns auferlegt."
„Es sind unruhige und schwierige Zeiten", seufzte Albus. „Die Menschen haben Angst."
„Die Menschen sind Narren." Snape gab sich nicht die Mühe die Verachtung in seinen Worten zu verstecken. Noch war es ein Geheimnis, das er sich selbst in den Ränken dieser Narren sah.
Wie immer lächelte Albus ihn gutmütig an. „Sie sind nur Menschen. In schwierigen Zeiten suchen sie nach einem Anführer. Tom war schon immer ein charismatischer Anführer gewesen. Er verspricht ihnen Antworten und Sicherheit."
„Der Preis seiner Sicherheit ist zu hoch."
„Es ist selten, dass die Menschen den Preis und die Konsequenzen ihrer Taten erkennen. Dass Sie es mit offenen Augen sehen, Severus, ist der Grund, warum ich Ihren Rat und Ihre Einsicht so schätze."
Severus schnaubte. „Schmeicheln Sie mir nicht, alter Mann."
Schweigen breitete sich wieder zwischen ihnen aus, während sie an ihrem Tee nippten und über den unausweichlichen Krieg, in dem sie gefangen waren, nachgrübelten. Es war wieder einmal Albus, der das Schweigen brach. „Da gibt es noch eine Sache. Ich möchte, dass Sie vorsichtig sind, Severus, besonders jedem Neuling gegenüber."
Eine rabenschwarze Augenbraue zog sich fragend hoch.
„Ich habe keine Einzelheiten", antwortete Albus kopfschüttelnd. „Ein weiteres Ordensmitglied hat ein paar arithmantische Gleichungen für mich laufen lassen. Sie kennen Sie nur als meinen Spion, nichts weiter, also Ihre Identität ist gesichert. Die Berechnungen zeigen jedoch, dass es da eine Gefahr gibt, die auf Sie zusteuert, aber wir können nicht die Quelle ausmachen."
Severus beugte sich in seinem Sessel vor und stützte seine Ellbogen auf seinen Knien ab, während die zerbrechliche Teetasse leicht auf seiner Handfläche balancierte. Seine Konzentration war jetzt voll und ganz auf den Mann vor sich gerichtet. „Ich kann mich jetzt nicht von dem Dunklen Lord zurückziehen, Albus. Zu viel spitzt sich im Moment zu. Jetzt, wo er so viel Mühe in seine Anhängerzahl steckt, denke ich, wird sein nächster Schlag gegen die sein, die in seinen Augen am gefährlichsten sind." Er wandte einen betrübten Blick ab, bevor er wieder zurück in die blauen Augen blickte. „Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Todesser sein privates Vollstreckungskommando sind. Wir werden es sein, an die er sich wendet, wenn es darum geht, seine Pläne in die Tat umzusetzen." Severus lehnte sich zurück und stellte die Teetassen ab. „Ich muss meinen Platz an seiner Seite behalten."
Albus stellte ebenfalls seine leere Teetasse ab. „Ihr Leben …"
„Ist das Meinige zu riskieren", vollendete Severus für ihn den Satz. „Als ob Sie gerade erst erkennen würden, dass ich mir sehr wohl im Klaren über die Konsequenzen und Risiken meiner Taten bin."
Albus schwieg einen Moment, sein Blick wurde nachdenklich und traurig. „Also gut, Severus, aber bitte seien Sie vorsichtig. Nehmen Sie sich vor denen in Acht, die unerwartet Ihren Weg kreuzen."
Severus neigte seinen Kopf, um ihn verstehen zu lassen, dass er die Worte sowohl gehört als auch verstanden hatte. Dann lächelte er leicht. „Es ist schon spät, Albus, und wir sind beide müde. Gehen Sie ins Bett. Ich sehe Sie dann beim Frühstück."
Kopfschüttelnd stand Albus auf. „Wie Sie wünschen. Auch wenn ich heute Abend hoffe, dass Sie ebenfalls etwas Ruhe finden werden." Er berührte noch leicht Severus Schulter, bevor der ältere Zauberer sich auf den Weg machte. Als er die Tür öffnete, drehte er sich erneut um. „Übrigens wollte ich Sie noch dafür loben, wie Sie die Geschichte mit Miss Granger gehandhabt haben." Er lächelte trocken. „Auch wenn ich denke, dass eine zusätzliche Strafarbeit etwas übertrieben ist, haben Sie Ihre Sache mit dem Mädchen gut gemacht. Sie hatte großes Glück, das Sie ihren Zustand erkannt haben. Ohne Ihr Einschreiten hätte sie sich großen Schaden zufügen können."
Severus stöhnte leise auf und rieb sich den Nasenrücken. Er hatte Miss Granger komplett vergessen. Ihr Nachsitzen würde morgen sein – mit einem Blick auf die Uhr bemerkte er, dass es bereits nach Mitternacht war, und korrigierte sich – ihr Nachsitzen würde heute Abend sein. „Für einen Zauber, Albus. Um einen verdammten Zauber zu lernen, hat sie sich so dermaßen verausgabt."
Albus lachte leise. „Dann bin ich mir sicher, wird auch sie jetzt die Konsequenzen ihres Handelns verstehen."
„Nein, das glaube ich nicht. Ich vermute viel eher, dass sie keine Ahnung gehabt hatte, in was für eine Gefahr ihre Dummheit sie gebracht hat."
„Dann haben Sie meine Erlaubnis sie angemessen darüber in Kenntnis zu setzen, Severus." Albus hielt inne und sagte dann: „Aber eines interessiert mich noch." Er verstummte und wartete auf Severus Antwort.
„Als ob ich Sie davon abhalten könnte zu fragen. Was interessiert Sie?"
Albus lächelte in seinen Bart hinein. „Sie waren", begann Albus und hielt kurz inne, um nach den passenden Worten zu suchen, „Miss Granger während ihrer Nachuntersuchungen gegenüber äußerst freundlich gewesen."
Es erklang ein empörtes Geräusch aus Severus Kehle. „Freundlich nur um meines Verstandes willen. In ihrem Zustand war für sie alles reine Belustigung. Es liegt kein Sinn darin einen Gryffindor zum Zittern zu bringen, wenn sie noch nicht einmal meine Bemühungen anerkennen können."
Albus versuchte seine neutralen Gesichtszüge zu halten, aber das Grinsen brach trotzdem durch. „Das Fehlen von Angst nimmt dem Ganzen den Spaß, nicht wahr?"
„Ich muss einen Ruf wahren, wie Sie sehr wohl wissen", schoss Severus zurück.
Das Funkeln, was am Anfang ihrer Unterhaltung noch gefehlt hatte, kehrte wieder zurück. „Gute Nacht, Severus." Damit verschwand Albus mit einem leisen Rascheln seiner Roben und Severus wurde in der Stille seines Zimmers alleine zurückgelassen.
Er fühlte sich überrascht friedlich. Es hat gut getan auf die leichten Sticheleien des Schulleiters in Bezug auf das Granger-Mädchen zu antworten. Freundlich. Er würde dem alten Mann noch zeigen, was freundlich war. Er hatte die Erlaubnis dem Mädchen mit allen Mitteln die Konsequenzen zu zeigen. Eine Idee begann sich formen. Ja, das wäre genau das Richtige.
Amüsiert von seinem Plan für Miss Grangers Strafarbeit, stand er von seinem Stuhl auf. Vielleicht sollte er sich eine Weile hinlegen. Er wusste, dass er keinen Schlaf finden konnte, aber die Ruhe würde ihm guttun. Er schritt im Dunkeln zu seinem Schlafzimmer. Mit dem Wissen, dass er schon bald wieder aufstehen würde, zog er nur seine Stiefel aus Drachenhaut und seinen Mantel aus. Er warf die Decke zurück und legte sich mit Hemd und Hose auf sein Bett und ließ seinen Körper sich auf der weichen Matratze entspannen.
Schlafen,dachte er, als eine sanfte Wärme ihn umhüllte. Ja, schlafen und vielleicht sogar etwas Schönes träumen.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel
Samstag, 01.07.
Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
Was mir von Anfang an an Harry Potter gefiel, war diese Mischung aus Fantasie und Realität.
Stephen Fry