von timlarsson
„Hier, auf Seite 3. Wäre uns beinahe nicht aufgefallen der Artikel“, murmelte George mit vollem Mund, nachdem sie am Haustisch Platz genommen hatten und reichte Hermine den Tagespropheten. Hermine schlug Seite 3 auf erblickte nach kurzer Suche einen kleinen Artikel in der rechten unteren Ecke mit der Überschrift. „Harry Potter in Bolton?“ Hermines Herz schlug sofort lauter und schnell las sie die wenigen Zeilen die darunter standen auch wenn sie aufgrund der Kürze des Artikels nicht wirklich mit etwas Weltbewegendem rechnete.
„In der nordenglischen Stadt Bolton wurde gestern ein völlig verwirrter Muggel in eins der dortigen Muggelkrankenhäuser eingeliefert, der behauptete, ein etwa 18jähriger junger Mann wäre plötzlich im Stadtpark neben ihm aufgetaucht und hätte ein dünnes Stück Holz in der Hand gehalten. Der junge Mann soll ziemlich irritiert gewesen sein und nach wenigen Sekunden genauso plötzlich verschwunden sein, wie er gekommen war. Das einzige, was der Mann noch wusste war, dass er dunkle Haare hatte, eine Brille mit runden Gläsern trug und eine blitzförmige Narbe auf der Stirn hatte, die sofort ins Auge fiel. Das Zaubereiministerium geht nicht davon aus, dass es sich bei der Person um den berühmten Harry Potter handelt, sondern dass es vermutlich nur ein übler Scherz war. Das Gedächtnis des Mannes wurde inzwischen gelöscht.“
Hermine legte die Zeitung beiseite und atmete einmal tief durch.
„Nun, was hältst Du davon?“, wollte Fred wissen.
„Auch wenn ich’s gerne glauben würde, er kann es nicht gewesen sein“, sagte sie.
„Wieso bist Du Dir da so sicher?“, fragte George.
„Er hat gar keinen Zauberstab mehr!“
Fred, George und Ginny sahen sich fragend an. „So?“, sagte Fred, „woher weißt du denn das?“.
„Ich möchte nicht darüber reden“, entgegnete Hermine leise.
„Na gut“, sagte George nach einer kurzen Pause, „aber ich glaube auch eher, dass es ein blöder Scherz war. Ich meine, sich ne unechte Narbe auf die Stirn zu zaubern ist ja nun eine der leichtesten Übungen und…“
„Aber warum sollte denn jemand so was tun?“, unterbrach ihn Ginny, „und vor allem: warum mit einem Muggel? Die haben doch noch nie von einem Harry Potter oder Lord Voldemort gehört!“
„Wo sie Recht hat, hat sie Recht“, sagte Fred.
„Ja“, gab George zu, „aber mal ganz im Ernst: Wenn irgendjemand wirklich daran glauben würde, hätte es doch fettgedruckt auf der ersten Seite gestanden und nicht irgendwo klein in einer unteren Ecke.“
„Und außerdem frage ich mich, warum Harry so etwas machen sollte, selbst wenn er es könnte“, meinte Hermine.
„Was meinst Du?“, fragte Ginny.
„Na warum sollte er in einem Muggel-Stadtpark in Bolton apparieren und sich dann auch noch wundern, dass er dort auf einen Muggel trifft“, überlegte Hermine, „dass macht doch überhaupt keinen Sinn!“
„Vielleicht sollte es so eine Art Lebenszeichen sein und er kann nicht anders mit uns in Kontakt treten“, sagte George, „ich meine, keiner hat doch ne Ahnung, wo er und Voldemort hin sind. Wer weiß, was da los ist“.
„Glaubt ihr wirklich, dass Harry noch leben könnte?“, fragte Hermine plötzlich traurig und sie blickte die anderen drei durchdringend an.
„Ja, das glaube ich“, sagte George als erster.
„Ich weiß nicht so recht“, sagte Ginny, „ich würd’s gern glauben aber es fällt mir verdammt schwer.“ Sie hatte Mühe, die Tränen zurück zu halten.
„Also, ich glaub's auch“, sagte Fred, „aber was mir dabei etwas Sorgen macht ist, dass Voldemort ja rein theoretisch auch noch leben könnte, deshalb weiß ich gar nicht ob es nicht das Beste wäre, wenn beide tot wären.“
Ginny warf ihrem Bruder einen entsetzten Blick zu und ihre Augen wurden jetzt bedrohlich feucht.
„Für dich würde ich mir natürlich das Gegenteil wünschen“, sagte Fred schnell, „und für uns auch – Harry war nämlich echt n toffer Typ – aber wenn Voldemort noch einmal wiederkäme – gar nicht auszudenken. Vor allem, solange man die übriggebliebenen Todesser noch nicht gefasst hat.
„Wisst ihr was, von dieser Spezialeinheit, die die Todesser jagen sollen?“, fragte Hermine.
„Nein“, antwortete George, „nicht mehr als Vater und der weiß schon nicht viel. Es wird ein großes Geheimnis im Ministerium darum gemacht. Vater und Mutter sind schon ziemlich sauer deswegen und sie sind nicht sie Einzigen. Schließlich waren sie Mitglieder des Phönixordens, der schon Jagd auf die Todesser gemacht hat, als das Ministerium noch nicht einmal an die Rückkehr von Voldemort glauben wollte.“
„Kann ich verstehen“, sagte Hermine.
„Vater weiß nicht so recht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Schließlich kümmert sich Scrimgeour im Gegensatz zu Fudge anscheinend wenigstens um das Problem aber diese Geheimniskrämerei gefällt ihnen allen nicht. Allerdings soll Leighton gegenüber einem Ministeriumsmitarbeiter wohl geäußert haben, dass die Einheit erst noch endgültig zusammengestellt wird. Also fragte man sie ja vielleicht noch.“, sagte Fred.
„Du könntest ja mal Henrik Leighton fragen“, schlug George vor, „schließlich leitet sein Vater doch diese Sondereinheit.“
„Und warum soll gerade ich ihn fragen?“, fragte Hermine gereizt.
„Weil ich mal annehme, dass Du am ehesten was aus ihm rauskriegen würdest“, sagte George.
„Wie kommst Du denn darauf?“, fragte Hermine.
„Naja Hermine, es ist doch wohl nicht ganz so ein großes Geheimnis, dass er auf Dich steht“, sagte Fred.
Hermine blickte ihn fragend an.
„Das Kissen!“, half ihr George auf die Sprünge, „meinst Du die Buchstaben sind da nur aus Versehen drauf gekommen. Ich glaube, da war einer bloß nicht in der Lage, sich voll und ganz auf den Verwandlungszauber zu konzentrieren sondern da schwirrte außerdem noch ein kleines braunhaariges Mädchen in seinem Kopf rum“
Hermine lief rot an. „So’n Quatsch!“, entgegnete sie, „Bei mir stand auch noch nie was auf irgendwelchen verwandelten Sachen!“
„Das stimmt nicht ganz“, quiekte Ginny leise dazwischen.
„Was?“, fragte Hermine ziemlich laut, während Fred und George breit grinsten.
„Naja, es ist schon eine Weile her aber Du hast vor drei Jahren mal im Gemeinschaftsraum für mich ein Blatt Papier in ein Taschentuch verwandelt und…“, Ginny unterbrach.
„Und was?“, fragte Hermine jetzt noch lauter.
„Naja…es stand ganz blass Krum darauf!“, sagte Ginny vorsichtig.
„Waaas?“, fragte Hermine, „aber Du hast mir nie etwas davon…“
„Natürlich nicht“, unterbrach sie Ginny, „ich hab das Taschentuch ganz normal benutzt und später im Mädchenklo runtergespült. Ich dachte, es wäre Die so sicher am liebsten.“
„Womit du auch Recht hast“, bestätigte Hermine.
„Also hätten wir das geklärt“, sagte George grinsend, „dann lass doch mal bei Henrik Deinen Charme spielen!“
„Spinnt ihr?“, entgegnete Hermine entrüstet, „Ihr glaubt doch wohl nicht dass ich seine Zuneigung ausnutze? Das mach ich nicht!“
„Ach Hermine, nun komm schon“, meinte Fred, „Du sollst ihn ja nicht hintergehen sondern nur ganz normal mit ihm reden. Der erzählt Dir bestimmt auch so schon alles, ohne dass Du groß nachfragen musst.“
„Wisst ihr was?“, sagte Hermine und sprang vom Tisch auf. „Ihr seid so was von gemein. Das mach ich nicht!“ Sie schmiss ihre Serviette auf den Tisch und verließ hastig den Speisesaal.
„Was hat sie denn?“, fragte Fred und blickte George an, als die Tür hinter Hermine zugeknallt war.
„Keine Ahnung!“, gab George schulterzuckend zurück und beide blickten sie jetzt scharf Ginny an.
„Ist was?“, fragte sie patzig.
„Kannst Du uns diese Reaktion vielleicht erklären“, fragte Fred, „so als Frau?“
„Könnte ich schon aber ich will’s nicht!“, blaffte Ginny sie an.
„Ach, Schwester, nun komm schon“, bat George.
Ginny verdrehte die Augen. „Ist doch offensichtlich, oder? Sie mag ihn!“
„Wen? Henrik Leighton?“, fragten Fred und George fast gleichzeitig und blickten Ginny mit großen Augen an.
Ginny nickte.
„Und was ist mit Ron?“, fragte Fred.
„Was soll mit Ron sein?“, fragte Ginny.
„Ich denke, sie liebt ihn“, meinte Fred, „ich meine, ist das nicht ein bisschen schnell…“
„Fred!“, unterbrach Ginny ihn, „ich sagte, sie mag ihn – nicht, sie liebt ihn. Außerdem bin ich ganz froh, wenn sie ein bisschen von Ron abgelenkt wird. Ich wünschte mir, es ginge mir mit Harry genauso.“
Fred und George nickten vielsagend, fĂĽhrten das Thema aber nicht fort, wofĂĽr Ginny nicht undankbar war.
Unterdessen lag Hermine auf ihrem Bett im Mädchenschlafsaal. Neben ihr lag eine kleine geöffnete Schatulle und in der Hand hielt Hermine Harrys Zauberstab. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und flüsterte leise: „Warst Du das vielleicht doch, Harry? War das irgendein Zeichen? Kannst Du Dich vielleicht nicht anders bemerkbar machen?“
Sie starrte den Zauberstab an, als hoffe sie, er wĂĽrde ihr irgendeine Antwort geben, doch nichts geschah. Hermine legte den Stab wieder zurĂĽck in die Schatulle, die sie wieder ganz tief in ihrem Koffer verstaute, dann machte sie sich mit ihren SchulbĂĽchern auf den Weg in den Gemeinschaftsraum, um ihre Aufgaben zu erledigen.
Die nächsten Tage verbrachte Hermine meist – wenn sie keinen Unterricht hatte – in der Schulbibliothek oder sie verschanzte sich hinter einem ihrer Bücher. Sie war lieber alleine, auch wenn sie selber gar nicht so genau wusste warum. Zwar hatten sie die Sticheleien von Fred und George schon ein bisschen getroffen aber eigentlich war sie nicht mehr wirklich sauer auf sie. Doch sie brauchte auch noch erheblich länger, um ihre Aufgaben zu erledigen, als es in den anderen Schuljahren der Fall gewesen war denn oft dachte sie an Harry und noch öfter an Ron und manchmal sogar – und das passte ihr gar nicht so richtig in den Kram – an Henrik Leighton. Ab und zu blickte er während des Unterrichts zu ihr herüber doch Hermine mied nicht nur seine Blicke sondern sie versuchte überhaupt jeglichen Kontakt mit ihm aus dem Weg zu gehen. Dabei konnte sie sich gar nicht genau erklären, warum sie das tat, denn eigentlich hatte Ginny die Dinge schon ganz richtig erkannt: Sie mochte ihn. Er sah gut aus, war nett und bescheiden, und mit einer gewissen Unsicherheit ausgestattet. Dinge, die Hermine durchaus imponierten. Mehr zumindest, als das manchmal etwas zu selbstsichere Auftreten ihres Exfreundes Viktor Krum, auch wenn ihr das damals noch gefiel.
Aber Hermine hatte nicht viel Zeit sich über Henrik Leighton Gedanken zu machen, denn neben all den Schulaufgaben, die sie jetzt wieder in Hülle und Fülle aufbekamen, beschäftigte sie auch diese geheimnisvolle Spezialeinheit des Ministeriums, die die übrigen Todesser jagen sollte. Denn zu diesen übrigen Todessern gehörten auch Lucius Malfoy, dem es nicht gelungen war, Hermine zu töten und Bellatrix Lestrange, die vermutlich Ron irgendwo versteckte, wenn auch wohl leider mehr tot als lebendig. Je mehr Tage vergingen, desto mehr ertappte sich Hermine auch dabei, dass sie wieder mit dem Gedanken spekulierte, dass Ron vielleicht doch nicht tot war, dass sie sich vielleicht vertan hatte und Snape auch. Vielleicht war Ron nur ohne Bewusstsein gewesen, vielleicht wäre das auch ein Grund dafür gewesen, dass Snape nicht in seinen Geist eindringen konnte. Hermine versuchte, in den Büchern der Bibliothek etwas über Legillimentik bei fast toten oder schwer verletzten herauszufinden, doch leider kam sie dort nicht weiter, so beschloss sie kurzerhand Professor Snape in den Kellergewölben aufzusuchen und ihn einfach danach zu fragen. Sicherlich hätte sie das früher nicht getan und es fiel Hermine auch immer noch schwer, daran zu glauben, dass Snape tatsächlich auf ihrer Seite war aber da selbst Professor Dumbledore einmal sagte, es gäbe keinen besseren Legillimentor als Snape, dachte sie, es wäre einen Versuch wert.
Es war Samstag und draußen schien an einem der wahrscheinlich letzten schönen Herbsttage die Sonne. Als Hermine die Treppen vom Gemeinschaftsraum hinab stieg fiel ihr Blick durch ein Fenster im Turm auf Hagrids Hütte. Hermine hatte ihn bisher nicht besucht, sie hatte noch nicht einmal irgendjemanden nach Hagrid befragt und es hatte auch niemand etwas von ihm erzählt, so vermutete Hermine, dass sie keine guten Nachrichten bekommen würde, wenn sie jemanden nach ihm fragen würde und auf weitere bittere Nachrichten hatte sie bisher wahrlich keine Lust gehabt. Aber nun beschloss sie, nach ihrem Besuch bei Professor Snape auch einmal zu Hagrids Hütte hinab zu gehen und nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht sitzt er ja auch ganz friedlich vor seinem Kamin und hat wieder mal ein paar Dracheneier im Feuer liegen, dachte Hermine.
Doch nun nahm sie zunächst die Treppe hinab zu den Kerkern und stand wenig später vor der Tür von Professor Snape. Hermine atmete einmal tief durch, dann klopfte sie an.
„Herein!“, sprach die kalte, tonlose Stimme von Professor Snape aus dem Inneren.
Hermine öffnete vorsichtig die Tür und trat ein. Professor Snapes Büro hatte sich nicht verändert seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Irgendwie hatte sie erwartet, dass etwas darauf hindeutete, dass Snape jetzt auf der guten Seite war aber schließlich war er das ja wohl schon immer also gab es auch keinen Grund, an seinem Büro etwas zu verändern.
Snape sah Hermine kurz an, blickte dann aber wieder auf sein Blatt Papier das er auf dem Schreibtisch liegen hatte und schrieb weiter.
Hermines Herz klopfte schneller, so unwohl war ihr immer noch in Snapes Gesellschaft – trotz allem. Sie trat an Snapes Schreibtisch heran, der ohne aufzublicken sprach:
„Nun, Miss Granger, ich nehme an, Sie sind nicht hier, weil Sie eine Frage bezüglich meines Unterrichts haben, nicht wahr?“
Hermine nickte und obwohl Snape sie nach wie vor nicht ansah, sagte er kühl: „Gut, dann sollten sie vielleicht gleich wissen, dass ich keinerlei Lust habe, mit Ihnen über die Ereignisse der Nacht, in der Voldemort und Mr. Potter verschwanden, zu sprechen!“
„Darum geht es auch nicht“, gab Hermine zurück, „zumindest nicht direkt.“
Snape sah nun von seinem Blatt auf. „Nicht direkt?“, fragte er.
„Ich hätte nur gerne eine Auskunft über Legillimentik“, sagte Hermine mit fester Stimme, „und Sie sind ausgewiesenermaßen der beste Legillimentor, den es gibt.“
Ein Anflug von Selbstzufriedenheit huschte über Snapes Gesicht. „Es wundert mich zwar, dass gerade Sie das erkennen“, sagte er, „wo Sie sich doch stets selbst für die Beste in allen Belangen der Zauberei halten, nicht wahr?“ – er blickte Hermine mit seiner üblichen Hochnäsigkeit an – „aber unzweifelhaft haben Sie damit Recht.“
Hermine biss sich auf die Unterlippe. Zu gerne hätte sie Snape einfach entgegengeschleudert, was sie von ihm hielt aber schließlich hatte sie genau das immer Harry vorgeworfen, dass er sich nicht beherrschen konnte, wenn er gereizt wurde, also würde sie es besser machen.
„Sehr gute Entscheidung, Miss Granger!“, sagte Snape.
„Was?“, fragte Hermine.
„Sich besser zu beherrschen als Mr. Potter - das haben sie doch gerade gedacht, oder?“
Hermine sah in verwirrt an.
„Nur eine kurze Kostprobe in Legillimentik“, sagte Snape und schürzte dabei genussvoll die Lippen, „aber seien sie unbesorgt, sie alle werden in diesem Schuljahr Okklumentik bei mir lernen und ich hoffe sehr, dass sie talentierter darin sind als Mr. Potter. Was also ist so wichtig für Sie, dass Sie es unbedingt schon jetzt von mir wissen müssten?“
„Ich habe versucht, es selber in der Schulbibliothek nachzulesen aber ich habe nichts darüber gefunden“, erklärte Hermine möglichst kleinlaut und interessiert um Snape milde zu stimmen, „aber gibt es noch andere Möglichkeiten, warum man mit Legillimentik nicht in einen Geist eindringen kann außer Okklumentik und…“
„Den Tod?“, unterbrach sie Snape.
„Ja!“, sagte Hermine.
„Nun, ich glaube ich brauche nicht einmal Legillimentik anwenden, um zu wissen, warum sie mir diese Frage stellen, Miss Granger.“
„Es ist eine ganz normale Frage, Professor. Es interessiert mich einfach“, gab Hermine zurück.
Snape schaute Hermine durchdringend an und Hermine wusste, dass er den Grund ihrer Frage kannte, der so schwer auch wahrlich nicht zu erraten war. Trotzdem aber schien Snape zu ĂĽberlegen, ob er ihr eine Antwort gab oder zumindest, was er ihr antwortete.
„Rein theoretisch, Miss Granger“, sagte Snape und er stand plötzlich von seinem Schreibtisch auf und ging an einen Schrank und zog die darin befindliche Schublade heraus, um etwas hineinzulegen, „rein theoretisch gibt es eine weitere Möglichkeit – genauer gesagt sogar zwei!“
Hermine blickte ihn erstaunt an, versuchte aber möglichst wenig Regung zu zeigen.
„Zum einen gibt es ein besonderes Stadium der Bewusstlosigkeit, in dem der Geist des Menschen für einen Legillimentor leer erscheint, genau wie für die betroffene Person selber auch“, erklärte Snape.
„Sie meinen so eine Art Koma?“, fragte Hermine.
„Das ist der Muggelausdruck dafür, wenn ich mich recht erinnere“, sagte Snape, „aber während die Muggel nur diesen einen Zustand kennen, gibt es viele weitere Abstufungen davon. In den meisten ist es durchaus noch möglich, in den Geist einer Person einzudringen. Nur in einer nicht: Wir nennen es Übergangsschlaf!“
„Übergangsschlaf?“, fragte Hermine.
Snape nickte. „Weil es üblicherweise der Übergang zwischen Leben und Tod ist und obwohl die betroffene Person in diesem Zustand noch lebt, ist ein Eindringen in ihren Geist nicht mehr möglich!“
Hermine keuchte. Das könnte bei Ron doch so gewesen sein! Vielleicht war er noch nicht tot? Vielleicht war er auch nur im Übergangsschlaf!
„Aber kann es denn sein, dass...“
„Es ist schon vorgekommen, dass Personen aus diesem Zustand ins Leben zurückgekehrt sind, ja“, wurde Hermine von Snape unterbrochen, „allerdings unter gänzlich anderen Umständen als ihr Freund Ron. Selbst wenn er in dem Moment, in dem ich Legillimentik bei ihm anwendete im Übergangsschlaf lag, wird er wenige Momente später tot gewesen sein. Dort – unter diesen Bedingungen – hätte er keine Überlebenschance gehabt. Selbst ein sehr guter Heiler vermag es kaum zu beeinflussen, doch sind mir keine Fälle bekannt, in denen ein Totgeglaubter außerhalb des St. Mungos ins Leben zurückkehrte.“
„Und die zweite Möglichkeit?“, fragte Hermine resigniert, da die kurz aufflammende Hoffnung sofort wieder versiegt war.
„Die zweite Möglichkeit“, sagte Snape und er blickte Hermine kühl an, „ist eine, die Sie sich lieber nicht wünschen sollten – der Psydius-Zauber!“
„Psydius-Zauber?“, fragte Hermine überrascht, „davon habe ich noch nie etwas gehört.“
„Das sollte mich auch sehr wundern, Miss Granger, denn es ist ein Zauber der praktisch keinen Nutzen hat aber im Gegensatz dazu ziemlich grausame Folgen haben kann.“
„Wieso?“, fragte Hermine ängstlich und gleichzeitig wünschte sie sich schon jetzt unter keinen Umständen, dass dieser Zauber bei Ron angewendet worden war, wenn selbst Snape schon das Wort grausam in den Mund nahm.
„Nun, der Psydius-Zauber zählt zweifellos zu der dunklen Seite der Magie“, sagte Snape, „er ist sehr schwer zu erlernen und hat praktisch keine sinnvolle Wirkung. Kaum jemand kennt ihn und noch wenigere beherrschen ihn!“
„Können sie ihn denn?“, fragte Hermine.
„Nein!“, gab Snape überraschend schnell und deutlich zu.
„Aber was bewirkt er denn?“, fragte Hermine.
„Er löscht ihren Geist, Miss Granger!“, sagte Snape und seine Stimme klang hohl und bedrohlich.
„Aber es gibt doch Schlimmeres“, entgegnete Hermine, „im St. Mungo sind mehrere Patienten, die...“
„Nicht die Erinnerung, Miss Granger“, unterbrach sie Snape, „den Geist! Der Psydius-Zauber löscht alles, was sie sind, waren oder jemals geworden wären. Deshalb ist es auch nicht möglich in einen mit dem Psydius-Zauber gelöschten Geist einzudringen. Es ist schlichtweg nichts mehr da. Der Tod wäre angenehmer, Miss Granger, vor allem für die Leute, die denjenigen gekannt haben!“
Hermine blickte betreten zu Boden und eine Träne kullerte ihr aus dem Auge, dann sah sie wieder zu Snape auf. „Könnte Ron vielleicht mit dem Psydius-Zauber belegt worden sein?“, fragte sie und sie wunderte sich, dass Snape sie ausnahmsweise einmal eine Frage aussprechen ließ.
„Unwahrscheinlich!“, antwortete er kühl.
„Aber nicht unmöglich!“, rief Hermine.
„Der einzige, der ihren Freund Ron damit hätte belegen können, wäre Wurmschwanz gewesen. Aber warum hätte er das tun sollen?“, fragte Snape.
Hermine zuckte die Schultern. „Aber Lestrange hat Ron auch mitgenommen, was genauso wenig Sinn ergibt!“, sagte sie dann.
„Das sind im Moment die naheliegendsten Vermutungen, Miss Granger aber das heißt noch nicht, dass es so war!“, entgegnete Snape.
„Aber dann würde das doch einen Sinn ergeben“, stammelte Hermine, „vielleicht war Ron gar nicht tot, vielleicht wurde er mit diesem Psydius-Zauber belegt und Lestrange kann ihn so noch zu irgendetwas gebrauchen!“
Snape antwortete nicht.
„Was wäre denn mit Ron, wenn ihn der Psydius-Zauber getroffen hätte? Was bedeutet das, dass sein Geist geleert wäre?“
„Sein bisheriges Leben wäre gelöscht, Miss Granger“, antwortete Snape laut und er schlug dazu mit der rechten Handfläche auch die Platte seines Schreibtisches. „Er kennt niemanden mehr - mich nicht, Sie nicht, nicht einmal seine eigenen Eltern. Er könnte nicht schreiben, nicht reden, nicht laufen, ja nicht einmal mehr kriechen. Er wäre wie ein Neugeborenes, Miss Granger, nur mit dem Aussehen eines 18jährigen! Und er könnte von dem, der ihn hat, neu aufgezogen werden - zu dem Menschen geformt werden, den sein Halter sich wünscht. WOLLEN SIE DASS?“
„NEIN!“, schrie Hermine völlig entsetzt über diese Vorstellung.
„Dann schlagen sie sich das aus dem Kopf, Miss Granger!“, brüllte Snape sie an, „ihr Freund Ron ist tot! Es ist das Beste – vor allem für ihn. Und jetzt raus hier! Verschwinden Sie!“
Völlig verwirrt sprang Hermine auf und rannte aus Snapes Kerker, die Treppen hinauf. Auf halber Höhe blieb sie stehen, setzte sich auf eine der Stufen, legte den Kopf in den Schoß und weinte bitterlich.
Eine ganze Weile saß Hermine auf der Treppe und weinte. Sie war vollkommen geschockt darüber, dass es tatsächlich noch schlimmere Möglichkeiten gab, was mit Ron geschehen sein könnte, als den Tod. Doch schließlich beruhigte sie sich wieder und stieg auch die letzten Treppen hinauf. Sie ging durch die Eingangshalle und die schwere Tür nach draußen. Als sie die ersten paar Stufen der Schlosstreppe hinab gestiegen war, traf sie auf Ginny, die sie besorgt anblickte.
„Hermine? Ist irgendwas passiert?“, fragte sie.
Hermine schüttelte den Kopf. „Warum fragst Du?“
„Du hast doch geweint?“, fragte Ginny.
„Sieht man das?“, fragte Hermine zurück und lächelte leicht gequält.
Ginny nickte. „Wegen Ron?“, fragte sie.
„Ja!“, entgegnete Hermine und dann entschloss sie sich kurzerhand Ginny von ihrem Gespräch mit Snape zu erzählen.
„Hermine, mach dich bloß nicht verrückt“, versuchte Ginny sie zu beruhigen nachdem sie geendet hatte. „Ich glaube Snape hat wirklich Recht. Warum hätte Wurmschwanz ihm diesen Zauber auf den Hals hetzten sollen – vor allem wenn er selber kurz danach die Flucht ergreift?“
„Vielleicht war es zwischen ihm und Lestrange so abgesprochen“, schluchzte Hermine.
„Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, Hermine“, sagte Ginny, „dann halte ich die andere Möglichkeit schon für wahrscheinlicher. Aber ich denke, er ist in Deinen Armen gestorben?“
„Ja, aber vielleicht war er noch gar nicht tot, vielleicht sah es nur so aus“, stammelte Hermine, „ich hätte ihn nicht alleine zurücklassen dürfen!“
„Sag so etwas nicht. Dann wärst Du jetzt auch tot!“, sagte Ginny.
„Ich geh Euch ganz schön auf die Nerven, was?“, fragte Hermine plötzlich.
„Wie kommst Du denn jetzt darauf?“, fragte Ginny.
„Naja, schließlich bin ich nicht die Einzige, die ihre Freunde verloren hat“, sagte Hermine, „Dir geht es ja auch nicht besser!“
„Das ist schon in Ordnung, Hermine“, sagte Ginny und strich mit ihrer Hand über Hermines Haar, „erstens war ich nicht so nah am Ort des Geschehens wie Du und zweitens konnte ich mich schon drei Monate länger an den Gedanken gewöhnen. Die ersten Wochen habe ich auch nur geheult – und gehofft, dass wenigstens Du überlebst.“
Hermine lächelte sie dankbar an.
„Wo willst Du überhaupt hin?“, fragte Ginny.
„Zu Hagrid! Kommst Du mit?“
Ginnys Augen vergrößerten sich. „Das ist keine gute Idee, glaube ich“, sagte sie mit einem Anflug von Panik.
„Warum?“, fragte Hermine wenngleich sie irgendwie genau diese Situation vorausgeahnt hatte. „Ist Hagrid etwa auch tot?“
„Nein, ganz so schlimm ist es nicht“, gab Ginny zurück.
„Aber?“, fragte Hermine nach einer Weile, weil Ginny nicht weiter sprach.
„Hagrid ist bei dem Angriff der Todesser auf die Schule, bei der auch der Ostflügel zerstört wurde, schwer verletzt worden“, sagte Ginny.
„Was heißt das: Schwer verletzt? Was ist mit ihm?“, drängte Hermine.
„Er…Er hat sein Gedächtnis verloren“, stotterte Ginny.
„Nein!“, rief Hermine entsetzt.
„Doch Hermine“, sagte Ginny, „er muss irgendeinen Fluch abbekommen haben, der zweifellos viel schlimmer war als ein Vergessenszauber. Aber Du weißt ja selber, weil er ein Halbriese ist, wirken viele Flüche bei ihm nicht ganz so schlimm wie bei uns normalen Zauberern.“
„Jaja, ich weiß“, sagte Hermine, „und er kann sich an gar nichts erinnern?“
Ginny schüttelte langsam den Kopf. „Aber die Heiler meinen, dass sein Zustand hoffnungsvoller ist als bei den meisten Patienten mit Gedächtnisverlust und er mindestens dreimal so gute Chancen hat sein Gedächtnis wiederzuerlangen wie sein Zimmergenosse im St. Mungo.“
„Sein Zimmergenosse im St. Mungo?“, wiederholte Hermine. „Jemand, den wir kennen?“
„Gilderoy Lockhardt!“, sagte Ginny leise.
„Das ist nicht Dein Ernst?“, rief Hermine.
„Doch, Hermine“, sagte Ginny, „ich war genauso entrüstet wie Du als ich es erfuhr aber die Heiler haben gesagt, dass sie sie absichtlich zusammengelegt haben, eben weil Hagrid so gute Heilungschancen hat.“
„Versteh ich nicht“, sagte Hermine.
„Sie meinten, wenn irgendetwas Hagrid dazu bringen könnte, sich an alte Dinge zu erinnern, dann wären es Personen die er kannte und die ihm im Gedächtnis hängengeblieben sind. Und von wem kann man das schon mehr sagen als von Lockhardt? Und der größte Vorteil an ihm ist, dass er eben sowieso immer da ist.“
„Ginny, weißt Du nur, was ich nicht verstehe?“, fragte Hermine.
„Nein!“, gab Ginny zurück.
„Warum hast nicht wenigstens Du mir das gesagt? Du wusstest doch, dass ich eines Tages danach fragen werde!“
Ginny schaute betreten zu Boden. „Ich hab es Professor McGonagall versprochen“, sagte sie, „du warst noch sehr schwach als du nach Hogwarts kamst und ich sollte schlechte Neuigkeiten solange wie möglich von Dir fern halten.“
„So?“, fragte Hermine gereizt, „und wie viele schlechte Neuigkeiten werden mir in den nächsten Wochen noch häppchenweise serviert? Hat sich vielleicht auch mal jemand Gedanken gemacht, wie ich mich dabei fühle?“
„Deswegen haben wir doch…“
„Ist vielleicht schon mal jemand auf die Idee gekommen, dass ich kein Verlangen danach habe, alle drei Tage neue Nachrichten über tote Freunde zu bekommen?“, unterbrach Hermine sie schreiend.
Ginny starrte nur zu Boden und sagte nichts bis Hermine sie schlieĂźlich rĂĽttelte.
„Ist vielleicht noch irgendjemand gestorben oder schwer verletzt, dann sag es mir gefälligst! Jetzt!“, brüllte Hermine Ginny förmlich an.
Hermine erschrak, denn Ginny brach plötzlich in Tränen aus. „Ja!“, schluchzte sie.
„Wer?“, fragte Hermine und rüttelte Ginny erneut. „Sag’s mir!“
„I..Ich…kann nicht!“, stotterte Ginny unter Tränen.
„Warum kannst Du nicht?“, fragte Hermine aufgebracht.
„Lass uns zu Professor McGonagall gehen“, schluchzte Ginny, „sie kann es Dir sagen aber ich darf es nicht…und ich kann es auch nicht!“
„Gut, dann komm mit!“, befahl Hermine und gemeinsam gingen sie zurück ins Schloss, schnurstracks zu dem Flur mit dem goldenen Wasserspeier hinter dem sich der Aufgang zum Direktorenbüro befand. Während sie gingen fühlte Hermine sich immer elender. Zum einen, weil sie gleich vermutlich eine neue Todesnachricht von McGonagall bekommen würde auch wenn sie sich nicht erklären konnte, wer nun noch gestorben sein sollte – zum anderen fühlte sie sich schlecht, weil sie Ginny so angebrüllt hatte denn Hermine wusste, dass Ginny diese Informationen sicher nicht zurückgehalten hatte, um ihr zu schaden. Trotzdem war Hermine auch sauer. Wie sollte sie wieder in ein normales Leben zurückfinden, wenn ihr alle paar Tage wieder irgendwelche Toten gebeichtet wurden. Für sie wäre es – das stand für sie fest – besser gewesen, wenn man ihr alles sofort erzählt hätte, denn vermutlich hätte sie dann schon jetzt vieles davon verarbeitet.
„Knallerbsenstrauch!“, sagte sie, als sie vor dem Wasserspeier angekommen waren, der zur Seite wich und sie dann nach oben vor Professor McGonagalls Büro trug.“
Hermine klopfte an die TĂĽr.
„Ja bitte!“, kam die Stimme von Professor McGonagall von drinnen und Hermine öffnete die Tür und trat mit Ginny ein.
„Professor McGonagall, ich möchte wissen, wer noch alles tot oder schwer verletzt ist, von dem ich es nicht bereits weiß. Sofort!“, sagte Hermine in erstaunlich befehlendem Ton.
Professor McGonagall sah sie erschrocken an, dann warf sie einen fragenden Blick auf Ginny, die nur entschuldigend zurĂĽck blickte.
„Setzen Sie sich, Miss Granger“, sagte McGonagall dann mit ernstem Blick. „Sie auch, Miss Weasley.“
„Über Hagrid weiß sie schon Bescheid“, krächzte Ginny während sie sich setzten.
McGonagall nickte.
„Also gut, Miss Granger. Ich werde Ihnen alles sagen aber vorher möchte ich ihnen versichern, dass ihre Freundin Ginny Weasley nur auf meine Anweisung hin…“
„Das weiß ich!“, wurde sie von Hermine unterbrochen.
„Gut!“, sagte Professor McGonagall mit einem etwas befremdeten Ausdruck und man merkte ihr deutlich eine übergroße Nervosität an. „Da sie über Rubeus Hagrid bereits Bescheid wissen, sind da nun noch zwei weitere Personen, von deren Tod wir Ihnen nichts erzählt haben.“
Hermine keuchte auf. Sie hatte gehofft, dass es sich im günstigsten Fall um einen Verletzten handelte aber nun waren es gleich zwei Personen und die waren auch noch tot. Hermine schossen tausend Überlegungen durch den Kopf, wer es sein könnte: Irgendwelche ehemaligen Schulkameraden vielleicht, Mitglieder des Phönixordens, Lehrer oder hatten sie gar doch Harrys und Rons Leichen gefunden und es Hermine bloß verschwiegen?
Professor McGonagall sah Hermine durchdringend an und es wirkte, als traute sie sich nicht, dass ĂĽber die Lippen zu bringen, was sie Hermine jetzt sagen musste.
„Wer ist es denn nun?“, fragte Hermine, deren Magen sich jetzt umdrehte und der hundeelend zumute war.
„Es ist…Es sind…“, McGonagall brach ab und blickte noch einmal zu Ginny, die sich am liebsten im hölzernen Boden des Büros vergraben hätte, dann wanderte ihr Blick wieder zu Hermine.
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