"Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut!"
Erwartungsvoll beobachtet Ginny, wie die unsichtbare Tinte das Blatt ausfüllt und Hogwarts Stück für Stück preis gibt.
Die Karte des Rumtreibers erscheint und als Harry sie ihr reicht, nimmt sie diese dankbar an. Auch wenn es nicht richtig ist ihm hinter her zu schnüffeln, sie will unbedingt Gewissheit haben und dieser Quälerei ein Ende bereiten. Sie bemüht sich zu einem Lächeln, das sie Harry schenkt als sie sich mit der Karte neben dem Waschbecken der Mädchentoilette nieder lässt.
Der Boden ist kalt und sie spürt die kalten Fliesen durch den dicken Stoff ihres Rockes. Sie lehnt sich gegen die Wand und ihre Augen huschen eilig über das Papier, während Myrte vergnügt die Hogwartshymmne singt.
"Denn noch sind unsre Köpfe leer,
voll Luft und voll toter Fliegen,
wir wollen nun alles erlernen,
was du uns bisher hast verschwiegen."
Sie faltet die Karte auseinander. Mehrere Seiten geben die verschieden Stockwerke und Türme preis, doch sie findet nicht das was sie sucht. Wo bei Merlin sind die Kerker eingezeichnet?
Die Karte scheint unendlich groß zu sein, was auch durchaus notwendig ist, da Hogwarts ein großes Schloss ist und viel Raum bietet. Das Nützliche an dieser Karte ist wohl auch, dass sie selbst die versteckten Geheimgänge anzeigt. Vielleicht wird ihr das noch von Nutzen sein. Bemüht vorsichtig geht sie mit dem Pergament um und nun endlich hat sie auf der Karte die Kerker entdeckt.
Die Stimme Myrtes blendet sie aus und sie konzentriert sich nur noch auf die kleinen Punkte, die sich in den eingezeichneten Kerkern fortbewegen. Zuerst sucht sie die Gänge ab, anschließend den Gemeinschaftsraum der Slytherins. Angespannt registriert sie jeden Namen, doch die meisten sind ihr unbekannt. Aber im Gemeinschaftsraum befindet sich kein Punkt mit dem Namen „Draco Malfoy“. Also weiter suchen. In den Schlafsälen kann er sich befinden. Schließlich ist morgen Montag, was bedeutet das der Unterricht statt findet. Doch auch hier ist er nicht. Nur zur Sicherheit schaut sie im Schlafsaal der Mädchen nach. Erleichtert stellt sie fest, dass er auch hier nicht anwesend ist.
Doch auch nachdem sie die große Halle, sowie die Bibliothek und den Krankenflügel genau inspiziert hat, ist sein Name immer noch nicht aufgetaucht. Langsam wird sie unruhig. Wo mag er denn bloß stecken?
Also überlegt sie weiter. Wo kann sich ein Schüler noch aufhalten?
In der Eulerei. Hektisch wendet sie die Karte und sucht die Eulerei ab, aber bis auf Stephen Cornfoot ist kein Schüler anwesend.
Eifrig überlegt sie weiter, sucht die Gewächshäuser ab, das Quidditchfeld, den Astronomieturm, sowie den Raum der Wünsche, doch gerade als sie ihn im Pokalzimmer suchen will, bleibt ihr Blick an etwas hängen.
Dort im dritten Stock steht ein kleiner Punkt, über dem in geschwungenen Lettern der Name Draco Malfoy steht. In diesem Stock sind sie vor einer Weile noch gemeinsam in einer Besenkammer gewesen, als er sie auf dem Weg von der Bibliothek mit einem Stolperfluch abgefangen hat. Anscheinend ist er nicht sehr weit gekommen und der vermeintliche Grund dafür steht direkt daneben.
Es ist wie ein Schlag ins Gesicht und sie wünscht sich, sie hätte nie nach dieser dummen Karte verlangt, denn dann hätte sie nicht das sehen können, was sich vor ihren Augen abspielt. Sie kann ihren Blick nicht von den zwei Punkten los reißen. Der eine zeigt ihren Freund und über den zweiten hängt der Name Astoria Greengrass.
Fassungslos starrt sie auf das Pergament und keucht auf. Ihre Hände beginnen zu zittern, was sich auf die Karte auswirkt. Das was Draco ihr im Quidditchraum erzählt hat, hallt in ihrem Kopf nun wie ein Lügenmärchen wieder. Die Freude die sie verspürt hat ist wie verpufft und stattdessen macht sich eine Übelkeit in ihr breit. Sie hat ihm vertraut und diesem Augenblick nach zu urteilen, kann sie wohl den hochnäsigen Slytherinschnepfen mehr Glauben schenken als ihm. Er hat sie belogen...
Sie bemerkt nicht wie sie beginnt zu weinen.
"Nein, das darf nicht wahr sein." Das Wort "Lügner" echot in ihrem Kopf wieder. "Lügner, Lügner!" Unbändiger Zorn steigt in ihr auf, sie versucht den Impuls zu unterdrücken, die Karte zu zerreißen, zerfetzen oder wegzuwerfen, denn immerhin ist es nicht ihr Eigentum. Die Verzweiflung lässt sie aufschluchzen und plötzlich spürt sie eine Berührung an ihrer Schulter.
Erschrocken blickt sie auf und erkennt Harry, der sich zu ihr hinunter gekniet hat und sie besorgt ansieht. Ihn hat sie bei diesem Schock ganz vergessen.
"Was ist passiert?", fragt er vorsichtig, doch Ginny bringt keine Antwort heraus, stattdessen laufen die Tränen weiter über das Gesicht und tropfen bereits auf die Karte.
Harrys Augen wandern nun ebenfalls zu dem, was die Weasley in den Händen hält und bei einer Stelle verfinstert sich sein Blick. Ungläubig schüttelt er den Kopf, doch als sein Blick den Ginnys trifft, setzt er eine andere Miene auf.
"Vielleicht ist es ja nicht so wie du denkst." Dieser Spruch ist im Moment so unpassend, dass Ginny trocken auflachen muss. Dieser Standartspruch gehört verboten, denn er entspricht in den wenigsten Fällen der Wahrheit sondern dient hauptsächlich nur als Ausrede.
"Ich wüsste nicht was daran falsch zu verstehen ist," sagt sie bitter und wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. "Ich habe ein Gespräch von Cauldwell und Savant im Unterricht aufgeschnappt. Aber er hat alles abgestritten. Und ich hab ihm geglaubt", fügt sie ärgerlich hinzu. Tatsächlich fühlt sie sich grad wie der größte Idiot aller Zeiten, aber ist es denn falsch, seinem Freund zu vertrauen, vor allem, wenn er sonst noch nie gelogen hat?
Harry schmerzt es seine Freundin so zu sehen. Er wusste das mit Draco und hat auch von Anfang an geahnt, dass es kein gutes Ende nehmen wird, denn ein Satz, in dem die beiden Wörter "Vertrauen" und "Malfoy" vorkommen, kann einfach nicht richtig sein, aber sie jetzt mit Sprüchen zu bombardieren wie "Ich habs dir doch gesagt" wären im Moment mehr als unpassend gewesen. Also verkneift er sie sich und wendet sich, mit der Notiz an sich selbst, seinem alten Erzrivalen bei der nächsten Gelegenheit ordentlich eins auf die Fresse zu geben, an Ginny.
"Ich möchte ihn wirklich nicht in Schutz nehmen, glaub mir es fällt mir schwer das zu sagen, aber kläre die Sache lieber erst bevor du falsche Schlüsse ziehst." Aufmunternd sieht er ihr in die Augen und lächelt, sodass seine weißen Zähne zum Vorschein kommen. Anschließend deutet er auf die Karte.
"Sieh mal." Die beiden Punkte bewegen sich und entfernen sich vom dritten Stock. Für Ginny ist es aber nur ein schwacher Trost, dass sie in entgegengesetzten Richtungen auseinander gehen.
"Ich weiß, dass Malfoy ein Idiot ist, aber so dumm dir weh zu tun ist selbst er nicht." Harry schmunzelt und setzt eine kampfeslustige Miene auf. "Und wenn doch wird es das Letzte sein, was er tut."
Harry spricht ihr noch einige tröstende Worte zu und nimmt ihr vorsichtig die Karte aus der Hand. Mittlerweile sind auch ihre Tränen versiegt. Nachdem Harry sich erhoben hat, bietet er ihr seine Hand an und hilft ihr beim Aufstehen. Anschließend richtet er seinen Zauberstab auf die Karte und flüstert "Unheil angerichtet."
Höflicherweise begleitet er sie zurück in den Gemeinschaftsraum, denn eigentlich ist er mit Ron und Hermine verabredet. Er wollte ihr nur kurz die Karte geben und wieder verschwinden, da sie etwas Dringendes erledigen wollten, doch als sie in Tränen ausgebrochen ist, konnte er es nicht übers Herz bringen zu verschwinden. So bringt er sie bis zur Treppe, die in die Schlafräume der Gryffindormädchen führt und würden diese nicht die Jungen im hohen Bogen davon schleudern, hätte er sie noch hinauf begleitet.
Nachdem sie ihm mehrmals versichert hat, dass es ihr mehr oder weniger gut geht und er gehen könne ist sie die Stufen hochgeschlendert und als sie die Tür zu ihrem Schlafsaal geöffnet hat, muss sie zu ihrem Missfallen feststellen, dass zwei ihrer Mitschülerinnen anwesend sind, die gerade vor dem Kleiderschrank stehen und aufgebracht diskutieren. Bevor die beiden sie sehen können, wendet sie sich ab, wirft sich aufs Bett und zieht die Seite des Vorhanges zu, die sie von den anderen Betten trennt und somit eine schützende Mauer aufbaut. Mitleidige Blicke will sie jetzt nicht haben. Sie will einfach nur schlafen... und am nächsten morgen aufwachen und alles ist nur ein Traum gewesen.
Doch sie weiß, dass dies nicht passieren wird. Während die beiden Mädchen darüber plappern, dass die eine sich von der anderen ungefragt etwas geborgt hat, zieht sich Ginny die Schuhe aus und macht sich soweit fertig zum Schlafen gehen. Von dem Ereignis ist sie völlig fertig und müde und nachdem sie sich bettfertig gemacht hat legt sie sich ins Bett und beginnt ihr rotes Haar zu flechten, so wie sie es jede Nacht macht. Mit geübten Fingern hält sie nach wenigen Minuten einen langen Zopf in der Hand und greift mit der anderen in ihre Nachttischschublade um ein Band heraus zu holen. Als sie die Schublade wieder schließen will, erfassen ihre Augen etwas Glänzendes. Missmutig beugt sie sich hervor, mit dem Wissen, was für ein Ding ihre Aufmerksamkeit erlangt hat. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen als sie den Traumfänger sieht, das Geschenk, das Draco ihr an Weihnachten vermacht hat. Nur leider hat sie bis jetzt noch keinen Anlass gehabt ihn zu gebrauchen, wofür er ja auch nicht ganz unverantwortlich ist.
Am liebsten würde sie jetzt dieses funkelnde, glitzernde Ding nehmen und es an die Wand schleudern oder am besten noch gegen die Köpfe von den beiden Quasseltanten im Schlafzimmer, damit sie endlich Ruhe geben und aufhören würden zu streiten. Dann hätte sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
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