von Eosphoros
17. Zwischenspiel
Als Harry endlich nach gut einer halben Stunde auch in der Großen Halle erschien, war die Auswahl in die Häuser so gut wie abgeschlossen. Es warteten noch sieben oder acht nervöse Erstklässler darauf, dass der Hut ihnen das geeignete Haus nannte. Harry schlich sich leise an seinen Platz zwischen Hermine und Ron. Ihnen gegenüber saßen Neville und eine hübsche zierliche Schülerin, die Harry noch nicht kannte. Die Kleine hatte dunkelblondes, raffiniert geflochtenes Haar. Sie ignorierte Harry vollkommen und schaute fasziniert auf Professor McGonagall.
"Wer ist die Kleine?", fragte Harry leise. Er mochte es nicht, wenn man ihn anstarrte, aber dass man ihn ignorierte, passte ihm ebenso wenig. Schließlich hatte er sich mittlerweile daran gewöhnt, überall, wohin er auch kam, im Mittelpunkt zu stehen.
Ron schaute verwundert Harry an und meinte in der gleichen Lautstärke: "Das ist Thena* McGonagall."
Endlich erwiderte McGonagall den Blick des Mädchens und ein warmes Lächeln erschien auf dem Mund der Hauslehrerin Gryffindors. Das Mädchen erwiderte das Lächeln und wandte sich dann endlich den Schülern ihres neuen Hauses zu. Harry schaute in munter blitzende blaue Augen. Schon erwartete er, dass sich die Aufmerksamkeit des Mädchens auf seine Stirn richten würde, aber nichts geschah.
Harry fühlte mit einem Mal den Blick seiner Hauslehrerin auf sich und warf ihr ein entschuldigendes Grinsen zu.
Ron beugte sich zu Harry und hauchte: "Warte nur, wie ärgerlich sie ist, wirst du sicher im ersten Test merken, den wir in Verwandlungen schreiben."
Harry nickte, auch er ahnte, dass sein Zuspätkommen noch zur Sprache kommen würde. Er ließ seinen Blick durch die große Halle schweifen und entdeckte das eine oder andere neue Gesicht, das ihn neugierig musterte. Es würde sich nie ändern. Genervt strich er sich den Pony wieder über seine Narbe und sah sich weiter in Ruhe um. Wie er schnell feststellte, war am Lehrertisch noch ein Stuhl frei, und er wusste auch, wer fehlte. Rea Lupin war noch nicht da.
"Remus Schwester ist noch nicht hier", wisperte er Hermine ins Ohr. Aber die nickte nur, zuckte die Schultern und erwiderte dann flüsternd: "Professor Dumbledore meinte noch vor der Hutzeremonie, dass sie sich verspäten würde."
Im gleichen Augenblick deutete Ron auf den Meister der Zaubertränke: "Schau dir Snape an, der sieht aus, als hätte er Sodbrennen."
Harry grinste.
Schließlich war die Auswahlzeremonie vorbei. Gerade als der Direktor das Zeichen geben wollte, dass man essen könne, ging eine der Seitentüren auf, die links und rechts des Podiums waren, auf dem die Lehrer saßen. Eine leichte Röte überzog Snapes Gesicht, aber so schnell, wie die Farbe sich gezeigt hatte, verschwand sie auch wieder. Harry hatte den Meister der Zaubertränke nicht aus den Augen gelassen und schaute verwundert in die Richtung, in die dieser geblickt hatte.
Kein Wunder, dass er rot wird, dachte Harry und grinste noch breiter.
Charmant lächelnd schritt Rea Silvia Lupin am Arm von Argus Filch auf ihren Platz zu. Sie lächelte entschuldigend den Direktor an, der eine gespielt ärgerliche Miene aufsetzte, sich dann erhob und mit dem Teelöffel gegen sein Weinglas schlug.
"Meine Lieben?"
Sofort kehrte Ruhe ein.
"Vielen Dank, Argus. Meine Lieben, endlich ist auch eure neue Lehrerin in Verteidigung gegen die dunklen Künste eingetroffen. Professor Rea Silvia Lupin, wird ab morgen für die Dauer eines Jahres oder länger, je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln... Wenn ich mich recht entsinne, hatten wir in den letzten 5 Jahren 5 verschiedene Lehrer. Nun ja... jedenfalls wird sie euch in diesem Jahr unterrichten. Herzlich Willkommen, Professor Lupin."
Mit einem Schmunzeln blickte er die Dame über seine Brille hinweg an und setzte hinzu: "Ihre Vorgängerin hat den Schülern noch etwas auf den Weg gegeben, Rea, wollen Sie auch noch etwas sagen?"
Rea lächelte, aber schüttelte den Kopf. Dumbleodore nickte und gab den Schülern ein Zeichen, dass sie nun endlich essen konnten.
Ron starrte auf den Lehrertisch und fixierte Rea Lupin mit glasigen Augen.
Ginny, die ihm schräg gegenübersaß, lachte leise, zwinkerte Harry zu und stieß Neville an.
Neville fuhr zusammen. Auch er hatte die neue Lehrerin angestarrt, als sähe er zum ersten Mal ein Frau.
Hermine stöhnte und gab ein halblautes - "Als wäre Fleur Delacour wieder in Hogwarts. Die wurde genauso angestarrt." - von sich.
Das Essen zog sich noch eine Weile hin. Als schließlich alle Schüler in ihren Betten waren und sich auch die Lehrer in ihre Gemächer zurückgezogen hatten, saß ein Mann gedankenverloren in seiner Unterkunft in einem Sessel und starrte ins Feuer. In der rechten Hand hielt er einen halb gefüllten Cognacschwenker, an dem er von Zeit zu Zeit nippte. Sein Umhang war aufgeknöpft und lag schlampig um seinen schmalen Körper.
Wieso hat Dumbledore sie hergeholt, dachte er bei sich. "Wieso sie und niemand anderen", sprach er nun laut aus. Die Flammen züngelten, als hörten sie ihm zu.
Severus Snape wischte sich mit der Linken über das bleiche Gesicht. Verärgert warf er das Glas in den Kamin. Es zerbarst durch die Hitze und der Cognac entfachte das Feuer. Grimmig zog er die dichten Brauen zusammen. Wie eine Vision, ausgelöst durch das Flackern der Flammen, überkam ihn die Erinnerung. Er war wieder 21 Jahre alt und hatte sich gerade erst vom Dunklen Lord abgewandt...
Flashback
London, Soho 1981, Februar
Es war in einer Februarnacht in einer dunklen Gasse von Soho, mitten in London. Die Gasse war schmal und lag fernab von den belebteren Straßen des viel besuchten Viertels. Man fühlte sich in dieser Seitenstraße zurückversetzt in die Zeit, als Rimbaud hier lebte.
Severus Snape stand in einem Hauseingang scheinbar lässig an die Wand gelehnt und beobachtete das schäbig wirkende Lokal an der Ecke ihm direkt gegenüber. Es war kalt, sehr kalt. Fröstelnd zog er den Umhang enger um seine Schultern. Missmutig grübelte er und verfluchte seine Entscheidung, sich auf die Seite von Dumbledore geschlagen zu haben. Sein linker Arm schmerzte, als würden sich Dutzende von Nadeln ihren Weg durch die Haut bahnen. Er brauchte nicht nachzuschauen, er wusste, dass das Dunkle Mal auf dem Unterarm in einem tiefen Rot leuchtete. Vor drei Jahren hatte er es unter großen Schmerzen in die Haut und in seine Seele eingebrannt bekommen.
Severus fröstelte. Die feuchte Kälte der Februarnacht kroch in seine Glieder. Er war schon seit frühester Jugend eher ein zarter Junge gewesen, hager und blass, leicht kränklich vom Aussehen. Jetzt sollte er eigentlich im warmen Lokal sitzen und sich eine der Reden Voldemorts anhören, aber stattdessen stand er in der Kälte und lief Gefahr sich einen Schnupfen zu holen. Aber er war nicht wegen Voldemort hier, sondern wegen eines seiner Gefolgsleute.
Ohne den Eingang aus den Augen zu lassen, suchte Severus in seinem Umhang nach einem Taschentuch. Wie hatte er sich nur überreden lassen können, die Seiten zu wechseln. Aber schon bevor er den Gedanken zu Ende gebracht hatte, verwarf er auch schon wieder das Bedauern, das sich seiner bemächtigen wollte. Nein, sein Verstand sagte ihm, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Eine Bewegung im Schatten auf der gegenüberliegenden Seite ließ ihn in seiner Bewegung erstarren. Snape drückte sich weiter in den Schatten des Hauseinganges und lauschte in die Nacht. Der Schatten bewegte sich auf das Lokal zu. Geschickt suchte er Deckung und verbarg sich vor den fahlen Lichtkegeln der Straßenlaternen. Ein zweiter Schatten gesellte sich zum ersten. Die beiden Gestalten flüsterten eine Zeit lang miteinander. Schließlich packte die zweite die erste am Oberarm und riss sie zurück.
Severus machte sich noch schmaler, als er es ohnehin schon war. Er schien mit der Wand buchstäblich zu verschmelzen. Seine Augen hatten sich schon lange an die Dunkelheit gewöhnt. Er sah, wie der erste Schatten sich verärgert dem Griff des anderen entriss.
Muggel!, dachte Snape verächtlich. Nicht einmal hier können sie sich beherrschen.
Snape hielt nicht viel von Muggeln, aber er war auch nicht davon überzeugt, sie zu töten. Viele bedeutende Zauberer und Hexen waren halbblütig. War der Dunkle Lord selbst nicht auch ein halber Muggel? Snape biss sich auf die Zunge. Selbst jetzt, wo er doch zu den "Guten" gehörte, wagte er nicht, ohne Gewissensbisse schlecht über Voldemort zu denken, geschweige denn zu reden.
Dann stutzte er. Ein verräterisches bläuliches Funkeln erregte seine Aufmerksamkeit. In der Hand der zweiten Gestalt tauchte ein Bündel von Flammen auf, die lustig züngelten und das Gesicht ihres Trägers hell erleuchteten. Snape sah das Gesicht eines jungen farbigen Mannes, den er zu kennen glaubte. Aber sicher war er sich nicht.
Das Licht in der Hand des Mannes ermöglichte ihm, auch einen Blick auf seine Begleitung zu erhaschen. Sie war klein und zierlich. Snape beobachtete, wie die Hand der zierlichen Gestalt die Flammen löschte.
Die Wolken verzogen sich und der halbe Mond kam zum Vorschein. Ein fahler Lichtkegel schob sich die Gasse entlang. Die Tür des schäbigen Pubs öffnete sich und ein gröhlender Muggel tauchte auf der Straße auf. Snape zog sich noch weiter in den Schatten des Häusereingangs zurück. Auch die anderen beiden entschwanden seinen Blicken. Der Muggel zog singend weiter. Vereinzelt hörte Snape das Geräusch sich schließender Fenster.
Als die Luft wieder rein war, suchte er im Dunkeln die gegenüberliegende Ecke ab, aber die beiden Magier waren fort.
"Was machst du hier!", flüsterte jemand neben ihm, ob Mann oder Frau war nicht auszumachen. Snape erschrak und machte eine unkontrollierte Bewegung. Schon fühlte er den Zauberstab des Sprechers an seiner Kehle. Severus schluckte. "Silencio!", hörte er die Stimme sagen. Er kam sich wie ein Anfänger überrumpelt vor.
Er schaute zur Seite und sah auf die kleine Gestalt, die er auf der anderen Seite der Gasse vermutet hatte. Sie war in einem weiten schwarzen Umhang gehüllt. Severus konnte einen Blick auf den dunklen Mantel werfen. Die Kapuze verdeckte ihr Gesicht. Dann hob sie den Kopf.
Severus Kehle wurde trocken. Er sah in helle goldgesprenkelte Augen, wie Bernstein funkelten sie, so klar und feurig. Auch wenn er hätte sprechen können, er hätte nichts herausbekommen.
"Was willst du hier, Todesser! Warum bist du nicht bei den anderen!", flüsterte sie weiter. Snape holte Luft. Es musste ihr doch klar sein, dass er unter dem Silenciozauber nicht reden konnte.
Der Ausdruck in ihren Augen zeigte ihm jedoch deutlich, dass sie keine Antwort erwartete.
Eine Bewegung auf seiner Linken ließ ihn aufhorchen. Die Frau reagierte nicht. Nur einen Wimpernschlag gab sie von sich. Das einzige Zeichen dafür, dass auch sie das Geräusch gehört hatte.
"Rea? Rookwood ist drin. Weißt du schon, wer er ist?", fragte der Mann, in dem Severus leicht den Begleiter seiner Gegnerin erkannte.
"Nein, aber ich kann es mir denken. Er muss von Dumbledore kommen. Es gehen Gerüchte um, er hätte einen Todesser, einen seiner ehemaligen Schüler bekehrt. Ich denke, wir haben den Bekehrten vor uns."
Der andere nickte. Rea wandte ihre Aufmerksamkeit dem Partner zu. Severus fühlte einen zweiten Zauberstab auf sich gerichtet.
"Bleib hier bei ihm, ich hole Rookwood."
Severus schüttelte den Kopf. Das konnte nicht der Ernst dieser zierlichen Person sein. Ihr Partner wollte auch widersprechen, aber ein Blick von ihr brachte ihn zum Schweigen.
"Ich weiß, was ich tue, King. Pass auf unseren Freund hier auf", befahl sie. Severus musste schmunzeln. Sie war ein unorthodoxes Persönchen. Ihr Partner war etwa in seinem Alter und damit wohl fünf Jahre älter als sie, sie müsste verdammt noch mal in der Schule sein und nicht zur nachtschlafender Zeit in einem zwielichtigen Viertel Londons herumgeistern.
Der als King angeredete Mann zog ein säuerliches Gesicht, aber er fügte sich.
Severus beobachtete, wie Rea die Kapuze lüftete und sich den Umhang auszog. Ihm wurde plötzlich warm. Sie trug einen figurbetonten langen Mantel in schwarz. Ihr Haar reichte ihr geflochten noch bis zu Hüfte. Es musste so schwarz sein, wie sein eigenes.
"Rea, ich bitte dich, die Versammlung ist sicher noch nicht vorbei. Und ..."
Ihr Blick brachte King zum Schweigen.
"Sie ist vorbei. Ich spüre schon seit geraumer Zeit nicht mehr die Präsenz Voldemorts."
Spüren?, dachte Severus und seine Aufmerksamkeit nahm zu. Seine Augen suchten ihre. Als hätte sie den Blick bemerkt, wandte sie den Kopf in seine Richtung und lächelte. Severus fühlte wie Schweißtropfen seinen Rücken hinunterliefen. Sie war so jung und wusste offenbar nicht, in welche Gefahr sie sich begeben wollte.
Dann verstaute sie ihren Zauberstab im linken Ärmel und ging.
Severus sah, wie sie das Pub betrat und dann...
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