von Eosphoros
16. Endlich wieder in Hogwarts
London
Remus Lupin hüllte sich in seinen weiten Umhang und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Er konnte es sich nicht leisten, dass man ihn entdeckte. Sicher niemand würde sich wundern, ihn, einen Werwolf, hier zu sehen, dennoch war es ihm lieber, niemand wusste von seinem Hiersein. Die Nokturngasse, wiederholte er im Gedanken immer und immer wieder. Lange war es her, als er sie das letzte Mal aufgesucht hatte.
Alles erinnerte ihn an seinen letzten Besuch in der "Schwarzen Henne", als er mit Lily hier gewesen war. Sie hatten damals die Alte Norna aufgesucht. Lily hatte ihm nie gesagt, was die schwarze Seherin ihr geweissagt hatte, aber Lilys Reaktion war ihm noch lebhaft in Erinnerung. Sie war kreidebleich gewesen, als sie wieder auf der Schwelle zum Schankraum erschienen war. Aber nichts war aus ihr herauszubekommen.
"Es ist nichts. Er wird leben!", hörte er sie sagen, wenn er die Augen schloss. Er sah noch immer ihren ernsten verschlossenen Blick.
Remus schluckte. Er löste sich von der dunklen Hauswand und lenkte seine Schritte im Schutz des nebligen Morgens Richtung "Schwarze Henne". Es hatte fast eine Woche gedauert, bis er herausgefunden hatte, dass Norna noch lebte und noch immer ihrem Handwerk in einem der Hinterzimmer des schäbigen Gasthofes nachging. Das hatte ihn verwundert, denn schließlich hatte sie Voldemort verraten, und der Dunkle Lord pflegte mit Verrätern nicht zimperlich umzugehen. Er hatte erfahren, dass sie ihr Überleben nur dem Zuspruch Lucius Malfoys verdankte. Er schlich weiter und verschwand in einem Seitengang der Nokturngasse und befand sich im Perditionweg.
Remus' Sinne waren wie betäubt, als er die ersten Schritte getan hatte. In seinen Ohren machte sich ein dumpfes Summen breit. Er schüttelte den Kopf. Das Geräusch ließ merklich nach, aber seine Aufmerksamkeit und Konzentration waren dahin. Er zuckte zusammen, als in seiner Nähe eine Tür geöffnet wurde. Scharf sog er die Luft ein. Das Summen war verschwunden. Dann entspannte er sich. Er erkannte den Geruch seines Kontaktes. Eine runzlige Hand tauchte auf und dann erschien ein Greis, der tief gebeugt ging. Mit zahnlosem Lächeln und starren Blick grapschte er nach Remus' Arm und zog in durch den Türspalt.
"Remus Lupin!", keckerte eine schrille Stimme im Dunkel des Raumes. "Du, ich verdamme dich. Du hast mir das angetan. Deinetwegen habe ich den Zorn meines Herrn auf mich geladen."
Remus erschrak. Die Tür hinter ihm klappte und er hörte wie ein Riegel vorgeschoben wurde. Mit einem Hechtsprung war er an der Tür und versuchte sie aufzustemmen, aber nichts geschah, sie blieb verschlossen. Er zog den Zauberstab heraus und flüsterte: "Alohomora!"
Die Tür quietschte nicht einmal. Er murmelte einige Worte und ein kleines Bündel bläulicher Flammen erschien in seiner Hand. Als die azurne Helligkeit ihn umgab, konnte er einen Blick durch den Raum schweifen lassen. Nirgends gab es einen Ausgang, kein Fenster war zusehen. In der hintersten Ecke auf einem Vorsprung, der aus der Wand ragte, saß ein alten Weib. Es machte einen heruntergekommenen Eindruck und lachte noch immer keckernd vor sich hin. "Du bist es, ich kann dich sehen!", rief es dem verwirrten Remus zu.
Er trat näher. Der Lichtschein seines kleinen blauen Feuers erhellte das Gesicht der alten Frau. Remus schluckte leer. Er schloss die Hand, das Feuer erlosch. Die Alte war blind, weiße, kalte, ja tote Augen hatten durch ihn hindurch gestarrt.
"Ja, ich bin blind, durch dich, du hast mir das angetan. Nie wirst du hier herauskommen!", polterte die Alte mit krächzender Stimme.
Remus lauschte, er kannte die Frau. Wie ein Blitz durchzuckte es ihn, tonlos formten seine Lippen nur ein Wort...
"Ich bin es, du hast Recht, Lupin. Ich bin die Alte Norna. Du erinnerst dich, ich spüre es."
Remus fluchte verhalten, rannte zum Ausgang und rammte mit aller Gewalt seine Hand gegen die Tür.
"Du kommst hier nicht raus!", rief sie mit singender Stimme, die vor Spott triefte. Er ignorierte den Zynismus der Alten. Er war gefangen, das war alles, woran er denken konnte.
Ein paar Stunden später
Rea Lupin saß in der obersten Etage Lilienwood Manors auf dem Treppengeländer. Sie hatte die Beine im Schneidersitz, ihre Hände lagen locker auf den Knien und ihr Atem ging flach. Sie meditierte.
Ginny stand im Flur auf ihrem gepackten Schrankkoffer und starrte nach oben. Das Mädchen hatte ihre neue Lehrerin in Verteidigung gegen die dunklen Künste das erste mal am Tag, als Remus verschwunden war, so dasitzen sehen und sich mehr als nur erschreckt. Molly hatte sofort mit Rea ein ernstes Wort gesprochen, aber es hatte nichts gebracht. Rea war eine merkwürdige Person. Sie hatte ihren eigenen Kopf, was sicherlich nicht falsch war, aber sie hatte eine Art an sich, die vor allem der resoluten Molly Weasley die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
Rea hatte sich mit einer Engelsgeduld und leichtem höflichen Lächeln den Einwand angehört. Dann hatte sie den Anschein erweckt, für einen Augenblick zu überlegen, und schließlich mit ruhiger, fast hypnotisierender Stimme geäußert: "Molly, meine Liebe, deine Tochter weiß nun, dass ich nicht die Absicht habe mich hinunterzustürzen. Es besteht kein Grund für mich, meine täglichen Meditationen an einem anderen Ort abzuhalten. Ginny weiß Bescheid und das ist gut. Du verstehst?"
Dann war sie gegangen und hatte eine perplexe Molly Weasley im Flur stehen lassen.
Ginny verrenkte sich fast den Hals. Sie hörte Ron eher, als dass sie ihn sah, und fragte mit lauten Schluckgeräuschen zwischen den Worten: "Warum macht sie das da oben? Hier unten ist doch Platz genug. Ich finde sie merkwürdig. Du nicht auch?"
Ginny senkte den Kopf, sprang vom Koffer und fuhr sich massierend über den leicht steifen Nacken.
"Redest du nicht mehr mit mir? Oder was ist los!", fuhr sie ihren Bruder an, der wie paralysiert auf die reglose Gestalt auf dem Geländer starrte. Ginny gab es auf. Seit diese Frau hier war, benahmen sich einige, vor allem ihr Bruder, sehr merkwürdig. Sie war froh, dass Snape vor ein paar Tagen abgereist war, denn auch er hatte sich anders benommen, als man es von ihm gewohnt war. Die Fünftklässlerin schüttelte den Kopf. Das konnte sie nicht begreifen. Vor allem wollte es ihr nicht in Kopf, dass Sie ordnete ihre Muggelkleidung und überprüfte noch einmal, ob ihre Sachen vollständig waren.
"Habt ihr alles? Auch nichts in den Zimmern vergessen? Artemis wird es euch sicher nachschicken, aber das ist ja nicht unbedingt notwendig. Wir müssen uns beeilen, wir werden von Moody und Arthur in einer Viertelstunde im Tropfenden Kessel erwartet", drang Mollys Stimme aus der ersten Etage, wo Hermine und Harry noch damit beschäftigt waren, die letzten Bücher und Kleidungstücke in Harrys Schrankkoffer zu verstauen.
Schließlich kamen die beiden mit ihren Koffern, Tieren und Besen herunter. Molly folgte ihnen zusammen mit Artemis. Die ältere der beiden Frauen wirkte sehr ruhig und verschlossen. Sie nickte nur und ließ Molly fröhlich vor sich her plappern.
"Es war schön mal wieder hier gewesen zu sein, Artemis. Es hat sich fast nichts verändert. Bil wird sicher gleich hier sein, er wollte mit dem Gepäck in den Tropfenden Kessel apparieren."
Artemis lächelte höflich. Ihr Blick blieb auf Harry haften und wurde weich. "Harry? Komm doch bitte noch für einen Augenblick mit in den Salon, solange Bill noch nicht hier ist, möchte ich einen Augenblick mit dir reden."
Harry folgte seiner Tante mit einem Achselzucken und war doch etwas verwundert, als die Tante die Tür schloss. Sanft schob sie ihn auf einen der Sessel zu und bat ihn, sich zu setzen.
"Harry, mein Junge", begann sie mit leiser Stimme, die voller Schwermut war. "Ich hab es sehr genossen, dass du hier warst. Es tut mir sehr Leid, dass es vorher weder eine Möglichkeit noch einen Grund gab, dass ich dich hier bei mir haben konnte. Weißt du", sie schritt an den kalten Kamin und legte eine Hand auf den Sims, "als du hier ankamst, habe ich deinen Vater in dich gesehen. Wie es den meisten Menschen geht, die dich kennen lernen, sah ich nur ihn, nicht aber dich. Du und er, ihr zwei seid sehr unterschiedlich. Du wuchst unter wenig angenehmen Verhältnissen auf, während dein Vater der verhätschelte Sohn einer alten Familie war. Du hättest es mit Sicherheit leichter haben können, aber es ist gut so, dass dem nicht so war."
Harry schluckte. Ein heftige Bemerkung lag ihm auf den Lippen, aber er schluckte sie herunter. Er wollte seine Tante erst ausreden lassen.
"Ich weiß, das klingt sehr hart. Das Leben bei den Dursleys, ... oje die Dursleys, reden wir lieber nicht darüber. Verzeih, dass wir, Albus und ich es dir antun mussten und auch wieder antun werden."
Sie warf einen Blick auf Harry, der auf der äußersten Kante des Sessels saß. Die Hände hatte er gefaltet und den Blick gesenkt. Seine Fingerknochen traten weiß hervor, so sehr presste er die Finger aneinander. Artemis erschrak leicht.
"Harry, geht es dir nicht gut?" Sie eilte auf ihn zu und kniete neben dem Sessel nieder.
Harry räusperte sich und antwortete sehr ruhig, fast schon zu ruhig: "Es ist eigenartig, Tante Artemis, ich hab mich bis eben hier sehr wohl gefühlt. Bis eben hab ich Lilienwood Manor als ein mögliches Zuhause angesehen und dich als eine Tante, die ich lieben kann. Ich hatte sogar schon damit begonnen, dich sehr gern zu haben. Wieso musstest du mir sagen, dass du meinen Vater in mich gesehen hast. Wieso musstest du ihn erwähnen. Genau wie Sirius, Sirius hat auch immer mich als kleine Ausgabe meines Vaters gesehen. Aber ich bin nicht er. Ich bin nicht er. Ich quäle keine wehrlosen. Ich quäle niemanden der unter mir steht. Mein Vater tat es, oder willst du das leugnen? Ich weiß, was er Severus Snape angetan hat und ich weiß auch, dass Snape mich wegen meines Vaters hasst. Auch er sieht mich in ihm. Einzig Remus...", Harry verstummte. Er sah den schmerzlichen Ausdruck in den Augen seiner Tante und er fühlte Mitleid mit ihr.
"Entschuldige, Tante Artemis. Ich bin zu weit gegangen. Ich fühle mich nur so allein", wie von selbst kamen die Worte über seine Lippen. Verstohlen wischte er sich eine Träne von der Wange.
"Ich weiß mein Junge. Ich weiß. Ich kann dir nicht versprechen, dass es anders werden wird. Nur eines kann ich dir versichern. Wenn du jemanden brauchst, dann werde ich da sein. Sirius ist ... nun er ist nicht mehr da. Aber dennoch hast du Menschen, die sich um dich kümmern und sorgen werden. Schick einfach Hedwig zu mir, und ich werde dir helfen."
Sie hatte Harrys harten Worte bereits vergessen. Sie wusste, dass er sich hier bei ihr wohlgefühlt hatte. Artemis liebte diesen Jungen und machte sich, seit sie ihn kannte die bittersten Vorwürfe, ihn nicht zu einem früheren Zeitpunkt zu sich geholt zu haben. Sie kannte die Notwendigkeit, die dahinter stand, dass er jedes Jahr wenigstens ein paar Wochen bei der Schwester seiner Mutter verbringen musste. Es gab eben Regeln und Vorschriften, die auch der beste Zauberer nicht außer Acht lassen durfte, wenn seine Magie von Nutzen sein sollte.
Es wurde heftig an die Tür geklopft und die schrille Stimme von Molly Weasley drang durch das dicke Holz: "Bill ist da, wir können los, Harry, Artemis, wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir zu spät."
Artemis erhob sich und bat Harry, noch einen Augenblick zu warten. Sie umrundete den Schreibtisch und zog eine der Laden auf. Dann griff sie hinein und ein Stein am Kaminsims schob sich einige Zentimeter hervor. Harry staunte. Er wusste, dass Lilienwood Manor voller Geheimnisse steckte. Es war ihm sehr schwer gefallen, seine Neugierde zu zähmen und seinem Versprechen treu zu bleiben.
Der Stein entpuppte sich als hohles Schubfach aus dem Artemis ein Buch herausnahm, das keinen spektakulären Eindruck auf ihn machte. Mit verschwörerischem Lächeln gab sie es ihm, holte ihren Zauberstab heraus und deutete auf das Buch: "Godrici nomen tranformat!"
Das Buch veränderte sich. Es wurde größer und schwerer. Als es den Umfang eines Teils der Geschichte von Hogwarts hatte, hörte es auf zu wachsen.
"Das Harry ist die Geschichte deiner Familie. Einen Bruchteil über die Lilienwoods und den Seitenzweig der Potters hast du schon erfahren und entdeckt, hierin jedoch steht alles was du wissen musst. Hierin stehen die Antworten auf deine Fragen, die weder Albus noch ich oder irgendwer sonst beantworten kann."
Harry stutzte und starrte auf das Buch. Artemis schwang den Stab erneut und murmelte: "Deletare!" Das Werk in Harrys Händen schrumpfte und sah wieder so nichts sagend und unscheinbar wie zuvor aus.
"Tante Artemis? Sind wir mit Godric Gryffindor verwandt?", fragte Harry unverblümt, ohne seine Augen vom Buch zulassen. Er erinnerte sich daran, es schon einmal gesehen zu haben. Dieses Buch hatte Hermine gefunden, kurz bevor Ron nach Lilienwood gekommen war.
"Nein, Harry, das sind wir nicht. Godric ist nicht von unserem Blut gewesen. Er war ein gewaltiger Zauberer, aber kein einziger Tropfen Lilienwoodschen Blutes floss durch seine Adern. Er blieb ohne leibliche Erben. Seine Linie,..."
Unsanft wurde sie von Molly unterbrochen, die nun den Kopf durch einen Türspalt streckte und ein heiteres "Wir kommen zu spät" flötete.
"Du wirst es lesen, glaub mir. Und nun geh. Schreib mir aus Hogwarts, Harry, und sei vorsichtig. Etwas liegt in der Luft. Remus spürte es und ein Mann wie er irrt sich nicht."
Harry steckte das Büchlein in seine Hosentasche. Er drückte seine Tante und folgte der lauten Stimme Molly Weasleys zum Transportkamin von dem aus sie schon einmal in die Winkelgasse gereist waren. Er fragte sich, wie sie von der Winkelgasse nach Kings Cross kommen sollten.
"Bill ist mit dem Gepäck schon los. Wir müssen uns beeilen, der Zug fährt in einer halben Stunde, nun aber Tempo."
Artemis nahm Ginny, Ron, Hermine und Harry nach einander in ihre Arme und gab jedem einen Kuss auf die Stirn. Molly drückte ihrerseits die Tante an ihren ausladenden Busen und scheuchte dann Ron in den Kamin mit der Aufforderung, er solle laut und vernehmlich Kings Cross London sagen. Ron verschwand, wie nach ihm Hermine und Ginny. Schließlich warf Harry noch einen wehmütigen Blick auf seine Tante. In seinen Augen stand eine stumme Entschuldigung für das, was er ihr an den Kopf geworfen hatte. Als er sich schon umwenden und in den Kamin treten wollte, nahm in einem Landschaftsbild, das dem Kamin gegenüber hing, eine Gestalt wahr, die heftig winkte. Harry musste schmunzeln, es war sein Ururgroßvater, Edward Lilienwood, der so von ihm Abschied nahm. Harry trat in den Kamin, rief laut "Kings Cross London", warf das Flohpulver und fühlte wieder dieses unangenehme Kribbeln in der Nase. Er würde sich nie daran gewöhnen, so zu reisen.
Harry fand sich in einem alten Kamin wieder, der jahrzehntelang kein Feuer mehr gesehen hatte. Er rappelte sich auf und dachte bei sich: Nicht schon wieder die falsche Adresse. Harrys Sorge war jedoch unbegründet. Er hörte deutlich Rons und Bills Stimme aus dem Nebenraum. Gedankenverloren klopfte er den Ruß von seinen Sachen und trat gerade rechtzeitig aus dem Kamin heraus, denn mit einen rasselnden Geräusch erschien Molly Weasley.
"Ach herrije schon so spät. Harry Schätzchen, wir müssen uns beeilen."
Sanft aber mit Nachdruck scheuchte sie ihn in den Nebenraum.
"Kings Cross ist gleich nebenan. Das beste wird sein, wir gehen nach und nach. Das fällt am Wenigsten auf. Wenn ich nur wüsste, wo euer Vater bleibt."
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