von käfer
Die Zensurenkonferenz endete wie üblich mit Teetrinken und Plaudereien. Severus Snape sah in die Runde. Es wurde wirklich langsam Zeit, aufzuhören. Er war mit Abstand der Älteste im Lehrerkollegium, keiner von denen, die nach der Vernichtung von Voldemort mit ihm gemeinsam hier angefangen hatten, wieder Hexen und Zauberer zu unterrichten, arbeitete noch. Und von seinen allerersten Schülern kamen nun schon die Enkel nach Hogwarts…
Elly war schnell damit einverstanden gewesen, als er den Wunsch geäußert hatte, in den Ruhestand zu gehen. Nur hatten sie sich immer noch nicht dazu durchringen können, wirklich aufzuhören und die Kündigung hinausgeschoben.
„Severus, komm, die Lottozahlen sind gleich dran!“ – „Ach, herrje, ich habe die Kündigung noch gar nicht geschrieben!“ – „Macht nichts, ich war ja auch noch nicht im Reisebüro.“ Sie kicherte, er grinste und holte zwei Gläser und eine Flasche Butterbier, goss ein und setzte sich zu Elly auf die Couch. „Wir werden unsere Weltreisen auch weiterhin nur mit dem Finger auf der Landkarte machen“, sagte er, während sie auf der Fernbedienung herumdrückte.
Endlich hatte Elly den richtigen Sender gefunden, zwei Zahlen waren schon gezogen worden, die 7 und die 13. Elly und Severus schauten sich an und lachten. Zum allerersten Mal im Leben Lotto gespielt und gleich zwei Richtige! Nein, drei – die 17 hatten sie auch. Jetzt wurde es spannend.
„Und als vierte Zahl wurde die 33 gezogen“, sagte die Sprecherin mit nüchterner, sachlicher Stimme. Severus verschluckte sich fast an seinem Bier. „Die fünfte Gewinnzahl lautet 42.“ Elly stieß einen Schrei aus, Severus saß da und starrte den Bildschirm an. „Die sechste und letzte Kugel trägt die - Drei.“ Das durfte doch nicht wahr sein – ein Sechser!
Sie lachten und stießen mit dem Rest Bier an.
„… Ich wiederhole die Zahlen in geordneter Reihenfolge: 3, 7, 13, 17, 33, 42, Zusatzzahl 49.“
Elly rutschte das Glas aus der Hand. Sie flüsterte: „Sechser mit Zusatzzahl. Jetzt sind wir reich.“ „Wieviel ist denn im Jackpot?“, fragte Severus. Sie wussten es beide nicht.
Den Lottoschein hatten sie in einem Anflug von Leichtsinn gekauft, als sie nach einem Frühlingsspaziergang und zwei Gläsern Wein in einem Straßencafé in gehobener Stimmung waren. Einen einzigen Tippschein hatten sie ausgefüllt, nur so zum Spaß abwechselnd die Kreuze auf irgendwelche Zahlen gesetzt und keiner von beiden hatte daran geglaubt, dass sie auch nur eine einzige Zahl richtig hätten. Und jetzt – ein Volltreffer!
Einige Tage später hatten sie Gewissheit: Sie waren die einzigen, die diese verrückten Zahlen getippt hatten, die Gewinnsumme belief sich auf 4,3 Millionen Euro. Zwei Wochen später waren alle Formalitäten erledigt und das Geld auf dem Konto.
Professor Frederick Fairbanks jun. sah von seiner Arbeit auf, als der Lehrer für Zaubertränke und die Bibliothekarin miteinander in sein Büro traten. „Wir kündigen zum Schuljahresende“, sagten sie im Duett und jeder hielt dem Direktor einen Briefumschlag hin. Fairbanks hatte schon lange mir einer Kündigung der Snapes gerechnet, trotzdem fragte er: „Warum wollt Ihr mir das antun?“
Severus antwortete: „Es wird Zeit, dass wir Platz machen für Jüngere, für dynamischere Leute mit neuen Methoden. Außerdem wollen wir das Leben noch ein bisschen genießen.“ Fairbanks fragte mit gespielter Verzweiflung: „Und woher nehme ich jetzt einen neuen Tränkemeister?“ - „Irgendwer wird sich schon finden. Schließlich hat die Magische Universität in Cambridge genügend Talente hervorgebracht. Ich könnte Ihnen aus dem Stegreif ein Dutzend Namen von geeigneten Leuten nennen.“ – „Schon gut, schon gut.“ Fairbanks lachte. „Ich gönne Euch ja den Ruhestand, und über einen Mangel an Bewerbern brauche ich mich nicht zu beklagen.“ Er deutete auf einen Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch. „Und was fangt Ihr zwei Arbeitstiere mit der vielen Freizeit an, die Ihr ab dem Sommer haben werdet?“
„Verreisen“, antworteten Elly und Severus wie aus einem Mund.
„Also, Kündigung angenommen. Ich wünsche Euch schon jetzt viel Spaß!“ Fairbanks griff nach den Umschlägen. Im Umdrehen blickte Severus zu der Wand hoch, wo die Porträts der letzten zehn Schulleiter hingen. Pomona Sprout winkte freundlich und Albus Dumbledore zwinkerte mit dem rechten Auge. An der Tür drehte Severus sich noch einmal um: „Ach, Direktor, würden Sie die Neuigkeiten den Schülern bitte erst am Schuljahresende mitteilen? Ich fürchte, die Freude darüber, dass ich endlich gehe, schadet den Prüfungsergebnissen.“ Fairbanks nickte und lächelte.
Anfang Mai begann die neue Bibliothekarin ihren Dienst, offiziell machte sie ein Praktikum in Hogwarts. Wer die Familie kannte, sah auf den ersten Blick, dass Jenny Haggerton eine Weasley war. Von ihrer Mutter Hermine hatte sie nur das buschige Haar und die Liebe zu Büchern geerbt. Schon damals, als Jenny als kleine Elfjährige an die Schule gekommen war, hatte Severus bemerkt, wie ähnlich sie ihrer Tante Ginny war. Die war die jüngste der ersten Generation von Weasleys gewesen, die Severus unterrichtet hatte. Charly, Bill, Percy der Streber, die Zwillinge Fred und George, immer Flausen im Kopf (Severus hatte sie insgeheim beneidet, weil sie so waren, wie er als Schüler gerne gewesen wäre), dazu Jennys Vater Ron und zuletzt eben Ginny. Sie alle hatten wie er gegen Voldemort gekämpft, alle hatten überlebt, geheiratet und viele neue Weasleys bekommen. Ausnahmslos alle waren nach Hogwarts gekommen und Gryffindor-Schüler geworden. Und nächstes Jahr würde schon der älteste Enkel von Bill und Fleur Weasley die magische Ausbildung beginnen. Auch wenn aller guten Dinge drei waren – noch eine Generation der lebhaften Weasley-Sippe würde Snape nicht unterrichten.
Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Er nahm die Klassenarbeiten der Siebtklässler vom Tisch und ging ins Tränkelabor.
„Ihre letzten Klassenarbeiten lassen hoffen, dass Sie alle die Prüfungen ganz gut bestehen. Uns bleibt jetzt nur noch ein Kapitel im Lehrplan übrig, das wir aber nur in der Theorie abarbeiten werden und auch nur so, dass Sie die entsprechenden Prüfungsfragen beantworten können, falls so etwas drankommt. Das Thema `Liebestränke` (das Wort erschien an der Tafel) wäre, wenn es nach mir ginge, längst aus dem Lehrplan gestrichen und auf die Liste der Schwarzmagischen Gebräue gesetzt worden.“ – „Warum das denn, Sir?“
Charlotte Macmillan hatte wie üblich erst gefragt und dann die Hand gehoben. Severus betrachtete das Mädchen. Er hatte auch ihre Eltern schon unterrichtet; Charlotte hatte rein äußerlich von beiden das unvorteilhafteste geerbt: blasse Lippen, fleckige Haut, Knubbelnase, Glubschaugen, dünnes, fransiges, stumpfes Blondhaar. Kein Wunder, dass keiner der Jungs ihr nachschaute oder gar mit ihr gehen wollte. Aber Charlotte war pfiffig, sie dachte mit, und sie war eine der wenigen Schülerinnen mit einem natürlichen Talent für die Zaubertrankbrauerei. Severus überlegte eine Weile, wie er das, was er ´rüberbringen wollte, in verständliche Worte und wenige Sätze packen konnte. „Nun, wahre Liebe beruht ja immer auf Gegenseitigkeit. Wenn zwei Menschen sich wirklich mögen, sind irgendwelche … Hilfsmittel… überflüssig. Liebestränke erzeugen nur ein Gefühl der Liebe, nicht aber die Liebe selbst. Sie machen blind für die Wirklichkeit, unselbständig, hörig und was noch alles. Wenn die Wirkung des Trankes nachlässt, ist die Ernüchterung um so größer.
Meiner Meinung nach sind Liebestränke vollkommen überflüssig und sogar gefährlich. Ihre Anwendung hat in der Vergangenheit schon die schlimmsten Dinge verursacht.“
Eine Hand ganz hinten flog hoch. „Bitte, Mr. Carmichael?“ – “Wirklich? Was waren das für schreckliche Dinge?“
Snape runzelte die Brauen. „Haben Sie in Geschichte der Zauberei nichts über Voldemort gehört?“ – „Doch, natürlich. Aber was hat das mit Liebestränken zu tun?“
„Normalerweise erzähle ich in meinem Unterricht keine Geschichten. Diesmal will ich eine Ausnahme machen, auch auf die Gefahr hin, dass die Stunde dann um ist.“ Snape setzte sich auf die Ecke des Lehrerpults und begann von den letzten Nachfahren Slytherins zu erzählen, von Merope Gaunt und ihrer Schwärmerei für Tom Riddle sen., von den ersten Lebensjahren des verstoßenen Tom Riddle jun., kurz, von allem, was Albus Dumbledore damals herausgefunden und aufgeschrieben hatte… Er endete mit den Worten: „Man darf eines nicht vergessen: So etwas kann jederzeit wieder passieren.“
Die atemlose Stille, die während Severus´ Rede geherrscht hatte, hielt noch an, lange nachdem er geendet hatte. Die Stunde war tatsächlich fast um, Snape setzte sich auf den Stuhl und schrieb etwas ins Klassenbuch, das war für gewöhnlich das Zeichen zum Zusammenpacken. Nur zögernd rührten sich die Schüler; eine schüchterne Stimme fragte: „Sir, woher wissen sie das alles?“ Snape fühlte seinen Magen absacken. Sollte er jetzt etwa…? Nein, er konnte die Wahrheit sagen, ohne seine eigene Vergangenheit zu erwähnen und noch mehr unangenehme Fragen zu provozieren. „Mein Großonkel hat vieles miterlebt, den Rest erforscht und alles aufgeschrieben.“
Die Schulglocke erlöste Severus; heftig diskutierend verließen die Schüler den Klassenraum.
In den folgenden Nächten wurde Snape von Alpträumen geplagt; Erinnerungen tauchten in seinem Hirn auf, die er längst verdrängt und vergessen geglaubt hatte. Elly leistete Schwerstarbeit, um ihn wieder in die Gegenwart zu holen.
Schließlich waren auch die letzten Tage des Schuljahres vergangen, alle Prüfungen geschrieben, die Sachen gepackt. Mit etwas Wehmut im Herzen machte Snape sich für das Abschlussfest bereit, Fast sein ganzes Leben hatte er in Hogwarts verbracht; einmal schon war er gegangen und hatte nie mehr zurückkehren wollen, doch jetzt war sein Abgang wirklich endgültig. Elly und Severus hatten Professor Fairbanks gebeten, auf die übliche Rede zur Verabschiedung zu verzichten, er sollte einfach nur die Tatsache erwähnen und aus.
Ein lautes Raunen erhob sich in der Großen Halle, als der Direktor nach den Siebtklässlern den Lehrer für Zaubertränke und die Bibliothekarin verabschiedete, jedoch waren kaum jubelnde Gesichter zu sehen.
Jenny Haggerton wurde offiziell als neue Bibliothekarin vorgestellt, die Zaubertränke würde Lilly Potter übernehmen. Für Severus war das keine Überraschung, Lilly war die begabteste Schülerin gewesen, die er je hatte.
Die Enkelin seines ehemals schlimmsten Feindes übernahm sein Fach und Severus Snape freute sich darüber - der Groll gegen alles, was Potter hieß, war längst vergessen.
Am anderen Morgen fand die große Verabschiedung statt, dann ding Severus ein letztes Mal an Albus Dumbledores Grab.
Im Hogwarts-Express fuhren Elly und Severus nach London. Der Zug hatte sie einst zum ersten Mal in die Schule gebracht, nun würde er sie zum letzten Mal von dort wegbringen.
Niemand wunderte sich darüber, dass auf dem Vorplatz des Londoner Flughafens ein älteres Ehepaar in legerer Kleidung aus dem Nichts erschien und ein paar Koffer daneben plumpsten. Keinem fiel auf, das das Gepäck vor den beiden her in die Halle schwebte.
Nur Tim Barnes, Sicherheitszauberer-Lehrling im zweiten Lehrjahr, fragte sich, warum sein ehemaliger Zaubertränkelehrer und seine Frau in ein Flugzeug nach Paris stiegen…
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