von käfer
Etwas müde, aber mit sich und der Welt voll und ganz zufrieden, ging Severus am frühen Dienstagmorgen in seine Wohnung, um sich frisch zu machen. Irgendetwas darin war anders als sonst. Er vermochte nicht zu sagen, was es war, aber etwas war anders. Er sah sich um, alles war aufgeräumt und befand sich an seinem Platz, auch im Badezimmer. War das die berühmte rosa-rote Brille oder litt Severus jetzt an Verfolgungswahn?
Seine Kleidung war ordentlich aufgehängt, ein frisches Hemd lag bereit. Da entdeckte er den Brief auf dem Nachttisch. Die Handschrift auf dem Umschlag war ihm unbekannt.
Severus öffnete das Kuvert. Ein liniiertes Blatt kam zum Vorschein, in Grundschüler-Schönschrift beschrieben. Die Unterschrift verblüffte Snape: „Ph. Kirby“.
In einfachen, kurzen Sätzen, aber mit ganzen zwei Rechtschreibefehlern im Text teilte Kirby ihm mit, dass er gezwungen gewesen sei, einigen Hauselfen andere Arbeit zuzuteilen. Willy wäre ab sofort der persönliche Diener von George Bligh; für Snape würde Sissy dasein. Und Kirby wolle im Laufe des Tages mit Snape sprechen.
Na, so was aber auch. Es schien, als hätte Severus den Hausmeister unterschätzt.
Probehalber schnippte Severus mit dem Finger und rief Sissy herbei. Auf der Stelle erschien die Hauselfe, das blitzsaubere Hogwarts-Geschirrtuch in ordentliche Falten gelegt, und verbeugte sich zitternd. „Master Snape hat gerufen? Sissy ist ab jetzt die Dienerin für Master Snape. Sissy fühlt sich sehr geehrt, Sir. Hat Sissy alles richtig aufgeräumt, Master Snape?“
Severus amüsierte sich ein bisschen über Sissys Eifer. „Ja, ja, war alles richtig. Nach der ersten Stunde bringst du mir die Zeitung ins Büro und legst sie auf den Schreibtisch. Putzen und aufräumen kannst du, wenn ich nicht da bin, und das Geheime Tränkelabor ist für alle tabu, also auch für dich! Soweit klar?“
Sissy verbeugte sich erneut. „Ja, Master Snape. Willy hat Sissy alles erklärt, damit Sissy alles so macht, wie Master Snape es haben will.“
Snape verspüre nicht die geringste Lust, wieder jede Kleinigkeit dreimal zu erklären. Es hatte seinerzeit mindestens ein Jahr gedauert, ehe Willy begriffen hatte, was er seinem Meister wann wohin zu bringen hatte. Mal sehen, wie diese Sissy sich anstellte. Warum eigentlich musste er es ausbaden, dass Bligh seinen Hauselfen spionieren ließ? Die ganze Küche war voller Hauselfen, die nur zu gern den Job gewechselt hätten; Kirby hätte doch ebenso eine von denen zu Bligh schicken können. Severus wollte sich nicht den schönen Morgen verderben lassen, beschloss aber, Kirby möglichst noch vor der ersten Stunde aufzusuchen.
George Bligh war so schlecht gelaunt und wütend, dass er jede Höflichkeit vergaß und bei Snapes Erscheinen sofort lospolterte: „Snape, was war das denn gestern für eine blödsinnige Aktion? Wieso muss ich dieses - dieses Mistvieh von einem Hauselfen ertragen? Können Sie mir das vielleicht einmal erklären? Was bilden Sie sich eigentlich ein!? Was denken Sie, wer Sie sind?! Ein Wort von mir und Sie fliegen raus hier, aber achtkantig!!!“
Snape fiel es schwer, gelassen stehen zu bleiben und sich die Tirade mit unbewegter Miene anzuhören. Er hatte nicht übel Lust, Bligh eine Runde tanzen zu lassen, aber er beherrschte sich. Im Hintergrund nahm er drei Slytherin-Schülerinnen wahr, die stehengeblieben waren und die Szene beobachteten. Das half ihm, ruhig zu bleiben. Als Bligh nun nach Luft schnappte, sagte Severus so laut und deutlich, dass es gut hörbar war, aber noch gelassen klang: „Guten Morgen, Professor Bligh. Wenn Sie Beschwerden über die Verteilung der Hauselfen haben, wenden Sie sich bitte an den Hausmeister. Ich bin dafür nicht zuständig. Einen schönen Tag noch.“
Er lächelte der eben ankommenden Victoria Vector zu und ging frühstücken. Elly saß schon auf ihrem Platz neben Kirby. Ein Anflug von Eifersucht rauschte durch Snape hindurch und verfinsterte für einen Augenblick sein Gesicht, musste aber sofort daraus verschwinden, als Elly ihm zuzwinkerte. Warum musste heute Dienstag sein? Sonntag wäre ihm viel lieber gewesen…
Beim Aufstehen nickte Kirby ihm zu. Das sollte wohl heißen, dass er auf Snape warten würde. Severus sah auf die Uhr. Es war noch relativ früh, wenn Kirby nicht allzu lange faselte, käme er nicht mal in Zeitnot.
Der Hausmeister redete wirklich nicht lange. Mit den für ihn typischen kurzen Sätzen erklärte er, dass Willy schon mehrfach berichtet hätte, dass Benny hinter Severus und Elly herspioniere. Einen solchen Befehl durfte aber ein Lehrer seinem Diener nicht geben, das sei in der Schulordnung verankert. Und genau diesen Abschnitt hätte Kirby sich am Wochenende zum Lesen üben vorgenommen. Severus wurde es etwas ungemütlich unter dem Umhang. An diese Abschnitte der Schulordnung konnte er sich nicht erinnern, er hatte sie seinerzeit zwar durchgelesen, aber als unwichtig gleich wieder vergessen. Allerdings würde er nicht einmal Willy so weit trauen, dass er ihn kundschaften geschickt hätte. So ein treues Seelchen Willy auch war, er war nur ein Hauself.
Kirby bat Severus um Verständnis für seine Maßnahmen und versprach, dass er Willy im nächsten Schuljahr zurückbekommen würde.
Auf seinem Schreibtisch im Büro fand Severus noch den Tagespropheten vom Vortag. Den Artikel über die Northern Witches School würde er in seiner Freistunde in aller Ruhe lesen. Jetzt waren erst einmal die Viertklässler mit dem Schwebezaubertrank dran. Da war vollste Konzentration gefragt; die Hufflepuffs aus diesem Jahrgang hatten immer noch nicht kapiert, dass die Herstellung von Zaubertränken kein Kochkurs war.
Zwei Briefe erhielt Severus an diesem Tag. Einer kam von Bessy, einer von Ralph Miller, dem Leiter der „Forschungsgruppe Wolfsbiss“. Severus schloss sich in seinem Büro ein und las erst den Artikel im gestrigen Tagespropheten, dann den Brief von Bessy und öffnete zuletzt den von Miller. Er enthielt nur ein paar Zeilen mit der Einladung zum letzten Treffen der Forschungsgruppe. Zum „letzten“ Treffen? Severus schüttelte den Kopf, schrieb unter den Brief: „Wollen Sie wirklich aufgeben? Es gibt noch mehr Möglichkeiten!“
Bessy hatte durch einen Zufall (sie hatte sich eine Strafarbeit eingefangen und musste Pokale putzen; das Traditionszimmer war vom Büro der Schulleiterin nur durch eine dünne Wand getrennt) den Disput zwischen ihrer Schulleiterin und Dolores Umbridge mit angehört. Umbridge hatte Mrs. Goldfish provoziert. Sie hatte sich die Besetzungspläne für das kommende Schuljahr zeigen lassen – die waren natürlich unvollständig, weil ja die Tränkemeisterin immer noch fehlte und ein Fach „Handarbeiten“ gar nicht vorgesehen war, welches statt „Verteidigung gegen die dunklen Künste“ unterrichtet werden sollte. Dann hatte Umbridge sich verschiedene Klassenbücher und Schülerarbeiten zeigen lassen und an allem herumgemäkelt und schließlich eine ganze Litanei von unsinnigen Veränderungen aufgezählt, die unbedingt eingeführt werden sollten. Mrs. Goldfish hatte lange Widerstand geleistet, schließlich aber doch die Nerven verloren und gesagt „Mir reicht es, ich kündige.“
Umbridges „Die Kündigung nehme ich dankend an“ muss so triumphierend geklungen haben, dass Bessy Gänsehaut bekommen hatte.
Wenn Umbridge sich im Norden festsetzte, konnte sie kaum noch in Hogwarts aufkreuzen, oder? Allerdings – der alten Kuh war doch alles zuzutrauen. Handarbeiten statt Verteidigung, Hilfe, Hilfe!
Da hatte Severus einen guten Grund, heute Abend kurz vor Toresschluss in die Bibliothek zu gehen; dieses Problem musste ausführlich besprochen werden.
Am Nachmittag traf er im St. Mungo´s mit Christoph Christophersen und Thomas Astley zusammen. Sie diskutierten über die Einladung, Severus fand in den beiden Heilern Mitstreiter, sie wollten auch noch nicht aufgeben.
Gestern Abend im Gespräch mit Elly hatte sich die Idee ergeben, zu untersuchen, was bei der Verwandlung im Körper eines Animagus passiert und dann mit dem Körper eines Werwolfes zu vergleichen. Außerdem - wenn man nur durch den Biss eines Werwolfes selbst zum Werwolf werden konnte – woher war dann der allererste Werwolf gekommen? Welcher Zauber könnte da im Spiel gewesen sein? Und den Kontakt mit einem Genforscher konnte man ja erst mal persönlich und im Geheimen knüpfen, ohne gleich alle Karten aufdecken zu müssen. Die drei Männer schworen einander, weiterzumachen, auch wenn sich die Forschungsgruppe auflösen würde.
Dazu kam es glücklicherweise nicht, wenn auch mehr als die Hälfte der Beteiligten das Handtuch warf und austrat. Die übrigen saßen noch bis weit in die Nacht zusammen und sammelten neue Ideen und Ansatzpunkte. Am Ende stand der Plan für den Anfang einer neuen Versuchsreihe.
Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass es noch ungefähr sieben Jahre dauerte, bis wirklich ein Zauber gefunden wurde, der die Verwandlungen stoppte. Severus Snape arbeitete zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr mit, wenn er sich auch regelmäßig über den Fortgang der Arbeiten informierte. Es hatte sich irgendwann einmal herausgestellt, dass ein fehlgegangener Verwandlungszauber die eigentliche Ursache war. Den Durchbruch erzielte Roger Chapman; er erhielt den Orden des Merlin erster Klasse. Snape ging leer aus, sein Name wurde in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt, auch wenn es ohne sein Drängen keinerlei Forschung in dieser Richtung gegeben hätte.
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