von käfer
Schon öfters hatte Snape das Gefühl gehabt, dass sich Ereignisse in seinem Leben wiederholten. Begebenheiten der letzten Tage weckten Erinnerungen an jenen furchtbaren Tag, an dem ihm Sirius Black entwischte und Peter Pettigrew zu Voldemort zurückehrte. Am Montag hatte er zu vorgerückter Stunde in einem abgelegenen Winkel der Schule zwei Jungen überrascht, die sich über ein großes Stück Pergament beugten. Als sie Snape bemerkten, löschte der eine mit einer hastigen Zauberstabbewegung Linien und Symbole aus, doch Snape hatte genug gesehen, um zu vermuten, dass es sich um eine Karte handelte. Er hatte das Pergament beschlagnahmt und die beiden weggeschickt. Genau wie vor einigen Jahren war es ihm nicht gelungen, dem Pergament sein Geheimnis zu entlocken und er hatte Lupin um Hilfe gebeten. Der hatte die Karte an sich genommen und Snape hatte nichts mehr davon gesehen…
Heute Nacht würde Vollmond sein. Snape hatte den Wolfsbann-Trank vorbereitet, doch der sonst so zuverlässige Remus Lupin war nicht erschienen, um ihn abzuholen – genau wie an jenem unseligen Abend… Und genau wie damals war Snape schließlich zu Lupins Büro gegangen und hatte angeklopft, aber keine Antwort erhalten.
Jetzt stand er mit dem Ohr an der Tür und lauschte, aber kein Geräusch drang heraus. Er klopfte noch einmal. Nichts war zu hören. In der drückenden Stille keimte in Snape die dunkle Vorahnung herannahenden Unheils auf – wie schon einmal. Er drückte die Klinke, die Tür schwang auf. Genau wie damals fand Snape den Raum hell erleuchtet, aber verlassen vor. Es war ein ungeschriebenes Gesetz der Lehrer von Hogwarts, die Bürotür immer zu verschließen, wenn man aus dem Raum ging, selbst wenn man nur Sekunden weg blieb. Unschlüssig blieb Snape eine Weile stehen, dann ging er zum Schreibtisch, um den Becher mit dem Wolfsbann-Trank dort abzustellen und eine Nachricht für Lupin zu hinterlassen. Da sah er die Karte – das Original von James Potter und seinen Gesellen, genau so hatte sie damals auch dagelegen. Snape spürte ein kaltes Kribbeln von unten nach oben über seinen Körper laufen – ein deutliches Alarmsignal. Wo war Remus Lupin? Mit den Augen suchte Snape die Karte ab. Auf der Toilette war Lupin nicht, auch nicht in seinen Privaträumen und nicht auf dem Weg zum Tränkelabor. In der Bibliothek herrschte ein ganz schönes Gewimmel von beschrifteten Punkten, aber so sehr Snape sich auch bemühte, den von Remus Lupin sah er nicht. Systematisch schaute er alle Gänge und Räume durch – nichts. Das Kribbeln verstärkte sich. Da – jetzt hatte er den Punkt entdeckt, der mit „Remus Lupin“ beschriftet war. Er befand sich weit draußen auf dem Schlossgelände und entfernte sich mit ziemlicher Geschwindigkeit vom Schulgebäude, so als ob Lupin rennen würde. Aber wohin rannte er? Wenn Lupin die Richtung beibehielt, würde er in Kürze das offizielle Schulgelände verlassen. Hinter einem Zaun mit Warntafeln befanden sich dann nur noch die Schwefelsümpfe, eine üble Gegend, in der es nichts gab als tückische Morastlöcher, in denen binnen Sekunden alles versank, was hineingeriet. Selbst für den, der die Pfade durchs Moor kannte, konnte es noch gefährlich werden. Aus den Morastlöchern brachen ab und an ohne jede Vorwarnung Wolken giftiger Dämpfe aus und seit geraumer Zeit existierten in den Sümpfen zu einer Art Schlangen mutierte Teufelsschlingen.
Warum rannte Lupin dorthin? Er hatte jetzt die Grenze erreicht, der Punkt verharrte kurz – Lupin kletterte wohl über den Zaun. Da sah Snape mitten im Sumpfgebiet einen zweiten Punkt – Lucy Perkinson. Was ging dort vor? Snape bekam Gänsehaut. Von einem Regal nahm er leere Flasche und füllte den Wolfsbann-Trank hinein. Lupins Besen stand in der Ecke. Snape schwang sich darauf und zischte zum Fenster hinaus, kaum das es offen war. So schnell der alte Sauberwisch Sieben konnte, flog Snape in Richtung der Schwefelsümpfe. Es kam ihm so vor, als käme er überhaupt nicht vom Fleck. Ewig sah er unter sich noch die Gewächshäuser und Beete, dann den dunkelsten Zipfel des Verbotenen Waldes. Endlich konnte er den Schwefel riechen und schließlich sah er auch das riesige Morastgebiet. In der Dunkelheit war es schwierig, irgendetwas zu erkennen; Snape ging tiefer und zog Kreise über dem Gebiet. Da – dort waren schemenhafte Gestalten. Der Schwefelgestank wurde unerträglich, da musste wohl gerade eine Dampfwolke hochgegangen sein. Snape atmete so wenig wie möglich und hielt auf die Gestalten zu. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das Mädchen steckte bis zur Brust in einem Morastloch und schien bewusstlos zu sein. Lupin hing bäuchlings über dem Rand und hielt Lucy mit einem Rettungsgriff umklammert. Seine Beine hatte er um einen dünnen abgestorbenen Baumstamm geklammert. Und um seinen ganzen Körper herum wanden sich mehrere der armdicken mutierten Teufelsschlingen! Schon begannen die Biester, sich zusammenzuziehen, schon lockerte sich Lupins Griff. Snape schloss die Augen, schrie: „Lumos solaris maximus!“, zählte bis drei und rief: „Nox“. Die Teufelsschlingen hatten sich zu Knäueln gewunden und rollten beiseite. „Levicorpus!“ – Snape hatte den Zauberstab exakt auf Lucy gerichtet, aber nichts passierte. Langsam begann das Mädchen, weiter abzurutschen. Lupin lag da wie tot. Snape ließ dicke Seile aus seinem Zauberstab hervorschießen und sich um die reglosen Personen winden. Die anderen Enden band er um den Besenstiel, befahl „Auf, auf!“ Der Besen bog sich bedenklich durch, eine Ewigkeit schien es, als würde sich nichts rühren. Die Teufelsschlingen hatten sich von dem Licht- und Hitzeschock schon wieder erholt und schlängelten sich auf Lupin zu. Da endlich bewegte sich der Besen nach oben, langsam hob sich Lupins Körper vom Boden und schließlich kam auch Lucy aus dem Schlammloch frei, gerade noch rechtzeitig, bevor sich eine Teufelsschlinge ganz um ihren Fuß winden konnte. Snape flog aufs Schulgelände zurück, landete vorsichtig auf der nächstbesten Lichtung und setzte einen Medi-Magier-Notruf ab. Dann rief er Tragen und Decken herbei und versuchte, Remus Lupin wieder wach zu bekommen, um ihm den Wolfsbann-Trank einzuflößen. Es konnten kaum mehr als ein paar Minuten sein, dann würde der Mond wirklich voll sein und Lupin müsste sich verwandeln… Doch alle Bemühungen waren vergeblich – Lupin kam nicht zu sich. Snape schloss die Augen und versuchte, sich daran zu erinnern, was er im Erste-Hilfe-Lehrgang über den Umgang mit Bewusstlosen gehört hatte. Ach richtig, Stabile Seitenlage und Kopf überstrecken. Mühsam wälzte er erst Lupin herum, dann das Mädchen. Aus Lupins Mund lief Blut. Snape tastete nach dem Puls, Gott sei Dank schlug das Herz noch.
Plötzlich machte es mehrmals „Plopp“ auf der Lichtung und es wurde taghell. Das Notfall-Team war angekommen. Der Chef stellte sich vor: „Jim Brown, Notfall-Team zwo B, was liegt an?“ Snape wies auf die beiden Verletzten, um die sich in dem Moment bereits je zwei Leute kümmerten. „Sie stak in den Schwefelsümpfen im Morast, er war von mutierten Teufelsschlingen gefangen.“ – „Was hatten die um die Zeit in den Sümpfen zu suchen? Und Sie selber? Was haben Sie dort gemacht? Wissen Sie denn nicht, dass es schon am Tag lebensgefährlich ist, in die Schwefelsümpfe zu gehen? Wozu stehen die Warnschilder da? Könnt ihr nicht lesen, oder…“ Ärgerlich unterbrach Snape den Redeschwall: „Das können Sie später klären, falls es wichtig ist. Jetzt sollten Sie sich erst mal um die beiden kümmern, vor allem um Remus Lupin. Er ist ein Werwolf und hat heute noch keinen Wolfsbann-Trank bekommen. Hier!“ Snape hielt Brown die Flasche hin, doch „Plopp!“, und schon war Brown weg. Einer der beiden Männer, die sich um Lupin kümmerten, stand auf und nahm die Flasche. „Auch das noch. Sehen wir zu, dass wir ihn ins St. Mungo´s kriegen. Wie können wir Sie erreichen, falls es irgendwelche Fragen gibt?“ – „Hier in Hogwarts. Mein Name ist Snape.“ - „Würden Sie bitte die Schulleiterin verständigen?“ „Mache ich“, nickte Snape. Dann stand er da wie gelähmt und sah zu, wie ein Fliegender Retter auftauchte, die beiden Tragen hineingeschoben wurden und alle damit verschwanden.
Nach einer halben Stunde löste Snape sich aus seiner Erstarrung, stieg auf den Besen und flog langsam zurück nach Hogwarts. Im Büro der Direktorin brannte Licht. Wie im Trance ging er durch hin und klopfte an. Fast augenblicklich wurde die Tür geöffnet. „Habt ihr sie?“ fragte Pomona Sprout und zuckte zusammen. „Severus, wie siehst du denn aus, was ist passiert?“
Ohne auf eine Aufforderung zu warten, ließ sich Snape auf den nächststehenden Stuhl sinken, dann sagte er: „Lupin und diese Lucy Perkinson sind in den Schwefelsümpfen verunglückt. Die Medi-Magier haben sie mit dem Fliegenden Retter fortgeschafft, ich hab´ keine Ahnung, ob sie überhaupt noch leben.“ Pomona Sprout wirbelte herum. „WO waren die? Zusammen in den Schwefelsümpfen? Was …“ Sie unterbrach sich schweratmend. Flüsternd fuhr sie fort: „Remus Lupin mit einer Schülerin nachts in den Schwefelsümpfen? Das kann ich nicht glauben.
Severus, wir suchen dieses Mädchen schon seit zwei Stunden, alle Lehrer sind auf den Beinen. Nur dich haben wir nicht informiert, weil du mit dem Wolfsbann-Trank beschäftigt warst, und Lupin, wegen heute Nacht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und dann sind die beiden zusammen unterwegs. Was hat das zu bedeuten? Lucy Perkinson war mir nie ganz geheuer, aber Remus kenne ich schon so lange…“
Snape schüttelte den Kopf. „Die Perkinson war vor Lupin in den Sümpfen. Ich wollte ihm den Trank bringen, habe ihn weggehen sehen und bin hinterher.“ Professor Sprout sah Snape mit großen Augen an. „Dann hast du sie gerettet?“ – „Vielleicht auch nicht.“ Snape drehte sich um und ging aus dem Büro. Er hatte das unbedingte Bedürfnis, alleine zu sein. Doch bevor er in seinen Privaträumen verschwanden konnte, ging er in Lupins Büro, steckte die Karte in seinen Umhang, machte das Feuer im Kamin aus, löschte das Licht und verschloss den Raum.
Wenn jemand in dieser Vollmondnacht draußen gewesen wäre und zu den Fenstern der Lehrerwohnungen geschaut hätte, hätte er noch lange ein geisterhaft bleiches Gesicht an Snapes Wohnzimmerfenster sehen können.
Mit Kopfschmerzen und total müde saß Snape am Mittwochmorgen am Frühstückstisch. Die Schüler lachten und schwatzten wie immer und bemerkten die gedrückte Stimmung am Hohen Tisch nicht. Noch vor Unterrichtsbeginn versammelten sich alle Lehrer im Lehrerzimmer. Pomona Sprout teilte den Lehrern das wenige mit, was sie von Snape über den Unfall bereits wusste. Dann forderte sie Severus auf, genauer zu berichten. Er tat dies kurz und knapp, ohne die Karte zu erwähnen. Hella Moresee schüttelte den Kopf. „Das passt zeitmäßig nicht zusammen. Wenn du Remus vom Fenster aus gesehen hast, hättest du ihn mit dem Besen doch einholen müssen. Dann wärt ihr zusammen im Sumpf angekommen und hättet die Perkinson gemeinsam herausholen können. Oder hast du eine Kristallkugel, in der du sehen kannst, wer wo ist?“
„So ähnlich“, antwortete Snape und schickte ihr einen „Frag-Bitte-Nicht-Weiter-Blick“ über den Tisch. Er wollte lieber nicht vor versammelter Mannschaft von Lupins Karte sprechen.
Pomona Sprout musterte Severus mit zusammengekniffenen Augen. „Also gut. Severus hat in Lupins Büro in was auch immer gesehen, wo Lucy Perkinson schon war und Remus Lupin gerade hinrannte. Richtig?“ - „Ja“, antwortete Severus knapp.
„Woher könnte Remus gewusst haben, wo Lucy Perkinson war? Ich hatte ihm nicht einmal erzählt, dass wir sie suchen.“ Jetzt wurde es eng. „Er hat es zufällig dort gesehen, wo ich es auch gesehen habe“, sagte Severus langsam. Aller Augen waren auf ihn gerichtet.
„Ich habe noch keine Informationen aus dem St. Mungo´s, wie es den beiden geht. Sobald ich etwas weiß, gebe ich Bescheid“, sagte die Direktorin. „Auf jeden Fall muss ich den Vorfall dem Ministerium melden; die schicken garantiert eine Untersuchungskommission. Ich möchte, dass niemand außer Severus denen etwas über den Unfall erzählt, er war der einzige Zeuge.“
„Hallo, hallo, hallo und guten Morgen. Wer war Zeuge bei welchem Unfall? Habe ich was verpasst?“ Gilderoy Lockhart war eingetreten, strahlend wie immer. Heute trug er eine Kombination aus purpurrot und zartgelb. Er zupfte seinen Umhang zurecht und sah von einem zum anderen.
Pomona Sprout überlegte kurz, was sie Lockhart sagen sollte. „Remus Lupin ist gestern bei dem Versuch verunglückt, Lucy Perkinson aus den Schwefelsümpfen zu retten.“ Sie wollte noch weiter sprechen, aber Lockhart viel ihr ins Wort: „Warum hat mir niemand Bescheid gesagt, dass das Mädchen dort ist? Ich hätte sie sicher herausgeholt. So was habe ich schon so oft gemacht, wie ihr aus meinen Büchern wissen solltet!“
Severus war aufgesprungen und hatte seinen Zauberstab auf Lockhart gerichtet, bevor sein Verstand sich einschalten und ´halt, keine Dummheiten!´ rufen konnte. Mit zusammengebissenen Zähnen und tief durchatmend setzte er sich wieder hin. Professor Sprout stand auf und sagte mit soviel Würde und Autorität in ihrer Stimme, dass die frühere, gemütliche Kräuterkunde-Lehrerin nicht mehr zu erkennen war: „Ihnen haben wir nicht Bescheid gesagt, weil wir wussten, dass Sie uns keine Hilfe sein würden. Ihre magischen Fähigkeiten sind bei weitem nicht so, wie sie sein sollten.“ – „Aber, das ist doch…“, begann Lockhart zu protestieren.
„Schweigen Sie! Gehen Sie in die Große Halle und übernehmen Sie die Aufsicht dort. Nachher brauche ich Sie im Gewächshaus eins.“ Mit aufgerissenen Augen und vorgeschobener Unterlippe starrte Lockhart die Chefin an, ehe er sich umdrehte und, ihr über die Schulter einen hasserfüllten Blick zuwerfend, hinausging. „Allmählich verliere ich die Geduld mit ihm, diese Angeberei und sein kindisches Benehmen machen mich krank“, murmelte Sprout.
„Kann man ihn nicht einfach wegen Unfähigkeit entlassen?“, fragte Victoria Vector aus dem Hintergrund.
„Nein, kann man nicht. Wenn ein Lehrer länger als sechs Monate hier unterrichtet, ist er praktisch unkündbar. Da müsste er sich schon etwas Schwerwiegendes zu Schulden kommen lassen und selbst dann brauche ich noch die Zustimmung des Zaubereiministers. Und die gibt mir Scrimgeour im Moment nicht, ich habe ihn schon gefragt. Tja, da hat unser guter alter Albus Dumbledore uns ein ganz schönes Kuckucksei ins Nest gelegt.“
„Verzeihung“, tönte da eine wohlbekannte Stimme aus der entferntesten oberen Ecke, „ich bin dem Irrtum aufgesessen, dass Lockhart wirklich einiges kann. Und ich hatte nur die Wahl zwischen Lockhart und jemandem aus dem Ministerium. Letzteres wollte ich vermeiden und so habe ich eben Lockhart genommen. Es tut mir aufrichtig Leid, dass er jetzt Scherereien macht.“ Dumbledores Geist verschwand mit einer bedauernden Geste.
Die Direktorin klatschte in die Hände, alle Gesichter, die zu Dumbledore herumgefahren waren, wandten sich nun wieder ihr zu. „Lassen wir das Problem Lockhart erst mal beiseite. Jetzt gilt es, herauszubekommen, was diese Lucy Perkinson in den Schwefelsümpfen wollte.“
Frederick Fairbanks meldete sich zu Wort. „Ich fürchte, ich bin Schuld an der ganzen Sache. Ich habe den Erstklässlern vorgestern etwas über Mutproben vergangener Zeiten erzählt. Eine davon war, Schmalblättrige Hornblumen aus den Schwefelsümpfen zu holen. Das hat die Perkinson wohl auf die Idee gebracht, dorthin zu gehen.“
Victoria Vector fragte: „Wen wollte sie damit beeindrucken? So weit ich weiß, hat Lucy Perkinson überhaupt keinen Kontakt zu den anderen Schülern, seit es Streit gab wegen der vielen Punktabzüge. Du hättest dich ruhig etwas mäßigen können, Severus.“ - „Nein, hätte ich nicht. Warte nur ab, bis du sie im Unterricht hast, dann weißt du, was los ist.“
„Stimmt“, „Sie ist furchtbar“,… „versucht, sich mit allen Mitteln einzukratzen“ – alle redeten durcheinander. „Bitte Ruhe, Kollegen!“, verschaffte sich Pomona Sprout wieder Gehör. „Victoria, du erzählst deinen Hufflepuffs, was vorgefallen ist und versuchst, von ihnen etwas zu erfahren. Was mich beunruhigt, ist, dass außer der Vertrauensschülerin, die mir ihr Verschwinden gemeldet hat, niemand nach Lucy gefragt hat. – Und jetzt an die Arbeit. Versuchen wir, den Tag halbwegs normal über die Runden zu bringen. Severus, du übernimmst doch planmäßig Verteidigung, oder?“
Um Himmels Willen! Dass er heute wegen des Vollmondes auf seine Freistunden verzichten musste, hatte er völlig vergessen! Severus hatte vorgehabt, ein bisschen an der Matratze zu horchen. Wenn die Direktorin einen noch darauf aufmerksam machte, konnte man sich schlecht herausreden. (Auch war Severus der lauernde Blick nicht entgangen, mit dem George Bligh ihn die ganze Zeit beobachtet hatte.)
In seinem Vorratsraum suchte Severus die Regale nach einem Stärkungstrunk ab, der gleichzeitig die Kopfschmerzen beseitigte. Nichts sagte ihm so richtig zu und er landete mal wieder bei der Mischung aus Kaffee und Zitronensaft. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig, das Gebräu hinunterzuschlucken, bevor die Stunde anfing. Eine letzte kleine Konzentrationsübung und los ging es.
Die befürchtete Untersuchungskommission traf nach der zweiten Stunde ein. Snape musste jedem der fünf Mitglieder einzeln Rede und Antwort stehen und sie stellten alle die gleichen Fragen.
Nach der sechsten Stunde war ihm schwindlig. Er ersetzte das Mittagessen durch einen Stärkungstrank und verschlief die Pause, so dass er den Nachmittagsunterricht halbwegs durchhielt und auf George Blighs Frage, ob er sehr geschafft sei, ein ehrliches „es geht schon“ antworten konnte.
Lupin hatte heute niemand vermisst, er wäre sowieso nicht da gewesen. Umso größer war das Gemurmel, das sich erhob, als Professor Sprout nachmittags alle Schüler und die Angestellten in der Großen Halle zusammenrief und ihnen mitteilte, was passiert war.
Zwei Tage später erhielt Snape einen Brief von Lupin. Das Schreiben musste dem außerordentlich schwer gefallen sein, die Buchstaben waren riesengroß und mit zittriger Hand gemalt. Aber die Botschaft war eindeutig. „Bitte besuche mich unbedingt im Krankenhaus, ich muss mit Dir reden.“
Eigentlich hatte Severus nicht vor, Lupin wirklich im St. Mungo´s zu besuchen, sie waren ja alles andere als Freunde. Und Severus musste, so wie es aussah, nicht nur einen Tag lang seine Freistunden opfern. Lockhart hatte sich zwar angeboten, den Unterricht in Verteidigung vollständig zu übernehmen, er habe das ja bereits erfolgreich gemacht, aber Pomona Sprout war glücklicherweise hart geblieben. So wurden Lupins Stunden auf mehrere Lehrer aufgeteilt, was Lockhart mit Schmollen und drei Tagen Krankenschein beantwortete.
Severus brauchte lange, ehe er sich dazu durchrang, Remus Lupin zu besuchen. Vielleicht war eine neuerliche Einladung von George Bligh zum Biertrinken ausschlaggebend, vielleicht auch nicht, jedenfalls machte Severus sich am Freitagnachmittag auf den Weg nach London. Lupin lag auf derselben Station wie damals Niclas, sogar Tom Astley hatte Dienst. Er begrüßte Severus ganz freundlich, sagte aber sonst nichts. Severus war das ganz lieb, er hatte nicht die geringste Lust, irgendwelche Fragen zu beantworten.
Lupin war allein im Raum, als Severus kam. Auf den anderen beiden Betten lagen die Decken exakt ausgerichtet, sie waren nicht belegt. Lupin begrüßte Severus freundlich und ohne jeden Dankesschmus.
Lupin zeigte auf einen Stuhl. „Setz dich. Ich stehe tief in deiner Schuld, und ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, dass wir offen miteinander reden und die alten Feindschaften begraben.“
Severus ließ sich auf der Stuhlkante nieder. Was wollte Lupin von ihm?
Der tat den ersten Schritt und entschuldigte sich für die Kränkungen aus der Schulzeit. Severus ergriff die zur Versöhnung dargebotene Hand. Dicke Freunde würden Sie wohl nie werden, aber wenigstens sich als Kollegen vertragen und zusammenarbeiten könnten sie doch. Fast eine Stunde lang redeten die beiden, die sonst kaum einen Gruß füreinander übrig gehabt hatten, nun ruhig miteinander.
Zum Schluss gab Severus Lupin die Karte. „Ist das das Ding, dass Ihr schon als Kinder immer gehabt habt?“
Lupin nickte und lächelte. „Und auf das du so scharf warst, das wir quasi einen Anti-Snape-Zauber drübergelegt haben.“ Severus erinnerte sich, welche Beleidigungen auf der Karte erschienen waren, als er sie damals Potter abgenommen hatte. Schöne Blamage …
Mit einem Grinsen erklärte Remus Lupin, was es mit der Karte auf sich hatte und wie die vier Freunde dank ihrer Hilfe immer ungesehen aus der Schule kamen…
Plötzlich erinnerte sich Severus an eine Begebenheit, die in dem Jahr stattgefunden haben musste, als das Trimagische Turnier veranstaltet wurde. Sein warnendes Kribbeln hatte ihn durch die Gänge zu seinem Büro getrieben, unterwegs war er dem falschen Moody begegnet und Potter. Und der hatte etwas in der Hand gehabt und ihm zugerufen, dass Barty Crouch in seinem Büro war. Moody war dem Jungen ins Wort gefallen und hatte ihm die Karte ganz schnell weggenommen, bevor Potter hinter die Maskerade kam. Lupin bestätigte, dass die Karte immer den wahren Namen angab.
Am Abend saß ein sehr nachdenklicher Severus Snape bei einer Flasche Butterbier in den „Drei Besen“. George Bligh setzte sich zu ihm und versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, aber Severus antwortete nicht; er war nur körperlich anwesend.
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