von käfer
Severus verbrachte zwei Wochen damit, Niclas´ Kinder so richtig zu verwöhnen. Er ging mit den Jungs auf den Spielplatz und ins Puppentheater, begleitete die Mädchen ins Kino und spendierte ihnen Eis; abends las er Florian und Joe vor und spielte mit Lissy und Bessy Zauberschnippschnapp.
Weil die Familie ein paar Tage Ferien auf einem Campingplatz machen wollte, kehrte Severus mehr als eine Woche früher als notwendig nach Hogwarts zurück.
In der Schule war es still. Severus ging durch sein Klassenzimmer, begutachtete die Vorratsschränke und das Labor und fand alles in Ordnung.
Er lief zurück in seine Privaträume und nahm eines der Bücher von seiner Großmutter, konnte sich aber nicht darauf konzentrieren. Etwas trieb ihn dazu, in der Schule herumzuwandern. Aus einem Fenster sah Severus, wie der Hausmeister mit einer Sporttasche in der Hand in Richtung Tor ging. Es war Sommer, ein ärmelloses T-Shirt gab den Blick auf gebräunte, muskulöse Arme frei. Ein schöner Anblick für jemanden, dem das gefiel.
Snape spazierte weiter. Er hätte gern ein bisschen mit Dumbledores Geist geplaudert, aber der ließ sich nicht sehen. Vielleicht saß er ja im Astronomieturm, dort, wo „es“ passiert war? ´Der Täter kehrt an den Tatort zurück´, dachte Severus, als er oben stand. Hier auf dieser Plattform war es geschehen, er hatte Malfoy beiseite gestoßen, den Zauberstab auf den am Boden liegenden Albus Dumbledore gerichtet, und… Hatte er wirklich verdient, als freier Mann hier oben zu stehen? Durfte einer wie er noch Kinder unterrichten? Das Zaubereiministerium hatte „ja“ gesagt, Scrimgeour selbst hatte die Einstellung mit seiner Unterschrift bestätigt; nun war er hier, umgeben von den Geistern der Vergangenheit. Severus floh vom Astronomieturm, kaum langsamer, als er damals geflohen war.
Erst, als er im anderen Flügel war, beruhigte er sich wieder. Vom Fenster aus sah er Pomona Sprout inmitten einer Schar Hauselfen im Garten arbeiten. Er ging hinaus und begrüßte sie, doch Pomona hatte keine Zeit für ihn, sie musste aufpassen, dass die Elfen keine wertvollen Pflanzen ausrupften. Severus ging weiter zu Dumbledores Grabmal und schaute dort nach dem rechten. Innere Unruhe trieb ihn wieder ins Gebäude hinein. Solche Langeweile hatte er nie gekannt, vielleicht gelang es ihm, sich mit einem Thriller abzulenken. Also stieg er in die Bibliothek hinauf. Dort fand er eine bleiche Elly Greystone mit tiefen Ringen um die Augen vor, die verbissen Bücher sortierte und Titel auf Listen abhakte. Ihr „Guten Morgen“ klang müde, sie wandte sich sofort wieder der Arbeit zu. Sie schien allen in der Bibliothek zu sein. „Wo ist denn Lockhart, der sollte dir doch helfen, oder?“ Elly seufzte: „Der hat sich schon vor über einer Woche krank gemeldet und wird auch erst am 28. August wiederkommen. Also muss ich hier alleine kämpfen.“ – „Und der Hausmeister? Der müsste doch Zeit haben?“ Elly winkte ab.
Severus bot ihr seine Hilfe an, Elly nahm dankend an und erklärte ihm, was er tun sollte. Verbissen arbeiteten beide Stunde um Stunde mit wenigen, kurzen Pausen bis in die Nacht hinein, Tag für Tag.
Für den 25. August hatte die Direktorin die Lehrer zum Beginn der Vorbereitungswoche bestellt. Am 24. arbeitete Severus mit Elly bis weit nach Mitternacht, dann war die Bibliothek fertig für den Schuljahresbeginn. (Na ja, die Elfen mussten noch abstauben und den Fußboden wischen, aber sonst war alles bereit.) Mit einem Seufzer der Erleichterung bedankte sich Elly bei Severus, dann eilten sie beide in ihre Schlafzimmer. Severus spülte sich den Bücherstaub vom Körper, sackte ins Bett und schlief auf der Stelle ein.
Alle Lehrer waren pünktlich, munter und ausgeruht zur Stelle, sogar Lupin wirkte ein bisschen erholter. Severus taten sämtliche Knochen weh, er wusste nicht, wie er sitzen sollte, aus dem Spiegel hatte ihn am Morgen ein Geist angestarrt und beim Rasieren hatte er sich auch noch geschnitten. Kein Wunder, dass die lieben Kollegen ihm erstaunte Blicke zuwarfen.
Es kostete Severus viel Kraft, sich auf das zu konzentrieren, was die Direktorin sagte. Pomona Sprout warf ihm besorgte Blicke zu, sagte aber nichts.
Endlich war Pause. Severus riss das Fenster auf und saugte die frische Luft in seiner Lungen. Dann machte er sich einen Tee der Sorte „Extrastark“. George Bligh, der dünnen Kräutertee bevorzugte, fragte mit anzüglichem Unterton: „ Hey, Severus, anstrengende Nacht gehabt, was?“
Das war zuviel. Snape fauchte so laut, dass alle herumfuhren: „Während ihr euch alle geaalt habt, habe ich die ganze Woche geholfen, die Bibliothek auf Vordermann zu bringen – bis heute früh halb zwei! Nur dass hier keiner auf falsche Gedanken kommt.“ Der eine oder die andere wandten sich mit leicht betretenen Mienen ab, Lupin sah mit erstauntem Gesicht zwischen Sprout und Snape hin und her.
Bevor die Beratungen weitergingen, zog Pomona Sprout Severus auf die Seite. „Tut mir Leid, dass es dich erwischt hat, Severus. Nachdem Lockhart sich krank gemeldet hatte, habe ich versucht, jemanden ranzubekommen, der Elly hilft. Ich habe allen außer Lupin geschrieben, aber gekommen ist außer dir keiner.“ Severus sagte: „Ich bin nur zufällig gekommen, ich habe keinen Brief erhalten.“ – „Was? Aber die Eule ist doch leer zurückgekommen! Na, so was! Jedenfalls, danke für deinen Einsatz!“
Dann rief die Direktorin wieder alle zusammen, sie begannen mit dem Stundenplan.
Auf dem Weg zum Mittagessen hörte Severus, wie Frederick Fairbanks Professor Sprout leise fragte, was es mit Lockharts Krankheit auf sich habe. Pomona antwortete noch leiser, aber so, dass Severus es noch gut hören konnte: „Angeblich hat er eine Sommergrippe, aber ich glaube eher an Drücketismus.“
Severus ließ sich zurückfallen, sie sollten besser nicht merken, dass er etwas gehört hatte.
Irgendwie ging auch dieser Tag zu Ende. Als Severus zum Abendessen kam, redete Kirby gerade auf Elly Greystone ein. Die sah zum Anbeißen aus, sie musste beim Friseur gewesen sein und war dezent geschminkt. Als Severus an den Tisch trat, nickte sie ihm freundlich zu und befasste sich mit ihrem Essen. Anscheinend interessierte sie sich nicht allzu sehr für das, was Kirby zu sagen hatte. Oder kam es Severus nur so vor, weil er es gerne so haben wollte? Schon wieder huschten unzüchtige Gedanken durch seinen Kopf. Verdammt, was war nur mit ihm los? Er war doch früher schon hübschen Frauen begegnet, ohne gleich auf „dumme Gedanken“ zu kommen. Warum regte es ihn so auf, wenn er Elly in Gesellschaft des Hausmeister sah?
Erschöpft sank Snape an diesem Abend in sein Bett.
Am anderen Morgen fühlte er sich wesentlich besser als am Tag zuvor.
Die von ihm bestellten Zaubertrankzutaten waren angekommen; er hatte den ganzen Tag zu tun, alles aufzuräumen. Noch an diesem Abend setzte er neues Veritaserum an.
Schließlich marschierte er in die Bibliothek, suchte unter der Rubrik „Krimi & Horror“ nach einem Buch, das er noch nicht gelesen hatte. Allzugroß war die Auswahl nicht mehr, das meiste kannte er schon. „Kann ich dir helfen? Suchst du was bestimmtes?“ Elly kam um die Ecke. „Einschlaflektüre“, antwortete Severus und zog ein ihm vielversprechend erscheinendes Buch heraus.
„Na, ich könnte DANACH nicht mehr schlafen“, lachte Elly. „Ach, übrigens, Severus, hast du mir das hier unter die Tür geschoben?“ Sie hielt ihm ein Stück Papier hin. Es war eine Eintrittskarte für die Wahl zum „Mr. Muskel“. Severus konnte sich denken, von wem das stammte, aber er sagte nichts.
Am Mittwoch musste Severus im Büro der Direktorin erscheinen. Der Zaubereiminister war anwesend, dazu Remus Lupin und Poppy Pomfrey. Es wurden eine Menge von Maßnahmen diskutiert, die es ermöglichen sollten, fünf von Greyback gebissene Kinder als Schüler aufzunehmen. Severus musste sich verpflichten, den Wolfsbann-Trank in ausreichender Menge und guter Qualität rechtzeitig herzustellen und sollte persönlich dafür haften, dass jeder die entsprechende Dosis bekam. Alles wurde schriftlich festgehalten. Nachdem Severus als letzter unterschrieben hatte, sagte Scrimgeour: „Für den Fall, dass es irgendeinen auch noch so winzigen Zwischenfall gibt, sind Zellen in Askaban reserviert.“
Grußlos verließ der Zaubereiminister den Raum. Die beiden Lehrer und die Krankenschwester sahen sich an; jeder fragte sich, was diese letzte Bemerkung sollte.
Als Professor Sprout sicher war, dass sich Scrimgeour außer Hörweite befand, sagte sie: „Im Ministerium gibt es Bestrebungen, die Werwölfe von der magischen Gemeinschaft zu isolieren und in einem eingezäunten, bewachten Dorf unterzubringen, wo sie für sich selbst sorgen müssen. Ich habe einen Teil der Pläne gesehen und kann das Ganze nur ablehnen.
Es gab ein bisschen Streit im Zauberergamot, ich habe mit Remus´ und Ellys Unterstützung durchsetzen können, dass die fünf für Hogwarts gemeldeten --- Betroffenen auch hierher kommen.
Natürlich kann man die Bedenken verstehen, schließlich ist ein Werwolf ohne Wolfsbann-Trank ein äußerst gefährliches Wesen. Deshalb diese strengen Sicherheitsmaßnahmen, die wir unbedingt einhalten müssen. Ich fürchte, dass wir auch damit rechnen müssen, dass unsere Bemühungen sabotiert werden – die Leute, die jetzt gegen die Werwölfe vorgehen, sind dieselben, die verhindern wollten, dass Hogwarts überhaupt wieder aufmacht. Und es werden immer mehr. Der Kopf dieser Bewegung ist die Schulinspektorin Dolores Umbridge“
Was hatte er da gerade gehört? Snape starrte Sprout an. Die nickte als Zeichen der Bestätigung einmal langsam mit dem Kopf. Snape presste die Kiefer aufeinander. Dolores Umbridge Schulinspektorin – das konnte ja heiter werden!
Die war Unterredung beendet, aber Pomona Sprout hielt Severus noch zurück. „Begreifst du, warum ich dich unbedingt hier brauche? Diese Umbridge ist eine eiskalte Streberin, auch wenn man es ihr nicht ansieht. Ich habe nachgeforscht, sie hat sogar den „Tränkemeister“, zwar nur zweiter Ordnung und auch nur mit Ach und Krach bestanden, aber sie dürfte hier Zaubertränke unterrichten. Du hast ja gesehen, wohin es führt, wenn diese Person hier Lehrerin ist.“ Severus nickte. „Die geht über Leichen, um ihr persönliches Ziel zu erreichen.“
Pomona beschwor ihn: „Tu mir einen Gefallen und reiße dich zusammen! Du bist zwar ohne Einschränkungen freigesprochen, aber etliche Leute waren mit deiner Wiedereinstellung überhaupt nicht einverstanden. Die lauern jetzt natürlich darauf, dass du Nerven zeigst und Fehler machst. Scrimgeour war übrigens über deinen kleinen Ausbruch vom Montag informiert, er hat sich bei mir nach deiner seelischen Verfassung erkundigt.“
„Ach, schau an!“, sagte Severus, drehte sich um und ging.
Pünktlich 9.00 Uhr zum Arbeitsbeginn am Donnerstag meldete sich Gilderoy Lockhart zurück. Er trug einen burgunderfarbenen Umhang, sah sonnengebräunt aus und sein Haar war frisch gewellt und glänzte goldener als je zuvor. Die anwesenden Damen rissen die Augen auf. „Da bin ich wieder, munter und gesund. Ich hoffe, dass meine Abwesenheit keinen großen Schaden angerichtet hat und bin bereit für neue Aufgaben.“ Lockhart rieb sich die Hände und strahlte der Reihe nach jeden an, nur an Severus, der, Sprouts Worte noch im Ohr, eine bissige Bemerkung herunterschluckte, sah er vorbei.
Die Schulleitein ergriff das Wort: „Schön, dass wir wieder vollständig sind. Dann werden wir jetzt den Stundenplan fertig machen und uns anschließend überlegen, was wir den Kindern Außerschulisches anbieten können.“
„Ich übernehme den Duellierklub!“ Lockhart war aufgesprungen, glühend vor Eifer. Doch Pomona Sprout bremste ihn: „Ich denke nicht, dass wir einen Duellierklub brauchen, Gilderoy. Die Regeln des Zaubererduells sind Bestandteil des Zauberkunst-Unterrichts.“ Lockhart setze sich mit vorgeschobener Unterlippe und beschäftigte sich den Rest des Vormittags mir seinen Fingernägeln.
Am Freitagmittag waren alle Vorbereitungen beendet. Snape sah nach dem Grundstoff des Veritaserums, prüfte die Apparatur und begann mit der ersten Destillation. Die Sache würde noch zehn Tage dauern. Normalerweise kam niemand ohne ihn zu fragen in das Geheime Tränkelabor hinein. Trotzdem zog er um den Tisch mir den Destilliergerätschaften einen Magischen Kreis, legte eine Eintrittssperre vor die Tür und versiegelte das Schloss. Ein paar seiner Haare, gut platziert, würden ihm verraten, wenn doch jemand eingedrungen war.
Endlich Wochenende – die Ruhe vor dem Sturm. Als Severus am Freitagabend in die Große Halle zum Abendessen ging, war nur für ihn alleine gedeckt. Alle anderen hatten die Schule verlassen und würden erst am Montag früh wiederkommen, erfuhr er von Willy.
Severus ging schnurstracks in die Bibliothek und griff sich Lockharts „Zauberisches Ich“. In seiner Wohnung angekommen, setzte er sich auf den unbequemsten Hocker, stellte einen Krug eiskaltes Wasser vor sich hin und schlug das Buch auf. Eine Widmung sprang ihm entgegen: „Für Elly, die reizendste Büchermaus der ganzen Welt. Von Gilderoy Lockhart.“ Schluck. Der charmante Lockhart würde Elly wohl doch noch einwickeln…Severus trank ein Glas von dem Eiswasser und begann zu lesen.
Einen flotten Stil hatte Lockhart, das musste man ihm lassen. Er konnte gut erzählen, Dinge, Menschen und Vorgänge schön beschreiben, so dass man glaubte, man läse die Wahrheit. Severus, der Lockhart schon „in Aktion“ erlebt hatte, zweifelte jedoch ganz gewaltig an dem, was er da las und er regte sich so auf, dass er im Bett noch eine große Dosis seiner Einschlaflektüre brauchte.
Mit zusammengebissenen Zähnen schaffte Severus es bis Sonntag Mittag, das Buch durchzulesen; den Abschnitt über Lockharts Zeit in Hogwarts hatte er sogar zweimal gelesen. Aus eigener Anschauung wusste er, dass sich vieles von dem, was Lockhart geschrieben hatte, „ein bisschen anders“ zugetragen hatte und über die Vorgänge unten vor der Kammer des Schreckens hatte er in Dumbledores Aufzeichnungen völlig anderes gelesen. Potter mochte dann und wann lügen, aber Albus Dumbledore hatte er mit Sicherheit nie angeschwindelt.
Severus brachte das Buch in die Bibliothek zurück. Dort zählte er Lockharts Werke durch, verglich mit den Zeitangaben aus der Biographie und rechnete nach. Wenn Lockhart all dies wirklich selbst erlebt haben sollte (und auch noch aufgeschrieben hatte), müsste er um die hundert Jahre alt sein. Tatsächlich war er aber erst 37.
Nach einer unruhigen Nacht kam der erste September und damit der Hogwarts-Express. Der Tradition folgend fuhr der Wildhüter und Hüter aller Schlüssel und Tore die Erstklässler mit Booten über den See, der stellvertretende Leiter bereitete sie kurz auf die Auswahl vor, während alle anderen sowie die Lehrer in der Großen Halle ihre Plätze einnahmen. Beklommen schaute Severus in die Runde. Viele Plätze blieben leer, besonders die Slytherin-Tafel war nur halb besetzt. Einige seiner ehemaligen Schüler saßen im Gefängnis, das waren fast alle der Jungs, die Draco Malfoy mit zum Dunklen Lord gebracht hatte. Crabbe und Goyle hatten beschlossen, die Schule nicht zu beenden. Andere waren tot. Pansy Parkinson trug einen Trauerschleier, wie auf Bestellung heulte sie los, als sie Snape sah.
Am besten besetzt war der Gryffindor-Tisch, um Potter hatte sich eine Traube gebildet. Immer wieder blickten Schüler zu ihm hoch. Der Einmarsch war heute irgendwie geordneter abgelaufen, der Geräuschpegel im Saal nicht halb so hoch wie er hätte sein können. Von der ausgelassenen Fröhlichkeit früherer Wiedersehensfeiern war überhaupt nichts zu spüren. Wenn irgendwo ein Lachen laut und hell aufklang, erstarb es sofort wieder.
Schließlich schlug die Schulleiterin einen Gong an und erhob sich. Schlagartig herrschte atemlose Stille. Pomona Sprout begrüßte Schüler und Lehrer zur Wiedereröffnung von Hogwarts und bat um eine Schweigeminute für die Toten der letzten beiden Jahre.
Anschließend wurden die Neulinge hereingeführt. Es waren beinahe doppelt so viele wie sonst, man hatte die ausgefallenen Jahre mit berücksichtigt. Severus sah in erwartungsvolle, aber auch verängstigte Kindergesichter. Letztere überwogen leider.
An der Prozedur mir dem Sprechenden Hut hatte man festgehalten; der Beifall vom jeweiligen Haus für ein neues Mitglied klang allerdings gedämpft zum Lehrertisch herauf.
Ein Mädchen, das nach Hufflepuff geschickt wurde, fiel Severus besonders auf. Sie war größer als die übrigen Erstklässler, hatte sich beim Einzug etwas abgesondert und setzte sich nun mit abweisender, hochnäsiger Miene so an den Tisch, dass zwischen ihr und den anderen ein Platz frei blieb.
Pomona Sprout hielt nun die Einführungsrede, nannte die wichtigsten Schulregeln, stellte Lehrer und Mitarbeiter vor. Mit unbewegtem Gesicht stand Severus auf, als sein Name genannt wurde. Ein Schrei ertönte vom Slytherin-Tisch her, um Pansy Parkinson scharten sich mehrere Mädchen, die Pansy ziemlich demonstrativ stützten und aus dem Saal führten.
Als nächstes ergriff Lockhart das Wort, sagte, wie sehr er sich freue, wieder hier in Hogwarts zu sein und kündigte an, einen Literaturzirkel ins Leben zu rufen, da man ihm den Duellierklub verweigert hatte. Ein paar Mädchen klatschten Beifall. Lockhart strahlte, als ob er einen Beifallssturm ausgelöst hätte.
Dann begann das große Futtern, allmählich lockerte sich die Stimmung. Sogar Pansy Parkinson schlich sich wieder herein und langte zu.
Am Abend konnte Severus nicht einschlafen. Er hatte noch einmal auf seinem Stundenplan nachgesehen; seiner erste Stunde hatte er morgen bei den Erstklässlern zu halten. Den dramatischen „Ersten Auftritt“, den er früher jedes Jahr zelebriert hatte, um die Schüler etwas einzuschüchtern, fand er fehl am Platze, aber einfach so reinkommen und anfangen wollte er aber auch nicht.
Den Einmarsch mit wehendem Umhang würde er sich gönnen, aber seine Rede musste anders ausfallen. Und gleich in der ersten Stunde einen Schüler zur Schnecke machen – das ließ er besser sein. Damals bei Potter war ihm das besonders gut gelungen. Der hatte dagesessen wie vom Donner gerührt, hatte keinen blassen Schimmer gehabt. Wie auch, bei den Muggeln, die ihn aufgezogen hatten… Vielleicht sollte Snape in der ersten Stunde ein paar Worte über exaktes Arbeiten und aufgeräumte Arbeitsplätze verlieren. Oder doch nur allgemeines bla-bla zur Wichtigkeit der Zaubertränke? Nein, dann schon besser was über den sorgsamen Umgang mit der Macht, die einem das Wissen über Gifte und Co. verlieh… Ja, das wäre gut, so würde er anfangen. Beruhigt drehte er sich um und schloss die Augen.
Die Aufregung trieb Severus am Dienstag zeitig aus dem Bett, viel zu früh für das Frühstück. Er gönnte sich ein paar Schwimmzüge im See und dann, zum Warmwerden, einen flotten Marsch durch den Verbotenen Wald. Dabei kam ihm eine Idee für die erste Stunde und er trabte los, um das Ganze noch vorbereiten zu können.
Er hatte geglaubt, dass er der einzige war, der so zeitig schon unterwegs war, doch auch Elly Greystone war schon munter. Sie trug Zunftkleidung und schwang sich gerade auf einen Besen, als er schnaufend auf dem Platz vor dem Hintereingang anlangte. Sie grüßte freundlich und hob ab. Verdammt, jetzt hatte sie ihn schon wieder in diesen alten Klamotten und total abgehetzt angetroffen!
Snape verdrängte die unangenehmen Gedanken, duschte ausgiebig und zog seinen obligatorischen dunkelblauen Arbeitsumhang an. Dann blätterte er in einem der Bücher seiner Großmutter und machte sich ein paar Notizen. Als er zum Frühstück in die Große Halle kam, waren alle Angestellten, die meisten Schüler und fast alle Lehrer schon da. Der Hausmeister goss Elly gerade Tee ein, was Severus einen Stich gab. Lockharts Platz neben Pomona Sprout war noch leer. George Bligh sprach ihn von hinten an: „Guten Morgen, Severus. Hast du gut geschlafen?“ - „Ja, danke.“ – „Oder hat dir wie mir die Aufregung die Ruhe geraubt?“
Severus sah Bligh an. Wollte der ihn provozieren – um dann vielleicht Meldung im Ministerium zu machen? Snape antwortete: „Ich habe für gewöhnlich keine Probleme mir den Schlafen.“ Darauf Bligh: „Na ja, für mich ist das schon ein bisschen aufregend, ist ja hier alles neu für mich.“ Severus zählte kurz nach. „Für mich ist das schon der 16. Schuljahresanfang hier. Also alles halb so schlimm.“ Damit drehte er sich um und nahm seinen Platz ganz rechts außen neben Hella Moresee ein.
Die Hauslehrer verteilten die Stundenpläne an die Schüler, dann ging es los.
Severus wartete bis zum Stundenklingeln, dann trat er durch die Klassenzimmertür, ging mit großen, festen Schritten (und ordentlich wehendem Umhang) nach vorn, drehte sich um, bellte „Zaubertränke“ – und erstarrte. Rechts oben in der Ecke schwebte Dumbledores Geist; er machte das Zeichen des Daumendrückens und verschwand durch die Wand. Severus hatte sich sofort wider gefasst; die Schüler dürften nichts bemerkt haben. Dann hielt er wie beabsichtigt seine kleine Rede und beobachtete die Kinder. Alles Augenpaare hingen an seinen Lippen. Ganz vorn saß Lucy Perkinson, das Mädchen, dass ihm schon gestern aufgefallen war.
Schließlich drehte er die Tafel um. Zwei fast gleiche Rezepte waren zu lesen, der Unterschied lag nur in einem Schritt der Zubereitung und darin, dass man von einer einzigen Substanz bei der Wachstumslösung das Doppelte brauchte wie für die Warzentinktur, die Pflanzen in drei Sekunden absterben ließ.
Den Rest der Stunde verbrachte Snape mit der ausführlichen Arbeitsschutzbelehrung. Der Pausengong schlug genau in dem Moment, in dem er die Unterschriftenliste in der Hand hielt. Perfekt!
Die Schüler stürmten aus dem Raum, nur Lucy Perkinson saß noch auf ihrem Platz und schrieb – die pinselte doch tatsächlich die Rezepte ab, obwohl er gesagt hatte, dass es nicht nötig sei.
Nach einer Freistunde waren die Siebtklässler dran. Vor dieser Stunde graute es Snape noch viel mehr als vor den Anfängern - es war Potters Klasse. Da saßen sie dann auch. Die Gryffindors, die den Sprung ins NEWT-Level geschafft hatten, waren vollzählig. Potter, Weasley und Granger saßen gegen ihre Gewohnheit in der ersten Reihe. Bei den Slytherins war Malfoys Platz leer, Pansy Parkinson hätte da sein müssen, war es aber nicht. Severus zwang sich, nichts zu sagen, doch am Ende fragte Millicent Bulstrode nach Malfoy.
„Tot. Umgebracht von Voldemort.“ Millicent sah ihn zweifelnd an, aber er hielt ihrem Blick stand. Bulstrode ging hinaus, Potter war der Letzte im Raum. „Sir, ich habe noch etwas, das Ihnen gehört.“ Er reichte Snape sein „Zaubertränke für Fortgeschrittene“ über den Tisch. Severus nahm das Buch entgegen, er hatte nicht mehr damit gerechnet, es je wiederzubekommen. „Es ist besser, wenn ich das nicht mehr benutze. Habe zuviel Schaden angerichtet.“
„Ach, und da ist noch was.“ Potter reichte ihm das Röhrchen mit dem Gift. „Entsorgen Sie es lieber selber, ich weiß ja nicht, was genau das ist.“ Snape nahm das Röhrchen und wusste nun, was er Potter, Granger und Weasley demnächst zum Analysieren geben würde.
Auch in den übrigen Klassen gab es keine Probleme, keine Fragen, keine Bemerkungen (wenigstens, soweit er hören konnte), nur manchmal ein verstohlener fragender Blick.
Einzig Pansy Parkinson wurde jedes Mal hysterisch, wenn er ihr auf dem Flur begegnete. Sie trug demonstrativ weiter ihren Schleier und heulte bei jeder Gelegenheit. Da war wohl eine ernste Aussprache fällig.
Als Severus nach Unterrichtsschluss in sein Büro kam, hockte Albus Dumbledore auf seinem Stuhl. „Na, wieder ans Lehrerdasein gewöhnt?“ – „Ja, geht schon“, antwortete Severus ein bisschen mürrisch. „Lass´ dich bloß nicht ärgern. Du hast genau den Platz, der dir zusteht. Aber vergiss bitte nicht deinen Schwur.“ Chch, weg war er. Severus stand da wie ein begossener Pudel. Welchen Schwur hatte der Alte gemeint?
In den nächsten Tagen verdrängte Severus diese Mahnung, er hatte genug damit zu tun, seine Vorräte an Tränken aufzufüllen.
Im Geheimen Labor war niemand gewesen, das Veritaserum gedieh prächtig.
Severus gewöhnte sich schnell an den Schulalltag, allerdings ging Gilderoy Lockhart ihm gewaltig auf die Nerven. Hätte er wählen müssen zwischen Lockhart und Weasley als Assistenten, hätte er ohne zu zögern Weasley genommen. Wie früher suchte Snape keinen engeren Kontakt zu den Kollegen. Allein George Bligh kam immer wieder auf ihn zu und machte Konversation.
Elly Greystone war immer freundlich zu ihm, aber nie traf er sie allein in der Bibliothek an. Phillipp Kirby und Gilderoy Lockhart machten ihr recht auffällig den Hof, aber nichts ließ erkennen, ob sie „anbiss“ oder nicht.
Was Albus Dumbledore mit seinem „Aber vergiss nicht deinen Schwur“ gemeint hatte, fiel Severus in dem Moment ein, als er das nächste Mal damit begann, den Wolfsbann-Trank herzustellen.
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