von käfer
Ausgeruht und frisch erwachte Severus am Morgen des 5. Mai. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen, mochte nun kommen, was kommen sollte. Trotzdem war er dankbar, dass es noch ruhig im Haus und außer Winky niemand wach war. Nach dem Frühstück sah Snape noch einmal in seinem Zimmer nach dem rechten – alles war geordnet. Dann eilte er aus dem Haus und war schon um 8 Uhr am Verhandlungssaal im Zaubereiministerium. Die Tür war verschlossen, auch die zum Versammlungsraum des Zauberergamots. Also stellte Snape sich hin und wartete. Nach fünf Minuten kamen zwei Sicherheitszauberer angerannt und führten Snape neben dem Verhandlungsraum in eine Zelle. Die ganze Einrichtung bestand aus drei alten Holzstühlen; in einer Ecke befand sich ein winziges Waschbecken.
„Zauberstab her und Pfoten hoch!“ forderte der Größere der beiden, bevor er Snape aufs Gründlichste filzte. „Übertreib´s nicht!“, knurrte der andere, der kleiner und älter war und inzwischen die Tür abgeschlossen hatte. Er steckte Snapes Zauberstab in eine Innentasche seines Umhangs.
„Hinsetzen, Hände auf die Knie und keine Bewegung!“, bellte der Größere und zielte mit dem Zauberstab auf Snape. Der versuchte, sich einigermaßen bequem hinzusetzen, aber es war einfach unmöglich, mit den Händen auf den Knien eine erträgliche Sitzhaltung einzunehmen. Da würde er schon schmerzende Knochen haben, bevor er auf dem Angeklagtenstuhl angeschnallt wurde.
Der größere Wächter stellte sich vor die Tür, der kleinere fläzte sich Snape gegenüber auf den Stuhl, den er sich mit gezauberten Kissen gepolstert hatte.
Snape musterte seine beiden Bewacher unter halb geschlossenen Lidern hervor. Gegensätzlicher konnten zwei Männer kaum sein. Der Kleine im Stuhl war bestimmt schon siebzig, sein wettergegerbtes, zerfurchtes Gesicht wurde von einem wirren Kranz grau-weiß melierter Haare umrahmt. Er war mager und hatte einen langen, dünnen Hals. Im Augenblick schien er in die Betrachtung seiner ungewöhnlich langen, schmalen Hände vertieft, aber Snape zweifelte nicht daran, dass der schläfrig wirkende Mann schlagartig munter würde, wenn Snape eine falsche Bewegung machte.
Einen derartig muskelbepackten Kerl wie den an der Tür hatte Snape noch nie gesehen. Die Umhangärmel hatte der Muskelmann zurückgeschoben, seine Unterarme konnten sich im Umfang mit Snapes Oberschenkeln messen. Breitbeinig, mit verschränkten Armen und dem Zauberstab in der rechten Hand stand der Aufpasser da und bemühte sich, seinen starr auf Snape gerichteten Blick nicht geistlos, sondern grimmig wirken zu lassen.
Ganz langsam veränderte Snape seine Körperhaltung, rutschte ein wenig in sich zusammen, legte die Unterarme auf die Knie und ließ die Hände herunterhängen. Der Alte warf ihm einen kurzen Blick zu und beschäftigte sich dann mit einem losen Faden an seinem Umhang, Mr. Bizeps reagierte gar nicht.
Snape schielte auf die Uhr. Zehn Minuten erst saß er hier und schon wusste er kaum noch, wie er es aushalten sollte. Nach einem Blick auf den Alten wagte er es, die Haltung zu verändern und sich zurückzulehnen. Der Alte schenkte ihm nur einen kurzen Blick, der Türsteher fauchte jedoch los: „ Ich hatte doch gesagt, du sollte dich nicht rühren! Hände auf die Knie!“ Oh nein, bitte nicht! Der Alte kam Snape zu Hilfe: „Lass` ihn zappeln, wenn er zappeln will. Der muss heute noch lange genug stellte sitzen. Du kennst doch den Befehl, oder?“
„Hm“, brummte der andere. Belustigt bemerkte Snape die Rivalität der beiden. Der Junge musste sich beweisen und seine Macht demonstrieren, der Altgediente hatte es nicht nötig. Wenn Snapes Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte er den Jungen gern ein wenig provoziert. So blieb er lieber sitzen, so stille er sitzen konnte und unterdrückte den Wunsch, dem Kraftmenschen lila Haare aus den Armen sprießen zu lassen.
Für eine Weile versenkte Snape sich ganz in sich selbst, bis sein Geist die vollständige Kontrolle über den Körper hatte.
Der Türsteher begann zu schwanken, er schwitzte und war bleich geworden.. Die Arme hingen schlaff herunter. Ohne Vorwarnung kippte der Mann nach vorne und wäre ganz sicher unsanft auf der Nase gelandet, hätte ihn der Alte nicht mit einem Auffangzauber daran gehindert. Aus dem Nichts ergoss sich ein Schwall Wasser über den halb Ohnmächtigen, im nächsten Moment lag er mehr als dass er saß in dem dritten Stuhl, den der Alte zu einem bequemen Sessel gemacht hatte. Augenblicke später sprang die Tür auf, ein Befehlshaber der Ministeriumswache stürmte herein. „Wer hat hier gezaubert?“ – „Ich war das. Ein Auffangzauber, Wasser über´n Kopf und ein bequemer Sessel“ – mit dem Kopf wies der Ältere auf den Berg erschlaffter Muskeln – „er wollte umkippen.“ Kopfschüttelnd entfernte sich der Chef der Truppe wieder. War es Zufall oder Absicht, dass die Tür nicht wieder abgeschlossen wurde? Anscheinend letzteres, denn Snape bemerkte, dass der ältere Mann ihn unter halb geschlossenen Lidern fixierte; seinen Zauberstab hatte er nicht wieder weggesteckt.
Auch die längste Wartezeit geht einmal vorüber. Schließlich kam der Gerichtsdiener herein, um ihn abzuholen. Mit Unbehagen erkannte Snape Percy Weasley. Der tat so, als würde er ihn überhaupt nicht kennen, legte ihm mit wichtiger Miene Handschellen und Fußketten an und führte ihn hinaus. Im Weggehen sah Snape noch, wie der Alte missbilligend die Stirn runzelte.
Als er den Verhandlungssaal betrat, hatte Snape einen großen Teil der Zuschauer im Blickfeld. Er suchte nach Harry Potter, konnte ihn aber nirgends entdecken. Tonks saß ganz hinten, nicht weit von ihr erregte ein strahlend blonder Lockenkopf über einen pinkfarbenen Umhang Snapes Aufmerksamkeit – das war doch Gilderoy Lockhart! Brrrr! Und noch einen blonden Lockenkopf nahm er wahr – den von Rita Kimmkorn, die bereits fleißig schrieb. Er ließ die Augen weiter wandern; Niclas und Sylvia winkten ihm zu. Dann endlich entdeckte er eine Ansammlung von Rotschöpfen; mit Ausnahme von Fleur und Arthur waren alle Weasleys versammelt. Und da – Gott sei Dank – ganz außen saß Potter. Für einen Moment, so, dass es hoffentlich kein anderer gesehen hatte, zeigte Potter das Giftröhrchen. Der Ausweg war gesichert, jetzt mochte kommen, was kommen sollte.
Snape wurde zu dem Stuhl in der Mitte geführt und wie schon viele Angeklagte vor ihm daran gefesselt. Rufus Scrimgeour eröffnete die Verhandlung. Während er die übliche Einführungsrede hielt, musterte Snape die Leute im Zauberergamot und versuchte, das ihn erwartende Urteil abzuschätzen.
Neben dem Zaubereiminister saß Dolores Umbridge. Die alte Kröte war also immer noch Erste Untersekretärin! Das war auf jeden Fall ein „Ab nach Askaban!“. Pomona Sprout saß seitlich hinter Umbridge; Amelia Bones und Peggy Miller kannte er von früher her, wusste aber nicht, wie sie zu ihm standen. Die Apothekerin Jane Helmet würde ihn garantiert verurteilen. Blotts erkannte er, daneben saßen zu seiner Verwunderung Remus Lupin und Arthur Weasley. Das konnte vielleicht dreimal „Freispruch“ heißen. Bei allen anderen wagte Snape keine Vorhersage zu treffen, es war eigentlich auch sinnlos. Christoph Christophersen nickte ihm aufmunternd zu. Der Zauberer neben ihm blätterte in Papieren, Snape glaubte, Tom Astley zu erkennen. Und hinter den beiden saß – die rothaarige Hexe aus dem Aufzug. Mit einem Schlag wusste Snape, woher er sie kannte. Albus Dumbledore hatte vor ein paar Jahren versucht, ihn mit Elly Greystone zu verkuppeln. Trotz aller vorangegangenen Konzentrationsübungen wurde Severus von einer heißen Welle Scham durchflutet. Er hatte sich damals bis auf die Knochen blamiert…
(Wen interessiert, wie Snape und Elly sich kennen gelernt haben, kann ja mal die Kurzgeschichte „Einer ist immer der Loser“ lesen, von mir = damals als „pingus Mitnutzer“ im Februar 06 geschrieben und zu finden unter Autor pingu.)
„…Komme nun zur Verlesung der Anklageschrift.
Severus Joe Snape wird beschuldigt, einer schwarzmagischen Vereinigung im Sinne von Paragraph 127, Absatz 13, Zeile 47 angehört zu haben…Ziel der Vereinigung… Schaden bringen…, …“ Die Worte rauschten an Snape vorbei, er konnte den Ausführungen nicht mehr folgen. Eine halbe Stunde lang trug Scrimgeour Seite um Seite mit so monotoner Stimme vor, dass man nicht merkte, wo der eine Satz aufhörte und der nächste anfing. Am Ende wusste Snape nicht mehr, was er am Anfang gehört hatte. Unter den Zuschauern herrschte Totenstille. Vorsichtig drehte Snape den Kopf, um ins Publikum zu schauen. Die meisten saßen mit aufgerissenen Augen da und versuchten, zu verstehen, was sie da hörten. Nur Lockharts Kopf war zur Seite gesunken, die Augen geschlossen. Die leicht geöffneten Lippen flatterten bei jedem Atemzug.
„…Fassen wir zusammen.“ Endlich hatte Scrimgeour die Stimme gehoben. „Severus Snape ist hiermit angeklagt:
1) Mitgliedschaft in einer schwarzmagischen Vereinigung
2) AusĂĽbung schwarzer Magie
3) vorsätzlicher Tötung.
Severus Snape, bekennen Sie sich schuldig zum Ersten: der Mitgliedschaft in einer schwarzmagischen Vereinigung?“ Ohne zu zögern antwortete Snape: „Schuldig.“ Ein Raunen ging durch den Saal.
„Bekennen Sie sich schuldig zum Zweiten – der Ausübung schwarzer Magie?“ – „Schuldig.“ Das Raunen wurde lauter.
„Zum Dritten. Bekennen Sie sich schuldig der vorsätzlichen und geplanten Tötung, also des Mordes an Albus Dumbledore, zum Zeitpunkt der Tatausübung Leiter der Hogwarts-Schule und damit Ihr unmittelbarer Vorgesetzter?“ Wieder antwortete Snape, ohne zu zögern laut und deutlich: „Schuldig.“ Das Raunen wurde zum Tumult. „Aufhängen!“, riefen einige, andere forderten „Askaban für immer!“, „Weg mit ihm!“
Scrimgeour wartete eine Minute, dann schlug er an einen kleinen Gong. Der hallte so laut, dass alle Geräusche schlagartig verstummten.
„Das Gericht kommt nun zur Befragung des Angeklagten.“ In den folgenden zwei Stunden fragte Scrimgeour Snape über seine Kindheit und Jugend aus. Unruhe entstand, als er über sein Leben in dem Kinderheim berichtete.
„Hatten Sie keine Verwandten, die Sie hätten aufnehmen können?“, fragte Peggy Miller.
„Meine Großeltern väterlicherseits waren noch da – Muggel. Sie wollten einen Zauberer nicht aufnehmen. Das habe ich allerdings erst vor ein paar Tagen erfahren.“ Gemurmel erhob sich im Hintergrund. Arthur Weasley und Remus Lupin tauschten Blicke.
Weiter und weiter ging die Fragerei. Was wollten die eigentlich damit bezwecken, dass sie seine gesamte Kindheit hier ausbreiteten? Warnung an alle Eltern, ihre Kinder nicht zu vernachlässigen, oder was?
Gegen 12 Uhr fragte Scrimgeour in die Runde: „Möchte noch jemand Fragen zu Kindheit und Jugend des Angeklagten stellen? Hat jemand Einwände gegen die Antworten des Angeklagten vorzubringen?“ Wieder tauschten Weasley und Lupin Blicke; eine Bemerkung machen wollte niemand. Sanft schlug Scrimgeour seinen Gong; als der letzte Ton verhallt war, verkündete er eine einstündige Mittagspause.
Snape wurde wieder in die Zelle geführt und bekam lauwarmes Wasser und ein pappiges Sandwich serviert. Der Muskelprotz stellte sich wieder mit gezücktem Zauberstab und verschränkten Armen an die Tür. Snape überlegte, wie lange er diesmal bis zum Umfallen brauchen würde.
Auch der ältere Sicherheitszauberer war wieder da. Er knurrte den Jungen an, er solle sich setzen, weil er keine Lust habe, schon wieder Erste Hilfe zu leisten.
Der andere erwiderte: „Es ist gegen die Vorschrift. Der Gefangene darf keine Möglichkeit haben, durch die Tür zu entkommen.“ – „Dann nimm dir eben einen Stuhl mit an die Tür und setz´ dich dort hin, aber bring hier nicht so viel Unruhe ´rein.“
Snape hielt es auf dem harten Stuhl kaum noch aus. Nur, um sich etwas Bewegung verschaffen zu können, bat er darum, auf die Toilette gehen zu dürfen. Flankiert von den beiden Sicherheitszauberern ging er über einen absolut leeren Flur (Zauberei?).
Der Hüne wollte mit hineingehen, doch der Ältere hielt ihn am Arm zurück. „Nicht nötig.“ – „Aber die Vorschriften…“, hörte Snape noch den Protest des jüngeren Mannes. Der war wohl noch nicht lange im Dienst…
Snape machte ein paar Kniebeugen, reckte und streckte seine Glieder und ließ kaltes Wasser über seine Handgelenke laufen, ehe er wieder auf den Gang trat. „Das hat aber lange gedauert“, entfuhr es dem Milchbart. Snape riskierte es, ihm einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.
Nach dem Ende der Mittagspause begann Rufus Scrimgeour, ihn zu den Anklagepunkten eins und zwei „zur Sache“ zu befragen. Methodisch erforschte er Snapes Hinwendung zur schwarzen Magie und erste Kontakte zu Voldemort. Und bald schon kam die erste Frage, die Snape mit „Ich weiß nicht“ beantworten musste: „Wann und von wem haben Sie das erste Mal gehört, dass muggelstämmige Zauberer weniger Wert sein sollten als reinblütige?“ – „Während der Schulzeit in Hogwarts war das öfters ein Gesprächsthema unter den Slytherins, aber von wem und wann ich das erste Mal so etwas gehört habe, weiß ich nicht mehr.“
Scrimgeour wartete immer, bis Percy Weasley fertig war mit der Niederschrift von Snapes Antworten, dadurch entstand nach jeder Frage eine kleine Pause. Im Saal herrschte angespannte Stille, nur aus der Richtung, wo Lockhart saß, war dann und wann ein kleiner Schnarcher zu hören.
„Wer hat Ihnen das erste Mal einen Schwarzen Zauber gezeigt oder beigebracht?“ Daran erinnerte Snape sich noch gut: „Lucius Malfoy.“ („Hört, hört“ und „Lüge!“ aus dem Hintergrund.) – „Was für ein Zauber war das?“ – „Ein Spruch, mit dem man jemandem starke Kopfschmerzen anhexen konnte.“ – „Haben Sie ihn jemals benutzt? Wenn ja, an wem?“ Schon wieder so eine Frage, die er nicht genau beantworten konnte! „Vor allem an Gryffindor-Schülern, Lily Evans, (Schamröte stieg in Snapes Wangen), ja, und Miss Lunders. An andere Namen erinnere ich mich nicht mehr.“ (Von hinten: „kann er nicht oder will er nicht?“) „Warum haben Sie das damals getan?“ Musste das denn sein? Aber es war ja sowieso alles egal, also konnte er auch reden… „Bei den Gryffindors, um sie zu ärgern. Und Miss Lunders konnte keiner leiden, wir waren alle froh, wenn „Alte Runen“ mal ausfiel. Deshalb habe ich ihr ein paar Mal Kopfweh angehext.“ (Im Hintergrund waren sowohl Buh-Rufe als auch Kichern zu hören.) Die Lunders war wirklich eine Ziege gewesen. Völlig trocken und humorlos, streng bis zur Pingeligkeit, total altmodisch. Sie hatte ihr Fach für das allerwichtigste gehalten und konnte sich gar nicht vorstellen, dass es außerhalb des Unterrichts auch noch ein Leben gab.
Aber schon hatte Scrimgeour die nächste Frage gestellt, er gönnte ihm keine Pause. Besonders viele wollte der Vorsitzende über Snapes Zeit im „Inneren Kreis“ bei Voldemort wissen. „Wie viele Gefolgsleute hatte Voldemort?“ – „Tut mir Leid, diese Frage kann ich nicht beantworten. Nur der… nur Voldemort allein wusste, wie viele Leute das Dunkle Mal trugen; es waren wahrscheinlich nie alle zur gleichen Zeit versammelt. Zum Großen Treffen kamen immer so 40 Leute, aber ich hatte den Eindruck, dass sie wechselten.“ („Wo bleibt das Veritaserum?“ – „Er soll Namen nennen!“)
So ging es Schlag auf Schlag, bis halb sechs wieder die Aufforderung an andere Anwesende kam, Fragen zu stellen und Aussagen zu machen. Ganz links außen erhob sich ein alter, glatzköpfiger Zauberer und fragte: „Angeklagter, ist es richtig, dass Sie wegen Anwendung schwarzer Magie und Gefolgschaft zu Voldemort schon einmal vor dem Zauberergamot angeklagt waren und freigesprochen wurden?“ – „Ja, das stimmt. Albus Dumbledore hat für mich gebürgt.“ Der Lärm im Saal war unbeschreiblich, Scrimgeour musste seinen Gong bedienen. Er nickte dem Alten zu und fragte Severus: „Wie hat Albus Dumbledore sich versichert, dass Sie keine schwarze Magie mehr anwenden?“ Snape berichtete von dem Unbrechbaren Versprechen, dass er Dumbledore gegeben hatte. Wortwörtlich gab er den Text wieder, den er damals gesprochen hatte. Auf die Frage, ob er jemals diesen Schritt bereut oder auch nur an der Richtigkeit gezweifelt hatte, konnte er mit einem klaren, deutlichen „Nein“ antworten. (Hinten rief jemand: „Gebt ihm doch endlich Veritaserum!“)
Scrimgeour wartete, bis Percy fertig war mit Schreiben, schlug seinen Gong und verkĂĽndete, dass der Prozess morgen fortgesetzt wĂĽrde. Tumult brach aus.
Die beiden Sicherheitszauberer erschienen und führten Severus nach hinten weg. Im Vorbeigehen fragte der Ältere Scrimgeour: „In welche Zelle soll er“ Scrimgeour antwortete: „In gar keine. Man hat für ihn gebürgt. Bringt ihn auf geheimen Wegen nach draußen.“ Der Alte nickte, der Muskelmann packte Snape so derb am Arm, dass er unwillkürlich aufschrie. Draußen auf dem Gang schickte der Weißhaarige seinen Mitarbeiter weg, sagte kurz: „Kommen Sie!“, öffnete eine Tür, wo vorher keine war und führte Snape durch leere Gänge zu einer Hintertür. „Sehen Sie zu, dass Sie disapparieren, ehe der Mob Sie lyncht. – Bis morgen.“ Es machte „Plopp“ und Snape stand allein irgendwo mitten in London. Er mobilisierte sein letztes bisschen Magie und landete glücklich vor der Tür von Grimmauld Place 12.
Am nächsten Morgen fand sich Snape erst kurz vor 9 Uhr vor dem Saal ein; die beiden Sicherheitszauberer waren wieder da. Diesmal brauchte er sich nicht erst in einer Zwangshaltung hinzusetzen.
Die Verhandlung wurde fortgesetzt mit der Feststellung, dass durch den Freispruch bei der ersten Verhandlung alles das, was Snape bis zu diesem Zeitpunkt vorgeworfen worden war für das laufende Verfahren null und nichtig war. (Buh-Rufe im Hintergrund.) Ein Trost war das für Snape nicht, er war rückfällig geworden und noch schlimmer – er hatte getötet. Scrimgeour konzentrierte sich mit seinen Fragen nun auf die Zeit nach dem Verschwinden von Voldemort. Er ließ Snape über sein Verhältnis zu Dumbledore und den anderen Hogwarts-Lehrern reden, fragte nach Freundschaften, Hobbies, Gewohnheiten, alten Kontakten. Dabei streute er immer wieder Fragen zur Schwarzen Magie und nach ehemaligen Todessern ein.
Als Scrimgeour dann zum dritten Mal fragte, ob zwischen Lucius Malfoy und ihm noch Kontakte bestanden hätten, fragte Snape sich, was das ganze sollte. Außerdem wunderte er sich, dass noch keine Zeugen aufgerufen worden waren. Potter hatte doch gesagt, dass er aussagen würde, oder nicht?
Kaum hatte Snape an Potter gedacht, hagelte es Fragen über Fragen genau zu diesem Thema. Snape hätte nur zu gern seinen Hass verschwiegen und die Schikanen abgeschwächt, aber im Saal saßen viel zu viele Leute, die genauestens Bescheid wussten.
Ausführlich ließ Scrimgeour sich die Zeit nach dem Wiedererscheinen von Voldemort beschreiben. Snape berichtete, wie Dumbledore ihn gebeten hatte, zum Schein zurückzukehren, wie er in den „Orden des Phönix“ eingetreten war und versucht hatte, Voldemorts Pläne auszuspionieren – und wie wenig Erfolge er vorweisen konnte. („Lüge! Lüge!“ – Rufe von hinten.) Wieder ging es um Gepflogenheiten bei den Treffen, wurde nach Namen gefragt. Snape musste auch berichten, wie die einzelnen Lehrer auf die Ereignisse nach der Rückkehr von Voldemort reagiert hatten u.s.w. u.s.f. Nur das, was unmittelbar mit Dumbledores Tod zusammenhing, kam überhaupt nicht zur Sprache.
SchlieĂźlich wurde es Mittag. Nach dem Essen (pappiges Sandwich und lauwarmes Wasser) begannen endlich die Zeugenvernehmungen. Als erstes musste Tonks berichten, wie es dazu kam, dass sie Snape angezeigt hat. Danach schilderten sein Arbeitgeber Blott sowie Christoph Christophersen, wie Snape arbeitete. Interessanterweise schien die Apothekerin in sich zusammenzusinken.
Dann endlich wurde Harry Potter „als Zeuge der Verteidigung“ aufgerufen. (Ah´s und Oh´s waren zu hören, auch schadenfrohes Kichern.) Als erstes wurde Potter vereidigt, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Danach musste er über Snapes Unterricht sprechen; er wurde zu Hausaufgaben und Strafarbeiten befragt. „Stimmt es, dass der Angeklagte Ihnen besonders oft und mitunter ohne wirklichen Grund Strafarbeiten aufgegeben hat?“ Potter überlegte eine Weile, ehe er antwortete: „Professor Snape hat mich öfter als andere und auch härter bestraft, aber ich habe ihm oft genug einen Grund dafür geliefert. Professor Snape hat auf diese Art versucht, mir etwas über den Charakter meines Vaters mitzuteilen und mich davor bewahrt, genauso zu werden wie mein Vater.“ - „Wussten Sie, dass der Angeklagte bis kurz vor dem Verschwinden von Voldemort einer seiner Gefolgsleute war?“ – „Ja.“ – „Haben Sie bemerkt, dass sich der Angeklagte mit Schwarzer Magie beschäftigte?“ – „Nie.“
Eine ganze Stunde lang wurde Potter zum Orden des Phönix und Snapes Rolle darin befragt. Snape war froh, dass er in allem die Wahrheit gesagt hatte, Potters Aussagen deckten sich mit den seinen. Nur eines war Severus überhaupt nicht klar: was die ganze Fragerei sollte.
Die Luft im Saal war alles andere als gut, Snape wurde langsam müde. Doch die Müdigkeit verflog schlagartig, als Scrimgeour fragte: „Hat der Angeklagte jemals versucht, Ihnen Schaden zuzufügen?“ Snape dachte an die Okklumentik-Stunden, aber Potter antwortete: „Nein, nie. Im Gegenteil, Professor Snape hat mir mehrmals sehr geholfen.“ Und Potter zählte alles auf, alle Kleinigkeiten, bis er zuletzt auf seine Rolle nach Dumbledores Tod und beim endgültigen Zusammentreffen mit Voldemort zu sprechen kam. Atemlose Stille breitete sich im Raum aus. Man konnte das Kratzen der Federn von Percy Weasley und Rita Kimmkorn hören, bis jemand rief: „Oh, wie heldenhaft!“ ´Eindeutig Lockhart´, dachte Snape und bittere Galle stieg in ihm auf.
An dieser Stelle unterbrach Scrimgeour die Vernehmung von Harry Potter und bat diesen, sich später noch einmal zur Befragung bereitzuhalten.
Ein paar andere Zeugen wurden aufgerufen und zu Nebensächlichkeiten befragt, dann vertagte Scrimgeour die Verhandlung wieder.
In dieser Nacht konnte Snape nicht schlafen. Alle Versuche, seinen Geist zu leeren und die notwendige Ruhe zu finden, schlugen fehl. Er fragte sich, warum man den Prozess so in die Länge zog. Zum eigentlichen Thema – dem Mord an Albus Dumbledore – hatte man weder ihn noch einen Zeugen befragt. Was wollten die erreichen? Ihn als kaltblütigen Mörder ohne Gewissen darstellen oder -?
MĂĽde und zerschlagen nahm Snape zum dritten Mal auf dem Anklagestuhl Platz, die Fesseln schlossen sich.
„Heute kommen wir zum dritten Punkt der Anklage, der Tötung von Albus Dumbledore. Angeklagter, Sie haben sich in diesem Punkt schuldig bekannt. Schildern Sie, wie und warum Sie Albus Dumbledore getötet haben.“ Das war einfach. Snape schloss die Augen, konzentrierte sich und begann zu sprechen. Er fing mit seinem Wunsch an, sich von Voldemort zu lösen, machte mit den Unbrechbaren Versprechen weiter, die er Dumbledore und Narcissa Malfoy gegeben hatte weiter, schilderte, wie er von Dracos Auftrag erfahren und Dumbledore berichtet hatte und gab dessen Reaktion wieder. Ein Kloß wuchs in Snapes Kehle, als er berichtete, wie Filius Flitwick ihn um Hilfe gebeten hatte, er auf den Astronomieturm geeilt war, wo Dumbledore am Boden lag…
Scrimgeour fragte: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, glaubten Sie, keine andere Wahl zu haben, als Dumbledore zu töten, nicht wahr?“ – „Ja, das glaubte ich zu diesem Zeitpunkt.“ – „Und heute, wie denken Sie jetzt darüber? Hätten Sie eine andere Wahl gehabt?“ Snape holte tief Luft und antwortete, so fest er konnte: „Ja, ich konnte wählen. Ich hätte Albus Dumbledore nicht töten müssen.“
Ein Raunen ging durch den Saal. Unruhe machte sich breit. „Was, meinen Sie, wäre passiert, wenn Sie Dumbledore nicht getötet hätten?“
„Es heißt zwar, dass man stirbt, wenn man ein Unbrechbares Versprechen bricht, aber ich habe noch nicht davon gehört, dass es jemandem passiert wäre. Was wirklich weiterhin geschehen wäre, wenn ich Albus Dumbledore nicht umgebracht hätte, vermag niemand zu sagen. Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren. Ich HABE Albus Dumbledore umgebracht und die Ereignisse nahmen ihren Lauf.“ („Bemerkenswert“, sagte Lockhart im Hintergrund.)
Scrimgeour verwarnte Lockhart, der schon mehrfach mit Zwischenrufen gestört hatte und ließ sich dann von Snape schildern, was er nach dem Tod von Albus Dumbledore getan hatte.
Das ganze zog sich hin bis zur Mittagspause (pappiges Sandwich und lauwarmes Wasser). Snape konnte sich kaum noch aufrecht halten, nach dem Essen schlief er auf dem harten Stuhl sofort ein.
Am Nachmittag wurden wieder Zeugen vernommen. Ausnahmslos alle bestätigten seine Aussagen. Potter betonte, dass er ohne Snapes Hilfe seine Aufgabe nicht hätte bewältigen können und berichtete von einem Brief von Dumbledores Hand, den er vor kurzem bekommen hatte und in dem Dumbledore geschrieben hatte, dass er sich opfern würde, damit Snape ganz dicht an Voldemort herankommen und ihm, Potter, helfen konnte.
Während der Zeugenvernehmungen beobachtete Snape die Mitglieder des Zauberergamots. Die meisten verfolgten das Geschehen mit größter Aufmerksamkeit. Lupin und Weasley tauschten dann und wann Bemerkungen aus. Dolores Umbridge schaute gelangweilt in der Gegend herum. Christoph Christophersen war sehr unruhig, er schaute abwechselnd zur Uhr und zur Tür.
Der Nachmittag war weit fortgeschritten, als Scrimgeour die Anwesenden aufrief, Fragen zu stellen oder Aussagen zu machen. Einige Leute aus dem Publikum meldeten sich. Lockhart fragte, ob man Snape nicht gestattet hätte, sich die Haare zu waschen, was mit allgemeinem Gelächter und einer Rüge durch den Vorsitzenden quittiert wurde.
„Noch jemand?“, fragte Scrimgeour und wies auf einen Platz rechts im Rücken von Snape.
„Mein Name ist Niclas Snape. Ich bin der Bruder es Angeklagten. Wir wurden als ganz kleine Kinder getrennt und haben uns erst vor ein paar Tagen durch einen Zufall wieder getroffen. Jedem, der uns sieht, müsste die große Ähnlichkeit auffallen.
Was ich sagen will, ist, dass ich am 4. März auf dem Heimweg von der Arbeit überfallen worden bin von Gefolgsleuten des, des Voldemort. Sie hatten mich offenbar mit Severus verwechselt. Das müsste doch zeigen, dass Severus nicht wirklich zu denen gehörte, oder?“
Alle Köpfe im Saal wandten sich Niclas zu, der knallrot anlief und Sylvias Hand hielt.
Der Vorsitzende lieĂź sich ausfĂĽhrlich en Ăśberfall schildern.
Als sich auf sein „Möchte noch jemand aussagen?“ niemand mehr meldete, schickte er die Mitglieder des Zauberergamots für eine Viertelstunde nach draußen zur Schweigeklausur, wo jeder für sich selbst über Schuld oder Unschuld des Angeklagten nachdenken sollte. Scrimgeour selbst blieb im Saal; er würde nicht mit abstimmen, damit eine ungerade Zahl an Stimmen entstand. Nach der vorgeschriebenen Zeit kamen die 49 Hexen und Zauberer wieder herein. Scrimgeour verließ seinen Platz, stellte sich mit dem Rücken zum Publikum und fragte, ob jeder zu einer eindeutigen Entscheidung gekommen war. Alle nickten.
Der Zaubereiminister wiederholte die Kurzfassung der Anklageschrift. „Wer den Angeklagten in mindestens einem Anklagepunkt für schuldig hält, den bitte ich jetzt um das Zeichen mit dem Zauberstab.“
Snapes Herz begann zu rasen, er atmete so heftig ein und aus, dass es ihm in den Fingerspitzen kribbelte. Etliche Zauberstäbe wurden in die Höhe gehalten. Der erste, der in die Höhe schnellte, war der von Dolores Umbridge, das war klar. Peggy Miller hatte die Hand gehoben, Amelia Bones auch, Jack Spellman (ein früherer Schüler, mit dem Snape heftige Auseinandersetzungen gehabt hatte), einige ältere Zauberer. Scrimgeour zählte die Stimmen zwei mal durch und kam auf 24.
„Danke. Jetzt die Gegenprobe. Wer für ´Freispruch´ plädiert, der hebe jetzt seinen Zauberstab.“ – Hatte Scrimgeour absichtlich das Wort ´unschuldig´ vermieden? Egal, der Vorsitzende zählte 25 Zauberstäbe. „Damit ist Severus Snape von der gesamten Anklage freigesprochen und darf wegen dieser Sache nicht mehr belangt werden.“
Die Hand- und Fußfesseln am Stuhl lösten sich, Scrimgeour reichte Snape seinen Zauberstab. Der blieb sitzen, erstarrt, unfähig, sich zu bewegen. Er konnte es kaum fassen – freigesprochen!
In diesem Moment trat ein Zauberer in Auroren-Umhang in den Saal, stürzte auf Scrimgeour zu und sprach heftig gestikulierend auf diesen ein. Scrimgeour wandte sich um, rief mit magisch verstärkter Stimme: „Ich bitte noch für einen Moment um Aufmerksamkeit. Soeben sind zum Tod des Albus Dumbledore neue Fakten bekannt geworden.“
Totenstille im Saal, Snape rauschte das Blut in den Ohren, sein Herz setzte einen Moment aus, um mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen.
Der Neuankömmling erhielt das Wort. „Es ist uns gelungen, nach der Beschreibung von Harry Potter die Höhle zu finden, die Potter und Albus Dumbledore kurz vor dessen Tod aufgesucht haben. Die Schutzzauber waren alle noch intakt, auch das Gefäß mit Resten der Flüssigkeit, die Dumbledore getrunken hat, haben wir entdeckt. Die Substanz enthielt ein Gemisch aus mehreren Giften, die in der Kombination mit dem Wasser aus dem Höhlensee absolut tödlich wirkten. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Severus Snape den Todesfluch aussprach, hatte Dumbledore bestenfalls noch zehn Minuten zu leben. Und nichts hätte seinen Tod verhindern können als vollständiges Erbrechen der giftigen Substanz kurz nach der Einnahme, was allein durch die Gabe von reichlich Meerwasser möglich gewesen wäre.“
Für einen Moment herrschte wieder Totenstille im Raum, dann setzte schlagartig ein Höllenlärm ein. Durcheinander redend und rufend verließen die Mitglieder des Zauberergamots und die Zuschauer den Gerichtssaal. Snape erhob sich wie im Trance; niemand kümmerte sich um ihn. (Dass Elly Greystone ihn genau beobachtete, bemerkte er nicht.) Unschlüssig, was er als nächstes tun sollte, machte er ein paar Schritte auf Potter und die Weasleys zu. Harry Potter war kreidebleich geworden und starrte ins Leere.
Snape wollte gerade zu ihm gehen, da trat Niclas auf ihn zu und umarmte ihn. „Ich wusste es, ich wusste es. Du hast Albus Dumbledore gar nicht umgebracht, er wäre sowieso gestorben. Du bist frei!“
Severus erwachte aus seinem Trance, schob seinen Bruder etwas von sich und sagte düster: „Freigesprochen hat man mich. Aber auch wenn Dumbledore schon im Sterben lag – den Todesfluch habe ich ausgesprochen und diese Tatsache bleibt bestehen.“
Lange standen sich die Brüder schweigend gegenüber, dann fragte Niclas: „Was fängst du jetzt an? Gehst du wieder nach Hogwarts? Oder – du könntest auch bei uns wohnen, Platz ist genug. Und einen besseren Job als den, den du hast, kriegst du bestimmt.“
„Bitte lasst mir ein bisschen Zeit, ich muss erst wieder zu mir selbst finden.“ Severus drehte sich um und verließ allein und unbehelligt das Ministerium.
Vor allen anderen kam Snape nach Hause und das fand er gut so. Von Dobby ließ er sich einen Imbiss und eine Flasche gut gekühltes Bier bringen. Das Essen wollte kaum rutschen, aber das Bier schmeckte köstlich. Snape trank in großen Schlucken und leerte die Flasche innerhalb von fünf Minuten. Als er draußen Stimmen hörte, erhob er sich rasch und eilte die Treppe hinauf.
Uuuuups, was war das denn! Snape konnte sich gerade noch festhalten, in seinem Kopf summte es und sein Gehirn spielte Kreisel. Nix wie weg und ins Bett!!!
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