von käfer
Vorbei. Seit einer Woche war alles vorbei, Harry Potter hatte den finstersten und - nach Dumbledores Tod - mächtigsten Zauberer besiegt. Die letzten Anhänger von Voldemort wurden von den Auroren aufgestöbert und nach Askaban verfrachtet. Alle anderen Zauberer jubelten und feierten immer noch; sie tanzten auf den Straßen und die Muggel wunderten sich.
In einem kleinen, längst verlassenen Dorf saß Severus Snape in dem kalten, halb vergammelten Haus seiner Eltern. Auch für ihn würde bald alles vorbeisein, in Kürze würden die Auroren hierher kommen, um ihn abzuholen, aber finden würden sie nur noch seine Leiche. Snape hatte vorgesorgt. Bevor er Hogwarts endgültig verlassen hatte, hatte er eine kleine Phiole mit schnell wirkendem Gift eingesteckt. Das Röhrchen lag vor ihm, gleich würde er es austrinken. Das letzte, was ihm noch am Herzen lag, hatte er getan – aufgeschrieben, wie es dazu kam, dass er Albus Dumbledore getötet hatte.
Snape nahm das Glas mit dem Gift in die Hand. Mochten sie alle feiern, sollte Potter ruhig den Orden des Merlin bekommen und alle anderen Auszeichnungen dazu. Er, Snape, wĂĽrde nicht mehr miterleben, wie Potter dann durch die Gegend stolzierte und die Nase hochtrug. Snapes eigenen Beitrag zum Sturz des dunklen Lords konnte man getrost vergessen, niemand wĂĽrde je erfahren, wie er es geschafft hatte, dem dunklen Lord die Verstecke fĂĽr seine Horkruxe zu entlocken und sie Potter mitzuteilen.
Voldemort selbst hatte Snape seinerzeit in Legilimentik und Okklumentik ausgebildet, aber keiner wusste, dass der Schüler weitaus besser geworden war als der Lehrmeister. Es war ein Wunder, dass er bis zuletzt überlebt hatte, dass Voldemort nicht gemerkt hatte, dass seine Treue und reumütige Rückkehr nur vorgespielt war. Eigentlich erstaunlich, dass der dunkle Lord nicht auf den Gedanken gekommen war, dass Snape es gewesen war, der Potter geholfen hatte. Einzig und allein Bellatrix Lestrange hatte Verdacht geschöpft, aber nichts beweisen können. Potter hatte es wider Erwarten fertig gebracht, von den Todessern unentdeckt zu bleiben, bis die Horkruxe vernichtet waren.
Schließlich hatte Voldemort Ginny Weasley zu fassen bekommen und damit Potter aus der Reserve gelockt. Der Dunkle Lord hatte sich sicher gefühlt, auch dann noch, als Potter und seine Freunde ihm gegenüberstanden. Mit bangem Herzen hatte Snape wie befohlen am Kampf teilgenommen und so getan, als wollte er Weasley und Granger töten. Tatsächlich jedoch hatte er etliche von Voldemorts Flüchen abgelenkt; einer davon hatte Peter Pettigrew getroffen; Pech für die Ratte. Am Ende hatte die Kraft des vermeintlich Schwächeren, der mit ganzem Herzen für die eintrat, die er liebte, gesiegt über den, der stärker war, aber Liebe und Zuneigung nie gekannt hatte.
Snape drehte das Giftröhrchen in seinen Händen. Während er die Lichtreflexe beobachtete, zog sein Leben vor seinem geistigen Auge vorbei.
Da waren die Eltern, die ihn geliebt hatten, aber völlig vergaßen, nachdem ein zweites Kind zur Welt gekommen war. Später hatte es Streit, Geschrei, manchmal Schläge für ihn gegeben, während Niclas verhätschelt wurde.
Der Unfall. Severus konnte sich noch genau an den weißen Kleintransporter erinnern, der plötzlich aus einer Seitenstraße herausgeschossen kam. Es hatte gekracht und alles war schwarz geworden. Später hatte Snape erfahren, dass seine Eltern tot waren. Weil er keine Verwandten hatte, die ihn aufnehmen konnten, wurde er in ein Muggel-Kinderheim gesteckt. Seinem Bruder hatte er völlig vergessen…
In dem ĂĽberfĂĽllten Waisenhaus war Snape nur einer von vielen gewesen. Die total ĂĽberforderten Erzieher fĂĽhrten ein strenges Regiment; Strafen gab es immer, Lob nie.
Die Grundschule – eine Abfolge von Katastrophen. Snapes magische Kräfte drangen durch und brachten ihm jede Menge Ärger und neue Strafen ein, bis er mit Lucius Malfoy zusammentraf und lernte, seine Fähigkeiten zu nutzen.
Die erste Fahrt nach Hogwarts – die erste unangenehme Begegnung mit James Potter.
Der Sprechende Hut steckte Severus zu den Slytherins. Snape hatte ständig Angst, als Halbblut erkannt und ausgelacht zu werden. Malfoy nutzte das weidlich aus; zeigte ihm aber auch Schwarze Magie und den Weg zur Macht. Die Anhänger des Dunklen Lords konnten Dinge tun, von denen ein Schuljunge kaum zu träumen wagte…
Snape hatte gehofft, einen Weg zu finden, sich an Potter und seinen Gesellen einmal rächen zu können.
Lily Evans. Seine erste und letzte groĂźe Liebe. Doch James Potter spannte sie ihm aus, noch bevor ihre Beziehung richtig begonnen hatte.
Die Treffen der Todesser; seine „Ausbildung“ durch den Meister selbst. Snape war der Liebling Voldemorts; er wusste sich bald unentbehrlich zu machen.
Dann der erste Auftrag zu töten – ein Baby! Nur zu gut hatte Snape die Adresse gekannt – er hatte mit der hübschen Hexe lange Zeit ein Verhältnis gehabt. Als jedoch ein Kind unterwegs war, gestand sie ihm, dass sie verheiratet war und nicht wusste, von wem das Kind war. Auf Befehl von Voldemort war Snape damals hingegangen, hatte die Mutter aus dem Haus gelockt und den Zauberstab auf das schlafende schwarzhaarige Mädchen gerichtet. Doch dann hatte er gezögert und zu zittern begonnen. War das vielleicht doch SEIN Kind???“ Er hatte den Zauberstab sinken lassen und war aus dem Fenster gesprungen, als die Mutter zurückgekommen war.
Voldemort hatte vor aller Augen das Große Strafritual durchgezogen; Snape wäre fast draufgegangen dabei. Mit viel Glück hatte er überlebt und einen Weg gesucht, von Voldemort wegzukommen. Der pflegte Abtrünnige jedoch gnadenlos zu töten…
Trotz des geschwundenen Vertrauens hatte Snape den Auftrag erhalten, Albus Dumbledore auszuspionieren und sich als Lehrer an der Schule beworben. Er hatte Dumbledore alles gebeichtet und um Hilfe gebeten. Der Direktor hatte ihm ein Unbrechbares Versprechen abgenommen, die Finger von der Schwarzen Magie zu lassen und Voldemort zu bekämpfen. Damit hatte ein nervenzerfetzendes Doppelleben begonnen.
Durch einen Zufall war auch Snape Zeuge der Prophezeiung geworden, die Sybil Trelawney gemacht hatte, und hatte Voldemort darüber berichtet. Damit hatte er Ereignisse ins Rollen gebracht…
Snape seufzte und hielt das Giftglas gegen das Licht.
…Sowohl die Potters als auch die Longbottoms waren damals besonders geschützt worden; trotzdem hatte Voldemort von den Verstecken erfahren. Snape war sich schon damals sicher gewesen, dass einer der Verräter Peter Pettigrew war, konnte jedoch nichts beweisen. Und dann war Voldemort hingegangen, hatte die Potters getötet – und ihr Sohn überlebte dank eines uralten Liebeszaubers den Todesfluch. Voldemort war von der Bildfläche verschwunden, doch die Erleichterung, die Snape empfunden hatte, wich blankem Entsetzen, als er bemerkte, dass das dunkle Mal an seinem linken Arm immer noch zu sehen war.
Die Hölle hatte sich von neuem für ihn aufgetan, als Harry Potter, der Junge, der überlebt hatte, der Auserwählte, …bääääh! auf die Schule gekommen war. Der alte Hass war sofort wieder aufgeflammt – und er war beidseitig. Niemand hatte Potter die Wahrheit über seinen Vater erzählt, und das, was Snape zu erzählen hatte, hatte Potter natürlich nicht geglaubt.
Wieder fiel Snapes Blick auf das Gift. Das hatte er damals hergestellt, nachdem Potter im Denkarium die Erinnerungen gesehen hatte, die Snape vorsorglich aus seinem Hirn verbannt hatte. Snape hatte eigentlich erwartet, dass Potter allen erzählte, was er gesehen hatte. Er hatte seine Ohren offengehalten und sogar seinen Hauself Willy damit beauftragt, bei den Schülern zu lauschen; aber Potter schien die Klappe zu halten. Seinerzeit hatte Snape das Gift wieder weggelegt, er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen gehabt – Potter zu schützen, bis er reif war, dem Dunklen Lord gegenüberzutreten. Wäre doch Longbottom der Auserwählte gewesen, wie viel leichter wäre alles geworden!
Nach dem Wiedererscheinen des Dunklen Lords war er Dumbledores Aufforderung gefolgt, scheinbar zurückzukehren. Seine Aufgabe war es gewesen, die Pläne Voldemorts auszukundschaften. Aber die Sache hatte sich sehr schwierig gestaltet. Snape hatte keinen Zutritt mehr zum Inneren Kreis gehabt, er war gerade so geduldet und hatte alles mögliche versuchen müssen, um ein paar Informationen zu erhaschen. Sogar Weasleys Langziehohren hatte benutzt –vergebens. Zum Glück war er stets allein mit Voldemort gewesen, wenn der etwas über Dumbledores Pläne hatte wissen wollen. So sah es wenigstens für die anderen so aus, als würde Snape bevorzugt.
Ă–fter als bisher war er nun in das Haus seiner Eltern zurĂĽckgekehrt und hatte in den alten ZauberbĂĽchern, die von den Vorfahren seiner Mutter stammten, Ablenkung und Rat gesucht.
Ein paar Wochen nachdem Dumbledore, Potter und seine Freunde dafür gesorgt hatten, dass einige Todesser, unter ihnen auch Lucius Malfoy, in Askaban verschwanden, war Narzissa Malfoy bei ihm aufgetaucht, Bellatrix Lestrange im Schlepptau. Und Narzissa hatte Rotz zu Wasser geheult, weil ihr geliebter Draco einen gefährlichen Auftrag von Voldemort bekommen hatte. Sie hatte Snape angefleht, die streng geheime Aufgabe zu übernehmen. Er hatte geblufft, hatte behauptet, er wüsste von den Plänen des Meisters und wäre bereit, es zu machen, falls Draco versagte. Das unbrechbare Versprechen hatte er ihr gegeben, ohne zu wissen, auf was er sich einließ.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Snape herausbekam, dass Draco jemanden töten musste und es kostete ihn noch etliche schlaflose Nächte und seinen gesamten Vorrat an Veritaserum, zu erfahren, wer das Opfer sein sollte. Nachdem er den Namen gehört hatte, hatte er sich furchtbar übergeben müssen und eine eiskalte Dusche gebraucht, um wieder zu sich zu kommen und klar denken zu können. Ausgerechnet Dumbledore sollte Malfoy töten, den einzigen Menschen, der jetzt noch zwischen dem Dunklen Lord und Harry Potter stand, der damals längst noch nicht bereit war, Voldemort gegenüber zu treten!
Zitternd hatte er Dumbledore alles erzählt. Dessen Augen hatten plötzlich zu leuchten begonnen und fast freudig erregt hatte der Chef geraunt: „Das ist unsere Chance! DU musst es für ihn tun, dann wird alles gut.“ Fassungslos hatte Snape Dumbledore angestarrt. Wurde der Alte verrückt? War das beginnender Wahnsinn, was er in den hellblauen Augen sah?
Als hätte Dumbledore seine Gedanken gelesen, hatte er mit dem altbekannten leichten Lächeln gesagt: „Ich bin alt und langsam geworden, meine Zeit ist sowieso fast abgelaufen. Für Harry kann ich nichts mehr tun. Aber wenn ich durch deine Hand sterbe, kommst Du wahrscheinlich näher an Voldemort heran, als du je gewesen bist. An dir ist es jetzt, mein Werk zu vollenden! Es ist eine schwere Last, die ich dir aufbürde, aber du musst und du kannst sie tragen! Zögere meinen Tod hinaus, so lange du kannst, aber wenn es soweit ist, das Opfer zu vollstrecken, dann tue es!“
Es kostete Snape unglaubliche, so zu tun, als wäre nichts. Wäre er damals nur ein bisschen zur Ruhe gekommen und hätte ungestört über alles nachdenken können, wer weiß…So aber sprang er wie ein gehetztes Tier zwischen dem Unterricht, seiner Spionagetätigkeit bei den Todessertreffen und den Versammlungen des Phönixordens hin und her; kaum dass er noch Zeit fand, in Ruhe zu essen. Weit nach Mitternacht schluckte er regelmäßig einen Schlummertrunk, fiel für ein paar Stunden in einen bleischweren, traumlosen Schlaf und stand vor Tau und Tag wieder auf, um weiter zu machen.
Snape wusste, dass Malfoy den Direktor wirklich töten würde, wenn er Gelegenheit dazu bekäme. Den ganzen Sommer über war Draco bei Bellatrix Lestrange in der Ausbildung gewesen; sie hatte ihn so hart gemacht wie der Meister es von seinen Gefolgsleuten verlangte. Und Malfoy hatte bereits bewiesen, dass er töten konnte, ohne mit der Wimper zu zucken.
Snape musste noch etliche Nächte opfern und tief in die magische Trickkiste greifen, damit er die harte Schale um Malfoys Seele durchbrechen und an das Menschliche in ihm appelieren konnte.
Nur wenig später hatte Dumbledore ihm von den Horkruxen erzählt. Die musste Potter finden und zerstören, ehe er Voldemort gegenübertreten durfte, denn sonst würde das Ganze von vorn beginnen. Nur – wahrscheinlich wusste niemand außer Voldemort selber, wo sie versteckt waren und wie man herankam, ohne dabei zu sterben. Dumbledore machte sich keine Hoffnung mehr, die fehlenden Dinge bald zu finden, und Voldemort wurde von Tag zu Tag stärker. „Du musst es zu Ende führen, sonst ist alles sinnlos!“ Das die letzten Worte gewesen, die Dumbledore zu ihm gesagt hatte…
Ein paar Stunden später war in Hogwarts die Hölle losgewesen. Snape hatte gewartet, bis er zu Hilfe gerufen wurde. Ein letzter Blickkontakt und Snape hatte zum ersten und letzten Mal den Todesfluch ausgesprochen…Niemand wusste, dass das alles geplant und abgesprochen gewesen war…
Danach hatte er noch Malfoy in Sicherheit gebracht und war beim Dunklen Lord in Deckung gegangen. Am liebsten hätte er Voldemort mit dem „Avada-Kedavra“ ausgelöscht, aber das ging nicht. Niemand wusste, wieso, aber Tatsache war, dass Voldemort gegen den Todesfluch immun war. Außerdem - nur Potter war derjenige, der den Dunklen Lord stürzen konnte, ausgerechnet Potter…
Dumbledores Plan schien zu funktionieren – Snape war schlagartig zum „Obersten Diener“ aufgerückt, eine äußerst zweifelhafte Auszeichnung. Der „Oberste Diener“ war so etwas wie ein Butler, hatte sich ständig zur Verfügung zu halten und bekam die üblen Launen seines Herrn als erstes zu spüren. Snape war nur eines geblieben – sich in richtigem Maße unterwürfig und diensteifrig zu zeigen, um den Herrn nicht durch zu viel oder zu wenig Eifer zu verärgern. Er bekam einige schmerzhafte „Lektionen“ erteilt, hielt aber anderthalb Jahre durch und lüftete die geheimsten Geheimnisse des Dunklen Lords.
Dumbledores Plan war letztendlich aufgegangen; aber was sollte Snape jetzt anfangen? Er konnte doch keinem ehrlichen Zauberer mehr in die Augen sehen und seine ehemaligen Kollegen und Schüler würden mit den Fingern auf ihn zeigen: „Da ist Dumbledores Mörder!“
Noch einmal las er sein Geständnis durch und überlegte, ob er noch etwas wichtiges vergessen hatte. Besitztümer zu vererben hatte Snape keine; das bisschen Geld, das er hatte sparen können, war aufgebraucht; Voldemort pflegte seine Diener nicht zu bezahlen. Einzig und allein die alten Bücher waren wegen ihres Inhalts wertvoll. Noch einmal griff er zur Feder und schrieb unter den Text, dass die Bücher in die Bibliothek von Hogwarts gebracht werden sollten, ohne zu erwähnen, von wem sie stammten.
So, jetzt war wirklich alles erledigt.. Es war besser, wenn die Welt vergaĂź, dass ein Severus Snape ĂĽberhaupt je existiert hatte.
Er hörte Schritte. Die Auroren! - Nein, nur einer. Mehr war er auch nicht wert. Dummerweise bekam Snape den Korken nicht heraus. Da hörte er eine bekannte Stimme rufen: „Professor Snape? Sind Sie da drin, Sir?“ Potter? Potter! Im nächsten Moment stand der auch schon in der Tür. Verflixter Korken, komm endlich! `Vielleicht könnte man noch ein paar Schuldgefühle in Potter wecken`, dachte Snape, Potter das Gefühl vermitteln, dass er mitschuldig war am Tod des Severus Snape…``
Da fing Potter an zu reden: „Sir, ich möchte…ich habe immer im Traum gesehen, wo die Horkruxe versteckt waren und mit welchen Zaubern Voldemort sie geschützt hatte. Das waren Sie, nicht wahr? Sie haben mir die Träume geschickt, mit Legilimentik?“ Snape nickte nur. „Danke, Sir. Alleine hätte ich die Dinger nie gefunden. – Ich weiß, dass Sie Professor Dumbledore nicht freiwillig getötet haben. Er hat sich geopfert, damit Sie an Voldemort herankommen und mir helfen können. Ohne Ihre Hilfe wäre Voldemort der Sieger geworden, das weiß ich ganz genau. Und wenn Sie nicht die Flüche von Ron und Hermine abgelenkt hätten, wären die jetzt auch nicht mehr am Leben.
Ich habe gestern durch Professor Sprout einen Brief einen Brief von Professor Dumbledore bekommen, in dem er mir alles erklärt hat… Ich habe Ihnen all die Jahre Unrecht getan, habe Sie völlig falsch eingeschätzt. Bitte verzeihen sie mir, Sir!“ Harry streckte Snape die rechte Hand hin. Um Snape herum drehte sich alles, er wusste nicht, ob er richtig gehört hatte oder ob das schon Halluzinationen waren. Er nahm die Hand, nickte und schielte zu seinem Gift. Potter sah ihm in die Augen und fragte leise: „Sir, bitte, vielleicht haben Sie etwas Zeit; bitte erzählen SIE mir von meinen Eltern… Sirius und Professor Lupin haben mir nur das Gute erzählt, aber ich weiß, dass mein Vater…“ Potter machte eine Pause, suchte nach den richtigen Worten. „…dass mein Vater auch negative Seiten hatte, dass er gemein zu Ihnen war. Bitte erzählen Sie mir alles, was damals wirklich passiert ist.“ Snape sah Potter an. Er spürte, dass der Junge es ernst meinte und sagte: „Gut, ich erzähle. Aber wenn Sie Ihren Vater wieder in Schutz nehmen, fliegen Sie raus, klar!!“ Potter nickte. Lily Evans Augen schauten auf Snape. Der schluckte und schwankte. Potter machte eine Bewegung, aber Severus hatte sich schon wieder unter Kontrolle. „Schon gut“, sagte er und seine Kehle schmerzte dabei. Dann begann er zu erzählen, erst von Lily, dann von James und seinen Gesellen. Snape saß da, mit gesenktem Kopf, sprach mit monotoner Stimme mehr zu seinen Knien als zu Potter. Plötzlich hatte er das Bedürfnis, sich den ganzen Kummer seines Lebens von der Seele zu reden.
Es wurde Nacht. Noch immer saßen die beiden da und Snape erzählte. Er breitete aus einem inneren Zwang heraus sein ganzes verpfuschtes Leben vor Potter aus.
Als der Morgen dämmerte, hielt Snape inne. Die Augen brannten ihm, der Hals schmerzte. Er sah zu Potter hinüber. Der saß mit geweiteten Augen noch genauso am Tisch, wie er sich am gestrigen Nachmittag hingesetzt hatte. Eine Weile schwiegen die beiden sich an. Dann fiel Harrys Blick auf das Röhrchen, das zwischen ihnen lag. „Was ist das, Sir?“, fragte er leise.
„Gift“, antwortete Snape genauso leise. „Es wirkt schnell. Ein paar Sekunden bis zur Bewußtlosigkeit, keine Schmerzen. Eine Minute später bleibt das Herz stehen und aus. Ich will nicht in Askaban enden. Für mich gibt es nichts mehr zu tun, niemand wird mich vermissen.“ Er griff nach dem Röhrchen, aber Harry war schneller. „Nein, Sir, da ist noch…“ In diesem Moment gab es am Fenster ein Geräusch, beider Köpfe fuhren herum. Eine Eule war dagegen geplumpst und lag erschöpft auf dem Sims. Schwerfällig erhob sich Snape, holte das total zerzauste Tier herein und nahm ihm einen großen Brief ab. „Von Sprout?“, wunderte sich Severus. Er öffnete den Brief, ein zweiter fiel heraus. Ohne auf Potters Anwesenheit zu achten, begann Snape zu lesen. Professor Sprout schrieb ihm, dass sie (zumindest vorübergehend) als Schulleiterin von Hogwarts eingesetzt war und einen fähigen Lehrer für Zaubertränke brauchte. Außerdem musste jemand alle vier Wochen den Wolfsbann-Trank für den Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste brauen,..,…
Snape schüttelte den Kopf und ließ den Brief sinken. Er würde nicht nach Hpgwarts zurückgehen. Hunderte von Augenpaaren würden ihn dort ansehen und „Mörder!“ schreien. Jeder war ersetzbar, auch ein Tränkemeister.
„Sir.“ Potter hielt ihm das zweite Schreiben entgegen. Mechanisch griff Snape danach, sah den Absender und erstarrte. Dumbledore! Wie war das möglich? Wie gebannt starrte Severus auf die Buchstaben, die vor seinen Augen verschwammen. Es dauerte lange, ehe er die Schrift wieder erkennen konnte und ehe er den Mut hatte, zu lesen. „Mein lieber Severus, diese Zeilen wirst Du nur dann lesen können, wenn Du Dein Versprechen gehalten und mitgeholfen hast, Voldemort zu besiegen. Du wirst Dich wahrscheinlich immer noch schlecht fühlen, weil Du mich töten musstest, aber das ist falsch. Es ist für mich an der Zeit, für immer zu gehen, damit ich für immer in Hogwarts bleiben kann. Mir bleiben kaum noch ein paar Stunden Zeit für eine letzte Sache. Die schwarze Magie wird es in Wahrheit sein, die mich tötet, nicht Dein Todesfluch. Aber für alle Welt, besonders für Tom Riddle, muss es so aussehen, als ob DU mich tötest. Wenn Dich dieser Brief erreicht, hat das Opfer meiner letzten Lebens-Sekunden geholfen. Niemand kann Dich verurteilen und bestrafen.
Eines habe ich Dir all die Jahre, die wir uns kannten, verschwiegen: Deine Großmutter mütterlicherseits war meine Schwester! Wir hatten uns in jungen Jahren bös zerstritten, später schrieben wir uns hin und wieder ein paar Zeilen. Daisy ist kurz nach Deinen Eltern gestorben; ich glaubte, dass Du in dem Kinderheim gut aufgehoben bist und habe mich nicht um Dich gekümmert. Diesen Fehler kann ich mir nicht verzeihen, glaube mir.
Vererben kann ich Dir nichts, außer einem Packen beschriebenes Pergament, aber einen letzten Wunsch habe ich an Dich: Studiere weiterhin die Zaubertränke, entwickle den Wolfsbann-Trank weiter und erfülle meinen Traum, ein Mittel zu finden, das Werwölfe für immer heilt. Kehre nach Hogwarts zurück und arbeite!“
Hatte denn Dumbledore wirklich geglaubt, dass Snape so einfach wieder zur Tagesordnung übergehen könnte? Einmal schütteln und alles ist vergessen? Dumbledore sollte doch eigentlich gewusst haben, dass Severus das nicht konnte. Nein, nein und nochmals nein, er würde nicht nach Hogwarts zurückkehren. Sein Blick fiel auf das Giftröhrchen. Er würde endlich das Gift schlucken und Ruhe wäre. Aber Dumbledores letzte Bitte? Und der „Packen beschriebenes Pergament?“ Ebenso gut konnte er ja hier an dem Wolfsbann-Trank arbeiten. Wenn er jemals den Kopf frei genug bekäme, um überhaupt wieder über Tränke-Rezepten zu brüten… Also doch der erlösende Schluck. Warum nur hatte er das Gift nicht genommen, bevor die Eule kam? Schluss jetzt! Snape streckte die Hand nach dem Glas aus, aber das verschwand plötzlich.
„Das dürfen Sie nicht tun, Professor“ – Herr im Himmel, Potter war ja immer noch da! – „Sie müssen nach Hogwarts zurück und Zaubertränke unterrichten.“ - „Das kann doch Slughorn machen!“
Potter schüttelte den Kopf. „Der ist tot. Fenrir Greyback hat alle Tränkemeister umgebracht, die den Wolfsbann-Trank herstellen konnten. Sie sind der Einzige, der das Rezept noch weiß. Sie MÜSSEN einfach zurückkehren; Professor Lupin braucht Sie, es geht ihm sehr schlecht. Und Greyback hat jede Menge Kinder gebissen. Die Heiler in St. Mungo´s sind total überfordert, auch dort sind die besten Leute getötet worden…“
Kinder gebissen? Snape stöhnte und schüttelte den Kopf. „Meine Aufzeichnungen sind in Hogwarts geblieben. Dorthin gehe ich nicht mehr. Hol mir alles aus dem Kerker, was meine Handschrift trägt…“
Im Nebenzimmer krachte etwas laut, das ganze Haus wackelte. Zeitgleich stürzten Harry und Snape ins Schlafzimmer. Die Wand hatte Risse, die sich nach einem zweiten „Wumm“ erheblich vergrößerten. Snape fluchte und rannte aus dem Haus. Schwere Maschinen waren überall in der seit Jahren verlassenen Siedlung dabei, die Häuser niederzureißen. Und das „Wumm“ kam von einer Abrissbirne, die gerade wieder auf die Hauswand krachte. Als der Fahrer Snape bemerkte, schrie er auf. „Was machen Sie denn hier, Mann?“ - „Wohnen“, antwortete Snape knapp.
„Dann zieh im Handumdrehen aus, du Penner, die Hütte stürzt gleich ein!“ Snape zog den Zauberstab, aber Harry hielt seine Hand fest. „Bitte geben Sie uns noch fünf Minuten, dann sind wir weg“, sagte Harry ruhig und höflich. „O.k., aber keine Sekunde länger!“ Der Arbeiter sah demonstrativ auf die Uhr und zündete sich eine Zigarette an. Snape hastete zurück ins Haus, Harry folgte ihm auf den Fersen. „Gib mir das Gift zurück, Potter, und verschwinde!“ - „Nein, Sir, es gibt immer einen Ausweg.“
„Nicht für mich. Ich habe keine Bleibe mehr, kein Geld und gar nichts.“
„Grimmauld Place steht ihnen offen. Kommen Sie.“ Schon hatte Harry Snapes Arm gefasst. „Ist das dein Ernst, Potter?“ Der nickte. „Beeilen Sie sich, suchen Sie Ihre Sachen zusammen.“ - „Die Bücher“, flüsterte Snape, „die sind wertvoll. Da stehen Dinge drin, die man in keiner Schule lernt.“
„Kein Problem, Sir“, antwortete Potter, zog seinen Zauberstab, konzentrierte sich ein paar Sekunden und strich dann an den Regalen entlang. Einer nach dem anderen verschwanden die wertvollen Bände im Nichts. „Was wollen Sie noch mitnehmen?“ – War das noch der überhebliche, leichtsinnige Harry Potter, den Snape die ganze Zeit so gehasst hatte? Egal, im Moment hatte er keine andere Wahl, als sich von ihm helfen zu lassen. Und so trug er seine paar Klamotten zusammen, legte die wenigen Erinnerungsstücke an seine Eltern dazu. Harry ließ auch das verschwinden. Snape nahm sich vor, Potter umzubringen, wenn er ihn geleimt hätte. Erst Potter, dann sich selbst. Hätte er doch nur das Gift geschluckt, ehe Potter kam! Das wäre das letzte, was er gewollt hätte – Abhängigkeit, und dann noch von Harry Potter!
SchlieĂźlich war alles Brauchbare aus dem Haus verschwunden. Sie gingen zu den Arbeitern hinaus, sagten Bescheid und disapparierten, sobald sie auĂźer Sichtweite waren.
Nebeneinander landeten sie vor Grimmauld Place 13. Die wenigen Muggel, die unterwegs waren, nahmen keine Notiz von den beiden zerknitterten Gestalten. Severus Snape kannte Grimmauld Place 12 noch aus der Zeit, als das Haus dem Orden des Phönix als Hauptquartier gedient hatte. Damals war es düster und voller schwarzer Magie gewesen. Er folgte Harry in die Halle und blieb wie angewurzelt stehen. Alles sah hell, sauber und freundlich aus. Und – das Porträt der letzten Mrs. Black war weg. In einer Ecke standen ordentlich gestapelt seine Sachen.
„Winky, Dobby!“, rief Harry und auf der Stelle erschienen die beiden Hauselfen und verbeugten sich vor ihm. „Macht das große Gästezimmer zurecht und bringt die Sachen dort rein.“ - „Jawohl, Meister.“ Im nächsten Moment waren die Elfen verschwunden. Harry führte Snape in die Küche. Auch hier war alles hell und sauber. Bei ihrem Eintreten fuhr Ginny Weasley herum, streckte Harry die Arme entgegen und erstarrte. „Guten Tag, Professor Snape.“ Snape schluckte. „Guten Tag, Miss Weasley.“ Harry erklärte Ginny, dass Professor Snape erst mal bei ihnen wohnen würde, weil er kein zu Hause mehr hatte. Gespannt hatte Snape ihr Gesicht beobachtet, aber die erwartete Ablehnung konnte er darin nicht finden, nur Neugier.
Ginny sagte: „Kein Problem. Das Haus ist groß genug. Sie haben sicher Hunger?“ Und schon schwebten Teller aus dem Schrank und vom Herd her duftete es nach Zwiebelsuppe. „Wenn Sie sich erst mal frisch machen wollen – der Weg ist noch der gleiche wie früher.“ Wie im Trance ging Snape durch das Haus zur Toilette. Er fühlte sich schwach, richtig hundeelend war ihm. Das eiskalte Wasser, das er sich ins Gesicht klatschte, half ein bisschen, aber auf dem Rückweg zur Küche wurde ihm schwarz vor den Augen. Er spürte noch einen scharfen Schmerz seitlich am Kopf und dann nichts mehr.
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