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Fanfiction

Bruised and Broken - Teil X - Innocence Lost

von solvej

Now I'm breaking down your door
To try and save your swollen face
Though I don't like you anymore
You lying, trying waste of space


~oOo~


Es war wieder einmal Mittag geworden, bis Harry sich dazu überwunden hatte aufzustehen. In Rons Dachkammer herrschte wie immer eine fast unnatürliche Hitze und aus Hof und Garten klangen Stimmen herauf. Schläfrig rappelte Harry sich von seiner Liege hoch – Ron war längst aufgestanden – und stolperte ungeschickt zum Fenster. Er presste seine Nase gegen das Glas, weil er ohne Brille nicht erkennen konnte, was unten vorging, aber es wurde auch so nicht wirklich besser.

Mit einem Seufzen wandte er sich ab, um sich gesellschaftstauglich zu machen und dann nach unten zu gehen. Ablenkung war immer noch die beste Verteidigung. An den vergangenen Abend und sein hoffentlich letztes Zusammentreffen mit Malfoy wollte er am liebsten gar nicht mehr denken. Er hatte die Ausgangssituation wieder hergestellt und alles war in Ordnung. Bis auf die Sache mit Ginny…

Harry lief unwillkürlich rot an, während er sich gerade das nächstbeste T-Shirt über den Kopf zog. Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht – wie wollte er ihr heute begegnen? Er hoffte bloß, dass sie den nötigen Geist besessen hatte, die kleine Szene von gestern nicht an den Ersten weiter zu erzählen, der ihr über den Weg gelaufen war. Ganz bestimmt wäre Mrs. Weasley davon alles andere als angetan gewesen und Harry wollte ihre Gastfreundschaft nicht unbedingt auf die Probe stellen, wo er doch sonst nichts hatte, wo er hingehen konnte.

Am besten würde er möglichst bald mit Ginny unter vier Augen reden – es auf seine Nervosität und Schuldgefühle schieben und ihr ein weiteres Mal versichern, dass es das Klügste wäre, ihre Beziehung für die Dauer des Krieges auf Eis zu legen. Immerhin hatte das auch beim ersten Mal funktioniert, obwohl seine Motive damals durchaus noch von altruistischer Natur gewesen waren.

Wenig später schlenderte er die Treppe hinunter, fast unbedarft, als wäre nie etwas geschehen und konnte schon bald Fleurs französisch angehauchtes Zwitschern aus dem Stimmgewirr von unten herausfiltern. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass Bill und sie sich für heute zum Essen angekündigt hatten und wenn er sich recht erinnerte, dann hatte Molly auch Remus und Tonks eingeladen. Um ehrlich zu sein hatte Harry sich in den vergangenen Tagen kaum für solche Nebensächlichkeiten interessiert, aber jetzt empfand er bei dem Gedanken daran fast so ein ähnliches Gefühl wie Freude, oder zumindest ein nicht näher definierbares Gefühlserlebnis der positiven Art.

Außerdem bedeuteten mehr Menschen mehr Ablenkung.

„Morgen, zusammen“, sagte er mit einem schiefen Grinsen, als er die überfüllte Küche betrat.

„Hi, Harry“, begrüßte ihn Bill, und Fleur schenkte ihm ein leicht vorwurfsvolles Lächeln, ob seiner mehr als nur akademischen Verspätung. Ginny dagegen bedachte ihn nur mit einem eisigen Blick und verschwand mit einem Stapel Teller in der Hand durch die Tür nach draußen.

„Ach, Harry-Schatz, gut dass du wach bist“, sagte Mrs. Weasley, während sie mit drei Töpfen, zwei Pfannen und einem Zauberstab gleichzeitig hantierte. „Wir hatten schon befürchtet, du verschläfst das ganze Mittagessen! Hier, nimm das bitte gleich mit nach draußen – wir essen im Garten!“ Mit diesen Worten drückte sie Harry, der sich damit heillos überfordert fühlte, zwei der Töpfe in die Hand und schob ihn aus der Tür.

Irgendwie schaffte er es, die beiden überdimensionalen Küchenutensilien in seinen Armen bis in den Garten zu balancieren, und sie dort, ohne gröbere Zwischenfälle und unbeschadet, in der Mitte des großen Tisches abzustellen.

„Morgen, Harry“, grinste Ron, der gerade einen Gartengnom vom Tischbein pflückte, an dem dieser versucht hatte, nach oben zu klettern, wahrscheinlich in der Hoffnung etwas von dem Festmahl abzustauben.

„Hey“, erwiderte Harry. „Sag mal, hast du –“ Er unterbrach sich, als er Ginny erblickte, die gerade um die Hausecke huschen wollte, ohne Zweifel mit der Intention, möglichst ungesehen zu bleiben. „Bin gleich wieder da“, murmelte Harry und eilte ihr rasch hinterher.

Eine viertel Stunde später saßen sie beim Mittagessen – Ginny schmollend, Harry erleichtert. Alles hatte genau so geklappt, wie Harry geplant hatte und er hoffte, damit die gröberen Probleme für die nächste Zeit aus dem Weg geräumt zu haben. Ginny würde darüber hinwegkommen. Irgendwann. Es war ja nicht so, als hätte sie in der Vergangenheit Probleme damit gehabt, sich über ihn hinwegzutrösten.

Sie waren nur zu acht, weniger als erwartet. Mr. Weasley musste arbeiten, Fred und George waren in London und Tonks war allein gekommen. Sie sah blass und überarbeitet aus, auch ein wenig besorgt. Aber immerhin hatte sie die Fähigkeit zu Lächeln mittlerweile wiedererlangt.

„Remus lässt sich entschuldigen“, nuschelte sie, in ihren Erbsen herumstochernd. „Er ist wieder… unterwegs, ihr wisst schon.“ Sie seufzte tief und starrte ihren Teller an, während Molly ihr unbemerkt einen mütterlich-mitleidigen Blick schenkte. Jeder hier wusste, dass sich Lupin nach Dumbledores Tod auf seinem alten Posten als Spion unter den Werwölfen zurück begeben hatte und das mit einem neuen, fast an Fanatismus grenzenden Ehrgeiz. In dieser chaotischen, führerlosen Zeit war er geradezu darauf versessen, etwas ‚Sinnvolles‘ zu tun.

„Aber wir haben uns heute Morgen kurz unterhalten können, er lässt euch alle grüßen“, fuhr Tonks fort und zwang sich zu einem Lächeln. „Er war ein bisschen in Eile, offenbar war irgend etwas los. Anscheinend lässt Greyback nach dem Malfoy-Jungen suchen…“

Harry verschluckte sich bei diesen Worten an dem Stück Steak, auf dem er eben noch arglos herumgekaut hatte und musste würgend um Atem ringen, aber zum Glück ging das in dem allgemeinen Tumult unter, der bei Tonks’ Worten am Tisch ausgebrochen war.

„Sie suchen Malfoy? Hat der kleine Dreckskerl jetzt auch seine eigene Seite verraten, oder was?“, hob sich Rons Stimme deutlich aus dem Gemurmel heraus. Hermine ließ ein zustimmendes Schnauben verlautbaren, das einiges heißen mochte, nachdem sie Ron den Gebrauch von Schimpfworten in einer normalen Situation nie ungestraft durchgehen ließ.

„Keine Ahnung“, antwortete Tonks. „Aber Hagrid glaubt, ihn im Tropfenden Kessel gesehen zu haben…“

„Im Tropfenden Kessel?“, fragte Hermine skeptisch nach, während die anderen schon in die heftigsten Spekulationen bezüglich Malfoys mutmaßlichem Verbrechen verfallen waren. „Nicht einmal Malfoy wäre so bescheuert. Außer–“, fügte sie in nachdenklicherem Tonfall hinzu und klopfte dabei abwesend mit der Gabel gegen ihre Nase, „außer er ist wirklich verzweifelt.“

Harry schluckte. Das. War. Nicht. Gut. All das war ganz und gar nicht gut, diese ganze Entwicklung, und jetzt auch noch die von Hermine ins Spiel gebrachte Verzweiflung! Verflucht! Dumpf hallte in seinem Kopf nach, was Draco am Vortag zu ihm gesagt hatte. ‚…aber dem Dunklen Lord wird es ein Leichtes sein, den Zauber zu brechen, wenn er erst einmal misstrauisch wird. Und falls das geschehen sollte, wäre ich … wären wir beide geliefert.‘

Tonks räusperte sich leise und wandte sich mit leicht gesenkter Stimme an Hermine. Harry spitzte die Ohren, um bloß kein Wort zu verpassen. „Unter uns gesagt, Hagrid ist seit … seit Juli nicht so ganz auf der Höhe. Ich weiß nicht, wie viel man auf diese Information wirklich geben kann. Als ich ihn heute Vormittag in der Winkelgasse getroffen haben, hatte er schon eine Fahne, dass man ihn auf eine Meile gegen den Wind hätte riechen können.“ Sie hob vielsagend die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. „Der arme Kerl leidet womöglich mehr unter Dumbledores Tod, als wir alle. Ich weiß auch nicht, was…“

Harry hörte nicht weiter zu, die für ihn relevanten Informationen waren offenbar schon abgehandelt. Wenn Greyback nach Malfoy suchte, dann hieß das, Voldemort suchte nach ihm. Und von Voldemort gesucht zu werden war kein Spaß, sondern bedeutete ganz im Gegenteil sehr, sehr großen Ärger.

Der Appetit war Harry nun gründlich vergangen, den Rest der Mahlzeit stocherte er nur noch in seinem Essen herum und ließ die Überbleibsel davon verschwinden, als gerade keiner hinsah. Schweigend brütete er vor sich hin und versuchte sich einzureden, nicht daran Schuld zu sein, dass sie Draco womöglich in genau diesem Augenblick um den Verstand folterten.

Merlin. Was wenn Draco starb? Nervös trommelte Harry mit den Fingern auf dem Tisch und rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. Die Mahlzeit schien sich ewig hinzuziehen, und als es endlich so weit war, dass die Töpfe und Schüsseln abgeräumt wurden, trällerte Molly auch noch gut gelaunt in die Runde: „Und jetzt der Kuchen!“

Alle anderen schienen von dieser Nachricht mehr oder minder begeistert, einzig bei Harry führte sie zu noch größerer Ungeduld. Sein Mundwinkel begann nervös zu zucken, als Hermine ihm einen misstrauischen Seitenblick schenkte. Hastig stützte Harry sein Kinn in die Hand und versuchte, seiner Freundin halbherzig zuzugrinsen, scheiterte aber kläglich. Was herauskam glich eher einer bizarren Mischung aus blankem Entsetzen und einem Karnickel auf einem LSD-Trip.

Hermine wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als der Kuchen aufgetragen wurde und Mrs. Weasley sie bat, ihn anzuschneiden, was Harry nicht ganz ungelegen kam. Er hätte nicht gewusst, wie seiner Freundin zu begegnen gewesen wäre, wenn sie ihn auf Draco angesprochen hätte. Stattdessen wandte er sich nun so unschuldig er konnte an Tonks.

„Eh, sag mal… diese Malfoy-Sache“, er musste schlucken, als ihm bewusst wurde, dass die Bezeichnung ‚Malfoy-Sache‘ für ihn auch eine ganz andere Bedeutung haben konnte, „ist das eigentlich alles, was du dazu weißt?“ Schnell griff er nach seinem Becher mit Kürbissaft, einerseits um seine Wangen dahinter zu verbergen, die – wenn sie so aussahen, wie sie sich anfühlten – dunkelrot glühen mussten, andererseits um das neuerliche Zucken eines gewissen Gesichtsnervs zu verstecken.

„Ja“, sagte Tonks und nickte. „Ich hab ja selbst nur zufällig etwas davon mitbekommen. Wieso fragst du?“, erkundigte sie sich scheinbar nebenbei, aber Harry glaubte eine Spur Argwohn in ihren Augen ausmachen zu können.

„Nur so“, beeilte er sich deshalb zu sagen. „Ich meine, immerhin waren wir ja zusammen in der Schule… und alles.“ Seine Stimme driftete ab und er war sich bewusst, dass diese Erklärung in Anbetracht der Situation ziemlich lahm klingen musste.

Er ging wieder dazu über, nervös mit seinen Fingern einen schnellen Rhythmus zu trommeln und Gedanken hin und her zu schieben. Draco konnte nicht einfach… er durfte nicht… nein, dass er sich einfach so umbringen ließ, war vollkommen inakzeptabel! Harry versuchte, sich sein bisheriges Leben ohne Draco Malfoy vorzustellen und kam relativ bald zu dem Schluss, dass es so ziemlich trist verlaufen wäre. Eintönig, geradezu.

Was hätte er mit seiner ganzen Zeit in Hogwarts angefangen? Mit wem hätte er sich gestritten, wen hätte er verfolgt, an wem hätte er die neuesten Flüche ausgetestet? Mit wem hätte er konkurriert, Wettstreite ausgetragen, Ärger provoziert? Das waren Dinge, die mit letzter Woche so gar nichts zu tun hatten, fiel Harry auf, obwohl er die ganze Zeit geglaubt hatte, dass Draco ihm bis dahin ungefähr so wichtig gewesen wäre, wie ein eitriger Pickel auf dem Allerwertesten.

Diese Erkenntnis war beängstigend und auf sehr verquere Weise erfreulich zugleich, denn offenbar – und Harry lief bei diesem Gedanken schon wieder dunkelrot an, diesmal war er sich sicher – bedeutete Draco etwas für ihn. Was auch immer.

Mit einem Schlag wurde Harry speiübel und er befürchtete, demnächst ein überaus beeindruckendes Rückwärtsessen zur Schau zu stellen, wenn er nicht gleich hier verschwinden durfte. Merlin, was hatte er gestern bloß angerichtet? So viel Blödheit sollte verboten werden, fand er, um die Menschen davor zu bewahren, solche Idiotien zu begehen, wie er es vor ein paar Stunden getan hatte.

Es war doch ganz eindeutig gewesen, dass Draco nichts Böses im Schilde geführt hatte, aber er, Mr. Ich-lass-mich-nicht-umbringen, hatte natürlich vollkommen überzogen reagiert und alles zunichte gemacht. Hoffentlich war es noch nicht zu spät…

Kaum war die Tafel aufgehoben, sprang Harry auch schon wie von der Tarantel gestochen auf und rannte nach oben in Rons Zimmer. Dort griff er sich, ohne wirklichen Grund, Dracos Brief, den er gestern in seinen Koffer geworfen hatte, und stopfte ihn in seine Tasche. Hektisch sah er sich im Zimmer um, sah aber auf Anhieb nichts, was ihm sonst nützlich sein konnte, und sprintete die Treppe wieder hinunter. Im Flur wandte er sich nach rechts, um direkt durch die Vordertür nach draußen zu hechten und zu verschwinden, aber plötzlich verstellte ihm jemand den Weg.

„Ron, verdammt, was willst du?“, schnaubte Harry ärgerlich und versuchte, sich an ihm vorbei zu drängen.

„Dich davon abhalten, eine Dummheit zu begehen, Harry!“, sagte sein bester Freund mit für ihm gar so untypisch ernstem Gesichtsausdruck. Er zog Harry am Ärmel mit sich in den nächstbesten Raum, der zufällig eine Abstellkammer war, die Harry unangenehm an den Schrank unter der Treppe bei den Dursleys erinnerte. Ron schloss sorgfällig die Tür und lehnte sich dagegen, um Harry den Weg nach draußen zu versperren.

Harry verschränkte die Arme. „Es ist keine Dummheit, es ist das Klügste, das ich in letzter Zeit überhaupt getan habe! Und jetzt lass mich raus“, lamentierte er ohne darauf zu achten, wer ihn eventuell von draußen hören könnte.

„Nein, das werde ich nicht“, blieb Ron stur und verschränkte nun ebenfalls die Arme. „Ich hab dich während des Essens beobachtet. Es geht um Malfoy, richtig? Du bist weiß wie ein Flubberwurm geworden, als Tonks seinen Namen erwähnt hat.“

„Ich… ich… ja, und wenn?“, schnappte Harry, der langsam wütend wurde. „Es ist meine Sache!“ Mit unnötiger Gewalt fegte er mit dem Handrücken eine Spinne von seiner Schulter und stieß dabei gegen einen Besen, der daraufhin umfiel und einen Höllenlärm verursachte. Jetzt musste auch der Letzte hier im Haus wissen, dass Harry und Ron gerade zusammen in einer Besenkammer hockten und sich anschrien. Harry war das völlig egal.

„Es ist nicht deine Sache, wenn du da rausgehst und dich umbringen lässt!“, wurde Ron langsam ungeduldig. „Ich weiß, was du vor hast!“

Für einen Sekundenbruchteil weiteten sich Harrys Augen im Schock und ihm blieb die Luft weg. War er etwa so leicht zu durchschauen? Möglicherweise könnte sich der Dunkle Lord den ganzen Mist bald sparen, weil Harry glaubte, innerhalb der nächsten Sekunde vor Scham tot umfallen zu müssen.

„Du willst da raus gehen und Malfoy alleine schnappen, weil du ihn für das verantwortlich machst, was mit… mit Dumbledore passiert ist“, fuhr Ron fort. „Da geb ich dir ja auch vollkommen Recht, aber“, er sah Harry fest in die Augen, „so eine Aktion ist viel zu gefährlich!“

Eine Welle der Erleichterung schoss durch Harrys Körper und für einen Augenblick musste er den Drang unterdrücken, hysterisch aufzulachen. „Du hörst dich schon an wie Hermine. Und außerdem liegst du so falsch, dass es fälscher gar nicht mehr geht.“ Er ignorierte die Tatsache, dass das gerade einer der bescheuertsten Sätze war, die er je von sich gegeben hatte und für den Draco wahrscheinlich nicht einmal ein verächtliches Schnauben übrig gehabt hätte. Ungeduldig schob er Ron einfach zur Seite und drängte sich an ihm vorbei aus der Kammer.

„Hey… Harry! Warte!“, rief Ron ihm noch hinterher, als Harry schon auf den Hof gestürmt war. „Nimm mich mit, lass mich dir wenigstens helfen!“

Aber Harry zuckte bloß die Achseln und war mit einer halben Drehung verschwunden.

***


„Hagrid finden, Hagrid finden“, pulsierte es dumpf hinter seiner Stirn. Tonks hatte zwar klar gestellt, dass Hagrid keine allzu verlässliche Quelle war, aber momentan war das Harrys einzige Spur und der musste er eben nachgehen. Aber dazu brauchte er mehr Informationen, die er wiederum von Hagrid selbst einholen musste. Dazu musste Harry ihn aber erst einmal finden. Deswegen trabte er nun, misstrauische Blicke in alle Richtungen werfend und mit gezücktem Zauberstab, die Winkelgasse in Richtung des Tropfenden Kessels entlang und gab kein sehr vertrauenserweckendes Bild ab.

Bei Tageslicht sah die Winkelgasse weitaus weniger verstörend aus, als wenn all ihre Nischen und Ecken im Dunkel der Nacht verborgen lagen. Nur Wenige waren unterwegs, was einerseits Vorteilhaft war, da Harry die Straße so leichter überblicken konnte, andererseits aber auch bedeutete, dass er noch mehr auffiel, als er es ohnehin schon tat. Und dabei hatte er nicht die geringste Ahnung, dass Draco erst vor wenigen Stunden den selben Weg mit ganz ähnlichen Gedanken zurückgelegt hatte.

In die Nokturngasse warf er nur im Vorbeilaufen einen scheelen Blick, ohne auch nur einen Fuß hinein zu setzen. Wenn Draco dort sein sollte, dann war er schlicht und einfach ein Idiot und verdiente nichts Besseres, als erwischt zu werden. Da könnte er genausogut in der Eingangshalle des Zaubereiministeriums mit einer Ananas in jeder Hand nackt einen Stepptanz hinlegen, während ein rot blinkendes Schild mit der Aufschrift „Hier bin ich, wer will mich?“ auf ihn zeigte.

Also… fast.

Endlich erreichte Harry das Pub und stieß mit einer heftigen Bewegung die Hintertür auf. Schon der erste, flüchtige Blick, den er durch das Lokal schweifen ließ, sagte ihm, dass Hagrid nicht da war – unauffällig zu bleiben war noch nie seine große Stärke gewesen. Ein zweite, eingehendere Prüfung bestätigte ihm, worin er sich ohnehin sicher gewesen war: Malfoy war auch nicht hier. Harry wusste zwar, dass Draco sich durchaus tarnen könnte, wenn er wollte, aber er war sich vollkommen sicher, dass er seinen… seinen – Harry einigte sich schließlich mit sich selbst auf die neutrale Bezeichnung ‚Bekannten‘ – in diesem Augenblick auf jeden Fall erkennen würde, völlig egal ob er im Adamskostüm oder im Bärenpelzmantel vor ihm stehen würde.

„War Hagrid hier?“, fragte Harry in drängendem Tonfall, aber ohne damit speziell jemanden anzusprechen.

Tom, der zahnlose Wirt, nickte bedächtig und fuhr fort, in langsamen Handbewegungen seine Theke zu polieren.

„Und wo ist er jetzt?“, fragte Harry ungeduldig weiter, während er nervös auf den Zehenballen wippte.

„Weg“, sagte Tom und grinste ihn freundlich an.

„Wann? Und wohin?“ Harry verlor allmählich die Geduld. Selbst die Tatsache, dass Tom nie besonders redselig gewesen war, reichte ihm nicht als Erklärung dafür aus, dass er ihm jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen musste. Vielleicht half es ja, gleich zwei Fragen auf einmal zu stellen.

„Weißt nicht, ’s ist schon länger her“, murmelte der alte Wirt, nicht viel hilfreicher als zuvor.

Entnervt stöhnte Harry auf. „Kann ich wenigstens den Kamin benutzen?“ Verzweifelt warf er dem Mann hinter der Bar einen Blick zu, mit dem er all sein inneres Leiden zum Ausdruck bringen wollte.

„’Türlich, Junge“, erwiderte Tom schlicht und lächelte gütig.

Harry verdrehte nur stumm die Augen und griff sich eine Handvoll Flohpulver aus dem Tongefäß über dem Kamin, warf es in die Flammen und trat mit einem entschlossenen Schritt hinein. Hastig nahm er noch seine Brille ab und steckte sie in die Tasche, bevor er so deutlich er konnte sagte: „Drei Besen, Hogsmeade!“ Dann kniff er fest die Augen zusammen und presste die Ellenbogen an den Körper, als sich alles um ihn rasend schnell zu drehen begann.

In Madame Rosmertas Lokal, das ungleich gepflegter wirkte als jenes, das Harry gerade verlassen hatte, schaffte er es, fast ohne zu stolpern aus dem Kamin zu treten. Dafür musste er zwei Mal laut niesen, weil er Ruß in die Nase bekommen hatte.

Unangenehm wurde er sich der Aufmerksamkeit bewusst, die er damit ungewollt erregt hatte. Um ihn herum schien der Lärmpegel seit seinem Eintreffen um die Hälfte gesunken zu sein und von allen Seiten wurden ihm neugierige Blicke zugeworfen. Harry hustete einmal verlegen und trat dann an die Bar, womit der Moment der Unbehaglichkeit auch schon wieder vorbei war.

„Eh… war Hagrid heute zufällig schon hier?“, murmelte Harry, immer noch leicht peinlich berührt, als Madame Rosmerta mit einem Lächeln und dem eleganten Heben ihrer Augenbrauen fragte, was sie für ihn tun könne.

„Tut mir Leid, hab’ ihn heute noch nicht hier gesehen… aber normalerweise kommt er ja auch erst abends her,“ antwortete sie und lachte, als hätte sie eben etwas Witziges gesagt und wollte ihn damit auch zu einer amüsierten Reaktion anregen. Womit sie Harry aber eigentlich nur noch mehr verwirrte, denn er konnte nichts Bemerkenswertes an ihrer Aussage entdecken, so sehr er sich auch anstrengte.

Also beschränkte er sich auf ein höfliches Grinsen und murmelte noch ein „Danke“, bevor er sich in Richtung Tür abwandte.

„Was brauchst du denn von ihm?“, rief Rosmerta fast hinter ihm her und die Neugier vibrierte dabei in ihrer Stimme. Sie hatte Harry sehr wohl erkannt, er war ja oft genug hier gewesen und – nun ja, immerhin war er ja doch Harry Potter. Insofern konnte sie sich wohl denken, dass ihn nicht einfach die Lust auf ein kleines Pläuschchen mit Hogwarts’ Wildhüter hier her getrieben hatte.

Aber Harry grinste nur unsicher über die Schulter zurück und zuckte unbestimmt mit den Achseln, dann beeilte er sich, ins Freie zu verschwinden.

Als die Tür mit einem dumpfen Geräusch hinter ihm ins Schloss fiel, war Harry schon eine halbe Straße weiter. Er hielt auf den Eberkopf zu, vor dem er zwar seit der Enthüllung über die Gründung der DA eine gewisse Abneigung entwickelt hatte, aber er war sich fast sicher, Hagrid jetzt dort zu finden. Wenn es stimmte, was Tonks sagte – und er hatte keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln – dann ließ Hagrid sich offenbar den lieben langen Tag über volllaufen. Und wo sollte er das sonst tun, wenn nicht dort? Harry wagte es stark zu bezweifeln, dass Hagrid einen bestenfalls mit einem Schuss Rum gestreckten Tee bei Madame Puddifoot einem soliden Krug Met den Vorzug geben würde.

Während er die Hauptstraße der langgezogenen Ortschaft entlang hastete, begann Harry zu überlegen, was er eigentlich zu tun gedachte, wenn er Malfoy fand. Wenn die Lage so war, wie er befürchtete, dann würde er in diesem Augenblick womöglich fünf ausgewachsenen Todessern gegenüber stehen – wenn nicht gar Voldemort persönlich. Und wie weiter? Wem wollte er etwas vormachen, er würde sie ja nicht ohne Unterstützung geradewegs in den Boden stampfen können!

Er beschloss, einfach darauf zu hoffen, dass sich der kleine Dreckskerl bei seiner Flucht geschickt genug angestellt hatte, und noch auf freiem Fuß war, wenn Harry ihn schließlich finden würde. Und er würde ihn finden, dessen war Harry sich sicher. Immerhin, so brüstete er sich in Gedanken, kannte er Malfoy wahrscheinlich besser, als der ganze durchgeknallte Todessertrupp zusammen.

Und dann – so weit war er immerhin schon gekommen, mit seinem großartigen, unfehlbaren und absolut sicheren Plan – würde er Malfoy mit sich zum Orden schleppen, und wenn er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Jetzt konnte er ihm nicht mehr kommen, von wegen das wäre eben die Seite zu der er gehörte und er hätte keine Wahl, denn wo seine angebliche Seite ihn schon verfolgte und lynchen wollte… Letzteres nahm Harry zumindest an.

Aber dann würde alles gut werden… irgendwie. Vorrausgesetzt, er fand Draco noch rechtzeitig.

Harry bog in die Seitengasse ab, in welcher der Eberkopf angesiedelt war. Sie war deutlich schmaler und dunkler als die breite, einladende Hauptstraße von Hogsmeade, aber Harry fürchtete hier nicht, von irgendwem angefallen zu werden. Er wusste zwar nicht, woher er dieses Vertrauen in die Welt nahm, verstand aber, es mit einer Selbstverständlichkeit hinzunehmen und nicht weiter zu hinterfragen – denn das hätte unweigerlich dazu geführt, dass es direkt unter seinen Händen nur so dahingebröselt wäre.

Endlich erreichte er die heruntergekommene kleine Schenke, über deren Eingang das Holzschild mit dem abgeschlagenen Schweinekopf im Wind leise hin und her schwang und unheilvoll quietschte. Ohne zu zögern schob Harry die schmutzige Tür auf, wobei ihm ein Schwall von Rauch, abgestandener Luft und dem vertrauten Geruch von Ziegenstall entgegen schlug.

Draußen war noch hellster Tag, deswegen musste Harry ein paar Mal blinzeln, um sich an das schummrige Licht, das hier vorherrschte, zu gewöhnen. Die in Nischen versunkenen Bleiglasfenster waren von einer so dicken Schmutzschicht überzogen, dass sie kaum Sonnenlicht durchließen. Die Glasscheibe in der Eingangstür war mir einer Art Vorhang – oder eher einem größeren Stofffetzen – verhängt, dessen ursprüngliche Farbe unter all dem Dreck nicht mehr auszumachen war. Mittlerweile rangierte sie irgendwo zwischen lehmgrubenbraun und dem Beige einer halb vermoderten Türmatte.

Hagrid hockte zusammengesunken an einem winzigen Tisch in der Ecke, vor sich den üblichen Krug Met, den er mit beiden Händen fest umklammert hielt, als wäre er sein letzter Anker, der ihn mit der Realität verbunden hielt. Er hatte einen wagenradgroßen Hut auf dem Kopf, der an ihm (wie wahrscheinlich auch an jedem anderen, mutmaßte Harry) ausnehmend albern wirkte und dessen Krempen ihm tief ins Gesicht hingen und es in dunkle Schatten tauchten. Natürlich erkannte Harry ihn trotzdem auf Anhieb, denn, wie schon erwähnt, Hagrids Erscheinung an sich war nicht gerade das, was man mit „diskret“ titulieren würde.

„Hi, Hagrid“, sagte Harry und ließ sich ihm gegenüber auf einem klapprigen Stuhl nieder, jedoch nicht, ohne zuvor mit einem flüchtigen Blick geprüft zu haben, ob nicht etwa rostige Nägel oder Ähnliches aus der Sitzfläche ragten.

„’Lo, ’Arry“, kam die gelallte Antwort mitsamt einem Schwall alkoholischer Dämpfe aus Hagrids Mund. Offenbar war er bereits in einem Zustand, in dem er sich nicht mehr fragte, was Harry in diesem Moment eigentlich hier zu suchen hatte.

Harry beschloss, dass es sinnvoller war, auf einleitendes Geplänkel zu verzichten, deswegen kam er gleich zum Kern der Sache. „Hagrid?“, sagte er deutlich, woraufhin jener leicht den Kopf hob und ihn mit glasigen Augen ansah. „Tonks sagt, du hast Malfoy heute gesehen?“

„Jep!“, sagte Hagrid und grinste, als wäre das eine achtenswerte Leistung, auf die er jetzt enorm stolz sein konnte.

„Bist du dir da ganz sicher? Woran hast du ihn erkannt? Und wo ist er hin?“, fragte Harry drängend weiter und lehnte sich dabei trotz des starken Alkoholgeruchs, der ihm aus Hagrids Richtung entgegenschlug wissbegierig über den Tisch.

Hagrid starrte ihn allerdings nur verwirrt an und umklammerte seinen Met-Krug noch ein wenig fester.

Frustriert seufzte Harry auf und wiederholte seine letzte Frage langsam, wobei er jedes einzelne Wort betonte. „Wo ist Malfoy hingegangen, Hagrid?“

„Rrrrraus“, brachte der Wildhüter mühsam über die Lippen. Dann legte er den Kopf schief und sah Harry aus zusammengekniffenen Augen misstrauisch an. „’Rum willsu das wissn, ’Arry?“

Dreimal verfluchte Baumtrollscheiße, was hatten die alle bloß, dass sie plötzlich auf den Misstrauenstrip gekommen waren? Dabei waren seine Motive ausnahmsweise doch wohl mehr als lauter. „Einfach so!“, erwiderte er schärfer als beabsichtigt, deswegen fügte er in versöhnlicherem Tonfall noch hinzu: „Es interessiert mich einfach.“

Prompt verfiel Hagrid wieder in sein beinahe unanständig breites Grinsen. „Die Haut weiß wie Alabaster“, säuselte er unvermittelt in einem irritierenden Singsang und Harry wusste nicht recht, was er davon nun halten sollte. Womöglich ein überaus anzweifelnswerter alter Schlager? Er ließ ein dezentes Husten verlauten und Hagrid wurde mit einem Schlag wieder ernst. „Das weißt du doch, ’Arry?“, sagte er und starrte den Jungen mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich weiß doch, wie du ihn immer anstarrst, ’Arry. Im Unte… Unter… Unticht!“, würgte er schließlich hervor.

Harry musste sich an dieser Stelle ein weiteres Husten verkneifen, das dieses Mal aus einer anderen Ursache resultiert wäre, aber Hagrid dröhnte ohnehin ohne Rücksicht weiter: „Aber du bis’ ja nich’ mehr in mei’m Un…ticht.“ Dann schniefte er laut und leerte seinen Krug mit einem einzigen, langen Zug.

Mit einem weiteren gedanklichen Fluch verlor Harry die Nerven und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, worauf Hagrid verdutzt aufsah. „Wo – ist – Malfoy – hin?“, wiederholte er laut und bemühte sich dabei, seine Atmung ruhig unter Kontrolle zu halten.

„Raus. Muggellondon“, sagte Hagrid in abrupt zum Unverfänglichen hin wechselndem Tonfall und sah in die Luft.

„Danke“, brummte Harry noch mühsam beherrscht, bevor er aufsprang und das Lokal überstürzt verließ.

***


Dieser Idiot! Ein Malfoy allein in London, das konnte einfach nicht gut ausgehen. Warum ging dieser kleine Spinner nicht irgendwohin, wo er sich auskannte? Wahrscheinlich wollte er es Harry nur schwer machen, ihn Buße tun lassen oder so ein ähnlich merkwürdiger Gedanke.

Harry war zum alten Black-Haus appariert, dem einzigen Ort in London, den er wirklich kannte – genau wie Draco, soweit sein Wissensstand reichte. Deswegen empfand er es als beinahe logisch, hier mit der Suche zu beginnen, obwohl er eigentlich nicht ernsthaft erwartete, ihn hier zu finden. Ähnlich wie bei der Damentoilette am Bahnhof Kings Cross – man durfte eben nichts unversucht lassen.

Kaum hatte er das Haus erreicht und schwungvoll die Tür aufgerissen, brüllte er ein geräuschvolles „Draco, du Psychopath, bist du hier?“ durch die verstaubten Gänge. Worauf ihm einen Moment lang nichts als Schweigen antwortete. Dann schlug plötzlich mit einem lauten Knall eine Tür im ersten Stock auf.

„Harry?“, rief jemand, dann folgten eilige Schritte und das Ächzen der Treppenstufen, als die Person darauf nach unten lief. In seine Richtung. Harry glaubte, das Blut gefriere ihm in den Adern.

In einer einzigen Bewegung drehte er sich um und hechtete aus der immer noch hinter ihm offenstehenden Eingangstüre und warf sie hinter sich ins Schloss. Dann rannte er los.

„Harry!“, vernahm er einen weiteren gedämpften Ruf aus dem Inneren des Hauses, während er schon quer über die verwahrloste, runde Rasenfläche in der Mitte der Grimmauldplatzes sprintete. Beinahe hatte er dessen gegenüberliegende Seite erreicht, als die Tür des Hauses – seines Hauses – aufflog und Hermine hinter ihm her gelaufen kam.

„Bleib hier und erklär mir das!“, keuchte sie hinter ihm her, aber Harry tat besser daran, seine Füße in die Hand zu nehmen und weiter zu laufen, ungeachtet seiner atemlosen Freundin, die stehen geblieben war und mit einem Ausdruck völliger Verzweiflung hinter ihm her sah.

Ein kleiner Stich des schlechten Gewissens regte sich in Harrys Magengegend, der sich aber angesichts der Situation, in der Draco sich gerade befand, leicht vernachlässigen ließ. Während er vor Hermine und ihren neugierigen Fragen davon lief, überlegte er flüchtig, wo er Draco weiter suchen sollte. Um ehrlich zu sein hatte er gerade einen eklatanten Mangel an bahnbrechenden Ideen, wie er nun weiter vorgehen sollte.

Er versuchte, sich an möglichst alle Gespräche mit Draco zu erinnern, sie in seinen Gedanken auf den kleinsten Hinweis zu durchforsten, wie Draco in einer Notsituation am ehesten handeln würde – und dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass Draco niemand war, der in Extremsituationen, wie diese eine war, kühne Pläne schmiedete und anschließend auch noch den Geist zusammenkratzte, diese in die Tat umzusetzen.

Dieser Schluss ließ im Grunde nur einen einzigen Ort zu, an dem Harry ihn finden konnte. Und das bedeutete, er musste sich direkt in die Schlangengrube begeben – er musste zum Familiensitz der Malfoys.

Harry schluckte. Fein. Dann sollte es eben so sein. Man musste ja schließlich Opfer bringen.

***


Das Manor war noch ein gutes Stück imposanter, als Harry es sich vorgestellt hatte und war von einer parkähnlichen Anlage umgeben, die wahrscheinlich ungefähr die Ausmaße einer kleineren Gemeinde in Staffordshire hatte. Er kam sich ziemlich klein und verloren vor, als er, schmutzig und ärmlich gekleidet, vor dem eleganten, weißen Gebäude stand, das im Licht der späten Nachmittagssonne golden zu glühen schien.

Eine breite Treppe führte einige Stufen nach oben zur Eingangstür, fast schwarz, wahrscheinlich Mahagoni, mit silbernen Beschlägen. Ohne zu zögern, angetrieben von einer geradezu wahnwitzigen Entschlossenheit, lief Harry die Stufen hinauf, um dann – ohne sich auch nur eine Sekunde lang zu sammeln, ohne nachzudenken, ohne tiefgreifendere Überlegungen, welche Folgen sein vorschnelles Handeln haben könnte – schwungvoll mit der Faust gegen die Tür zu hämmern. Wenn Draco da drin war, dann brauchte er ihn. Und zwar JETZT. Kein Grund, sich zu zieren wie ein kleines Mädchen, sondern Kampfgeist und Entschlossenheit zu zeigen war angesagt! Harry fühlte sich sehr heldenhaft.

Vielleicht hätte er sich noch ein bisschen heldenhafter gefühlt, wenn die Tür daraufhin wirklich aufgegangen wäre. Aber ihm antwortete nichts als Schweigen und das riesige Haus lag vor ihm, als hätte es seit Monaten schon keine Menschenseele mehr betreten. Aber Harry wusste, dass das nicht stimmen konnte, Narzissa wohnte noch hier und falls Draco auch nicht da war, dann wüsste sie doch bestimmt, wo er war. Eine Mutter wusste sowas immer.

Zumindest stellte sich Harry vor, dass dieses Prinzip so funktionierte, er selbst war immerhin nie in dessen Genuss gekommen, oder in dessen Strapaze, je nach dem. Sein Mundwinkel zuckte nervös, während er noch einmal, diesmal ein wenig verzweifelter und dringlicher – der Anfall von Heldenhaftigkeit war so schnell vorüber gegangen, wie er gekommen war – mit der geballten Faust gegen die Tür schlug.

Einen Moment lang hätte er am liebsten geweint, so allein und hilflos kam er sich plötzlich vor. Wie er so klein und unbedeutend vor dem Manor stand, das möglicherweise sein Ziel, vielleicht aber auch nur eine weitere sinnlose Etappe auf seiner chaotischen Suche war, und einfach nicht herausfinden konnte, was es damit auf sich hatte, weil ihm niemand die Tür aufmachte!

Es klang einfach zu skurril. „Alohomora!“, sagte Harry und war selbst erstaunt über den Anklang von Panik, den er aus dem simplen Wort heraushörte.

Die Tür rührte sich keinen Millimeter, was hatte er auch anderes erwartet? Das Anwesen einer so traditionsreichen Zaubererfamilie hatte sicher mehr zu bieten, als das. Deswegen beschloss Harry, es mit einer weniger eleganten, aber zumeist ungleich effektvolleren Variante zu versuchen. Er trat einen Schritt zurück und wäre um ein Haar rückwärts die drei marmornen Stufen heruntergefallen, konnte aber gerade noch sein Gleichgewicht bewahren. Er sah das als ein schlechtes Omen.

Vorsichtig geworden stieg er die breite Treppe hinunter, bevor er sich zum Eingang umwandte und ihm ein heftiges „Redukto!“ entgegen schleuderte. Ein lautes Krachen, dann das Splittern von Holz und das Klirren einer zerspringenden Glasscheibe. Harry konnte es nicht glauben, doch das eben noch so glanzvolle Portal zu malfoy’schen Privathölle lag nun vor seinen Augen in Schutt und Asche.

Er machte sich nicht die Mühe, seinen Zauberstab wegzustecken, sondern behielt ihn zu allem bereit in der Hand, als er vorsichtig durch das klaffende Loch in der Tür stieg. Unter seinen Turnschuhen knirschten Glassplitter, als er die weitläufige Vorhalle – denn genau das war es, eine Halle von der Größe eines kleineren Ballsaales – betrat. Die tief am Himmel stehende Sonne warf lange Lichtstreifen durch die hohen Fenster rechts und links des Eingangs und durch das Loch in der Tür auf den Boden. Harrys Silhouette zeichnete sich in jenem Sonnenfleck langgezogen und unscharf ab.

„Hallo?“, rief er unsicher in die Tiefen des Hauses hinein und verfluchte sich schon im nächsten Augenblick selbst für seine Unvorsichtigkeit. Obwohl es jetzt wahrscheinlich ohnehin nicht mehr viel Sinn machte, Wert auf Unauffälligkeit zu legen, immerhin war sein Eindringen auch nicht gerade subtil gewesen.

Nach einigen Schritten blieb er stehen und drehte sich einmal orientierungslos im Kreis. Eine geschwungene Treppe führte in den ersten Stock und vom hinteren Teil der Halle führte ein im Schatten liegender Gang weiter ins Haus hinein. Außerdem gab es eine unglaubliche Anzahl von Türen in die verschiedensten Richtungen, die ihn ein wenig an den von Türen gespickten Raum im Ministerium erinnerte. Bevor Harry sich entscheiden konnte, welchen Weg er einschlagen sollte, hörte er hastige Schritte herannahen.

Noch einmal drehte er sich im Kreis, in dem verzweifelten Bemühen, ihren Ursprung auszumachen, aber in dem Raum hallte jedes einzelne Geräusch vielfach zurück, so dass es unmöglich war, ihre Herkunft genauer zu bestimmen. Die Schritte kamen näher und Harry, der es aufgegeben hatte, ihre Quelle zu finden sah sich stattdessen hastig nach einem Versteck um. Er fand keines, alles war offen und überblickbar und er stand immer noch, starr vor Schreck, mitten in der Halle, als die Schritte abrupt anhielten und ein schriller Schrei ertönte. Dessen Ursprung konnte Harry nun sehr wohl ausmachen.

Der Ursprung war Narzissa Malfoy.

Sie stand oben auf der Galerie, bleich wie der Tod, und krallte sich mit beiden Händen am polierten Geländer fest. Ihr Blick huschte schnell, als könne er sich nicht entscheiden, wo er verweilen sollte, zwischen der gesprengten Tür und Harry, der immer noch erstarrt in der Mitte des Raumes stand, hin und her. Es dauerte ein paar endlose Sekunden, bis sie allem Anschein nach ihre Sprache wieder fand.

„Was zum Teufel fällt dir ein?“, kreischte sie und verlor dabei tatsächlich einen Moment lang ihre Haltung.

Harry war sich bewusst, dass das eher als rhetorische Frage gemeint war und nicht ernsthaft eine Antwort von ihm erwartet wurde, nachdem er ohnehin mehr als eindeutig demonstriert hatte, dass er sich nichts dabei gedacht hatte. Trotzdem stotterte er, mehr aus Reflex, als weil er wirklich das Bedürfnis hatte, sich zu rechtfertigen: „Aber ich… ich hab geklopft!“

Der Satz schwebte einige lange Momente im Raum, hing in der Luft und ließ all seine Lächerlichkeit auf beide Anwesenden wirken, von denen keiner die Gnade oder die Energie besaß, ihn mit einer weiteren Äußerung zu egalisieren. Noch während der Satz seine Lippen verlassen hatte, war Harry sich darüber bewusst geworden, dass er mehr als albern war. Aber er hatte seine Worte nicht aufgehalten, weil er wusste, dass das Schweigen noch schwerer gewogen hätte.

So starrten sie sich also gegenseitig an, der Junge, der systematisch die Familie Malfoy zu Grunde zu richten schien, und die Frau die zufällig die Schwester der Mörderin des letzten Blacks war. Jeder versuchte auszumachen, wessen Schuld nun größer war, schwerer wog; wer der Unterlegene sein sollte.

Selbst auf die relativ große Entfernung erkannte Harry, dass Narzissa Malfoys Augen strahlend blau waren, ein warmes Blau, ganz anders als die ihres Sohnes, der seine Augenfarbe offenbar von seinem Vater geerbt haben musste. Wie so vieles. Narzissas dagegen waren von einem reinen Vergissmeinnichtblau und strahlten in ihrem Gesicht, das weißer schien als Porzellan, eher wie eine hauchzarte, frisch gefallene Schneedecke. Momentan sprühten sie allerdings Funken.

„Was hast du hier zu suchen, du kleiner Bastard?“, brach sie endlich das Schweigen. Das Wort Bastard hörte sich seltsam unpassend an, von einer so makellosen Schönheit gesprochen, wie sie es zweifelsohne war.

Ein weiteres Mal begann Harry zu stottern und lief, wie er zu seinem eigenen Erschrecken feststellte, mit jedem einzelnen Wort noch eine Spur tiefer rot an. „Ich… Also ich… Es ist…“, setzte er mehrere Male erfolglos an, bevor er beschloss, ohne weitere Umschweife mit der Wahrheit herauszurücken. Das hier war immerhin Dracos Mutter, sie wäre die letzte, die ihren eigenen Sohn verraten würde, war Harry sicher.

„Ich suche Draco. Ist er hier?“, fragte Harry mit fester Stimme und straffte dabei ein wenig die Schultern. Ohne genau zu wissen, woher dieser Drang kam, hatte er das leichte Bedürfnis, bei Mrs. Malfoy einen guten Eindruck zu hinterlassen. Nachdem sein Auftritt bisher prinzipiell nicht sonderlich überzeugend gewesen war, hatte er einiges wieder wett zu machen.

Die kühle Herablassung wich langsam aus Narzissa Malfoys Blick und machte einem Hauch von Zweifel darin Platz, aber das bedeutete noch lange nicht, wie Harry gehofft hatte, dass ihr Ärger dadurch verrauchte. Ohne ihn aus den Augen zu lassen ging sie zur Treppe hinüber, um sie dann Stufe für Stufe eher hinabzuschweben als zu steigen. Am untersten Treppenabsatz blieb sie stehen. Um den dramatischen Effekt zu untermalen, vermutete Harry, oder um durch den Höhenunterschied eine gewisse Erhabenheit über ihn aufrecht zu erhalten. Vielleicht auch beides.

„Warum?“, fragte sie nach, ohne dass ihre Stimme auch nur den kleinsten Hinweis auf eine Antwort zu seiner Frage gegeben hätte.

Harry schluckte. Nur ruhig Blut, jetzt war der Moment gekommen, sie zu überzeugen. Harry konnte durchaus überzeugend sein, wenn er wollte, aber meistens passierte das in actiongeladenen Kampfsituationen wo er keine Wahl und keine Zeit hatte, über irgendetwas nachzudenken. Der kühle Kalkulator der erst denkt und dann handelt war er dagegen nie gewesen. Eh klar. Gryffindor.

„Ich habe gehört, er hat Schwierigkeiten?“, versuchte Harry es vorsichtig, aber Narzissa, anstatt weiteres Interesse zu zeigen, hob nur ihr Kinn in einer unmissverständlichen Geste ein Stück an.

Einen Sekundenbruchteil schoss die Frage durch seinen Kopf, warum sie sich eigentlich nicht im Geringsten eingeschüchtert oder nervös zeigte, angesichts der Tatsache, dass der Todfeind Nummer eins ihrer gesamten Sippschaft eben uneingeladen durch ihre Tür (und das wörtlich!) hereinspaziert war. Aber wenn man seinen Auftritt bedachte, der doch eher chaotisch und kopflos wirkte…

Ein Hinterhalt war immer möglich, aber wenigstens was das anging, verschaffte ihm seine Planlosigkeit einen kleinen Vorteil – Harry war unberechenbar.

„Hören Sie, ich will… ihm helfen. So absurd das in ihren Ohren auch klingen mag, aber ich weiß, dass Draco… dass er…“, er brach wieder ab und fixierte Narzissa noch einmal. Er versuchte, alles was er an Überzeugung und an Ehrlichkeit besaß, alles was er an Gefühlen, egal wie geartet sie auch sein mochten, für Mrs. Malfoys Sohn übrig hatte, in diesen Blick hineinzulegen. Es klang fast wie ein Flehen, als er endlich sagte: „Mir ist wichtig, dass ihm nichts passiert. Egal ob er hier ist, oder irgendwo anders. Es soll ihm nur… nichts passieren.“

Er starrte Narzissa an, die seinen Blick erwiderte, sekundenlang, ihr Gesicht wie eine Maske. Wie ein Schatten, kaum wahrnehmbar, aber eben doch da, huschte ein Hauch von etwas Dunklem über ihre Augen. Vielleicht Hass, und Harry zuckte kaum merklich zusammen.

„Er ist nicht hier“, sagte sie, ein Zittern in der Stimme, und im selben Augenblick, in dem das leichte Beben seine Sinne erreichte, wusste Harry, dass der Hass nicht ihm galt. Fast glaubte er aus ihren Worten die unausgesprochene Bitte mitschwingen zu hören: ‚Hilf ihm, wenn du es kannst.‘

Einen Herzschlag lang sah er ihr noch in die Augen, bevor er die seltsame Bindung, die kurze Zeit zwischen ihnen bestanden hatte, wieder zerriss und sich umdrehte, um nach draußen zu stürmen und ihrer Bitte und seinem Wunsch nachzukommen.

***


Die Verzweiflung wuchs mit jeder einzelnen Enttäuschung. Jeder Ort, jedes noch so kleine Fleckchen, das Draco jemals erwähnt hatte, war von Harry peinlich genau abgesucht und überprüft worden – ohne Erfolg. Langsam wusste er sich nicht mehr zu helfen, und die Gewissheit, dass Draco nicht mehr auf freiem Fuß war, wuchs mit jeder Minute, die gleichzeitig unendlich langsam und rasend schnell verstrich.

Längst hatte er es aufgegeben, sich in Gedanken die utopischsten Szenarien eines Happy-Ends der ganzen Episode auszumalen. Er und Draco, wie sie gemeinsam auf einem weißen Pferd in den Sonnenuntergang ritten. „Wo hast du eigentlich das Pferd aufgetrieben?“, fragte der Phantasie-Harry den Phantasie-Draco.

Der Phantasie-Draco war aber mindestens genauso zickig wie der echte – immerhin. „Ich wurde von Todessern verfolgt, bin ihnen entkommen und habe mich trotz der Loyalitäten meiner gesamten Umgebung für dich entschieden, um mit dir zusammen sein zu können – und alles was dich interessiert ist, wo ich das verdammte Pferd her habe? Du solltest deine Prioritäten einmal neu ordnen, du Held.“

Harry musste bei dieser Vorstellung trotz allem immer wieder ein bisschen grinsen.

Die andere Vision, die ihn immer wieder heimsuchte, war weniger erfreulich und trotzdem kam sie mit der Beharrlichkeit einer gute Posteule immer wieder und ließ einfach nicht locker, so sehr er es sich auch wünschte. In dieser düsteren Phantasie, die zu seinem eigenen Missfallen viel weniger wirklichkeitsfremd wirkte, als jene mit dem Pferd, sah Harry sich selbst im Halbdunkel des verfallenen Hauses in Godric’s Hollow stehen. Sein Kopf war gesenkt, die Schultern herabgesunken.

Langsam, wie eine Filmszene, lief die kleine Abfolge immer wieder vor Harrys innerem Auge ab. Nachdem er sich selbst gesehen hatte kam ein leichter Schwenk der Kamera und ein schmerzvoll langsamer Zoom auf den dunklen Fleck zu seinen Füßen. Wie der Fleck sich langsam zu einer Gestalt formte, wie an dieser Gestalt erste Details ausmachbar wurden und wie schließlich Dracos wächsernes, lebloses Gesicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Beinahe wie bei ihrem ersten Zusammentreffen dort.

Harry wurde dieses Bild nicht mehr los. Es schien ihn zu verfolgen, zu mahnen, wie um sicher zu gehen, dass er seine unermüdliche, rastlose Suche auch fortsetzte. Als ob das nötig gewesen wäre. Egal ob er Hunger litt, übernächtigt und erschöpft war, egal, ob sich der halbe Orden auf den Boden werfen und an seinen Fußknöcheln festklammern würde um ihn aufzuhalten – er würde weitergehen.

Tatsächlich gab es nur einen einzigen Ort, an dem Harry noch nicht gesucht hatte, und der Gedanke daran zehrte sehr an ihm. Normalerweise war es wirklich nicht seine Art auf diese Weise Dinge vor sich her zu schieben, von denen er wusste, dass er sie ohnehin früher oder später angehen musste – wenn es sich nicht gerade um eine Hausaufgabe für Zaubertränke handelte.

Der Ort war Godric’s Hollow. Draco hatte ihn zwar ausdrücklich gewarnt, aber was hatte das jetzt schon noch für eine Bedeutung? Besondere Situationen erforderten besondere Maßnahmen. Er schloss die Augen und seufzte, bevor er disapparierte.

Harry fühlte sich wie in einem Déjà-vu gefangen, als er langsam die birkengesäumte Straße entlangging, die zum Anwesen der Potters führte. Wieder schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass sie scheinbar nie enden wollte und wieder war es so, dass fast im gleichen Moment die niedrige Steinmauer in sein Blickfeld kam, die das Grundstück mit dem großen, verfallenen Anwesen säumte.

Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte und verfluchte die Tatsache, dass er wieder einmal vollkommen ungeschützt war. Mit einem geflüsterten „Nox“ löschte er das Licht an seinem Zauberstab, um sich zumindest ein wenig im Schutz der Dunkelheit verbergen zu können. Der Mond, nur leicht verhangen von ein paar trüben Wolkenfetzen, die ziellos durch die Nacht trieben, fast wie Harry selbst, spendete ausreichend Licht, um sich trotzdem noch orientieren zu können.

Als Harry die Ecke des großen Gartens erreicht hatte, kletterte er über die niedrige Mauer. Kaum dass er den Fuß auf der anderen Seite auf den Boden gesetzt hatte, überkam ihn wieder jenes seltsame Gefühl, das er auch vor einer Woche schon gehabt hatte, als er das erste Mal hier gewesen war. Er hatte seitdem nicht weiter darüber nachgedacht, war abgelenkt gewesen, hatte seine Gedanken bei ganz anderen Dingen gehabt, die ihm jetzt fast trivial vorkamen.

Es war, als läge etwas in der Luft, etwas das nicht hier her gehörte. Oder es war der dunstige Schatten des Unheils, des kommenden oder des vergangenen, der über allem hier lag. Ähnlich einem Schlachtfeld, auf dem vor hunderten von Jahren einst ein blutiger Krieg getobt hatte, und auf dem man wahrscheinlich bis in alle Zeit den metallischen Geschmack von Blut in der Luft wahrzunehmen glaubt. Und wenn man die Augen schloss, hörte man Kampfgebrüll, das Stampfen von Hufen und das Klirren tausender Schwerter.

Harry schloss die Augen. Aber er hörte nichts, keinen Windhauch, kein Rascheln der Blätter, kein Grillenzirpen. Und erst Recht keine klirrenden Schwerter. Er hätte sich jetzt mit Gryffindors Schwert ausgerüstet um einiges sicherer gefühlt, immerhin hatte ihn dieses schon einmal aus einer schier ausweglosen Lage und vor einem übermächtigen Gegner gerettet.

Entschlossen machte Harry endlich den ersten Schritt auf das dunkle Haus zu, dessen Kontur sich schwarz wie das Tor zur Hölle von dem samtenen Himmel abhob. Er huschte geduckt über die Wiese, bis er die Hausecke erreichte, um sich dann flach mit dem Rücken gegen die Seitenwand zu pressen. So verharrte er einige Sekunden und lauschte erneut angestrengt nach Schritten oder sonst irgendetwas, das ihm einen Hinweis auf mögliche Bewacher gegeben hätte. Doch auch jetzt vernahm er nichts als das leise Geräusch seiner eigenen Atemzüge.

Nah an der Mauer schlich er weiter zur Rückseite des Hauses, um es dort durch das klaffende Loch in der Wand zum Wohnzimmer zu betreten. Harry konzentrierte sich auf jeden einzelnen Schritt, den er machte, um jedes unnötige Geräusch zu vermeiden. Sein Gefühl schien ihm sagen zu wollen, dass die kleinste Unachtsamkeit ihm den Kragen kosten könnte, deswegen war er umso vorsichtiger und es kam ihm vor wie eine kleine Ewigkeit, bis er endlich die Rückseite des Hauses erreicht hatte.

Es waren nur noch ein paar Meter bis zu seinem Ziel, ein paar Schritte nur, und er wäre wieder an dem Ort, wo die ganze Misere ihren Anfang genommen hatte. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in Harrys Bauch breit, dehnte sich aus und schien seinen Hals geradezu hinaufzuwandern, bis es sich in seiner Kehle wie ein dicker Kloß festsetzte und keinen Anschein erweckte, demnächst wieder von dort zu verschwinden. Er hatte Angst.

Angst vor dem Unbekannten, Angst, dass seine Befürchtungen sich bewahrheiten könnten, Angst, dass Dracos Warnung berechtigt gewesen war und er jetzt geradewegs in sein Verderben lief. Und Angst, dass alles umsonst gewesen war, dass Draco nicht da war. Und er versagt hätte. Schon wieder.

Mit dem Ärmel seiner linken Hand – die rechte hielt den Zauberstab umklammert – wischte er sich kalten Schweiß von der Stirn, bevor er alle Gedanken mit Gewalt niederzwang und angespannt den Blick wieder auf sein Ziel richtete. Es gab nur noch seine Sinne, keine störenden Gefühle und verwirrenden Überlegungen mehr. Er bestand für kurze Zeit nur noch aus Sehen, Hören, Riechen; so lange, bis er den Eingang erreichte.

Einen kurzen Augenblick lang überlegte er, es vorsichtig anzugehen, entschied sich dann aber doch für die direktere Methode des Angriffs als beste Verteidigung. Den Zauber für ein magisches Schutzschild schon fast auf den Lippen machte er einen ruckartigen Schritt in die modrige Finsternis des Raumes. Er rechnete fast damit, dass noch im selben Moment Flüche wie Hagelkörner von allen Seiten auf ihn einprasseln würden, und er schneller einem Schweizer Käse gleichen würde, als er „Ich bin ein naiver Vollidiot und eigentlich geschieht es mir Recht“ sagen konnte. Aber nichts geschah.

Er erlaubte sich, kurz erleichtert aufzuatmen, bevor die Anspannung zurückkehrte und er das Zimmer mit den Augen gründlich abtastete. Hatte sich seit seinem letzten Besuch etwas verändert? Es kam ihm so vor, als wäre irgendetwas anders, aber er konnte es nicht genau ausmachen. Einzig ein beunruhigendes Gefühl des unbestimmten Verdachts blieb an ihm haften, während er langsam ein paar vorsichtige Schritte durchs Zimmer machte.

In der Tür zum Flur hielt er inne und lauschte, blinzelte dann, bis sich seine Augen an die schlechteren Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Auf den ersten Blick schien alles leer, erst bei näherem Hinsehen entdeckte er den dunkleren Schatten am Fuße der Treppe. Mit einem Mal war der Kloß in Harrys Hals wieder da und wie ein Aufblitzen vor seinem inneren Auge sah er wieder das Bild aus seiner düsteren Phantasie, das von Dracos leblosem, weißen Gesicht.

Ohne nachzudenken stürzte Harry darauf zu, alle Vorsicht von der überbordenden Panik beiseite gewischt, und fiel neben dem dunklen Bündel zu Boden. Der Zauberstab glitt klappernd aus seiner Hand und rollte über die staubgrauen Fliesen davon, als er mit beiden Händen nach dem schwarzen Stoff griff, um ihn dann schwungvoll beiseite zu reißen.

Harry blieb gerade noch Zeit, entsetzt die Augen aufzureißen, bevor eine Stimme hinter ihm „Stupor!“ schrie und alles um ihn herum in Dunkelheit versank.

***


„Du lernst es wohl nie, Potter, oder? Dich an die guten Ratschläge zu halten, die man dir gibt...“

Der Satz schwamm unklar durch die Finsternis vor Harrys Augen. Er blinzelte, konnte aber trotzdem nichts erkennen. Langsam kehrte das Gefühl in seinen Körper zurück, kribbelnd, als würden winzige Ameisen über seine Haut wandern, und er spürte kalte, staubige Fliesen unter sich.

„Ich sagte doch, du sollst nicht mehr hier her kommen.“ Die Stimme klang hart und schneidend.

Harry hob mühsam den Kopf, in dem es dumpf dröhnte, als hätte er neben dem Stupor auch noch einen Ziegelstein gegen die Stirn abbekommen. In diesem Moment erinnerte er sich wieder. Der Mantel am Boden. Die Überraschung, als er darunter nichts als ein Haufen Steine gefunden hatte und die lähmende Erkenntnis, blind in eine Falle getappt zu sein.

„Du solltest daran arbeiten, diesen Heldenkomplex in den Griff zu bekommen. Das könnte sonst irgendwann tödlich ausgehen.“ Im Tonfall lag nicht der geringste Hauch von Humor.

Die verschwommenen Schatten vor Harrys Augen formten sich langsam zu schärferen Konturen, nicht perfekt, denn seine Brille war ihm offenbar beim Sturz von der Nase gerutscht, aber genug, um das Nötigste zu erkennen. Die schmale Gestalt, die im Durchgang zum Wohnzimmer lehnte, die Arme verschränkt und mit einem für Harry ob der Unschärfe unlesbaren Ausdruck im Gesicht, war unverkennbar.

„Draco“, keuchte er, halb entsetzt, hab erleichtert, und kam schwankend auf die Beine, um ein paar unsichere Schritte auf ihn zu zu machen.

„Bleib wo du bist!“, sagte Draco scharf und Harry hielt irritiert in seiner Bewegung inne.

Obwohl die Nachwirkungen des Stupors langsam von ihm abfielen, fühlte sich die Situation von Sekunde zu Sekunde irrealer an. Einige verwirrte Augenblicke lang sah er Draco an, erblickte dann aus den Augenwinkeln seine Brille am Boden und bückte sich mechanisch, um sie aufzuheben. Als er sie wieder aufgesetzt hatte, erkannte er endlich den versteinerten Ausdruck auf Dracos Gesicht.

„Ins Wohnzimmer“, sagte Draco in harschem Befehlston und trat einen Schritt beiseite, um Harry den Vortritt zu lassen. Allerdings weniger aus Höflichkeit, als aus dem simplen Gedanken heraus, ihn dabei im Auge behalten zu können.

Harry folgte zögernd dem Befehl und bemerkte im Vorbeigehen seinen eigenen Zauberstab, der aus Dracos Umhangtasche herausragte. Es wurde immer makaberer, eine Nachstellung ihres ersten Zusammentreffens, nur mit vertauschten Rollen. Wollte Draco ihn leiden lassen, ihn für die Geschehnisse am Vorabend bestrafen? Er hätte allen Grund dazu.

„Draco, hör mal, es tut mir Leid. Wirklich. Das wegen gestern... vergiss es einfach, ja? Bitte. Es war wirklich dumm“, stammelte Harry planlos, während Draco ihm ins Zimmer folgte.

„Hinsetzen“, sagte er, als hätte er nichts von dem gehört, was Harry gesagt hatte. Er wirkte angespannt, seine Kiefer waren verkrampft und die kühle Gelassenheit von einst war nervöser Konzentration gewichen, die ihn ständig unruhige Blicke über die Schulter werfen ließ, als erwarte er eine Attacke aus dem Hinterhalt. Er selbst blieb stehen und ließ Harrys Zauberstab zwischen seinen Fingern hin und her wandern.

Plump wie ein Sack Kartoffeln ließ Harry sich auf den Boden fallen, und genauso fühlte er sich auch. Seine Glieder waren plötzlich bleischwer und sie fühlten sich an als würde das letzte bisschen Leben, das noch durch sie hindurch geflossen war, langsam versiegen. Alles war so falsch, ganz schrecklich falsch. „Draco, ich... das mein ich ernst. Es tut mir wirklich Leid“, versuchte er ein letzte Mal, Dracos steinharte Fassade zu durchbrechen.

„Halt die Fresse, Potter“, sagte er müde, ohne Schärfe, aber Harry spürte trotzdem seinen Ernst. „Weißt du, wie es ist, ein Crucio abzubekommen?“

Harry sah ihm in die leeren Augen, die sich schnell von ihm abwandten, und nickte.

„Und weißt du auch, wie es ist, ein Crucio von dem abzubekommen, für dessen Ideale du kämpfst? Stell dir vor, Dumbledore hätte dir jedes Mal einen Fluch auf den Hals gejagt, wenn man dich nachts außerhalb des Gemeinschaftsraums erwischt hätte.“

Die Gedanken rasten in Harrys Kopf. Tausend Fragen brannten ihm auf der Zunge und er wusste nicht, welche er zuerst stellen sollte, welche am wichtigsten war. „Sie... haben dich also erwischt?“, krächzte er schließlich mühsam und wusste gar nicht, warum seine Stimme auf einmal so rau war.

„Du hast ja gar keine Ahnung, Potter“, sagte Draco und klang dabei irgendwie verändert, so als wäre er in den letzten vierundzwanzig Stunden um mindestens fünf Jahre gealtert.

Harry schluckte und schwieg. Immernoch wusste er nicht, was er sagen, fragen oder denken sollte. Dass Draco hier war, vor ihm stand und mit ihm redete... Warum hatten sie ihn nicht umgebracht? Mit dem Feind zu vögeln war für Voldemort sicher ein Verbrechen, das nur mit einem langsamen und qualvollen Tod geahndet werden konnte, also ließ Dracos leibhaftige Anwesenheit nur einen einzigen Schluss zu. „Das –“, Harry räusperte sich, weil seine Stimme schon wieder zu versagen drohte, „das ist eine Falle, richtig? Sie haben dich am Leben gelassen, um mich in eine Falle zu locken. Und wenn Potter tot ist, darf Malfoy weiterleben, irgendwas in die Richtung ist es doch, oder?“

Draco lachte trocken auf. „Du glaubst auch, dass es immer nur um dich geht, oder? Ich danke dir für dein grenzenloses Mitgefühl“, meinte er mit einem sarkastischen Lächeln, das Harry einen Schauer über den Rücken jagte. „Keine Angst, kleiner Held, niemand weiß von dir.“

„Aber...“, setzte Harry ohne nachzudenken an und stockte im nächsten Moment schon wieder.

„Weißt du, warum sich mich gesucht haben? Verfolgt und gefoltert und vor allen gedemütigt? Willst du’s wissen?“ Draco brach in ein fast hysterisches Lachen aus, während sich in seinem Blick pure Verzweiflung sammelte, die schon hart an der Grenze des Wahnsinns kratzte. „Weil ich letzte Woche meinen Posten hier zu früh verlassen habe!“, keuchte Draco undeutlich in seinen beängstigenden Lachanfall hinein. „Die Ablöse kam, und ich war weg! Und dann finden sie es auch noch witzig, mich hier meinen Dienst nachholen zu lassen! Ist das nicht überaus geistreich?“

Harry hielt die Luft an. Mit einer einzigen falschen Bewegung oder einem falschen Wort, so fürchtete er, könnte er Draco in einen wahllos mit Flüchen um sich schießenden Psychopathen verwandeln, deswegen versuchte er, sich einfach nicht zu rühren und so zu tun, als wäre er gar nicht da.

„Verstehst du mich?“, schrie Draco plötzlich, seine Stimmung jäh wieder ins Gegenteilige umgeschlagen. „Wegen so einer kleinkarierten Scheiße foltern sie mich fast um den Verstand! Als Todesser kannst du gar keine Jungfrau sein, weil dich das Leben sowieso jeden Tag fickt!“ Er hielt inne, heftig atmend, so als wären ihm plötzlich die Worte ausgegangen. Harry glaubte, in seinen Augenwinkeln etwas glitzern zu sehen, aber er war sich nicht sicher.

Hilflos saß er am Boden und sah Draco an, dessen Brustkorb sich so hektisch hob und senkte, als sei er gerade einen Marathon gelaufen. Sollte er etwas Tröstliches sagen? Klangen nicht alle Worte hohl und leer angesichts der Situation? Sollte er ihn in den Arm nehmen und festhalten? Wäre das nicht wie Heuchelei? Die Wahrheit war, dass Harry wirklich nicht wusste, wie es für den anderen war. Er hatte Monate und Jahre damit verbracht, sich selbst zu bemitleiden und dabei völlig außer Acht gelassen, dass es auf jeder Seite Menschen gab, die bis über ihre Grenzen hinaus litten.

Harry schwieg.

„Weißt du, Potter, du hast mich das letzte Mal hier auch laufen lassen, also sollte ich das wohl der Fairness halber auch tun“, sagte Draco, erschöpft von seinem Wutanfall und wandte sich leicht ab. Dabei streckte er die Hand aus und hielt Harry seinen Zauberstab hin. Als dieser automatisch danach greifen wollte, zog er ihn aber mit einer raschen Bewegung wieder weg und fixierte Harry plötzlich scharf. „Allerdings bin ich ein Slytherin und kein naives Weichei aus Gryffindor“, zischte er.

„Scheiße, Malfoy, was soll das alles?“, platzte es schließlich heftig aus Harry hervor und er sprang ärgerlich auf die Beine. „Ich bin hier her gekommen um dir zu helfen, du Idiot, ich suche schon den ganzen Tag nach dir!“

„Und du denkst, ein paar Stunden Suche machen das alles wieder wett?“

„Ich war sogar bei deiner Mutter!“, setzte Harry hinzu.

Draco stockte kaum merklich, bevor er sich wieder unter Kontrolle bekam. „Merlin, Potter! Ich ertrag dich keine Sekunde länger. Geh einfach! Hau ab, verschwinde! Geh und leb weiter in deiner Traumwelt und vergiss schnell wieder, dass es sowas wie ein wirkliches Leben auch gibt!“ Er warf Harry seinen Zauberstab hin. Ein kleines Stückchen Holz, das klappernd zu Boden fiel, bevor Harry sich hastig bückte und es aufhob.

„Aber... Draco, bitte, ich... das kann doch nicht alles sein!“, stammelte er, der sich plötzlich fürchterlich leer fühlte.

„Potter, ist dir eigentlich aufgefallen, dass du immer nur von dir sprichst?“

Ein letztes Mal bäumte sich die Tatkraft und der unbezähmbare Wille in Harry auf, und ohne wirklich darüber nachdenken zu müssen, ohne dass er seinen Füßen den Befehl dazu gegeben hätte, trugen sie ihn auf Draco zu, der sich wie eine marmorne Statue nicht von seinem Platz rührte. Mit beiden Händen packte Harry ihn am Umhang, zog ihn fast mit Gewalt an sich und presste seine Lippen auf Dracos.

Wie kalt war seine Haut, wie dünn und zerbrechlich sein Körper, der für den Bruchteil einer Sekunde in seinen Armen erschlaffte, sich fallen ließ, wie eine junge Katze, die von ihrer Mutter am Nacken gepackt wurde, erfüllt von Hingabe und Vertrauen. Harry drängte seine Zunge zwischen die geschlossenen Lippen, küsste Draco mit aller Leidenschaft und Verzweiflung, die er in einem solchen Moment noch zusammenkratzen konnte.

Und für die Dauer von ein paar wenigen Herzschlägen, aus denen gerade ihre ganze Welt zu bestehen schien, waren sie beide wieder nicht sie selbst. Gleichzeitig Fremde und Vertraute, die in der Asche aneinander festhielten. (1)

Dann stieß Draco Harry plötzlich von sich, Harry keuchte und stolperte rückwärts gegen die Wand. Links von ihm wie eine klaffende Wunde die zerschmetterte Wand, durch die er das Haus betreten hatte. Das Mondlicht fiel kalt herein und beleuchtete Dracos Gesicht auf eine schaurige Weise, die seine Züge scharf hervortreten ließ, aber seine Augen in Schatten legte. Sein Ausdruck war hart und abweisend, die Hände hatte er zu Fäusten geballt und der ganze Körper stand so unter Anspannung, dass jeder einzelne Muskel zu beben schien.

„Erbärmlich, Potter. Melodramatik steht dir nicht, das wirkt tuntig“, versuchte Draco seine alte Überheblichkeit wieder aufleben zu lassen, aber es wollte nicht so recht funktionieren. Jedes Wort aus seinem Mund klang, wie in einem schlecht synchronisierten Film, in dem Stimme und Worte so gar nicht mit der traurigen Kreatur, die sie von sich gab, zusammenpassen wollten.

Harry schüttelte nur den Kopf.

„Bitte geh. Sonst werde ich dich zwingen, das ist mir egal. Verschwinde einfach.“

Schweigen stand wie eine Mauer zwischen ihnen. Harry wusste, dass dies der Moment der Entscheidung war. Würde er jetzt gehen, dann gäbe es kein Zurück mehr. Wenn er aber blieb, weiter für etwas kämpfte, von dem er nicht recht wusste, ob es sich eigentlich lohnte, dann ginge die Achterbahnfahrt ins Ungewisse immer weiter, vielleicht nur, um am Ende festzustellen, dass sie ohnehin nie eine Chance gehabt hatten, auf einem Weg, gepflastert mit Leiden und Angst und dem nackten Kampf ums Überleben.

Draco sah weg, keine Regung war an ihm erkennbar, als Harry ihn angestrengt musterte. In diesem Moment wurde ihm klar, was er wahrscheinlich unterbewusst immer schon geahnt hatte. Sie beide hatten keine Chance, hatten sie nie wirklich gehabt, solange das gegenseitige Misstrauen immer noch ihr Denken und ihr Tun beherrschte. Es lag noch viel zu viel zwischen ihnen, ungesagte Dinge wie gesagte. Und keiner von ihnen hatte den Mut besessen, diese Grenzen nieder zu reißen. Ein erster Schritt auf gefährliches Terrain war getan worden, auf dem sie aber beide zu viel Angst gehabt hatten, weiter aufeinander zu zu gehen. Im Grunde war es eine bloße Frage der Zeit gewesen, wann das fragile Gerüst aus undeutbaren Gefühlen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen würde und alles mit sich riss, das sie in vorsichtiger Kleinarbeit miteinander aufgebaut hatten.

Vielleicht würden sie eines Tages die Kraft besitzen, unvoreingenommen auf einander zu zu gehen, sich in die Augen zu sehen, ohne darin nach dem tückischen Glitzern des Verrats zu suchen. Vielleicht irgendwann, aber nicht heute, nicht hier, nicht während dieses Krieges.

Aber vielleicht war das schon alles, dass er den Mensch hinter der Fassade erkannt hatte, vielleicht reichte das schon, dass er nun wusste, dass in jedem Krieg auch die Gegenseite liebte und bangte und fühlte. Dass keiner von ihnen mehr unschuldig war.

‚Danke, dass ich dich kennenlernen durfte‘, dachte Harry, der es nicht wagte, diesen Satz laut auszusprechen, bevor er sich umwandte und ging. Schon nach wenigen Augenblicken hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.

***


Der Sommer blieb heiß und drückend. In manchen Sommernächten, die trotz weit aufgerissener Fenster und laufender Ventilatoren einfach nicht abkühlen wollten, wälzten sich zwei Jungen unruhig auf ihren Schlaflagern an verschiedenen Enden Großbritanniens hin und her, und konnten keine Ruhe finden. Und die dünne Schweißschicht, die ihre Körper bedeckte und der schwere Atem und der gequälte Ausdruck in ihren Gesichtern – all das hatte seine Ursache nicht in der Hitze.

Doch sie beide hatten das gleiche Ziel. Nämlich den wahren Grund dafür hartnäckig vor dem Rest der Welt, und vor allem vor sich selbst zu verleugnen.

~oOo~

Before our innocence was lost
You were always one of those
Blessed with lucky sevens
And the voice that made me cry


[Placebo – Song To Say Goodbye]

~Fin~


________________________

(1) „Poetisch ausgedrückt halten sie in der Asche aneinander fest“: aus Resimesdras Übersetzung von „A Season in Hell“, im Original von Cassandra Claire.


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