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Fanfiction

Bruised and Broken - Teil VII - Blind

von solvej

I’d fill your every breath with meaning
And find a place we both could hide


[Placebo - Blind]

~oOo~


Draco war noch nicht da, als Harry am Grimmauldplatz ankam. Einen Moment lang wollte er sich schon Ă€rgern, bis ihm einfiel, dass sie gar keine Uhrzeit verabredet gehabt hatten. Eigentlich waren sie ja auch nicht wirklich verabredet. Vielleicht kam Malfoy ĂŒberhaupt nicht. Oder er war schon da gewesen und wieder gegangen, nachdem Harry nicht aufgetaucht war. Harry versuchte gekonnt, diese Möglichkeit außer Acht zu lassen.

Um sich die Zeit zu vertreiben, streunte Harry ziellos im Haus umher und ohne es zu merken fĂŒhrte ihn eine Art innerer Drang ein weiteres Mal in Seidenschnabels Zimmer. Harry hielt wieder die Luft an, als er es betrat – er sollte sich wirklich endlich diesen Reinigungszauber merken – und ging diesmal zielstrebig auf den Wandschrank zu. Sein Inhalt bot das gleiche Bild wie beim letzten Mal, nur eine Whiskeyflasche fehlte. Harry schĂŒttelte ein wenig irritiert von sich selbst den Kopf, wandte sich aber schnell wieder Sirius’ spĂ€rlichen BesitztĂŒmern zu.

Die Schachtel. Sie war ihm die ganze Zeit im Kopf herumgespukt, nicht vordergrĂŒndig, nicht drĂ€ngend, aber doch so, dass er sich öfter daran erinnert und sich gefragt hatte, was sie wohl verbarg. Behutsam hob er sie vom obersten Regalbrett, um sie genauer betrachten zu können. Äußerlich war nichts Ungewöhnliches an ihr; braun, aus Karton und von einer dicken Staubschicht bedeckt. Harry wollte gerade daraufblasen, um diese zu entfernen, als er heftig zusammenzuckte.

Es klopfte.

‚Scheiß Malfoy‘, fluchte Harry in Gedanken, ‚kommt immer zum falschen Zeitpunkt.‘(1)

Harry beschloss, ihn vorerst zu ignorieren. Nicht allein die Neugier hielt ihn davon ab, sofort nach unten zu laufen. HintergrĂŒndig spielte auch der erziehungstechnische Gedanke eine Rolle, Draco merken zu lassen, dass Harry fĂŒr ihn nicht alles sofort stehen und liegen ließ und zu ihm eilte.

Es klopfte wieder. Warum brach Draco heute denn nicht ein; seit wann war er denn so anstĂ€ndig und wartete darauf, gebeten zu werden? Harry klemmte sich Ă€rgerlich die Schachtel unter den Arm und machte sich auf den Weg nach unten. Als er aber schon halb die Treppe herunter war, blieb er abrupt stehen. Was, wenn in der Schachtel irgendetwas Wichtiges, etwas Wertvolles, oder womöglich etwas GefĂ€hrliches war? Oder einfach nur etwas sehr Privates? Das brauchte Malfoy nicht zu sehen. Harry kehrte also wieder um und stellte sie zurĂŒck in den Schrank, dann begab er sich nach unten, um Draco herein zu lassen.

Mittlerweile hatte der sich die Sache mit dem Einbruch offenbar schon anders ĂŒberlegt, denn er stand bereits in der Eingangshalle, als Harry dort ankam.

„Dachte ich’s mir doch. Du hast gewartet und willst es nicht zugeben“, sagte er mit einem hĂ€mischen Grinsen.

Damit lag er gar nicht so falsch, aber eher wĂ€re die Hölle zugefroren, als dass Harry das zugegeben hĂ€tte. „Malfoy“, sagte er stattdessen schlicht.

„Potter“, antwortete der Angesprochene und grinste weiter so unverschĂ€mt und ĂŒberheblich, dass in Harry schon wieder der Ärger aufstieg.

„Ich will mich nicht schon wieder prĂŒgeln“, erklĂ€rte Draco. „Also wenn du diesmal vielleicht...“ Er legte den Kopf schief und sah Harry fragend an.

„Was, soll ich dir vielleicht einen BegrĂŒĂŸungskuss geben und sagen ‚Schön, dass du wieder da bist, Schatz‘?“, murrte Harry missmutig.

„WĂ€re ein Anfang. Aber nur, wenn du dabei Kleid und SchĂŒrze trĂ€gst.“ Draco grinste noch breiter. „Und vielleicht einen Staubwedel
“

„Ich hasse dich, Malfoy“, murmelte Harry und lehnte sich genervt gegen das TreppengelĂ€nder. Warum war er doch gleich hier?

„Endlich kommen wir der Sache nĂ€her“, meinte Draco zufrieden. „Wie wĂ€rs mit Sex?“

Harry verschluckte sich vor Schreck fast an seiner eigenen Zunge. Er wĂŒnschte sehr, sich verhört zu haben, allerdings war wenig Raum fĂŒr MissverstĂ€ndnisse in dieser Aussage. Und die Art, wie Malfoy in genau diesem Moment selbstgefĂ€llig grinste, verhieß auch nichts Gutes.

„Mein Arsch bleibt Jungfrau, verstanden?“, erklĂ€rte Harry vehement, als Draco ein paar Schritte auf ihn zu machte.

„Wenn du weiterhin so unaufgeschlossen bist, dann bleibt’s auch der Rest von dir“, stellte Draco erbarmungslos fest. „Und jetzt -“, er zog den sich strĂ€ubenden Harry am Handgelenk zu sich heran, „- stell dich nicht so an und lass mich angemessen Hallo zu dir sagen.“ Dann unterband er jede weitere Diskussion ziemlich effektiv, indem er Harry kĂŒsste.

„Hui“, sagte Harry recht einfallslos, als er endlich wieder richtig atmen konnte. Verlegen wischte er sich mit dem HandrĂŒcken ĂŒber den Mund und vermied den direkten Blickkontakt. Draco dagegen sah – immer noch – sehr zufrieden mit sich aus. Er packte Harry wieder am Handgelenk und zog ihn kommentarlos hinter sich her in den ersten Stock.

***


Harry hatte geglaubt, vorbereitet zu sein, aber als Draco endlich kam und seine HĂŒften dabei noch einmal nach oben zuckte, konnte er den in ihm aufsteigenden WĂŒrgereiz nicht lĂ€nger unterdrĂŒcken. Er riss seinen Kopf heftig zurĂŒck und hustete – weißlich tropfte es aus seinem Mund auf Dracos Bauch. Tapfer, aber dennoch ein wenig angewidert, schluckte er den noch verbliebenen Rest hinunter, dann erst wagte er es, ein wenig peinlich berĂŒhrt, Draco ins Gesicht zu blicken.

Draco hatte keinen Laut von sich gegeben, auch in dem Moment nicht, als sein Orgasmus seine HĂŒften hatte vorschnellen lassen und seine HĂ€nde sich im Leintuch verkrampf hatten. Er hatte nur die Augen fest zusammengekniffen und sich hart auf die Unterlippe gebissen. Jetzt war er kraftlos zurĂŒck auf die Matratze gesunken und atmete stoßweise, aber dennoch beherrscht. Sein Gesicht verriet immer noch die Anspannung, die er aufbringen musste, um nicht mehr GefĂŒhle zu zeigen, als er sich vorgenommen hatte.

Harry schĂ€mte sich, obwohl er nicht so genau sagen konnte, wieso. Er griff nach seinem Zauberstab und murmelte ein paar Worte, um die Flecken von Dracos blassem Bauch zu entfernen. Dann ließ er sich neben den anderen aufs Bett sinken und legte sein Kinn auf dessen Schulter. Draco blickte stur weiter in die andere Richtung.

„Ich
“, murmelte Harry. „Entschuldige.“ Er wusste, dass das nicht das richtige Wort war, um seine GefĂŒhle auszudrĂŒcken, aber er wusste auch kein passenderes. Außerdem war es wahrscheinlich besser, immer knapp an den wirklichen Empfindungen vorbeizuschrammen, als sie wahrheitsgetreu zu formulieren. Es war ein Kompromiss, der gerade noch tragbar war.

Langsam drehte Draco den Kopf, bis er starr nach oben blickte, und vermied es weiter, Harry anzusehen. „Vergiss es“, flĂŒsterte er heiser.

Harry hatte das GefĂŒhl, das war auch nicht ganz das gewesen, was er eigentlich meinte, zumal sich auf Dracos Gesicht etwas abzeichnete, das entfernt Schuldbewusstsein Ă€hnelte. Aber einerseits war er sich nicht sicher, ob Draco Malfoy so etwas ĂŒberhaupt empfinden konnte, andererseits hatte er dazu keinen Anlass.

Stattdessen drehte Draco sich auf die Seite, so dass Harry auf den RĂŒcken rollte – und dann tat er etwas, mit dem Harry niemals gerechnet hĂ€tte. Eigentlich hatte er, nachdem Malfoy sich wieder etwas gesammelt hatte, einen gemeinen Kommentar erwartet, irgendwas Bösartiges, aber stattdessen klammerte sich Draco mit beiden HĂ€nden an Harrys Schultern fest und vergrub mit einer Geste, in der die Verzweiflung ziemlich deutlich mitschwang, sein Gesicht an dessen Hals.

Einige Sekunden lang lag Harry – wie vom Donner gerĂŒhrt – bloß starr auf dem RĂŒcken und wusste nicht, was er tun sollte. Bis er schließlich, ohne genau zu wissen, was ihn trieb, zögerlich seine Arme um Dracos schmalen, zerbrechlich wirkenden Körper legte und ihn einfach festhielt.

Dracos Haut unter Harrys HĂ€nden war leicht verschwitzt, aber trotzdem unnatĂŒrlich kalt. Er konnte jeden Knochen darunter spĂŒren, jede Rippe, jeden Wirbel, und es fĂŒhlte sich ziemlich ungesund an. Wie bei jemanden, den eine lange, strapazierende Krankheit hinter sich hatte, und gerade erst dabei war, sich wieder daran zu gewöhnen, dass er noch lebte.

Erst jetzt wurde sich Harry ihrer beider Nacktheit bewusst, und dass sie sich noch nie in einem solchen Ausmaß berĂŒhrt hatten, wie sie sich jetzt berĂŒhrten. Haut auf Haut, das war eine Empfindung, die manchmal im ersten Moment geradezu den Atem nehmen konnte. Dieser Moment war allerdings schon lange verflogen, zurĂŒckgeblieben war nur das Schwere, Tiefsitzende, das nicht davonschweben konnte. Der sagenhafte Eindruck, nicht allein zu sein. Sich an jemandem festhalten zu können. Harry wusste nicht mehr, wer sich an wem festhielt.

Diese Art von Festhalten beinhaltete keine romantischen GefĂŒhle von Vertrauen, StĂ€rke, oder des Sich-an-jemanden-anlehnen-Könnens, wie Harry es sich vielleicht gewĂŒnscht hĂ€tte, oder wie er sich möglicherweise sogar einzureden versuchte. Die RealitĂ€t sah dagegen kalt und grausam aus, entmutigend, desillusionierend. Es war nichts als Verzweiflung, das dahinter steckte. Verzweiflung und Einsamkeit.

Die Minuten unmittelbar nach dem Sex sind die ehrlichsten eines Mannes. Denn nur dann geht es ihm nicht darum, Sex zu bekommen. Harry wusste nicht, woher er diese Weisheit hatte, wahrscheinlich aber aus dem Fernsehen. Sicher war nur, dass es definitiv keine von ihm persönlich empirisch aufgestellte These war. Aber vielleicht stimmte sie trotzdem. Harry wunderte sich allerdings, was dieser Schluss ihm in diesem Augenblick sagen sollte.

Dracos krampfhafter Griff um Harrys Schultern löste sich ein wenig; seine FingernĂ€gel hatten halbmondförmige AbdrĂŒcke hinterlassen. Dann hob er langsam den Kopf. Sein Atem kitzelte Harry am Hals und er musste unwillkĂŒrlich auflachen. Als er jedoch Dracos verwirrten Ausdruck sah, hielt er sofort die Luft an und bemĂŒhte sich, ernst zu bleiben.

Draco verschrĂ€nkte die HĂ€nde auf Harrys Brust und legte sein Kinn darauf ab, um Harry ins Gesicht sehen zu können. Seine Miene blieb unentschlĂŒsselbar. Harry legte schnell den Kopf in den Nacken, um nun selbst konzentriert an die Decke zu starren. Diese war von feinen, dunklen Rissen ĂŒberzogen, die wirkten, wie ein riesiges Spinnennetz, das von echten, kleineren Spinnennetzen in den Ecken gehalten wurde. Der Putz, der an manchen Stellen abbröckelte, hatte bei Tag einen schmutzigen Weißton, jetzt aber, im Zwielicht, das von Minute zu Minute mehr Details verschluckte, war er grau. Das Netz aus SprĂŒngen dagegen war tiefschwarz und zeichnete sich scharf ab, die breiteren Risse schienen wie klaffende AbgrĂŒnde in der Zimmerdecke.

„Ich könnte bald tot sein, weißt du?“, sagte Draco, seine Augen ins Leere gerichtet.

Harry blinzelte in seine Richtung. Dracos Haar, das ihm unordentlich in die Stirn fiel, sah nicht mehr mondtaufarben aus. Eher aschfahl, genau wie sein Gesicht, das jetzt halb im Schatten lag. Nur seine Augen wirkten noch gespenstisch hell darin.

„Ja“, sagte Harry schleppend, „ich auch.“

FĂŒr einen Augenblick suchten sich ihre Blicke, aber in ihrer aktuellen Position war es schwer, den Kontakt zu halten. Also ließ Harry seinen Kopf wieder zurĂŒck in den Nacken fallen. Draco seufzte. Zumindest fand Harry, dass es wie ein Seufzen klang, vielleicht hatte Draco auch einfach nur tief ausgeatmet.

„Wie hĂ€ltst du das aus?“, fragte Draco mit gerunzelter Stirn und rutschte von Harry herunter, um sich mit den Ellbogen auf dem unordentlichen Laken aufzustĂŒtzen.

Das gab Harry endlich die Gelegenheit, ihn unauffĂ€llig von oben bis unten zu mustern. War Draco schön? Harry wusste es nicht, er hatte nie ĂŒber die MaßstĂ€be nachgedacht, nach denen das bei MĂ€nnern beurteilt wurde. Wozu auch. Wahrscheinlich war Draco aber zu mager und zu blass, um schön zu sein. Die Sonne wĂŒrde vermutlich bei Tag einfach durch ihn hindurchscheinen, wie durch eine wandelnden Röntgenaufnahme. Harry hĂ€tte Draco das gerne gesagt, er fand seinen eigenen Gedanken in diesem Moment durchaus mitteilenswert, aber Draco hatte wohl nicht die geringste Ahnung, was eine Röntgenaufnahme eigentlich war. Also ließ Harry es sein.

„Zu wissen, dass du bald stirbst?“, fragte Harry schließlich und legte eine rhetorische Pause ein, um gleich eine gemeine, aber so gar nicht lustige Antwort in seine Aussage zu legen.

Draco unterbrach ihn. „Versuch nicht, witzig zu sein, Potter. Oder bösartig. Steht dir beides nicht.“ Er drehte sich auf den RĂŒcken und rĂ€kelte sich einen Augenblick wie eine Katze in der Sonne. „Außerdem willst du doch nicht den Moment verderben.“

„Welchen Moment?“, fragte Harry ehrlich irritiert und drehte den Kopf zur Seite, so dass sie sich nun doch in die Augen sehen konnten.

„Man könnte es vielleicht als ‚die Ruhe nach dem Sturm‘ bezeichnen“, ĂŒberlegte Draco halb abwesend. Seine Finger zogen dabei gedankenverlorene Linien ĂŒber Harrys Körper, ziellos und unvorhersehbar. Harry war klar, dass Draco sehr genau wusste was er da tat, obwohl er versuchte, es so aussehen zu lassen als hĂ€tte seine Hand sich selbststĂ€ndig gemacht.

„Schon wieder so poetisch unterwegs?“, fragte Harry, weil ihm nichts anderes einfiel.

„Sowas nennt man in meinen Kreisen auch ‚Stil zeigen‘.“

Draco hielt in seiner Bewegung inne und zog seine schmale, blasse Hand zurĂŒck. Harry musste sich eingestehen, dass ihn das etwas enttĂ€uschte. Aber er wagte es nicht, Draco selbst anzufassen, er hatte das GefĂŒhl, das wĂ€re stĂŒmperhaft. Albern. Kurz gesagt, er hatte Angst, sich zu blamieren.

Zur Sicherheit beschloss er, auf das ursprĂŒngliche Thema zurĂŒckzukommen.

„Ich weiß nicht“, sagte Harry. „Ich weiß es wirklich nicht. Es scheint mir vorbestimmt zu sein, meinen zwanzigsten Geburtstag nicht zu erleben, damit hab ich mich mehr oder weniger abgefunden. Aber ich versuch’ trotzdem, es so lange wie möglich hinauszuzögern. Aber wenn es doch so kĂ€me, wĂ€re es – na ja, zumindest – nein, eigentlich wĂ€re es beschissen zu sterben, aber
“ Er brach ab und sah Draco unsicher an. „Das ergibt absolut keinen Sinn, oder?“

„Nicht im Geringsten“, sagte Draco und schob sich mit dem Finger eine HaarstrĂ€hne aus der Stirn.

„Ich bin’s einfach schon so gewöhnt“, fĂŒgte Harry hinzu, und konnte es dabei nicht verhindern, ein wenig bitter zu klingen. Aber wahrscheinlich war es sogar weniger Bitterkeit, als in einer solchen Situation angemessen gewesen wĂ€re.

„Also ist es gar kein Mut“, folgerte Draco und rĂŒmpfte ein bisschen die Nase, „sondern Resignation!“

„Hör auf, mich absichtlich falsch zu verstehen!“, sagte Harry empört und starrte wieder an die Decke. Er sah Draco nicht gerne an, wenn er sich ĂŒber ihn Ă€rgerte, zumindest nicht wenn Draco so aussah, wie jetzt gerade. Entspannt, etwas erschöpft und irgendwie
 irgendwie nackt. Das war Harrys wohl dosierter und durchaus gerechtfertigter Empörung nĂ€mlich nicht sonderlich zutrĂ€glich. Ganz im Gegenteil neigte sie dazu, bei diesem Anblick ganz einfach zu verschwinden.

Als Draco nichts mehr darauf sagte, machte Harry irgendwann doch den Fehler, ihn wieder anzusehen. Dracos Lider waren gesenkt, er schaute Harry nicht an, und er spielte mit den Falten in dem kratzigen, weißen Leintuch. Seine FingernĂ€gel machten auf dem Stoff ein leicht schabendes GerĂ€usch, ansonsten war es vollkommen still. Im Zimmer, im ganzen Haus.

Manche HĂ€user vermittelten, wenn es so ruhig war, den Eindruck, sie schliefen. Dieses nicht. Es wirkte eher tot. Harry kam sich mit seiner Lebendigkeit und seinem Übermaß an Emotionen sehr fehl am Platz darin vor. Selbst Draco passte jetzt nicht mehr so gut hinein. Zu blaß fĂŒr die dunklen RĂ€ume, zu verletzlich fĂŒr die kalten Steinmauern, zu menschlich fĂŒr all die Leere.

Harry starrte Draco an und Draco die Matratze, die HaarstrĂ€hne war ihm wieder ins Gesicht gefallen. Harry strich sie mit einer beilĂ€ufigen Geste wieder zurĂŒck.

Überrascht blickte Draco zu ihm auf und wirkte einen Augenblick lang, als wĂŒrde er etwas sagen wollen – etwas Erstauntes, Offenes; womöglich sogar voller Zuneigung. Und Harry hing wĂ€hrend dieser GedankenlĂ€nge förmlich an seinen Lippen und wartete darauf, ein Zeichen zu bekommen; vielleicht auch irgendetwas anderes, im Grunde war es ihm egal. Wie die Kehle des Verdurstenden einen einzigen Wassertropfen herbeisehnt, so hoffte Harry auf ein Wort.

Dracos Ausdruck wurde schlagartig wieder hart und unbestimmbar. Mit einem Ruck setzte er sich auf und hatte es auf einmal sehr eilig, in T-Shirt und Shorts zu schlĂŒpfen, um dann mit ein paar unverstĂ€ndlich hingeworfenen Worten aus dem Zimmer zu verschwinden.

Harry starrte ausdruckslos auf den Fleck, an dem gerade noch Dracos Körper gelegen hatte. Auch ein Wassertropfen hĂ€tte keinen Verdurstenden gerettet. Er wĂ€re immer nur ein Tropfen gewesen, klein und bedeutungslos. Aber trotzdem so heiß ersehnt. Harry konnte nicht verstehen, warum er darauf gehofft hatte.

Zerstreut stand er auf und strich das Leintuch glatt, steckte es sogar ordentlich auf allen Seiten unter die Matratze – etwas, das er bei den Dursleys nie freiwillig getan hatte. Er schlĂŒpfte in seine Shorts und sammelte die ĂŒbrige Kleidung vom Boden auf und legte sie ordentlich in zwei Stapeln zusammen – Harrys Sachen und Dracos Sachen. Auch das hatte er noch nie freiwillig getan.

Draco war noch immer nicht zurĂŒck von wo-auch-immer-er-war, also beschloss Harry, nicht wie ein Idiot herumzustehen und auf ihn zu warten, sondern selbst etwas zu tun. Weil ihm nicht anderes einfiel, ging er wieder in Seidenschnabels Zimmer und holte die Schachtel.

Mit untergeschlagenen Beinen setzte er sich damit aufs Bett; sie stand direkt vor ihm, alt und von Spinnweben ĂŒberzogen, und machte das Laken schmutzig. Vorsichtig hob Harry den Deckel an und hustete, weil so viel Staub dabei aufgewirbelt wurde. Als er endlich den heiß ersehnten Blick hinein warf, hĂ€tte er gerne vor EnttĂ€uschung laut aufgeseufzt.

Briefe. Er hatte wirklich etwas Spannenderes erwartet. (2)

Vielleicht waren wenigstens welche von seinen Eltern dabei. Sie alle waren alt, vergilbt und an den RĂ€ndern brĂŒchig. Harry fasste sie mit höchster Vorsicht an, denn sie sahen aus, als könnten sie bei der kleinsten BerĂŒhrung zu Staub zerfallen. Er nahm den ganzen Stapel der sĂ€uberlich aufgefalteten Seiten heraus – so viel Ordnungssinn hĂ€tte er Sirius gar nicht zugetraut – und blĂ€tterte ihn flĂŒchtig durch.

Einige waren wirklich von Lily und James, auffallend viele von Remus. Ein paar wenige von Leuten, deren Namen Harry nichts sagten. Ein Brief von seinem Bruder. Harry nahm sich vor, ihn spÀter zu lesen.

„Was machst du?“, fragte Draco von der TĂŒr.

„Nichts“, sagte Harry und sah sich vergeblich nach einer Möglichkeit um, die Sachen unauffĂ€llig vom Bett verschwinden zu lassen.

Draco kam langsam nĂ€her und ließ sich neben ihm nieder. Harry fand, dass er in T-Shirt und Shorts irgendwie lĂ€cherlich, oder doch zumindest ungewohnt aussah. Etwas Unordentliches, Legeres wirkte schrecklich unpassend an ihm. Selbst seine Nacktheit hatte dagegen viel mehr Stil.

Unaufgefordert schnappte sich Draco eines der BlĂ€tter. Seine Augen huschten schnell ĂŒber die unregelmĂ€ĂŸige, schwarze Schrift, die etwas sehr Gehetztes an sich hatte.

„Remus?“, fragte Draco und sah auf. „Doch nicht etwa Lupin, oder?“

„Er war mit Sirius befreundet und Remus ist nicht unbedingt ein hĂ€ufiger Name, also denk dir den Rest“, schnauzte Harry. „Und du hast kein Recht, seine Briefe zu lesen!“ Er riss Draco das Pergament aus der Hand, um selbst einen flĂŒchtigen Blick darauf zu werfen.

„Sind die von deinen Eltern?“, fragte Draco arglos, wĂ€hrend er stattdessen nun den restlichen Stapel durchblĂ€ttert.

„Hey“, rief Harry und nahm ihm die Briefe weg. „Das geht dich nichts an! Das alles hier geht dich nichts an!“

„Schön“, meinte Draco darauf gereizt. „Es ist mir im Grunde scheißegal. Aber wenn du jetzt unbedingt in verklĂ€rten alten Liebesbriefen rumschnĂŒffeln musst – bitte! Da kann ich genausogut mitmachen.“ Beleidigt verschrĂ€nkte er die Arme und sah weg.

„Wer sagt denn was von Liebesbriefen?“, wunderte sich Harry und warf noch einen Blick auf das Pergament in seiner Hand. „Der ist doch von Lupin.“

Draco hob vielsagend eine Augenbraue.

„Was – oh mein Gott!“, keuchte Harry und ließ augenblicklich den Brief fallen, als hĂ€tte er sich daran verbrannt.

Draco grinste.

„Das ist nicht witzig, du Idiot!“, Ă€rgerte sich Harry. „Ohne dich hĂ€tte ich das vielleicht nie erfahren mĂŒssen!“

„Du willst mir doch nicht erzĂ€hlen, dass du ein Problem damit hast?“, fragte Draco hinterhĂ€ltig.

„Doch! Also – nein, natĂŒrlich nicht! Ich meine – er war mein Pate! Er hat mich nackt gesehen!“, stammelte Harry mĂŒhsam. Seine HĂ€nde zitterten und seine Augen waren im Schock geweitet. Hilflos starrte er Draco an, als könnte der ihm sagen ‚Nein, alles nur ein Scherz, ich hab’s erfunden um dich zu Ă€rgern.‘

Er hÀtte es Draco zugetraut. Wirklich. Aber irgendetwas sagte ihm in diesem Moment, dass er diesmal nichts getan hatte.

„Komm’ wieder runter, Potter! Er war vielleicht schwul, aber doch kein PĂ€dophiler“, schnappte Draco, der sich durch Harrys Ausbruch irgendwie persönlich angegriffen fĂŒhlte.

Harry stutzte. „Sag mal, Malfoy, wie kommt’s eigentlich, dass du dich wie ein Mensch benimmst und nicht wie ein sarkastisches Arschloch, so wie sonst immer?“

„Ich bin immer noch sarkastisch“, sagte Draco stur.

„Aber kein Arschloch.“

„Ich versuche, dich in falscher Sicherheit zu wiegen, damit du mich spĂ€ter ranlĂ€sst und ich dich danach hinterrĂŒcks ermorden kann“, erklĂ€rte er trocken und rĂŒckte dabei den Stapel Briefe wieder zurecht.

„Das meinst du nicht ernst, oder?“, fragte Harry leicht verunsichert.

„Ich weiß nicht, probier’s aus?“, schlug Draco mit einem breiten LĂ€cheln vor.

Harry schluckte. Das war in etwa das, was er schon den ganzen Abend befĂŒrchtet hatte – hinterrĂŒcks ermordet zu werden. „Gib das her“, lenkte er vorsichtshalber ab und nahm Draco die Briefe aus der Hand. Er legte den von Remus dazu und packte sie alle zusammen wieder in die Pappschachtel. Wenn er sie doch bloß gelassen hĂ€tte, wo sie gewesen war.

Draco nahm ihm den Karton aus der Hand und stellte ihn mit einer energischen Bewegung auf den Fußboden. „Vergiss’ es, ok?“, sagte er zum zweiten Mal an diesem Abend, diesmal aber fixierte er Harry dabei.

Der wand sich einen Moment lang unter diesem Blick und schlug dann etwas beschĂ€mt die Augen nieder. Er wusste, dass er gerade mit eindrucksvoller PrĂ€zision eine perfekte Darstellung des Begriffes „Doppelmoral“ geboten hatte. Aber es war einfach ein Schock fĂŒr ihn gewesen. Sirius und Lupin – das war wie 
 wie Malfoy und Potter? Nein, Malfoy und Potter war eigentlich noch schlimmer, die hassten sich ja auch noch.

Harry runzelte verwirrt die Stirn, als ihm bewusst wurde, dass er gerade in der dritten Person von sich gedacht hatte. Und er hatte sich auch noch „Potter“ genannt. Wo sollte das nur noch hinfĂŒhren?

„Hey, ist es 
 wĂ€re es“, stammelte Harry verlegen, „wĂ€re es doch in Ordnung, wenn ich dich Draco nenne? Zumindest fĂŒr heute.“ Er konnte es nicht verhindern, langsam aber sicher dunkelrot anzulaufen, wĂ€hrend Draco belustigt eine Augenbraue hob.

„Also – ich finde“, setzte Harry eilig hinzu, „weil wir doch schon 
 hier sind, und 
 das machen
“

Draco sagte immer noch nichts dazu.

„Ich dachte nur
“ Harry war inzwischen dem Zusammenbruch nahe, so unwohl fĂŒhlte er sich in seiner Haut. „Ach, vergiss’ es einfach!“, schnappte er schließlich und begann sich plötzlich sehr fĂŒr seine abgekauten FingernĂ€gel zu interessieren.

Draco grinste immer noch. „Doch, das wĂ€re durchaus in meinem Sinn“, sagte er endlich.

„Ich sagte ‚Vergiss’ es‘!“, erklĂ€rte Harry trotzig und sah weg.

Ärgerlich packte Draco ihn am Kinn und hob seinen Kopf an, so dass er ihm in die Augen sehen musste. „Und ich sagte“, wiederholte er mit Nachdruck und auch schon ein wenig genervt, „dass das durchaus in meinem Sinn wĂ€re – Harry.“ Er funkelte Harry böse an.

„Meinetwegen“, murmelte Harry und lief schon wieder ein bisschen rot an. Draco ließ sein Kinn wieder los. „Lass uns da keine große Sache draus machen, ja?(3)“, fĂŒgte Harry hinzu und sah schon wieder weg.

„Schön, dann machen wir’s eben kurz“, sagte Draco und zuckte mit den Schultern. Er drĂŒckte Harry zurĂŒck aufs Bett und tat dann alles, was in seiner Macht stand, um Harry von weiteren unpassenden Gedanken abzuhalten.

Schon wenige Minuten spĂ€ter wand Harry sich unter Dracos talentierten HĂ€nden. Draco tat all das, was Harry sich nie in seinem Leben von ihm gewĂŒnscht hatte, aber im Nachhinein betrachtet – und das war einer der letzten klaren Gedanken, den Harry noch fassen konnte – es wirklich wert gewesen wĂ€re, jede einzelne Nacht seines verdammten Lebens ertrĂ€umt zu werden.

Draco begann, jeden Millimeter von Harrys Hals zu kĂŒssen, knabberte leicht daran und glitt mit seinen Lippen ĂŒber seinen Oberkörper. Er saugte, leckte, bedeckte jeden Quadratzentimeter nackter Haut mit KĂŒssen, bis Harry es nicht mehr aushielt, so passiv zu sein, oder es auch einfach nicht mehr aushalten wollte. Unkoordiniert zerrte er an Dracos T-Shirt, mit dem verschwommenen Vorsatz, ihn davon zu befreien, und schaffte es schließlich, es ihm ĂŒber den Kopf zu ziehen.

Als er aber gerade im Begriff war, genau das Gleiche mit Draco zu tun, was der gerade mit ihm machte – ihn um den Verstand bringen, in erster Linie – schob Draco Harrys HĂ€nde bestimmt zur Seite. „Lenk’ mich nicht ab, Potter“, flĂŒsterte er gegen Harrys Schulter.

Und Draco hatte wirklich alle Konzentration nötig, die er aufbringen konnte. Das, was er mit Harry tat, hatte dieser sich definitiv nie zu erleben erwartet. Nebenbei bemerkt hatte auch Draco das nie ernsthaft erwartet, zumindest nicht mit Harry. Vielleicht war das auch die einzige Gelegenheit dazu, deswegen tat er alles, um das Erlebnis zu einem guten zu machen. Mehr als nur gut. Großartig. Phantastisch. Atemberaubend. Einzigartig.

In den ersten Minuten dieser neuen Erfahrung hĂ€tte Harry wahrscheinlich andere Worte gewĂ€hlt, um sie zu beschreiben. „Vertrau mir“, hatte Draco gesagt, kurz bevor er in Harry eingedrungen war, und dieser hatte bloß heftig genickt, ohne darĂŒber nachzudenken – so sehr hatte er Draco in diesem Augenblick gewollt.

Erst kam der Schmerz, dann das Befremden. SpĂ€ter das Interesse und irgendwann –

„Oh verdammt!“

„Was?“, fragte Draco erschrocken und hielt in seiner Bewegung inne.

„Das 
 fĂŒhlt sich gut an
“, flĂŒsterte Harry, so als ob er Angst hĂ€tte, es laut auszusprechen.

„Dann warte erst, was jetzt kommt
“

Harry war sich sicher, dass Draco genau wusste, was er tat. Es fĂŒhlte sich einfach so an, dass es seiner Meinung nach gar keine andere Option gab. Draco trieb ihn an seine Grenzen, vielleicht setzte er ihm sogar neue. Harry glaubte, demnĂ€chst explodieren zu mĂŒssen, wenn nicht bald irgendwas geschah.

Dracos Rhythmus wurde schneller, hĂ€rter, und als hĂ€tte er Harrys Gedanken gelesen, fasste er ihn an. Die BerĂŒhrung kam wie eine Erlösung und es brauchte nur noch ein paar harte und relativ unkoordinierte Handbewegungen, um Harry endlich ĂŒber die Schwelle zu stoßen. FĂŒr einen Augenblick verlor er völlig die Kontrolle ĂŒber sich, vielleicht stöhnte er, vielleicht schrie er Dracos Namen – er konnte es spĂ€ter nicht mehr sagen.

Nur wenige Sekunden darauf kam auch Draco und biss Harry dabei in die Schulter, um jeden Laut darin zu ersticken.

Als Draco erschöpft und verschwitzt von ihm herunterrollte, hÀtte Harry gerne geschrien, geweint, oder auf etwas eingeschlagen. Am liebsten auf Draco, der nun mit geschlossenen Augen neben ihm lag und dessen Brustkorb sich immer noch heftig hob und senkte. Harry schob seine Hand unter den Kopf, um es nicht aus Versehen wirklich zu tun. Draco bekam von alldem nichts mit, er schien viel zu sehr mit sich selbst beschÀftigt.

Nach ein paar Minuten hatten sie sich beide wieder ein bisschen beruhigt – jeder auf seine Weise. Als wĂŒrde ihm eben erst bewusst, wo er sich gerade befand, sah Draco Harry erstaunt an. Dann lĂ€chelte er flĂŒchtig und drĂŒckte Harry einen hastigen Kuss auf die Lippen.

Harry kam sich vor, wie im falschen Film. Das war nicht Malfoy – Draco – der neben ihm im Bett lag, das war ein grotesker Abklatsch dessen, was er sechs Jahre lang zu hassen gelernt hatte. Als wollte er diesen Eindruck noch einmal bestĂ€tigen, drehte sich Draco in diesem Moment zu ihm um und fragte: „Stell’ dir vor, wir hĂ€tten die Möglichkeit dazu, wĂŒrdest du dann mit 
 dem hier weiter machen wollen?“

Harry starrte ihn einige Sekunden lang auf der Suche nach einer diplomatischen Antwort an. „Nachdem diese Möglichkeit nicht besteht, stellt sich die Frage wohl kaum“, sagte er vorsichtig. Er war sich nicht ganz sicher, warum er sich MĂŒhe gab, mit dieser Aussage keinen verletzenden Eindruck zu hinterlassen.

„Ich hab sie aber gerade gestellt“, beharrte Draco stur auf einer Antwort. Harry fand das Ă€ußerst unklug, denn Draco forderte die Ablehnung damit geradezu heraus. Umso mehr erstaunte es ihn, als er merkte, dass die Antwort die dumpf in seinem SchĂ€del pochte und darauf brannte, herausgelassen zu werden, gar nicht so negativ war, wie er eigentlich vermutet hĂ€tte. Ganz im Gegenteil.

„Vielleicht“, sagte Harry und sah weg. Aus irgend einem völlig unersichtlichen Grund schaffte er es nicht mehr, Draco ins Gesicht zu lĂŒgen, also hatte er sich wieder aufs knapp-an-der-Wahrheit-vorbeischrammen verlegt. „Und was willst du tun, die Zeit anhalten und dich hier drin verschanzen?“(4), fragte er sarkastisch, obwohl es eigentlich mehr verzweifelt klang.

„Vielleicht“, sagte Draco und lĂ€chelte resigniert. „Die TĂŒr absperren und niemanden mehr reinlassen.“

Harry hatte dabei das seltsame GefĂŒhl, das Draco zwar so tat, als wĂŒrde er nicht ernst meinen, was er sagte, es aber, vor die Wahl gestellt, im Zweifelsfall wirklich tun wĂŒrde. Es wĂ€re wahrscheinlich richtig, ihm gleich zu erklĂ€ren, dass Harry da nie mitmachen könnte. Mal ganz abgesehen von der Wollens-Frage.

„Du weißt aber, dass ich das nicht tun kann, oder?“, bemerkte Harry vorsichtig.

Draco lachte humorlos auf. „Die Welt braucht ihren Helden noch.“

„Ich hab’ mir das nicht ausgesucht!“

„Ich etwa?“, meinte Draco trocken und lĂ€chelte die Zimmerdecke an.

Harry wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Alles schien lÀcherlich klein und unbedeutend im Angesicht ihrer Situation. Sie beide waren das pulsierende Zentrum der Welt, alles andere scharte sich nur um sie herum, ohne es auch nur zu wissen. Harry und Draco waren der Mittelpunkt, die winzige Verbindungsstelle zwischen den Fronten. Harry nahm diese Erkenntnis mit stoischer Ruhe in sich auf; irgendwie hatte er es immer schon gewusst.

„Wir stehen im Mittelpunkt“, sprach Harry schließlich seine Überlegungen laut aus.

„Red’ keinen Scheiß, Potter, das tun wir nicht.“ Draco klang genervt, wie immer. Er zwirbelte eine HaarstrĂ€hne zwischen seinen Fingern. „Du vielleicht“, setzte er hinzu. „Ich nicht.“

„Wenn ich im Mittelpunkt stehe, dann stehst du da auch, weil du bei mir bist“, erklĂ€rte Harry ĂŒberzeugt. Er richtete sich halb auf und fischte StĂŒck fĂŒr StĂŒck seiner Kleidung vom Fußboden und bemĂŒhte sich, den Staub davon abzuklopfen.

Draco schnaubte verĂ€chtlich. „Du kannst einfach nicht mit Metaphern umgehen“, sagte er und zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Die linke. „Was tust du da?“

„Sieht man doch“, sagte Harry. „Ich ziehe mich an.“

„Warum?“

„Damit du auch mal einen Grund hast, mir blöde Fragen zu stellen.“

„War das jetzt ein Scherz?“, fragte Draco unglĂ€ubig, als hĂ€tte er Harry die FĂ€higkeit Witze zu machen nicht im Entferntesten zugetraut.

„Offensichtlich nicht“, sagte Harry, „denn du tust es immer noch.“

Draco setzte sich mit untergeschlagenen Beinen mitten aufs Bett und sah Harry böse an. „Weißt du was, Potter? Du bist feige“, erklĂ€rte er patzig. „Du kannst herumrennen und mit deinem Zauberstab fuchteln und ein paar Vollidioten mit Masken in den Arsch treten, um den großen Hampelmann-Helden fĂŒr alle zu spielen, aber sobald eine Unterhaltung mal etwas ernster wird, lĂ€ufst du weg! Feig!“

Harry hielt inne und fixierte Draco mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß. „Was erwartest du denn von mir? Zum Reden habe ich meine Freunde, was bist du denn schon? Der Todesser, der mich vögelte? Oh ja, garantiert der richtige Ansprechpartner fĂŒr eine ausfĂŒhrliche Unterhaltung ĂŒber die gemeinsamen Zukunftsvisionen!“

„Ich will, dass du mir etwas versprichst“, sagte Draco ernst und betonte dabei jedes einzelne Wort, als hĂ€tte es die Kraft, ein ganzes Schicksal zu Ă€ndern.

„Warum sollte ich so dumm sein und das tun?“, fragte Harry mit zusammengekniffenen Augen. Halb bekleidet, das T-Shirt immer noch in der Hand, ließ er sich auf der Bettkante nieder.

„Weil du nun einmal so dumm bist!“, erklĂ€rte Draco voll Überzeugung und grinste. Harry schnappte empört nach Luft. „Und weil du mich magst.“

„Da irrst du dich allerdings gewaltig“, zischte Harry durch zusammengebissene ZĂ€hne.

Draco lĂ€chelte immer noch sehr ĂŒberlegen. „Meinst du?“, fragte er hinterhĂ€ltig. Dann beugte er sich vor, nahm Harrys Gesicht in beide HĂ€nde und drĂŒckte ihm einen Kuss auf die fest zusammengekniffenen Lippen.

„Hmpf“, machte Harry und zog sich sein T-Shirt ĂŒber den Kopf, um Draco und sein selbstgefĂ€lliges Grinsen fĂŒr einen Moment nicht sehen zu mĂŒssen.

„Vertrau mir“, sagte Draco zum zweiten Mal an diesem Abend. Er klang hart und abweisend, nicht wie jemand der um Vertrauen bettelt, sondern wie einer, der es gerade zurĂŒckweist.

„Warum?“

„Weil ich dir nie etwas getan habe, das dir auch nur auf irgendeine Weise Schaden zugefĂŒgt hĂ€tte.“

„Warten wir erstmal ab, ob ich morgen noch sitzen kann.“

Mit einer entnervten Geste wischte Draco Harrys Worte beiseite. „WĂ€rst du vielleicht so nett, die Ernsthaftigkeit der Lage auch einmal zu bedenken, anstatt dich pausenlos selbst in Szene zu setzen?“

Harry zuckte gleichmĂŒtig mit den Schultern.

„Ich habe dich nicht verraten, also erwarte ich das selbe von dir. Versprich mir das.“, sagte Draco nachdrĂŒcklich.

Harry verstand nicht ganz, was das jetzt eigentlich noch sollte, sie hatten vorher doch schon festgestellt, dass sie beide keine allzu hohe Lebenserwartung mehr hatten. „Meinetwegen“, murmelte er trotzdem. Es war ja ohnehin schon alles außer Kontrolle geraten, und irgendwie war es auch nur fair.

Harry erschrak ein wenig, als er den selbstzufriedenen Ausdruck auf Dracos Gesicht sah, der nichts Gutes verhieß. Hatte er zu viel eingestanden? Aber nein, an dem Versprechen, ihn nicht zu verraten konnte er nichts Falsches erkennen. „Wie kannst du dir sicher sein, dass ich es halte?“, fragte er ein wenig provozierend.

„Gryffindor.“ Draco lachte sein trockenes Slytherin-ĂŒber-alles-Lachen und kam sich in diesem Augenblick sicherlich sehr, sehr toll vor, wie Harry insgeheim vermutete. Draco versuchte allerdings auch nicht, das sonderlich gut zu verbergen.

***


Harry saß im Wohnzimmer am Sofa. Auf dem kleinen Tisch vor ihm stand die angebrochene Flasche Feuerwhiskey, daneben ein halbvolles Glas. Fahrig spielte er mit seinem Zauberstab. Eine unbedachte Handbewegung und es sprĂŒhten Funken, das Glas flog in hohem Bogen quer durchs Zimmer.

Draco duckte sich geistesgegenwĂ€rtig um ihm und dem herumspritzenden Feuerwhiskey auszuweichen und griff sicherheitshalber nach der Flasche, um sie vor weiteren Zufallsattacken Harrys zu schĂŒtzen. „Idiot“, murmelte er dabei halblaut.

Harry nahm ihm die Flasche sofort wieder aus der Hand und tat einen krĂ€ftigen Schluck daraus. Er unterdrĂŒckte das Husten und verzog nur sein Gesicht auf die Art, wie man es fĂŒr gewöhnlich tat, wenn man unvorbereitet SĂ€uredrops in den Mund nahm. Dann drĂŒckte er Draco die Flasche wieder in die Hand.

„Ich muss gehen“, sagte Draco zum wiederholten Mal, machte aber, wie auch die vorhergegangenen Male, keine Anstalten, sich vom Fleck zu rĂŒhren.

Den Kopf leicht in den Nacken gelegt starrte er angestrengt ins Leere, die Finger fest um den dunkelgrĂŒnen Flaschenhals verkrampft. Er sah angespannt aus, bleich, nervös. Aber er war ja immer bleich. Und nie entspannt. Selten allerdings nervös, und das machte Harry wiederum misstrauisch. „Geh doch!“, stichelte er. „Keiner hĂ€lt dich auf.“

Sehr langsam wandte Draco ihm den Kopf zu und sah Harry mit einem Blick an, der glatt durch ihn hindurch zu gehen schien und ihn unwillkĂŒrlich erschaudern ließ. „Wenn du wissen willst“, bemerkte er schneidend, „was los ist –“, an dieser Stelle legte er eine ĂŒberaus effektvolle Pause ein, wĂ€hrend jener ihn Harry mit ĂŒberrascht geweiteten Augen ansah, „– dann frag mich doch einfach, anstatt hier so herumzuzicken.“

„Ähm“, machte Harry verlegen. „Warum willst du nicht weg?“

„Eigentlich hĂ€tte ich das Haus nicht verlassen dĂŒrfen, deswegen habe ich Wurmschwanz, mein KindermĂ€dchen, mit einem von Snapes WĂ€lzern niedergeschlagen, ihn anschließend betĂ€ubt und bin dann weggelaufen. Deswegen kann es sein, dass ich ĂŒberaus tief in der Scheiße stecke, wenn ich zurĂŒckkomme.“

Harry war sich im Nachhinein nicht mehr sicher, ob er das nun wirklich hatte hören wollen. Er blinzelte Draco etwas verwirrt an – das war wieder einmal so eine Situation, in der ihm das alles vorkam wie ein makaberer Traum. Der Whiskey tat das Seinige.

Wie um zu prĂŒfen, ob vor ihm eine real existente Person saß und keine Fata Morgana, streckte Harry plötzlich seine Hand aus und griff, ohne jegliche hintergrĂŒndige Intention, nach Draco. Zu seine grenzenlosen Überraschung traf die Hand dabei wirklich auf einen soliden Körper, der atmete, durch den das Blut rauschte, so wie durch seinen eigenen, der lebte.

Draco sah mit einem undefinierbaren Ausdruck auf die in seinen Kragen verkrampfte Hand hinab, unternahm jedoch nichts, um sie von dort wieder zu entfernen. Stattdessen hob er langsam den Blick, um Harry in die vor Verwunderung weit offenen Augen zu sehen. „Du“, sagte er leise, und Harry nickte, wie zur BestĂ€tigung.

Langsam und umstĂ€ndlich erhob sich Harry vom Sofa, und weil er sich schlichtweg weigerte, Draco loszulassen, zog er ihn mit sich. Es hatte sich lĂ€ngst eine seltsam aufgeladene Stimmung ĂŒber die beiden gelegt – die des nahenden Abschieds, von dem keiner Recht wusste, was er mit sich bringen wĂŒrde. Aber irgendwie wusste Harry schon, dass es nichts Gutes war. Dass es nichts Gutes sein konnte. Zu spĂ€t, wie er im Nachhinein finden sollte, beschloss er, das wenige auszukosten, was sie noch an gemeinsamer Zeit hatten.

Er zog Draco an sich und kĂŒsste ihn. Zum ersten Mal mit echter ZĂ€rtlichkeit, anstelle flĂŒchtiger Gesten, die ihnen beiden schon im nĂ€chsten Moment unangenehm waren. Harry fuhr Draco leicht ĂŒber die Lippen, bevor sich ihre Zungen zunĂ€chst zaghaft berĂŒhrten, aneinander vorbei strichen. Draco entzog sich einen Augenblick wieder, aber nur, wie es schien, um sich in eine bessere Position zu bringen. Mit neuer Begierde presste er seinen Mund auf Harrys, umfasste seine Taille, wĂ€hrend Harry unbewusst mit beiden HĂ€nden Dracos nackte Oberarme umklammerte. Vielleicht um ihn am Weglaufen zu hindern.

Nach einer halben Ewigkeit ließen sie endlich voneinander ab, heftig atmend, und Draco ließ seine Stirn gegen Harrys sinken. „Ich muss gehen“, flĂŒsterte er, ein bisschen atemlos. Harry wusste, dass er es diesmal ernst meinte. Obwohl er Draco, ganz im Gegensatz zu seiner Behauptung vorher, wirklich gerne zurĂŒckgehalten hĂ€tte, wusste er, dass es keinen Sinn hatte. Deshalb schwieg er, wĂ€hrend seine HĂ€nde langsam an Dracos Armen herab glitten und schließlich kraftlos zurĂŒck an seine Seite fielen.

Als wĂŒrde es ihn enorme Anstrengung kosten, wandte Draco sich im Zeitlupentempo ab und ging langsam Richtung Halle. Harry blieb stehen wo er war, denn diesmal hatten sie wahrlich schon des Abschieds genug gehabt. Als Draco sich ein letztes Mal umdrehte, warf Harry ihm ein mĂŒdes LĂ€cheln zu, aber das Gesicht des anderen Jungen hatte sich bereits wieder in die kalte Maske der Arroganz verwandelt, die ihn völlig unnahbar erscheinen ließ.

UnwillkĂŒrlich machte Harry einen Schritt zurĂŒck und im nĂ€chsten Augenblick hörte er die TĂŒre ins Schloss fallen.

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(1) „Kommt immer zu frĂŒh“ schien mir an dieser Stelle doch ein wenig zu flach... ;)
(2) Tssss, er hat ja keine Ahnung, der Kleine...
(3) Fight Club forever ^^
(4) „I’d freeze us both in time [
] and find a place we both could hide“ - siehe Blind-Lyrics (*sfz*)
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Die reizende Liliarose hat ein wunderschönes Wallpaper zu diesem Kapitel gebastelt. Dankeschön! :-*


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