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Fanfiction

Bruised and Broken - Teil III (2) - Tear Us In Two

von solvej

Stumble into you
Is all I ever do
My memory's hazy
And I'm afraid to be alone


[Placebo – Beacause I Want You]

~oOo~


Unvermittelt schlug Harry die Augen auf. Er blinzelte in dem hellen Lichtstrahl, der gerade ĂŒber die Fensterkante hinein fiel und ihn offenbar geweckt hatte. Es war noch frĂŒh am Morgen, frĂŒher zumindest, als er normalerweise an einem Ferientag aufgewacht wĂ€re. Er hatte schlecht geschlafen, obwohl er wusste, dass Schlaf in diesem Augenblick das einzige wirksame Medikament gegen seinen Zustand am Rande des physischen und psychischen Zusammenbruchs gewesen wĂ€re.

Die ganze Nacht hatte er sich unruhig von einer Seite auf die andere geworfen, war manchmal aufgewacht und hatte sekundenlange Panik verspĂŒrt. Er starrte dann in die SchwĂ€rze des Zimmers, die sich plötzlich zu bewegen und um ihn herum zu strömen schien. Schwarze Gestalten lösten sich aus schwarzem Nichts, schwarze FlĂŒche drangen auf ihn ein und ließen ihn selbst im durchdringenden Schwarz versinken. Rons regelmĂ€ĂŸige AtemzĂŒge aus dem anderen Bett waren zu einem bedrohlichen Keuchen aus der Kehle seines Mörders geworden. So lange, bis die Erschöpfung ihn ĂŒbermannte, nach ihm griff und ihn zurĂŒck in eine zerrĂŒttete Traumlandschaft zog, an die er sich beim Aufwachen nicht mehr erinnern konnte.

Irgendwie, ohne dass er seine genauen GedankengĂ€nge hĂ€tte zurĂŒckverfolgen können, hatte sich ĂŒber Nacht ein Entschluss manifestiert: hier konnte er nicht bleiben. Er fĂŒhlte sich nicht fĂ€hig, unter Menschen zu sein, ĂŒberhaupt zu sein, er konnte einfach nicht bleiben. Harry wusste nicht mehr wohin mit seinen Gedanken, und er wĂŒnschte sich nichts mehr, als ein eigenes Denkarium, in welchem er jetzt alles, was in seinem Kopf herumspukte, loswerden könnte.

Malfoy. Der Gedanke, vor dem er sich am meisten gefĂŒrchtet hatte, war auf einmal wieder prĂ€sent. Er wusste es, er hatte einen riesengroßen Fehler begangen, indem er ihn nicht einfach ĂŒberwĂ€ltigt und mitgenommen hatte. Ganz zu schweigen von all dem anderen, was er hĂ€tte tun, oder eher, nicht hĂ€tte tun sollen. Harry versuchte vergeblich, sich nicht daran zu erinnern, wie weich sich Dracos Lippen auf seinem Hals angefĂŒhlt hatten. Dracos Finger in seinem Haar. Dracos Geruch – nein! Das konnte doch nicht sein, er war doch nicht verrĂŒckt, oder noch schlimmer, er war doch nicht – er wollte das Wort nicht einmal denken, zumindest nicht in Verbindung mit sich selbst.

Krampfhaft versuchte er die Gedanken an den blonden Jungen, der auf der falschen Seite stand, mit Erinnerungen an seine gemeinsame Zeit mit Ginny zu ĂŒberdecken. Ihr erster Kuss nach dem Gewinn des Quidditch-Cups, die gemeinsamen Stunden am See, das gemĂŒtliche Herumlungern vor dem Kamin im Gemeinschaftsraum – Harry rief sich alles möglichst bildlich wieder ins GedĂ€chtnis, versuchte auch, ihr Gesicht heraufzubeschwören und die winzigen Sommersprossen auf ihrer Nase zu zĂ€hlen. Und wie beim SchĂ€fchen zĂ€hlen schlief er zwar nicht dabei ein, aber langsam, unendlich langsam, entspannte er sich wieder, bis er irgendwann bereit war, sein schĂŒtzendes Bett zu verlassen.

Harry rappelte sich hoch, bemĂŒht, möglichst leise zu sein und Ron nicht zu wecken. Er tastete nach seiner Brille, stieß sie jedoch aus Versehen vom improvisierten Nachttisch und sie fiel mit einem lauten Klappern zu Boden. Er hielt den Atem an. Ron jedoch gab nur ein grunzendes GerĂ€usch von sich und rĂŒmpfte im Schlaf die Nase, ansonsten passierte nichts. Erleichtert hob Harry seine Brille vom Boden auf, schnappte sich seine Kleidung und verschwand auf Zehenspitzen ins Badezimmer.

Als er Minuten spĂ€ter zurĂŒckkehrte, schlief Ron immer noch, den Mund halb geöffnet, aber mit einem seligen LĂ€cheln im Gesicht. Harry konnte sich leicht ausmalen, wovon sein bester Freund gerade trĂ€umte, und wĂŒnschte sich, sein eigenes Leben wĂ€re auch so einfach gestrickt. Er konnte einen leisen Seufzer nicht unterdrĂŒcken, wĂ€hrend er begann StĂŒck fĂŒr StĂŒck seine Habseligkeiten in seinen riesigen Koffer zu verfrachten. Seine Schulsachen lagen ohnehin noch unberĂŒhrt auf dessen Boden, viel Kleidung besaß er nicht, und das Übrige war auch schnell verstaut. Mit einem leisen Klicken schnappte der Riegel ein, aber genau dieses kleine GerĂ€usch war es, das Ron schließlich weckte. Einen Moment lang sah er sich etwas desorientiert im Zimmer um, dann fragte er, mit vom Schlaf noch heiserer Stimme: „Was tust du da?“

„Packen“, antwortete Harry knapp. Er hatte nicht viel Lust auf Konversation, unter anderem, weil er wusste, worauf das hinauslaufen wĂŒrde.

„Danke, das seh ich auch selbst“, grunzte Ron ein wenig unwirsch, wĂ€hrend er sich mĂŒhsam in seinem Bett aufrichtete und sich mit der Hand ĂŒber die Augen rieb.

„Dann frag eben nicht so blöd!“, keifte Harry zurĂŒck, und obwohl er im selben Moment wusste, dass er zu heftig reagierte, bereute er seine Aussage nicht.

„Mann, jetzt komm mal wieder runter!“ Rons Stimme begann sich unwillkĂŒrlich zu heben. „Gestern haust du einfach ab, dann finden wir dich, und du sprichst kein Wort mehr, gehst einfach ins Bett. Gut, ist eine Laune, dacht’ ich mir, kennt man ja inzwischen schon. Aber du hast absolut keinen Anlass auf mich jetzt loszugehen.“ Seine Brust hob und senkte sich ein paar Mal, bis sich sein Atem wieder beruhigte und er starrte Harry an, immer noch wĂŒtend, aber auch ein bisschen ĂŒberrascht von seinem eigenen Redefluss.

„Ja, du hast Recht.“

Diese Antwort hatte Ron wohl am wenigsten erwartet, denn offenbar hatte er keine Erwiderung parat. Ein wenig verwirrt nickte er also nur heftig und murmelte so etwas Ähnliches wie „Besser so“ in sich hinein, wĂ€hrend er hinter sein Bett abtauchte und den Boden nach frischen Socken absuchte.

„Und jetzt gehe ich“, sagte Harry, ohne den Bedarf einer ErklĂ€rung fĂŒr seine Worte zu sehen, schnappte seinen Koffer und begann ihn mĂŒhsam aus der TĂŒr zu hieven.

„Wie, du gehst jetzt?“, fragte Ron verwirrt, der eben wieder auftauchte, mit einem Paar Socken in der Hand, das zwar nicht gerade frisch, aber immerhin noch nicht vergammelt aussah. „Wohin? Ich meine – Harry! Bleib stehen!“

Der war inzwischen schon halb die erste Treppe hinunter und gab keine Antwort. Ron hastete ihm nach, versuchte auf ihn einzureden, aber Harry ĂŒberhörte ihn stur.

„Wohin willst du denn, sag mir wenigstens das! Du kannst doch nicht einfach... Harry!“ Ein leiser Ton von Verzweiflung wurde in seiner Stimme hörbar. „Kannst du nicht den Mund aufmachen? Harry, bitte! Ich weiß wirklich nicht – Hermine!“

Das letzte Wort hatte Ron ziellos in den Gang gebrĂŒllt. Normalerweise hĂ€tte das Harry ein LĂ€cheln auf die Lippen gelockt. Wenn es brenzlig wurde, nach Hermine rufen, das hatten sie beide oft getan. Besonders wenn es irgendwie um GefĂŒhlsangelegenheiten ging; oder um etwas, das viel Wissen erforderte; oder wenn es um rationale Entscheidungen ging; manchmal auch einfach, wenn ein bisschen Menschenkenntnis gefordert war. Eigentlich immer, stellte Harry fest, als er den Koffer vom untersten Treppenabsatz zerrte.

Mit einem letzten Ruck war er in der KĂŒche, die – Merlin sei Dank! – leer war. So gern er Mrs. Weasley auch hatte, in diesem Moment wĂ€re sie seinen PlĂ€nen in mehr als einem Sinn im Weg gestanden. Er hörte Stimmen, die durchs Treppenhaus hallten, und keine Sekunde spĂ€ter hatten sich Ron – immernoch mit seinen Socken in der Hand – und Hermine auch schon vor ihm aufgebaut.

„Du sagst mir jetzt auf der Stelle, was das Theater soll!“, sagte Hermine in herrischem Tonfall und blitzte ihn missmutig aus zu Schlitzen verengten Augen an.

„Nein“, antwortete Harry tonlos. Dann drehte er sich seelenruhig um, nahm eine Prise Flohpulver aus dem Blumentopf ĂŒber dem Kamin, streute sie in die Flammen, trat mitsamt Koffer hinein und sagte laut: „Grimmauldplatz Nummer 12!“

Kurz sah er noch den perplexen Ausdruck auf den Gesichtern seiner Freunde, dann verschwand auch schon die KĂŒche der Weasleys aus seinem Gesichtsfeld, als sich alles um ihn herum rasend schnell zu drehen begann.

***


„Nein. Ich bleibe hier, keine Diskussion.“

„Aber Harry, das ist einfach unvernĂŒnftig! Es ist -“

„Es ist mein Problem was es ist oder nicht ist, ok?“, fuhr Harry angriffslustig seine beste Freundin an, die daraufhin in betretenes Schweigen verfiel. „Und ich bleibe.“

„Harry, ich sag es ja wirklich ungern, aber Hermine hat Recht...“ Diese sah Ron mit einem Blick an, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie sich ĂŒber die UnterstĂŒtzung freuen, oder ĂŒber die unverholene Kritik Ă€rgern sollte. „Ich meine, erst haust du ohne ein Wort nach Godric’s Hollow ab, und kaum tauchen wir auf, verschwindest du auch von dort und willst dann ausgerechnet hier her...“

Harry verschrĂ€nkte die Arme ĂŒber der Brust und ließ sich in einen muffigen, dunkelgrĂŒnen Ohrensessel fallen, in dem Sirius oft gesessen und griesgrĂ€mig dreingeschaut hatte. Meistens mit einem Glas Feuerwhiskey in der Hand. So eines wĂŒnschte Harry sich gerade auch. Es war vielleicht keine besonders kluge Lösung, seine Probleme im Alkohol zu ertrĂ€nken, aber fĂŒr ihn momentan die einfachste und naheliegendste.

Seit sie sein Elternhaus am Vorabend verlassen hatten, glich sein Gehirn, so schien es ihm, einem Ameisenhaufen: Viele winzige Bilder und Gedankensplitter wuselten kreuz und quer auf nicht nachvollziehbaren Bahnen umher und ließen sich beim besten Willen nicht fassen, geschweige denn auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Er war sich nur sicher, dass er jetzt definitiv nicht die Gegenwart anderer Menschen ertrug, nicht einmal die seiner beiden besten Freunde, und schon gar nicht konnte er sich vorstellen, jetzt im Fuchsbau zu bleiben. Und dort womöglich Ginny ĂŒber den Weg zu laufen! Ihm wurde heiß und kalt bei dem Gedanken. Es war einfach... Nein, diese Option stand fĂŒr ihn jetzt schlicht und einfach nicht offen. Und das Haus am Grimmauldplatz war nun einmal seine einzige Zuflucht! Aber Ron und Hermine wĂŒrde er seine BeweggrĂŒnde unmöglich erklĂ€ren können, also blieb ihm nichts anderes ĂŒbrig, als unbeugsam zu bleiben und sich ohne ErklĂ€rung zu weigern, einen Fuß aus dem Haus zu setzen.

„Harry, ich mein es ernst -“, versuchte Hermine es wieder.

„Ich auch“, unterbrach er sie standhaft.

„Verdammt, jetzt hör mir doch wenigstens mal zu!“, sagte sie, und ihre Stimme war dabei etwas schriller geworden als gewöhnlich, was Harry normalerweise immer aufmerksam gemacht hĂ€tte. Aber in diesem Fall blieb er hart und sah stur an ihr vorbei.

„Überleg doch mal logisch. Snape weiß von diesem Ort, und jetzt kann er auch problemlos jedem davon erzĂ€hlen, was er sicherlich schon lĂ€ngst getan hat. Du bist hier einfach nicht sicher!“, redete sie mit einer Stimme auf ihn ein, wie um ein trotziges, kleines Kind zur Vernunft zu bringen.

„Snape weiß seit sechs Jahren, dass ich die Ferien bei den Weasleys verbringe. Und dort ist auch nie ein Killerkommando aufgetaucht um mich aus dem Weg zu rĂ€umen. Ich bin hier genauso sicher oder unsicher wie an jedem anderen Ort.“ Harry war beinahe verleitet, ein wenig stolz auf sich zu sein, weil er es schließlich doch noch geschafft hatte, ein vernĂŒnftiges Argument vorzubringen.

„Fein!“, keifte Hermine ungehalten, und Harry musste schlucken, weil Malfoy dieses Wort auch benutzt hatte. Er kam sich albern vor, und hoffte, dass er nicht rot geworden war, beruhigte sich aber mit dem Gedanken, dass das Licht ohnehin so spĂ€rlich war, dass keiner davon hĂ€tte Notiz nehmen können.

„Dann bleiben wir eben auch“, setzte Hermine eben hinzu, und das in einem Tonfall, der eigentlich keine Widerrede zuließ.

„Nein!“, entgegnete Harry aber unerwartet heftig. Verdammt. Er sollte nicht die Fassung verlieren, wenn er noch auf eine reelle Chance hoffen wollte, wirklich alleine bleiben zu können. Wenn Hermine sich ernsthafte Sorgen um ihn machen sollte, wĂŒrden sie hier keine zehn Hippogreife mehr wegbringen.

„Ich meine... Nein, danke“, korrigierte er sich etwas verlegen. „Ich wĂŒrde einfach gerne ein wenig allein sein... das war alles... recht viel gestern. Und es ist wirklich nicht nötig, dass ihr hierbleibt, ich komme zurecht, und morgen frĂŒh bin ich wieder im Fuchsbau. Versprochen!“, sagte er, und versuchte dabei möglichst treuherzig auszusehen. „Außerdem wĂŒrde sich Rons Mum sicher Sorgen machen, wenn wir alle drei einfach so verschwinden wĂŒrden. Nicht wahr?“, setzte er, an seinen besten Freund gewandt, hinzu.

Ron, der sich aus dem Schlagabtausch weitgehend herausgehalten und stattdessen an der Nase gekratzt oder an die Decke gestarrt hatte, fĂŒhlte sich sichtlich unwohl in dieser mitentscheidenden Position. „Ja, schon.... Nein, ich meine -“, verbesserte er sich hastig, als Hermine ihm einen scharfen Blick zuwarf, „- man könnte ihr aber auch einfach vorher Bescheid sagen... Oder-“, unruhig blickte er zwischen Harry und Hermine hin und her, die ihn beide drĂ€ngend ansahen.

„Harry braucht keinen Babysitter!“, platzte es schließlich nach langen Sekunden des Zögerns aus ihm hervor. Hermine rĂŒmpfte die Nase. „Wenn er meint, dass er allein hier bleiben will, dann soll er das bei Merlin auch tun! Selbst wenn er unvernĂŒnftig ist, hat er wohl auch das Recht, ĂŒber sich selbst zu bestimmen.“

„HĂŒbsch Rede“, grinste Harry. „Genau das versuch’ ich schon seit Jahren allen klar zu machen.“

Harry begleitete die beiden bis zum Kamin. Hermine schwieg beleidigt, wĂ€hrend Ron ihm noch ein „Mach’s gut, wir sehen uns morgen“ zumurmelte. Dann waren sie weg.

Als Harry die metaphorische TĂŒr hinter ihnen schloss (das heißt, das Kaminfeuer löschte) fĂŒhlte er sich plötzlich furchtbar allein und war sich nicht sicher, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war, sie wegzuschicken. Er fĂŒhlte sich fast so unfĂ€hig alleine zu sein, wie die Gesellschaft von andere Menschen zu ertragen. Vielleicht sollte er sich ein Haustier anschaffen.

Moment mal, er hatte ein Haustier! Aber wo war Hedwig eigentlich? Wahrscheinlich trieb sie sich irgendwo im Fuchsbau mit Pig herum und stiftete Unheil. (Harry war fest ĂŒberzeugt, dass der kleine Kauz schlechten Einfluss auf seine Eule hatte.) Vielleicht wĂ€re sie ja klug genug, alleine hierher zu kommen, immerhin hatte sie auch schon in der Vergangenheit das erstaunliche Talent bewiesen, ihn an welchem Ort auch immer zu finden. Aber was, wenn sie ihn ĂŒberhaupt nicht finden wollte? Was, wenn sie sich von ihm abwandte, weil er sich von allen anderen abgewandt hatte?

„Aber was hĂ€tte ich denn sonst tun sollen?“, fragte er laut in den leeren Raum hinein, wie um sich vor sich selbst zu rechtfertigen.

„Mit genug Selbstmitleid lĂ€sst sich so gut wie alles zur eigenen Zufriedenheit hindrehen“, kam eine nĂ€selnde Stimme von der Wand gegenĂŒber.

„Nicht der schon wieder“, murmelte Harry vor sich hin und warf Phineas Nigellus einen bösen Blick zu. „Ich bin nicht selbstmitleidig!“, fĂŒgte er laut hinzu.

„Durch’s Leugnen Ă€nderst du auch nichts an den Tatsachen...“, antwortete der spitzbĂ€rtige Mann auf dem Portrait mit einem ĂŒberheblichen Grinsen.

Statt sich in eine neue, sinnlose Streiterei zu stĂŒrzen schnappte Harry seinen Koffer und schleppte ihn eine Treppe hinauf – langsam hatte er die Schlepperei wirklich satt – in das Zimmer, in dem er immer mir Ron ĂŒbernachtet hatte, wenn sie gemeinsam in London gewesen waren. Im ganzen Haus herrschte ein seltsames Zwielicht, denn obwohl es draußen heller Tag war, drang durch die schweren, staubigen VorhĂ€nge kaum Sonne, und durch die dicken steinernen Mauern keine WĂ€rme.

Heftiger als nötig riss er oben angekommen den Kofferdeckel auf und knallte jedes einzelne WĂ€schestĂŒck aufs Bett, auf den Boden, wohin es ihm gerade passte. Endlich konnte er in aller Ruhe etwas von dem inneren Druck ablassen, der ihn schon seit Stunden, wie es ihm vorkam, fast zum Zerplatzen brachte. Es war ein kleines Ventil, aus dem es jetzt nur so zischte, aber es half trotzdem nicht viel. Oder zumindest nicht genug. In Harrys Kopf brodelte es, die Gedanken schlugen Saltos, machten HandstĂ€nde, versuchten sich als Hochseilakrobaten. Aber im Endeffekt stĂŒrzten sie alle ab. Immer endete es mit einem schmerzhaften Aufprall auf den grausamen, steinigen Boden der RealitĂ€t. Steinig, wie der Boden in Godric’s Hollow. Malfoy, das was er getan hatte – es war immer prĂ€sent, und Harry hĂ€tte am liebsten laut aufgelacht, um vor sich selbst zu verbergen, wie unangenehm ihm in Wirklichkeit alles war, aber er konnte sich selbst nicht darĂŒber hinwegtĂ€uschen.

Um sich etwas abzulenken schnappte er sich das nĂ€chstbeste Buch – Zauberkunst, wie sich herausstellte – und verließ fluchtartig den Raum, allerdings nicht ohne die TĂŒr etwas heftiger als nötig hinter sich zugeknallt zu haben. Das bereute er allerdings schon im nĂ€chsten Augenblick, denn obwohl ein Stockwerk tiefer gelegen, hatte er damit die alte Mrs. Black in ihrem GemĂ€lde aufgeweckt. Kurz war Harry versucht, die gesamte Zaubererwelt mit ihren dummen EinfĂ€llen, wie zum Beispiel Bilder zum Sprechen zu bringen, zu verfluchen, wandte sich dann aber zunĂ€chst dem tobenden Portrait zu.

Jenes verdammte wie immer die ganze „BlutsverrĂ€terbande!“, die „Mörder des letzten Blacks!“ (an dieser Stelle ließ Harry es sich nicht nehmen, zurĂŒckzubrĂŒllen, dass das ja wohl Schuld von Bellatrix Lestrange, geborene Black, gewesen wĂ€re) und prinzipiell alles, was nicht mindestens so reinblĂŒtig war, wie sie selbst. Harry kam sich vor wie ein verunglĂŒckter Wrestler, als er mit MĂŒhe den Vorhang vor das eingestaubte Bildnis zerrte, und so lange verkrampft festhielt, bis dahinter endlich wieder vollkommene Ruhe herrschte. Er hob sein Buch, das er in der Eile fallen gelassen hatte, wieder vom Boden auf und setzte sich dann ins Wohnzimmer, in den selben muffigen Sessel aus abgenutztem, dunkelgrĂŒnen Samt, in welchem er zuvor seine trotzige Position gegen Ron und Hermine eingenommen hatte.

Ohne sich wirklich konzentrieren zu können blĂ€tterte in dem Buch, auf der undifferenzierten Suche nach irgendetwas Brauchbarem im Kampf gegen das Vergammeln in einem leeren Haus. Dass er besser daran getan hĂ€tte, nach Brauchbarem fĂŒr einen gewissen anderen Kampf zu suchen, war ihm in diesem Augenblick nicht wirklich klar. Bald kam Harry allerdings zu dem Schluss, dass es keinen Sinn machte, planlos vor und zurĂŒck zu blĂ€ttern, nicht genug Konzentration aufbringen zu können, um das Register durchzugehen und ĂŒberhaupt zweifelte er das Vorhandensein von Haushaltszaubern in seinem Schulbuch mittlerweile an. Entnervt legte er es zur Seite und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Auch wenn das BlĂ€ttern keinen tieferen Sinn hatte, es hatte doch in gewisser Weise den Zweck erfĂŒllt, ihn von unangenehmen Gedanken abzulenken.

Gedanken an den Vorabend, an sein Elternhaus, an sein Versagen im doppelten Sinn, und nicht zuletzt – an Draco.

Malfoy! Malfoy, nicht Draco, besserte er sich hastig aus. Er fĂŒhlte sich, als hĂ€tte er Ginny hintergangen. Ginny, die an ihn glaubte; von der er sich sicher war – so sicher ein gerade mal SiebzehnjĂ€hriger in solcher Hinsicht eben sein konnte – dass er sie liebte. Und dann tauchte da einfach so ein geistesgestörter Neo-Todesser auf, und kĂŒsste ihn! Was sollte das ĂŒberhaupt? Malfoy war doch die letzten Jahre ĂŒber immer mit dieser grauenhaften Parkinson zusammengeklebt (Das hatte Harry sich auch nie erklĂ€ren können, jemand wie der könnte doch was Besseres haben!). Aber von diesem Standpunkt aus betrachtet: die hatte auch etwas ziemlich MĂ€nnliches an sich. Harry runzelte die Stirn und blieb abrupt stehen.

Nein. Kein schwuler Todesser. Gewisse Dinge liefen einfach nach gewissen Konventionen ab, genauso wie es keine schwulen Cowboys gab, gab es auch keine schwulen Todesser. Oder heterosexuelle Friseure. Ende.

Ergo, schloss Harry seine Überlegungen ab, war alles, was Malfoy gestern abgezogen hatte, entweder ein kranker Witz, oder es was irgendein neuer, verrĂŒckter Plan ihn umzubringen. Er war sich nicht sicher, zu was er tendieren sollte, denn Voldemort hatte in der Vergangenheit schon oft genug bewiesen, dass kein Plan absurd genug fĂŒr seine Zwecke sein konnte – aber an Malfoys Verstand zu zweifeln hatte fĂŒr Harry auch so seinen Reiz.

Plötzlich fand Harry sich in der KĂŒche wieder, obwohl er ich nicht erinnern konnte, seinen Beinen den Befehl gegeben zu haben, ihn dort hin zu transportieren. Dort erinnerte er sich an das BedĂŒrfnis, seinen Frust und seine Verwirrung im Alkohol zu ertrĂ€nken. Irgendwo hier musste noch Sirius’ Vorrat an Feuerwhiskey sein, von dem er sicher war, dass er existierte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand anderes ihn getrunken haben könnte. Der Einzige aus dem Orden, dem er es zutrauen wĂŒrde, einen grĂ¶ĂŸeren Bestand an Whiskey zu vernichten, war Moody (Harry vermutete insgeheim, dass dessen zum Markenzeichen gewordener Flachmann ohnehin irgendetwas Hochprozentiges beinhaltete), aber der war nicht oft genug hier gewesen. Also musste er nur suchen. Suchen war außerdem eine prima BeschĂ€ftigung, und nur dass er Whiskey suchte, bedeutete ja nicht gleich, dass er ihn auch trank, rechtfertigte er sich wieder einmal vor seinem Gewissen.

Die KĂŒche schloss er bald als mögliches Versteck aus, hier hatte Rons Mutter zu oft „gewĂŒtet“. Einen Keller gab es nicht, also blieben nur noch die unzĂ€hligen anderen RĂ€ume. Harry bezweifelte sogar, schon in allen gewesen zu sein. Da war das Zimmer, in dem er mit Ron gewohnt hatte, das der MĂ€dchen, das der Zwillinge, eines, in dem Mr. und Mrs. Weasley geschlafen hatten, Sirius’ Zimmer, Seidenschnabels Zimmer, das Wohnzimmer, der Raum mit dem Wandbehang... Harry gab es auf, sie aufzĂ€hlen zu wollen, es waren zu viele. Er glaubte außerdem, dass es auch noch ein paar Dachkammern gab, in denen seit Jahren niemand mehr gewesen sein dĂŒrfte. Mal abgesehen von Kreacher.

Harry war schon kurz davor, die Suche, die noch nicht einmal richtig begonnen hatte, aufzugeben, bis ihm ganz unvermittelt ein Licht aufging. Er rannte zwei Treppen nach oben, ohne zu wissen, woher diese plötzliche Eile kam, und riss dort die hinterste ZimmertĂŒr in dem langen, dunklen Gang auf.

Dort roch es noch immer stark pferdig, oder generell nach Tier, und auf dem Boden lagen Reste von Stroh und Heu. Ein abscheulich sĂŒĂŸlicher Geruch verriet ihm, dass auch niemand dafĂŒr gesorgt hatte, die Überreste der toten Ratten, die Seidenschnabel in Massen vertilgt hatte, zu entfernen. Angewidert zog Harry sich den Rand seines T-Shirts ĂŒber Mund und Nase, und bemĂŒhte sich, möglichst nicht tief einzuatmen, wĂ€hrend er sich langsam in den Raum vortastete. Er war fĂŒr den Hippogreif leer gerĂ€umt worden, nur ein paar hellere Flecken auf der nachgedunkelten Tapete verrieten, wo einmal Möbel gestanden oder Bilder gehangen haben mussten. Linker Hand entdeckte er allerdings eine kleine TapetentĂŒr, die weder Schloss noch Klinke hatte, sondern nur ein kleines Loch in Brusthöhe, in das Harry hineingreifen und die TĂŒr aufziehen konnte.

Einen Augenblick lang starrte er nur unglĂ€ubig auf das, was er dahinter entdeckte. Abgesehen davon, dass dort wirklich drei volle und eine halbvolle Flasche Whiskey standen, lagen hier verstreut auf losen Regalbrettern – denn die kleine Kammer war offenbar so etwas wie ein eingebauter Schrank – offenbar sĂ€mtliche persönliche GegenstĂ€nde, die Sirius besessen hatte. Kein Wunder, dass Harry sonst nie etwas davon gesehen hatte.

Da lag der kleine Spiegel, der das GegenstĂŒck zu seinem eigenen bildete, ein Stapel BĂŒcher – Harry konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkneifen (das erste seit Tagen!) als er darunter auch „Wandern mit Werwölfen“ von Gilderoy Lockhart entdeckte – außerdem Photographien: von den Rumtreibern; von zwei kleinen, schwarzhaarigen Jungen, von denen Harry annahm, es waren Sirius und sein Bruder in besseren Zeiten; und ein glĂŒcklich aussehendes Paar mit einem Baby. Harry drehte das letzte Bild um und entzifferte mĂŒhsam die fast verblichene, darauf gekritzelte Botschaft: „Ted, ich und deine Nichte. Andromeda.“

Harry legte das Bild wieder an seinen Platz. Irgendwie konnte er es sich schwer vorstellen, dass Sirius auch einmal ein normales Leben gefĂŒhrt hatte, mit Freunden, Verwandten (zumindest ein paar wenigen, mit denen es sich aushalten ließ), und dass er damals ein gut gelaunter und auskömmlicher, wenn auch nicht gerade bescheidener Mensch gewesen sein musste. Was war davon nach Askaban noch ĂŒbrig geblieben? Schlecht gelaunt und wie eine Raubkatze im Zoo konnte er alles nur noch durch GitterstĂ€be beobachten, selbst hier war er ein Gefangener geblieben. ZermĂŒrbt, frustriert und vom Leben enttĂ€uscht – Harry fiel jetzt erst auf, wie viele Seiten er an seinem Paten nie beachtet hatte. FĂŒr ihn war er der große Bruder, der Vaterersatz gewesen, der immer fĂŒr ihn da war – zumindest geistig – wenn er ihn gebraucht hatte, und Sirius war gern da gewesen, denn in diesen Momenten hatte er sich nĂŒtzlich gefĂŒhlt. Und ansonsten – Harry griff sich eine der vollen Flaschen – ließ sich alles irgendwie verdrĂ€ngen.

VerdrĂ€ngen war sowieso ein gutes Stichwort. Eine Schachtel von der GrĂ¶ĂŸe eines Schuhkartons stand noch staubig auf dem obersten Regalbrett, sie lauerte dort, und flĂŒsterte beinahe „Öffne mich!“, aber sie sah dabei so verboten privat und hinterhĂ€ltig aus, dass Harry es nicht ĂŒber sich brachte, sie an sich zu nehmen.

Er zog sich mitsamt seiner Flasche wieder ins Wohnzimmer zurĂŒck, wo es sich, trotz aller Modrigkeit, immer noch am ehesten aushalten ließ. Dort schnappte er sich das nĂ€chstbeste Glas und goss sich zwei Finger breit der bersteinfarbenen FlĂŒssigkeit ein, deren Geruch allein ihm schon die NasenschleimhĂ€ute zu verĂ€tzen schien. Zögerlich schwenkte er es leicht und betrachtete es im Halbdunkel, das wegen der geschlossenen VorhĂ€nge ĂŒberall herrschte, noch einmal genauer. Harmlos. Keine unvermittelt auflodernden Flammen oder so. Seine Erfahrungen mit Alkohol, musste er sich eingestehen, waren fĂŒr sein Alter relativ gering. Ein bisschen Butterbier hier, bei der einen oder anderen Party eine Bowle da – warum hatte er noch einmal beschlossen, sich zu betrinken?

Ach ja, um die seltsamen SchuldgefĂŒhle Ginny gegenĂŒber zu vergessen. Ärgerlich stellte er fest, dass seine GedankengĂ€nge jetzt schon so unklar waren, als hĂ€tte er bereits getrunken. Wozu dann also, logisch betrachtet, noch der Whiskey? Er stellte das Glas auf den kleinen Tisch direkt vor sich und nahm stattdessen wieder sein Buch zur Hand. Er schlug es auf. Er schlug es wieder zu. Nein, das war doch bloße Feigheit, die ihn davon abhielt, den Feuerwhiskey zu probieren. Ein Glas voll, das war doch im Grunde nichts! Langsam hingen ihm sĂ€mtliche innere Konflikte gehörig zum Hals hinaus, und bei diesem gab es nur eines ihn zu beenden: Runter damit!

Er atmete noch einmal tief durch, setzte das Glas an die Lippen und trank es in einem langen Zug aus, oder eher: schĂŒttete es seine trockene Kehle hinunter. Dem folgte ein krĂ€chzendes Husten, wie von einer verendenden KrĂ€he, dann verzog Harry das Gesicht, als hĂ€tte er in eine Zitrone gebissen. Langsam klang das Brennen in seinem Rachen wieder ab, und er stellte ĂŒberrascht fest, dass seine Speiseröhre noch intakt war. Immerhin war ihm jetzt klar, warum das Zeug „Feuerwhiskey“ hieß. Und es war – so gesehen – auch nicht so ĂŒbel! Harry schenkte sich nach. Er hĂ€tte gerne ein StĂŒck Brot, oder irgendetwas anderes gehabt, um darauf herumzukauen, und damit zuerst das letzte Glas zu neutralisieren, aber da er nichts hatte – ‚Was soll’s!‘ – trank er ohne zu zögern. Wann hatte er eigentlich zum letzten Mal gegessen? Auch das nĂ€chste Glas war bald dahin.

Mit der Zeit brannte es, stellte er milde ĂŒberrascht fest, immer weniger. Ein eigentĂŒmlicher Stolz durchflutete ihn, von dem er spĂ€ter erst erkennen sollte, wie lĂ€cherlich er in Anbetracht seiner Situation eigentlich war, aber in diesem Moment hob es seine Laune enorm. Was hatte er noch einmal versucht wegzutrinken? Ginny? Ach nein, umgekehrt. Er wollte Malfoy wegtrinken, genau! Wie um seinen Entschluss zu bestĂ€tigen nahm er sich noch etwas. Irgendetwas tief in ihm drin warnte ihn davor, so zu ĂŒbertreiben, aber die lĂ€stige Stimme, die sehr nach der Hermines klang, wurde von Minute zu Minute dĂŒnner.

Blasser wurde auch Ginny, obwohl Harry sich fragte, warum eigentlich. Sie war es doch, die er wollte, nur sie! Warum ging sie weg? ‚Bleib bei mir‘, rief er in Gedanken, ‚geh nicht.‘ UnmĂ€ĂŸige Trauer kam wie eine Flutwelle auf ihn zu, begrub ihn unter sich, als ihm bewusst wurde, dass er Ginny selbst weggeschickt hatte. Sie umspĂŒlte ihn und verebbte langsam wieder, und mit ihr verschwand Ginny. Sie versank in der Tiefe und Harry blickte ihr hinterher, wie ihre Konturen unklarer und ihre Farben verschwommener wurden, bis sie schließlich ganz verschwand.

Wie ein teuflisches Jojo-Spiel dagegen, das es darauf abgesehen hatte, Harry den SchĂ€del einzuschlagen, wurde Malfoy in seinen Gedanken umso prĂ€senter, je mehr er versuchte, ihn aus seinem Kopf zu verdrĂ€ngen. Was Harry am Vorabend verabsĂ€umt hatte, zu tun. Worauf er sich eingelassen hatte. Bitter zerfraß ihn die Reue; aus der Magengegend sickerte sie in sein Blut, verteilte sich gleichmĂ€ĂŸig vom Whiskey mitgetragen im ganzen Körper. Malfoy, und was er getan hatte. Und das Schlimmste, das Dunkelste, dessen Harry sich am meisten schĂ€mte. Dass er es mochte.

Harry vergrub sein Gesicht ĂŒber der Schulter in der RĂŒckenlehne des weichen Sessels. Die Augen fest zusammengekniffen atmete er heftig gegen die verstaubte Polsterung und spĂŒrte dabei die Hitze des eigenen Atems. Es widerte ihn an, so wie ihn in diesem Augenblick alles an ihm, an seinem Körper, anwiderte.

Er wollte sich gerade in einer weiteren Welle des Selbsthasses ergehen, als es laut und deutlich an der TĂŒr klopfte.

Überrascht hob Harry den Kopf. Um sich Gedanken ĂŒber den möglichen Besuch zu machen fehlte ihm gerade die nötige, nun ja, geistige Frische – dafĂŒr machte er sich umso mehr Gedanken ĂŒber sich selbst. Hastig sprang er auf die, wie er verwundert feststellen musste, etwas wackligen Beine. Man merkte doch nicht etwa, dass er getrunken hatte? Er blinzelte und fuhr sich mit der Hand ĂŒber die Stirn, rĂŒckte reflexartig seine Brille zurecht. Die Flasche! Die konnte nicht hier stehen bleiben. Wie ein Kreisel drehte er sich zwei Mal um sich selbst und hielt Ausschau nach einem Versteck, das er nicht fand.

Es klopfte noch einmal.

Mit einem unwirschen Brummen schnappte Harry die Flasche und stellte sie kurzerhand in den hintersten Winkel des Kamins, wo das dunkle Glas vor der rußgeschwĂ€rzten Wand kaum mehr auszumachen war. Harry nickte zufrieden, ging endlich zur TĂŒr und riss sie ohne nachzudenken auf.

„Ich bin hier, um dich zu töten“, sagte Malfoy, und hielt ihm den Zauberstab unter die Nase.

Harry fiel die Kinnlade herunter, zu einer anderen Reaktion war er gerade nicht fĂ€hig. Er hatte sich nicht unbedingt den Kopf darĂŒber zerbrochen, was ihn vor der TĂŒr erwarten mochte, aber das wĂ€re es definitiv nicht gewesen.

Malfoy dagegen stand auf den Zehenspitzen und lugte ĂŒber Harrys Schulter hinweg ins Haus hinein, er war sich offenbar um einiges mehr darĂŒber bewusst, was er gerade tat, als sein GegenĂŒber. Der stand immer noch wie versteinert da, unfĂ€hig einen klaren Gedanken fassen zu können, außer „Ich bin so dumm!“ – denn seinen Zauberstab hatte er im Wohnzimmer vergessen. Ganz langsam gesellten sich auch andere Überlegungen hinzu, unter denen sich ein grobes Muster abzuzeichnen begann. Zusammenfassend ließen sie sich etwa auf „Ich hĂ€tte es wissen mĂŒssen“ und „Scheiß Malfoy“ reduzieren. Letzteres sprach er laut aus.

„Aaach, sei still, Potter“, warf der ihm nur achtlos hin, wĂ€hrend er Harry nach hinten schubste und dann die TĂŒr hinter ihnen schloss. „Außerdem stinkst du wie eine Schnapsbrennerei, also halt den Mund besser geschlossen.“
Harry klappte den Mund zu.

WĂ€hrend er sich in der dĂŒsteren Diele umblickte, steckte Draco seinen Zauberstab wieder in die linke Umhangtasche. Harry beobachtete die Bewegung interessiert; ihm war noch nie zuvor aufgefallen, dass Malfoy LinkshĂ€nder war. Dann, als wĂ€re mit einem Schlag die BefĂ€higung, sich zu artikulieren wieder zu ihm zurĂŒckgekehrt, hob er ruckartig den Kopf und sah Malfoy in die scheinbar ausdruckslosen, grauen Augen. „Was sollte der Scheiß von wegen, du willst mich umbringen?“ VerĂ€chtlich wandte er dem Blonden den RĂŒcken zu und ging zurĂŒck ins Wohnzimmer, wo er sich wieder in seinen Sessel fallen ließ. Es hatte Zeiten gegeben, da hĂ€tte Harry mit einem Fluch im RĂŒcken rechnen mĂŒssen, hĂ€tte er sich so von dem anderen abgewandt, aber der Whiskey verlieh ihm eine bisher ungeahnte Selbstsicherheit.

Malfoy folgte ihm stumm ins Zimmer, sah sich nur flĂŒchtig um, und schien trotzdem sofort die Flasche im Kamin zu bemerken, weil er zunĂ€chst einen spöttischen Blick dorthin und dann auf Harry warf, dem dieser aber gar nicht auffiel.
„Nenn’ es Tarnung, wenn du willst“, erklĂ€rte Malfoy. „Nur, falls jemand hier gewesen wĂ€re. Sonst wĂ€re meine Anwesenheit relativ schwer zu erklĂ€ren gewesen, findest du nicht?“

„Was? Ja ja, du hast Recht, finde ich nicht...“, murmelte Harry, ohne recht zu wissen was er sagte. Sein Hirn war gerade anderweitig beschĂ€ftigt – nĂ€mlich damit, herauszufinden ob das alles wieder eine seltsame Halluzination war. Ein Fiebertraum. Oder vielleicht der Grund, warum MinderjĂ€hrige keinen Feuerwhiskey trinken dĂŒrfen?

„Wie hast du mich ĂŒberhaupt gefunden?“, fragte Harry und war froh, einen klaren Gedanken formulieren zu können. Er richtete den Blick auf den Blonden, der sich inzwischen auf der Ă€ußersten Kante des Sofas niedergelassen hatte, und jetzt unruhig seinen Zauberstab mit den Fingern kreiseln ließ.

„Wo hĂ€tte ich sonst suchen sollen?“ Theatralisch zog Draco eine Augenbraue hoch. „Aber zu den Wieseln wĂ€re ich ums Verrecken nicht gegangen, so wichtig bist du mir auch wieder nicht“, fĂŒgte er in herablassendem Tonfall hinzu und lachte trocken auf. Es klang fast wie ein Husten, als hĂ€tte er sein Lachorgan – falls es so etwas gab – schon so lange nicht mehr benutzt, dass es bereits Staub angesetzt hatte.

Harry legte den Kopf schief. „Ich bin dir wichtig?“

Sekundenlang sahen sie sich regungslos an, Harry mit einem milden LĂ€cheln, so wie er momentan wahrscheinlich zu allem milde gelĂ€chelt hĂ€tte, und Draco in purem Zweifel, als wunderte er sich, ob er zu viel gesagt hĂ€tte, oder ob das ohnehin keine Rollte spielte, weil sein GegenĂŒber sich morgen sowieso an nichts mehr erinnern wĂŒrde.

„Was tust du da eigentlich, Potter? Sitzt hier rum und besaufst dich?“, fragte Draco, wahrscheinlich nicht nur um das Thema zu wechseln, sondern auch, weil er das mindestens genauso wenig erwartet hatte, wie Harry seinen Auftritt an der TĂŒr.

„Ja“, grinste Harry breit, „und?“

„Nichts.“

Malfoy klang fast beleidigt. Oder zickig. Harry musste bei dem Gedanken unwillkĂŒrlich Grinsen – das heißt, noch mehr als ohnehin schon. Im Stillen fragte er sich, ob Malfoy nicht vielleicht etwas anderes erwartet hatte, nachdem er sich extra die MĂŒhe gemacht hatte, hierher zu kommen. Außerdem fragte er sich aber, warum er sich Gedanken ĂŒber Malfoys GefĂŒhlswelt machte, aber seine eigene Situation nicht einmal genau ĂŒberdachte. Das wiederum, dieser Meta-Gedanken-Zyklus, war ihm zu kompliziert, um ihn genauer zu erörtern. Wahrscheinlich sollte er einfach das Beste aus der Situation machen, so wie sie war. Oder?

Draco war mittlerweile auf dem Sofa nach hinten gerutscht, hatte die Beine angezogen und hielt sie mit einer Hand umklammert, wÀhrend er mit der anderen auf seinem Knie trommelte. Sein Blick haftete am Sofapolster und verriet keinerlei Regung. Der Zauberstab lag vergessen neben ihm.

„Whiskey?“, fragte Harry, und Draco sah auf. „Im Ofen. Bedien dich.“

„Oh, toller Service“, Ă€tzte Draco, stand jedoch auf und nahm sich. Er trank nicht, hielt nur das Glas stumm in der Hand, wĂ€hrend er sich wieder in seine ursprĂŒngliche Position aufs Sofa zurĂŒck begab.

Sie warteten beide darauf, dass irgendetwas passierte. Aber es geschah nichts. Vielleicht waren es nur Minuten, die vergingen, aber Harry kam es vor wie Stunden. Irgendwann schloss er die Augen.

***


Etwas Nasses, Kaltes klatschte heftig in Harrys Gesicht. Erschrocken keuchte er auf und riss die mĂŒden Augen auf, aber er konnte nichts erkennen – das Nasse, Kalte versperrte ihm die Sicht. Er tastete danach und entfernte ein triefendes Handtuch von seinem Kopf. Mit zwei Fingern hielt er es an einem Zipfel fest und streckte es möglichst weit von sich fort. Er blinzelte. Durch die nassen BrillenglĂ€ser erkannte er die unscharfen Konturen einer schwarz gekleideten Person mit blonden Haaren, die mit verschrĂ€nkten Armen vor ihm stand.

„Verflucht, Malfoy, was tust du da?“

„Du hast jetzt eine volle Stunde verpennt, ich hatte keine Lust noch lĂ€nger zu warten“, bemerkte Draco trocken und zog den Mund zu einer Schnute.

Harry trocknete die Brille an seinem T-Shirt. „Oh“, sagte er. Sein Mund fĂŒhlte sich ausgetrocknet an. Aus der KĂŒche holte er sich ein großes Glas Wasser, das er in einem Zug leerte. Jetzt ging es besser. Auch sein Gehirn schien sich langsam zu regenerieren.

Obwohl er sich grundsĂ€tzlich dafĂŒr in den Hintern treten könnte, dass er einfach so mit Draco Malfoy keine drei Meter entfernt eingeschlafen war, hatte er jetzt immerhin den unumstĂ¶ĂŸlichen Beweis, dass der ihm nicht an den Kragen wollte. In der Zwischenzeit wĂ€re genug Gelegenheit gewesen, Harry sonstwas anzutun, aber er fĂŒhlte sich eigentlich – abgesehen von dem seltsamen Druck in seinem Kopf, von dem er ganz dunkel ahnte, er hĂ€tte eine andere Ursache – vollkommen in Ordnung. Möglicherweise gehörte das aber auch zu Malfoys Taktik, und er wollte bloß, dass Harry sich in Sicherheit wĂ€hnte, um dann in einem Moment der vollkommenen Unaufmerksamkeit endgĂŒltig zuzuschlagen. Aber eine Stunde lang seinen Rausch auszuschlafen kam einem Moment der vollkommenen Unaufmerksamkeit schon ziemlich nahe... Harrys Gedanken drehten sich wieder einmal im Kreis.

ZurĂŒck im Wohnzimmer stand Malfoy immer noch starr herum wie eine Wachsfigur. Erst als Harry sich wieder in seinen Sessel fallen gelassen hatte, regte er sich. Langsam machte er ein paar Schritte auf Harry zu und blieb dann ganz nah vor ihm stehen, so dass er nur seine Hand hĂ€tte ausstrecken mĂŒssen um ihn zu berĂŒhren, aber stattdessen wartete er einfach ab, bis der andere etwas tat. Harry schwieg und blickte auf seine Knie. Diese Situation kam ihm vor wie ein DĂ©jĂ -vu. Vielleicht war es ein Angebot des Schicksals seinen vergangenen Fehler wieder auszubessern? Einfach nicht hinsehen und ihm sagen, er solle verschwinden! Aber was, wenn er dann wĂŒtend wĂŒrde, und ihm einen Fluch an den Hals jagte? Und wollte Harry ihn ĂŒberhaupt wegschicken? Er wusste zwar, dass er es wollen sollte, aber als er versuchte, sich an all die Zweifel, an die Wut auf sich selbst, und dem Ekel vor dem, was er getan hatte, zu erinnern, war es wie weggeblasen. Als ob Argumente in Dracos Gegenwart einfach nicht zĂ€hlten.

Wie eine unsichtbare Kraft zog es seinen Blick nach oben, wo er ĂŒber das Gesicht des anderen huschte, ihm noch einmal zu entkommen versuchte, aber endlich dessen Augen fand und daran hĂ€ngen blieb.

Draco reichte diese Geste. Er beugte sich nach vorne, stĂŒtzte sich mit den HĂ€nden auf die Armlehnen und kletterte zu Harry, der sich etwas verunsichert so fest wie möglich gegen die RĂŒckenlehne presste, auf den Sessel. Dann nahm er ihm die Brille ab und warf sie achtlos zur Seite.

„Hey...“, beschwerte sich Harry, der sich auf einmal furchtbar verletzlich vorkam, halbherzig. „Nicht kaputt machen.“

Draco nahm den Protest nicht sonderlich ernst. „Scheiß drauf. Den Zauber dafĂŒr lernt man in der ersten Klasse, selbst du dĂŒrftest den mittlerweile beherrschen“, flĂŒsterte er nah an Harrys Ohr. Seine Lippen streiften die von dĂŒnnem Flaum bedeckte Haut dicht darunter und Harry hörte, oder spĂŒrte es eher, wie Draco durch die Nase einatmete. Sein Widerstand schmolz, er gab es auf nach hinten zurĂŒckweichen zu wollen.

Er wusste nicht, was er mit seinen HĂ€nden anfangen sollte, nutzlos lagen sie neben ihm, wie leblose AnhĂ€ngsel die er nur zur Dekoration mit sich herumtrug. UnschlĂŒssig hob er die rechte und wollte sie an Dracos Seite legen, aber kaum spĂŒrte er die WĂ€rme unter dem dĂŒnnen Stoff, die ihm verriert, dass er es mit einem menschlichen Wesen zu tun hatte, zuckte er zurĂŒck und die Hand fiel wie betĂ€ubt zurĂŒck auf die Armlehne.

Draco hielt inne. „Ich dachte, Gryffindors stĂ€nden in dem Ruf, mutig zu sein?“, spöttelte er mit hochgezogener Augenbraue. Vorsichtig, als hĂ€tte er es mit etwas Zerbrechlichem zu tun, hob er Harrys Hand an und legte sie auf seine HĂŒfte. „Einfach so bleiben, ja?“ In seinem Ausdruck lag etwas leicht Triumphales, als er sich schließlich hinunter beugte und Harry kĂŒsste.

Die Vernunft hatte den Kampf verloren. Nicht nur das – die Niederlage war sogar mehr als klĂ€glich gewesen. Harry kam ein Sprichwort in den Sinn – woher hatte er das bloß? „Wenn dir etwas einmal passiert, dann wird es vielleicht nie wieder geschehen. Wenn es dir aber ein zweites Mal zustĂ¶ĂŸt, dann geschieht es mit Sicherheit auch noch ein drittes Mal.“ Er konnte sich gerade noch genug konzentrieren, um bis zwei zĂ€hlen zu können – und das machte ihm Angst.

„Nicht!“, murmelte er, als Draco seinen Hals kĂŒsste. „Geh weg...“ Dracos HĂ€nde fuhren fast beruhigend ĂŒber seinen Oberkörper. Noch einmal stieß er ein ersticktes „Nicht...“ hervor, als er auf einmal Finger auf der nackten Haut seines Bauches fĂŒhlte, und gleich darauf „Aufhören!“.

Draco fasste das offenbar als „Nicht aufhören!“ auf – und Harry war sich selbst nicht ganz sicher, ob es nicht das war, was er eigentlich gemeint hatte – denn er rĂŒckte keinen Millimeter ab. Stattdessen tasteten sich seine Finger weiter unter Harrys Shirt nach oben, wĂ€hrend dieser verzweifelt die Augen zusammenkniff und sich wĂŒnschte, er wĂ€re jemand anderes.

Dann ließ er irgendwann los. Er konnte so tun als wĂ€re er nicht er, als wĂ€re Draco nicht Draco. Es war nicht real, nichts als ein Spiel aus dem man aussteigen konnte, wann immer man wollte. Das hier hatte nichts mit Ginny zu tun, nichts mit seinem Kampf gegen Voldemort, nicht einmal mit jenem Draco Malfoy, den er aus der Schule kannte! Es war nur... eine Ablenkung. Nichts weiter.

Draco blinzelte ĂŒberrascht, als Harry den Kopf in den Nacken legte, verlegen grinste, und ihn zum ersten Mal aus eigener Initiative kĂŒsste.


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