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Fanfiction

Sailing On A Sunken Dream - Sailing on a sunken dream

von Resimesdra

Sailing On A Sunken Dream

You know the rain is gone when the sky is full of dust
and the tears are gone when your eyes are red as rust
and it just rains because it can and you just cry until you can't

(The Magnetic Fields, “Torn Green Velvet Eyes”)



Als das Klicken des Türschlosses Harrys Rückkehr ankündigt, ist Draco bereits wieder zu Hause. Er sitzt im Schneidersitz und barfuß im Sessel und sieht fern. Genauer gesagt starrt er eigentlich nur auf den Bildschirm, ohne wirklich mitzubekommen, was dahinter vor sich geht . Er versteht irgendwie noch immer nicht so richtig, wie all die Personen und Dinge, die er dort sehen kann, eigentlich in die schwarze Schachtel kommen, die Harry auf seltsam liebevolle Weise „die Glotze“ nennt.

Draco mag die Glotze eigentlich nicht. Aber Harry wollte sie, deswegen hat Draco sie gekauft. Er würde alles tun, um Harry glücklich zu machen. Es wäre schön, wenn ihm das wenigstens ein einziges Mal gelingen würde.

„Hi“, sagt Harry, als er das Wohnzimmer betritt und ein Päckchen Zigaretten in einem flachen Bogen auf den Couchtisch wirft.

„Hi“, antwortet Draco. Er sieht seinen Freund nicht an, seine Finger spielen mit der Fernbedienung. „Wo warst du?“

„Zigaretten holen“, sagt Harry und kickt seine Turnschuhe weg. Er geht hinüber zum Schrank und holt eine Flasche Wodka heraus. Er nimmt sich ein Glas, dann dreht er sich um und wirft Draco einen fragenden Blick zu. „Willst du auch?“

Draco schüttelt den Kopf. Er hasst Wodka. Und er hasst es, dass Harry dieses Zeug mag. Obwohl es nett ist, dass Harry in letzter Zeit fragt, ob er etwas trinken möchte, anstatt es ihm einfach aufzwingen zu wollen. „Ich dachte, du wolltest weniger trinken?“ Es fällt ihm schwer, den anklagenden Tonfall aus seiner Stimme zu verbannen.

„Schon“, sagt Harry und gießt eine ansehnliche Menge der farblosen Flüssigkeit in sein Glas. „Aber ich hatte heute einen harten Tag.“

„Apropos harter Tag…“ Jetzt läuft Spongebob Schwammkopf im Fernsehen und macht entschieden zuviel Krach. Draco dreht Spongebob den Saft ab und die Stille, die daraufhin folgt, ist wie ein Schlag in sein Gesicht. „Das Ministerium hat angerufen. Die Dame sagte, du warst nicht da. Schon wieder nicht.“

„Ach Scheiße.“ Harry nimmt einen Schluck Wodka und lässt sich in die Sofakissen fallen. Er verzieht sein Gesicht, als der scharfe Alkohol sich den Weg seine Kehle hinunter bahnt, und fummelt dann die Schachtel Zigaretten auf. Er reißt das Zellophanpapier ab und wirft es achtlos auf den Boden. Draco hebt eine skeptische Augenbraue, sagt aber nichts. Harry nimmt eine Zigarette heraus und zündet sie gemächlich an, wobei er Dracos Blick ausweicht. „Wieso rufen die eigentlich immer dich an?“, fragt er schließlich und lässt eine kleine Rauchwolke aus seinem Mund entweichen. „Ist ja nicht so, als wärst du mein Vormund oder so was.“

Draco runzelt die Stirn. „Darum geht’s ja wohl kaum, Harry. Wo warst du heute den ganzen Tag, wenn du schon nicht wie versprochen bei der Arbeit aufgetaucht bist?“

Harry zuckt die Schultern. „Keine Ahnung. Bin ein bisschen rumgelaufen. Bisschen Zeit totgeschlagen und so.” Die Finger, die die Zigarette halten, zittern ganz leicht als er einen neuen Schluck Wodka nimmt.

„Und wieso musstest du bitte ein bisschen Zeit totschlagen, wenn du eigentlich hättest arbeiten sollen?“

Harry rutscht hin und her. „Hör mal, lass uns jetzt nicht darüber reden, okay? Ich bin echt k.o.
Warum gehen wir nicht ins Bett?“

Draco starrt ihn einfach nur an. Er macht sich so große Sorgen um Harry, dass nicht einmal die Aussicht auf Sex zu ihm durchdringen kann. Noch nicht einmal dann, wenn Harry ihn wieder aktiv sein lassen wird, was er in letzter Zeit mit erschreckender Regelmäßigkeit tut. „Warum gehen wir jetzt nicht ins Bett, Harry? Warum reden wir nicht lieber darüber, warum du fast nie zur Arbeit gehst? Warum reden wir nicht darüber, warum du lieber den ganzen Tag durch die Straßen wanderst und dabei mindestens eine Million Zigaretten rauchst, statt zum Ministerium zu gehen und dort den Job zu machen, den du erst seit ein paar Wochen hast?“

Harry sieht ihn noch immer nicht an. Er beginnt, seinen linken Arm zu reiben, was – wie Draco jetzt weiß – zeigt, wie unwohl er sich fühlt. Es schmerzt Draco, ihn so quälen zu müssen, aber er muss Harry einfach dazu bringen, mit ihm darüber zu reden.

Die Dinge haben sich geändert, seit Draco das letzte Mal weggelaufen ist. Das war vor drei Monaten. Heute haben sie beide einen Job in unterschiedlichen Abteilungen des Ministeriums. Draco arbeitet für das Amt für Angelegenheiten Ausländischer Magie (und es hat ihn ziemliche Überredungskunst gekostet, bevor man dort willens war, einen früheren Todesser aufzunehmen). Eigentlich gefällt ihm der Job nicht; er hasst den vielen Papierkram, den er erledigen muss. Aber sein Gehalt zahlt die Miete und außerdem hat ihm die Arbeit dabei geholfen, in den Alltag zurück zu finden, also nimmt er an, dass es so schlecht nicht sein kann.

Für Harry haben sie eine Stelle in der Abteilung für Muggelpolitik aufgetan. Das Ministerium hätte den Kriegshelden natürlich liebend gern als Auror akzeptiert (obwohl er keine Ahnung von Zaubertränken hat und eigentlich nicht mal einen richtigen Abschluss vorweisen kann), aber Harry will nicht länger Auror werden. Draco kann das verstehen; immerhin hat Harry eine Menge durchgemacht und es ist nur logisch, dass er die Schnauze vom Kriegsgeschehen voll hat.

Draco hat geglaubt, dass Harry die Arbeit mit den Muggeln Spaß machen würde. Er hat einen einfachen, interessanten Job und die Leute, die mit ihm zusammenarbeiten, sind sehr nett – und dennoch passt Harry irgendwas nicht. Das Schlimmste daran ist aber, dass er versucht, es vor Draco zu verstecken.

Sein Verhalten gegenüber Draco hat sich sehr verändert. Er hat ihn nicht wieder verletzt – zumindest nicht körperlich – aber er hat noch immer seine Geheimnisse, spricht nicht mit Draco und schließt ihn aus. Es ist ihm wahrscheinlich nicht bewusst, dass Draco viel mehr darunter leidet, Harry hilflos bei seiner langsamen Selbstzerstörung zusehen zu müssen, als er es jemals unter physischer Gewalt tun würde.

„Sprich mit mir, Harry“, bittet er jetzt. „Gefällt es dir da nicht? Wir können dir doch einen anderen Job besorgen, wenn du möchtest.“

Harry schüttelt den Kopf. „Das ist es nicht.“ Er zieht an seiner Zigarette und bläst einen gemächlichen Rauchring in die Luft.

„Was ist es dann? Bitte, Harry, ich will dir doch helfen! Aber dazu musst du mir sagen, was das Problem ist!”

Harry knallt sein Glas auf den Tisch. „Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, dass ich deine Hilfe vielleicht nicht will oder brauche? Scheiße, Draco! Du bist nicht meine Mutter, also hör verdammt noch mal auf, mich wie ein dummes Problemkind zu behandeln!“

Draco sieht ihn ruhig an. Er ist an diese cholerischen Wutausbrüche gewöhnt, Harry bekommt sie von Zeit zu Zeit. Sie sind harmlos, einfach nur ein Zeichen dafür, dass Draco durch die oberflächliche Gelassenheit gebrochen ist, die Harry vortäuscht. Sie sind besser als die Stille. Es ist die Stille, die Draco wirklich fürchtet. „Ich werde damit aufhören, dich zu bemuttern, sobald du damit aufhörst, dich wie besagtes Problemkind aufzuführen.“

Harry schleudert ein Kissen nach ihm. „Musst du eigentlich immer so ein Wichser sein? Hast du keine eigenen Probleme, um die du dich kümmern könntest, damit du mich endlich in Ruhe lassen kannst?“

Draco fängt das Kissen mühelos aus der Luft und wirft es zurück auf seinen Platz auf der Couch, wo es hingehört. Er antwortet nicht, starrt nur wortlos zurück, und irgendwann senkt Harry den Blick und murmelt eine leise Entschuldigung. Draco erschrickt noch immer, wenn Harry sich entschuldigt.

Er steht auf und setzt sich neben Harry. Harry starrt auf seine FĂĽĂźe und seine Finger zerpflĂĽcken eine unangezĂĽndete Zigarette zu TabakkrĂĽmeln.

„Sieh mich an, Harry“, sagt Draco weich, und nach einer Weile sieht Harry auf. Draco hebt eine Hand und streicht ihm zärtlich über die Wange. Harry lässt ihn. Eine kleine Geste, von der Draco weiß, dass sie viel bedeutet. „Was soll ich bloß mit dir machen?“

Harry schließt seine Augen und reckt sich kaum merklich Dracos streichelnder Hand entgegen. Dracos Herz krampft sich beim Anblick von Harrys Unterwürfigkeit schmerzhaft zusammen. Er weiß, dass Harry das nur tut, weil er langsam lernt, ihm zu vertrauen – und das sollte Draco glücklich machen. Und doch hinterlässt der Eindruck von Schwäche, die Harry damit eingesteht, ein seltsames Gefühl in Dracos Brust zurück. Er wünschte, er müsste Harry nicht so verletzlich erleben. Er wünschte, er könnte wieder zu ihm aufsehen, wie er das in der Schule schon getan hat, sich wieder wie damals an seiner Stärke festhalten. Doch Harrys Stärke ist eine Illusion. Er ist nicht stark. Er ist verletzt und verunsichert und weiß nicht, was er mit all den Gefühlen anfangen soll, die in ihm sind. So unglaublich schwach. So unglaublich menschlich.

Manchmal wünscht sich Draco, dass er diese Seite von ihm nie kennen gelernt hätte.

Nein, das trifft es nicht ganz. Er wĂĽnscht sich, dass diese Seite ĂĽberhaupt nicht erst existiert.

„Wie machst du das?“, fragt Harry und schreckt Draco aus seinen Gedanken hoch.

„Wie mache ich was?“, fragt er zurück, verwirrt.

„Alles. Wie kannst du jeden Morgen aufstehen, zur Arbeit gehen, die neugierigen Blicke aushalten… wie schaffst du das, ohne dabei zu zerbrechen?“

Draco denkt einen Moment nach. Es ist ihm klar, dass genau das Harrys Problem ist. Er hat sich so lange aus dem aktiven Leben zurückgezogen, dass er jetzt nicht mehr damit fertig wird, wenn er von Menschen umgeben ist, die mit ihm reden wollen, ihm Fragen über Voldemort oder den Krieg stellen, oder vielleicht sogar über seine Beziehung mit Draco. Draco weiß, dass die Leute so was machen, denn bei ihm ist es nicht anders. Und ja, es ist nervtötend. Aber man kann es überleben.

„Ich denke an dich“, gibt er jetzt zu. „Ich erinnere mich daran, dass ich all das nur mache, um das Geld zu verdienen, das ich brauche, um die Miete für unsere Wohnung zahlen zu können. Ich versuche, mich darauf zu freuen, dass ich bald zu dir nach Hause kommen werde, und irgendwie lässt mich das jeden Tag überstehen.“

Es überrascht Draco nicht, dass eine einzelne Träne unter den geschlossenen Wimpern hervorquillt und über Harrys Wange zu seinem Kinn hinabrollt. Harry weint in letzter Zeit häufig. Draco ist nicht ganz sicher, was er davon halten soll. Erst dachte er, es sei ein gutes Zeichen, weil es bedeuten musste, dass Harry endlich mit seinen Gefühlen zu Rande kommt. Doch mittlerweile vermutet er, dass das ausgiebige Heulen genau so schlimm ist, wie es die vorherige Gleichgültigkeit es gewesen ist.

„Was siehst du in mir, Draco?“, fragt Harry, und obwohl er die Frage erwartet hat, hat Draco keine Antwort darauf. Die hat er nie, egal wie oft Harry ihn fragt. Harry ist so vieles für ihn, es gibt so viele Aspekte, die seine Gefühle für ihn ausmachen, und die meisten davon sind nicht greifbar; sind nur Schatten, die in seinem Empfinden real sind, sich aber nicht in Worte fassen lassen.

Es wäre so einfach, ihm zu sagen, dass er ihn liebt. Aber das ist es nicht, was Draco im Moment fühlt. Und es ist auch nicht, was Harry hören will.

Also streichelt Draco statt einer expliziten Antwort weiterhin Harrys Gesicht und Haar, wischt salzige Tränen mit seinem Daumen weg und hofft, dass Harry alles, was er braucht, in Dracos Gesten der Zärtlichkeit hineinlesen kann.

„Küss mich“, flüstert Harry, die Augen noch immer geschlossen, und Draco tut es, langsam, zärtlich, sich vollauf bewusst, dass sie das nirgends hinbringen wird, keines der Probleme lösen kann, die Harry hat. Die sie beide haben.

Manchmal fragt Draco sich, ob sich ihre Situation eigentlich überhaupt verbessert hat. Stimmt, Harry brüllt ihn nicht mehr an, versucht auch nicht mehr, ihn rauszuwerfen. Im Gegenteil; stattdessen ist er jetzt anhänglich und empfindlich und unentschlossen. Und Draco, der immer dachte, dass sich alles schon irgendwie fügen würde, wenn Harry ihn nur endlich als gleichwertigen Partner und Lover anerkennen würde, anstatt nur eine hartnäckige Nervensäge in ihm zu sehen, fühlt sich plötzlich mit der Last überfordert, Sorge für sie beide tragen zu müssen. Er ist schlagartig von einer Person ohne Rechte zu demjenigen aufgestiegen, der die Regeln setzt – und er glaubt nicht, dass ihm diese Position wesentlich besser gefällt.

De Veränderungen in Harry machen sich auch in ihrem Sexleben deutlich. Wo Harry ihn früher fast schon vergewaltigt hat, ist er jetzt so zögerlich und beinahe schon schüchtern in seinen Handlungen, dass Draco mittlerweile aktiv sein muss, wenn was dabei rumkommen soll. Harry schafft das nur noch, wenn er entweder sturzbesoffen ist, oder wegen irgendwas eine Mordswut auf Draco oder sich selbst hat. Und dann nimmt er ihn wieder genauso grob und rücksichtslos, wie er es immer getan hat. Erst danach, wenn er wieder bei Verstand ist, fängt er an zu heulen und entschuldigt sich dafür, Draco verletzt zu haben, wieder und wieder und wieder, bis Draco schließlich vergisst, dass ihm alles weh tut und er wütend ist, und er seinen schluchzenden Freund in seine Arme zieht und ihn tröstet.

Vielleicht hätte es Draco ja sogar gefallen, zur Abwechslung mal oben zu liegen – aber Harrys schwache Duldung, die Art, wie er Draco seinen Körper mit ausdruckslosem Gesicht darbietet, stellt sicher, dass Draco diese Geste nicht als einen Vertrauens- oder gar Zuneigungsbeweis missversteht. Es ist ein Symbol der Unterwerfung, der Reue, und Draco weiß das sehr genau.

Er denkt über all das nach, während Harry unter Tränen seinen Hals und sein Schlüsselbein mit nassen Küssen bedeckt, hält ihn weiter in seinen Armen, streichelt seinen Rücken, bis Harry sich schließlich entspannt und das Schluchzen langsam verebbt.

Draco vergäbt seine Nase in Harrys Haar und schließt die Augen. Er fühlt sich ausgelaugt und müde.

~ooOoo~

Ein sanftes Klopfen am Küchenfenster lässt Draco den Löffel zur Seite legen, mit dem er gerade Rühreier für sie beide zum Frühstück gemacht hat; er geht hinüber, um die Eule einzulassen. Sie – für Draco sind irgendwie alle Eulen weiblich, er hat keine Ahnung, wieso – flattert herein und lässt sich auf Harrys Stuhllehne nieder. Draco bindet den Brief los, der an ihrem Bein befestigt ist, und belohnt den Vogel mit einer Brotkruste.

Er dreht den Umschlag um und runzelt die Stirn, als er den Absender liest.

„Harry!“

Harry betritt die Küche etwa zwei Minuten später. Er hat gerade erst geduscht und sein Haar ist noch immer feucht, tropft kleine Pfützen auf den Küchenfußboden. Er trägt nur Jeans und weder ein Hemd noch Socken, nur ein Handruch, das wie ein Schal über seine Schultern drapiert ist.

Wenn er ihn sich jetzt so ansieht, weiß Draco wieder, warum er sich damals in der Schule so zu ihm hingezogen gefühlt hat. Vielleicht liegt es ja daran, dass Harry letzte Nacht keine Alpträume gehabt hat (und das kommt selten genug vor!), oder er hat es irgendwie geschafft, sich seine Dämonen in der Dusche abzuwaschen – aber in diesem Moment, wie er da im Türrahmen steht, sein Körper beschienen von der frühen Morgensonne, erscheint Harry wieder jung. Jung, unverbraucht, zuversichtlich. Noch ein Junge, kein gebrochener Mann.

Dann fällt sein Blick auf den Brief in Dracos Hand und der Moment fliegt vorbei. Draco sieht, wie die Angst in seinen Augen aufflackert und er weiß, dass Harry an all die vielen Male denkt, als solch ein Brief ihm den Tod eines weiteren seiner Freunde verkündet hat.

Er schüttelt den Kopf. „Nein, Harry. Das ist kein offizieller Brief. Der hier ist von Granger.“

Harry schluckt. Er hat es wohl nicht erwartet, noch mal von seinen Freunden zu hören, nachdem er sie so lange so stur ignoriert und nie zurück geschrieben hat. Er streckt die Hand aus. „Gib ihn mir.“

Draco tut es und Harry setzt sich an den Tisch. Seine Finger streichen nachdenklich über das Pergament. Draco sieht ihm einen Moment dabei zu, dann geht er Richtung Küchentür, um Harry etwas Privatsphäre zu geben.

„Wohin gehst du?“, fragt Harry, ohne dabei die Augen von dem Brief in seinen Händen zu nehmen.

„Ich… raus“, antwortet Draco, überrascht, dass Harry es überhaupt bemerkt hat.

Harry schüttelt den Kopf. „Mach das nicht. Bleib hier, okay?”

Und Draco, verblüfft, setzt sich Harry gegenüber und sieht ihm dabei zu, wie er langsam den Umschlag öffnet. Der Brief besteht nur aus ein paar auf Pergament gekritzelten Zeilen, aber der Brief ist auch nicht das Wichtige. Es liegt ein Muggelfoto bei. Darauf ist Hermine zu sehen, die ein bisschen zugenommen hat und ziemlich erschöpft wirkt, und Ron, der eigentlich aussieht wie immer, nur vielleicht ein bisschen älter. Sie lächeln beide – Ron sieht dabei ziemlich dämlich aus, weil sein Grinsen nämlich viel zu breit ist, um noch charmant zu sein – und Hermine hält ein Baby in den Armen. Es ist winzig und irgendwie verschrumpelt, aber die großen blauen Augen und der flauschige Schopf roten Haars auf dem ansonsten kahlen Kopf weisen es eindeutig als Weasley-Granger-Gemeinschaftsprodukt aus.

Draco ist erstaunt über sich selbst, weil er beim Anblick der kleinen Familie lächeln muss. Er hat sich nie viel aus Babys gemacht, aber irgendwie ist dieses Foto doch zu bezaubernd, um ungerührt zu bleiben.

Als er aufschaut um etwas zu sagen, hat Harry eine Hand über den Mund geschlagen und versucht, das Schluchzen zu unterdrücken, dass aus ihm herausbrechen und die heißen Tränen begleiten will, die ihm über das Gesicht laufen.

„Harry! Was ist denn?“

„Nichts“, schluchzt Harry, überaus unglaubwürdig. „Es ist nur… ich bin so dumm!“

Draco ist sofort auf den Beinen, umarmt Harry von hinten. Es ist ihm egal, dass Harrys feuchtes Haar nasse Flecken auf seinem frisch gewaschenen T-Shirt hinterlässt.

„Ich hab’s versaut“, flüstert Harry, kaum wahrnehmbar. „Ich bin so verdammt bescheuert!“

Draco hat keine Ahnung, wovon Harry redet, aber er fragt ihn auch nicht. Fragen bringen ihn bei Harry Potter nicht weiter, das weiß er sicher. Er kann nur abwarten, bis Harry irgendwann von selbst anfängt, sich zu erklären.

„Das war meine einzige Chance, jemals eine Familie zu haben“, murmelt Harry in seine Hand und es fällt Draco schwer, überhaupt etwas zu verstehen. „Und ich hab sie weggeworfen. Ich werd nie eine Familie haben. Ich hab überhaupt niemand!”

Es tut weh. Harrys Worte schneiden wie ein Messer.

„Das ist nicht wahr“, sagt Draco um den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hat. „Du hast doch…“

„Nein!“, unterbricht Harry ihn heftig. „Ich habe niemanden!“

„Weil du mit mir zusammen bist“, sagt Draco und es ist keine Frage. „Weil du mit mir zusammen bist und nicht mit Ginny Weasley. Oder sonst einem Mädchen, ist es das? Ich… zähle einfach nicht, oder?“

Als Harry darauf nicht antwortet, lässt Draco ihn los und verlässt die Küche. Er marschiert zur Tür hinaus, hinaus in die Morgensonne und fröstelt in dem kühlen Wind, der sein Haar ein wenig zu heftig zerzaust, um noch angenehm zu sein. Er läuft, bis er den schmalen Fluss erreicht, der durch die kleine Stadt fließt, in der sie jetzt wohnen. Er bleibt eine Weile dort stehen, starrt hinunter in das sich bewegende Wasser und kickt von Zeit zu Zeit einen Kieselstein hinein.

Er weiß ja, dass er das hier nicht machen sollte. Er sollte nicht weggehen, wenn Harry in so einer Verfassung ist, er sollte nicht wütend auf ihn sein, weil er solche Sachen sagt. Aber Scheiße, Draco ist auch nur ein Mensch, und er kann auch nicht alles ertragen. Soll er vielleicht hinsitzen und zuhören, wie Harry ihm für alles die Schuld gibt? Wenn er es darstellt, als sei er der einzige Grund dafür, dass Harrys Leben nicht funktioniert?

Draco möchte seine Frustration am liebsten laut hinausschreien, aber stattdessen presst er nur seine Kiefer zusammen, so dass seine Backenzähne schmerzhaft aufeinander treffen, und versucht, den Kloß zu schlucken, der jetzt seine gesamte Brust auszufüllen erscheint. Die Frühlingsbrise verfängt sich in seinem Haar und in den Ärmeln seines etwas zu großen Pullovers. In der Ferne gibt es Wetterleuchten und ein dumpfes Donnergrollen, als sich der Himmel bedrohlich verdunkelt.

Es wird bald gewittern. Wie passend. Wie stereotyp. So klischéhaft, dass Draco lachen würde, wenn er nicht Wichtigeres im Kopf hätte.

Was soll er denn noch machen? Tut er denn nicht schon alles, was in seiner Macht steht, um Harry zu helfen?

Wie viele Rückschläge kann er noch aushalten, bevor er schließlich auch daran zerbrechen wird?

Draco beiĂźt sich auf die Innenseite seiner Wange, um nicht loszuheulen. Er darf jetzt nicht heulen. Er muss stark sein. Er muss fĂĽr Harry stark sein, muss fĂĽr sie beide tapfer sein. Denn Harry hat seinen Teil an Tapferkeit geleistet und jetzt hat er nichts mehr zu geben.

Tränen brennen in Dracos Augenwinkeln. Er ist doch nicht stark. Er ist nicht tapfer. Er ist ein Feigling. Er ist vor dem Krieg weggelaufen, er hat seine Eltern fallen lassen, genau wie seine Freunde. Erst als alle anfingen, für das zu kämpfen woran sie glaubten, hat Draco bemerkt, dass er selbst an gar nichts glaubt. Und ganz sicher nicht ans Sterben, sich für eine Sache zu opfern, die er noch nicht einmal versteht.

Harry hat geglaubt. Und das hat er jetzt davon.

Die ersten Regentropfen zerplatzen auf Dracos Haut und verursachen lustige Kreise auf der unruhigen Wasseroberfläche. Draco zieht die Kapuze seines Jumpers über den Kopf und trottet zurück zur Wohnung.

Wenn es denn eine höhere Gewalt gibt, dann ist es vielleicht die Strafe für seine Fehler, dass er jetzt unter seinem Zusammensein mit Harry so sehr zu leiden hat.

Und Draco, der eigentlich nicht an Schicksal und Bestimmung oder irgendwelche göttlichen Mächte glaubt, erschauert und zieht seine Hände in seine Ärmel, um sie warm zu halten.

~ooOoo~


Als er zurück in die Wohnung kommt, ist er bereits durchnässt bis auf die Knochen. Seine Schuhe hinterlassen dreckige Spuren auf den Fliesen, aber Draco putzt sie nicht weg. Er ist eigentlich keine unordentliche Person, aber jetzt im Moment erscheinen ihm die schwarzen Flecken auf der gräulichen Keramik seltsam attraktiv.
„Harry?“, ruft er und zieht dabei seinen tropfnassen Jumper über den Kopf. Er zieht seine Schuhe aus und stellt sie zur Seite. Spuren auf den Fliesen mögen ja in Ordnung gehen. Auf dem Teppich jedoch sind sie das nicht. Noch nicht einmal jetzt.
„Harry?“
Er geht ins Wohnzimmer. Kein Harry. Die Schachtel Zigaretten liegt noch immer auf dem Tisch, genau da, wo Harry sie am Vortag zurückgelassen hat. Draco schaut ins Bad und ins Schlafzimmer. Kein Harry. Er geht zurück in die Küche. “Harry? Scheiße, wo steckst du?”
Das Foto ist in kleine Fetzen zerrissen und ĂĽber den ganzen KĂĽchenfuĂźboden verteilt worden, wie papierne Schneeflocken. Harry ist nirgends zu sehen. Draco steht in der TĂĽr und schaut auf die Papierschnipsel ĂĽberall, ein ungutes GefĂĽhl in der Brust; ganz so als stĂĽnde er ungesichert vor einem Abgrund und schaue in die Tiefe.

~ooOoo~

Draco weiß nicht, wie lange es dauert, bis er endlich hört, wie die Tür ins Schloss fällt. Er hat es nicht gewagt, auf die Wanduhr zu sehen, weil er Angst davor hatte, die ungenutzten Minuten vorüberschleichen zu sehen. Er setzt sich aufrecht auf die Couch, auf der er bis eben gelegen und dem Regen beim Fallen zugehört hat. Zum einen ist er unglaublich erleichtert, dass Harry wieder heil zurück ist. Merlin, was der kleine Idiot sich in seiner momentanen geistigen Verfassung alles hätte antun können!
Doch dann weicht die Erleichterung schnell Ă„rger. Draco ist wĂĽtend auf Harry, weil der einfach abgehauen ist, und nicht weniger auf sich selbst. Was hat er sich bloĂź dabei gedacht, einfach so aus der TĂĽr zu stĂĽrmen? Aber dann wiederum, was hat Harry sich dabei gedacht, Draco so zu erschrecken?
Diese widersprüchlichen Empfindung streiten in Draco, und als Ergebnis ist er nicht fähig, aufzustehen oder überhaupt eine Gefühlsregung zu zeigen. Er starrt Harry nur an, als der ins Zimmer kommt, klatschnass und offenbar halb erfroren. Er hat sich nicht damit aufgehalten, seine Schuhe auszuziehen. Ihm, anders als Draco, machen Fußspuren auf dem Teppich ja nichts aus.
„Du bist wieder da“, sagt Harry, und der Ausdruck, den sein Gesicht dabei annimmt, ist schwer zu deuten.
Die Stille hält noch ein wenig an, bevor Draco endlich auch etwas sagt.
„Du machst Flecken auf den Teppich“, sagt er emotionslos.
Harry zuckt die Schultern. „Ist doch egal.”
Draco möchte scharf darauf antworten, doch seine Stimme klingt müde. „Mir nicht.“
“Ich weiß”, sagt Harry. “Die ist nie was egal.”
Er bĂĽckt sich und macht den Knoten auf, dann zieht er seine FĂĽĂźe, einen nach dem anderen, aus den durchweichten Turnschuhen. Seine Socken, wie Draco feststellt, sind ebenfalls nass und hinterlassen nasse AbdrĂĽcke.
„So besser?“, fragt Harry, seine tropfenden Schuhe in den Händen.
Dracos Augen wandern von Harrys Socken zu den Schuhen in seiner Hand, dann zu den Tropfen auf dem Teppich. Dann schüttelt er den Kopf. „Schlimmer. Jetzt machst du Flecken mit deinen Schuhen und deinen Socken.”
Einen Moment lang scheint Harry enttäuscht. Aber Draco hat sich das sicher nur eingebildet, denn seit wann schert sich Harry auch nur einen Dreck um so was? Er fährt mit einer Hand durch sein feuchtes, blondes Haar und seufzt. „Du bist ganz nass“, sagt er schließlich und steht endlich doch auf, geht zu ihm hinüber. „Du wirst doch noch erkälten, wenn du nicht aufpasst.“
Er ist jetzt so nahe, dass er die Kälte spüren kann, die von Harrys ausgekühltem, nassen Körper ausgeht. Er streckt zögerlich die Hand aus und streicht eine Haarsträhne aus Harrys feuchter Stirn. Harry schließt für einen kurzen Moment die Augen und holt zittrig Luft.
“Ist mir egal”, flüstert er und Draco hätte ihn nicht gehört, wäre er nicht so nahe. „Du bist wieder daheim. Es ist mir egal.“
Draco schluckt schwer. Daheim. Der Idiot hat ja keine Ahnung was er da sagt.
„Ich dachte schon, du wärst…“, fährt Harry fort, seine Stimme ruhig und nur ein kleines Bisschen instabil. „Ich dachte, du wärst schon wieder weggelaufen. Ich hab dich gesucht, aber ich konnte dich nicht finden. Ich… ich kann dich nie finden.“
Draco kann nicht glauben, was er da hört. Harry hat nach ihm gesucht?
„Du bist so dumm, Harry.“ Er spürt eine lästige Nässe hinter seinen Augen, die sich nicht wegblinzeln lassen will. „Ich wäre doch nicht wirklich abgehauen, du Depp. Ich war doch nur.. Ich war… etwas durcheinander.“
“Weil ich mich wieder bescheuert und taktlos verhalten haben, oder?” Harry schaut zu ihm auf und sein Blick kann eigentlich nur als nackt beschrieben werden. „Weil ich deine Gefühle verletzt habe. Schon wieder.“
Als Draco nur nickt, spricht Harry weiter, hastig, als hinge sein Leben davon ab.
„Ich… wollte das nicht, weißt du? Ich… scheiße, ich scheine dir immer weh zu tun, ohne es auch nur zu bemerken. Es ist… als wäre da etwas in mir, dass dich verletzen will, und ich kann es einfach nicht davon abhalten, es ist…“
Draco unterbricht diese Flut unzusammenhängender Worte mit einem ungläubigen Lachen. „Nein, Harry. Da ist nichts in dir. Du hast einfach nur Scheiße im Kopf, das ist dein Problem!”

Harry beißt sich auf die Lippen. „Ich… es tut mir leid, ich…”
Draco hebt eine Hand und stoppt ihn. „Nicht. Sag nicht, dass es dir leid tut, wenn du es sowieso wieder tun wirst. Diese Worte verlieren jegliche Bedeutung, wenn du sie zu oft sagst, ohne sie ernst zu meinen.“
Eigentlich haben sie diesen Punkt längst erreicht. Eine Entschuldigung von Harry? Erschreckend, ja, aber Draco weiß es besser, als sich noch etwas davon zu erhoffen.
Harry schluckt. „Aber.. ich…”
“Sag mal, Harry…” Draco versucht, Harry in die Augen zu sehen, als er die Frage stellt, die ihn innerlich aufzufressen droht. Aber sein Blick ist unsicher und flackert, also schaut er doch lieber hinunter auf Harrys Socken und die langsam anwachsende Sammlung schmuddeliger Wassertropfen auf dem Teppich, die von den Schuhen in Harrys klammen Händen fallen. „Gibst du mir eigentlich wirklich die Schuld an allem? Glaubst du, dass es meine Schuld ist, dass unser Leben so beschissen ist?“
Er muss nicht aufsehen um zu wissen, dass Harry ihn aus wässrigen, grünen Augen anstarrt. „Ich… nein!“
Draco antwortet weder, noch schaut er ihn an. Es dauert weitere fünf Tropfen, bis Harry weiter spricht. „Warum glaubst du, dass ich das denke?“
Draco zuckt die Schultern und schüttelt langsam den Kopf. „Ist auch egal. Ich glaube dir.“ Er nimmt Harry sanft die Turnschuhe aus den zitternden Händen. Er glaubt ihm nicht. Aber was macht das schon für einen Unterschied?
„Du zitterst“, sagt er, als er die Schuhe fallen lässt, und plötzlich ist es ihm egal, was aus dem versauten Teppich zu ihren Füßen wird. „Wir sollten dich aus diesen nassen Klamotten rausholen. Eine heiße Dusche wird dich wieder aufwärmen.“
Er wartet, bis Harry schwach seine Zustimmung nickt, dann nimmt er seine kalte Hand und führt ihn ins Badezimmer. Er dreht das Wasser auf und prüft die Temperatur mit der Hand, während Harry sich hinter ihm auszieht.
„So, rein mit dir“, sagt Draco und versucht, Harrys Gänsehaut nicht zu bemerken, oder die Art, wie er die Arme um seinen schmalen Oberkörper geschlungen hat, als wolle er sich damit warm halten. Die Geste ist so kindlich und hilflos, dass es Draco beinahe das Herz bricht. „Bleib in der Dusche, bis du wieder einigermaßen warm bist, okay? Ich geh solange Tee kochen.“
Er greift nach der Türklinke, doch hält inne, als er ein schwaches Zupfen an seinem Hemd spürt. Er dreht sich um und Harry sieht ihn mit großen, flehenden Augen an. „Geh nicht“, sagt er.

~ooOoo~


Sie stehen gemeinsam unter dem Wasser, Dracos Arme um Harrys schmalen, kalten Körper geschlungen, von dem Draco nicht weiß, ob er ihn je wieder wird aufwärmen können. Sie sind beide hart, aber obwohl Dracos Erektion in Harrys Hüfte presst, war er noch nie in seinem Leben weniger erregt, war das Gefühl von nackter Haut unter seinen Fingerspitzen noch nie weniger erotisch als in diesem Moment.
Er vergräbt seine Nase in Harrys dunklem Haar und lässt seine Lippen über sein Ohr gleiten, schmeckt Harry und Regen und schwach gechlortes Wasser. Sie sind sich jetzt so nahe, und trotzdem ist es Draco, als befänden sie sich an gegenüberliegenden Enden das Universums. Er glaubt, Harrys Herzschlag gegen seine Brust spüren zu können; aber vielleicht ist es auch nur der Widerhall seines eigenen.
Dann dreht sich Harry plötzlich in seinen Armen um, Gesicht zur Wand und Hintern an Dracos Hüften. „Nimm mich, Draco“, flüstert er. „Bitte. Ich will dich in mir spüren.”
Draco schluckt. “Einfach so?” Seine Hand ruht auf Harrys Hüfte, streichelt den Knochen, der spitz hervortritt. Er ist so dünn, denkt Draco, irgendwie zusammenhangslos.
„Ja.“
“Wir haben kein Gleitgel”, gibt Draco zu bedenken, aber es ist nur noch rein formal. „Es wird weh tun.“
„Dann tu mir weh“, flüstert Harry. „Vielleicht will ich ja, dass du das tust.“
Draco, der ihn wirklich nicht verletzen will, ihm aber auch nichts abschlagen kann, rutscht vorwärts und drückt die Spitze seiner Erektion gegen Harrys Eingang. Er übt mehr Druck auf den widerspenstigen Muskelring aus, bis dieser schließlich nachgibt und sein Penis hineingleitet, langsam, trocken. Sie halten beide die Luft an; das Eindringen auf diese Weise ist für keinen von ihnen wirklich angenehm.
Harry legt sein Gesicht an die Fliesen und stützt sich mit den Armen an der Wand ab. Draco kann sehen, wie sich die dünnen Muskeln an seinem Rücken dabei bewegen, und er verstärkt seinen Griff auf den schmalen Hüftknochen. Seine Füße suchen nach einem besseren Halt in der schlüpfrigen Duschwanne, und er fickt Harry mit lächerlich langsamer Geschwindigkeit, weil sein Penis sich nur mühsam rein und raus bewegen lässt.
Das hier ist kein Sex. Ihre momentane Aktivität hat nicht mal ansatzweise was mit Sex zu tun. Es ist harte Arbeit, Wiedergutmachung, es ist Strafe und Leiden und Schmerzen – aber es ist kein Sex.
Während er hart in Harrys Körper stößt, erkennt Draco, dass dies hier ein Symbol für alles ist, was in ihrer Beziehung falsch läuft. Keiner von ihnen hat sich weiterentwickelt, keiner hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Er beschleunigt seine Bewegungen und versteht, dass es nicht Harry ist, der ihm an ihrer jetzigen Situation die Schuld gibt. Oder vielleicht macht er das auch; aber viel wichtiger ist, dass Draco sich selbst für schuldig hält.
Ist das der Grund, warum ich noch hier bin?, fragt er sich, als er seine HĂĽften schneller und schneller bewegt. Ist das der Grund, warum wir beide noch hier sind?
Harry keucht und holt Draco damit aus seinen dĂĽsteren Gedanken zurĂĽck. Seine rechte Schulter bewegt sich hektisch, und Draco erkennt daran sowie an dem feuchten Klatschen von Haut auf Haut, dass Harry sich einen runterholt. Er hat seine Augen in intensiver Konzentration fest geschlossen, und seine Hand bewegt sich in einem gnadenlosen, schnellen Rhythmus.
Draco schaut nach unten, sieht zu, wie sein Penis sich bewegt, und der Anblick lässt eine seltsame Welle der Erregung durch seinen Körper rollen; irgendwie zwar nicht sexuell, aber dennoch ziemlich durchdringend. Er stöhnt auf, als er so tief in Harry eindringt wie nur möglich. Sein Schwanz fühlt sich bereits wund an, weil sie es ohne den schützenden Film aus Gleitgel machen, und Draco will sich nicht einmal vorstellen, wie Harry sich fühlen muss. Schließlich hatte Draco bereits mehrfach das zweifelhafte Vergnügen, ohne Vorbereitung gefickt zu werden, und er weiß, wie es sich anfühlt, wenn man innerlich aufgerissen wird.
„Draco“, schluchzt Harry. „Hör nicht auf, hör nicht auf!“
Draco möchte am liebsten schreien, will Harry anbrüllen, warum er so sein muss, warum sie beide so sein müssen, warum sie sich immer gegenseitig verletzen müssen, warum Harry denkt, dass sie es verdienen, verletzt zu werden – aber er kann die Worte nicht finden. Alles dreht sich in seinem Kopf, wie das Wasser, das zu ihren Füßen einen hastigen Strudel bildet, bevor es im Abfluss verschwindet, und Draco kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Also hält er sich einfach nur an Harry fest, seine Finger schon beinahe schmerzhaft in die schmalen Hüften gegraben. Harry zittert jetzt, erste Anzeichen des kurz bevorstehenden Orgasmus, und als Draco, einem plötzliche Impuls folgend, in seine knochige Schulter beißt, kommt Harry mit einem erstickten Seufzen. Sein eigener Höhepunkt, ausgelöst durch den Anblick des Bogen von Sperma, der auf die Fliesen spritzt bevor er vom Wasser abgewaschen wird, trifft Draco ohne Vorwarnung. Er hat nicht geglaubt, dass er dieses Mal kommen würde, nicht so, aber es passiert trotzdem, und das resultierende Gefühl der Scham verdrängt die Ekstase des Orgasmus beinahe vollständig.
Sie steigen aus der Dusche, sobald sie sich in der Lage fühlen, keiner sonderlich gesprächig. Harry trocknet hastig sein Gesicht, wischt die Tränen weg, weil er nicht will, dass Draco sie dort sieht. Es ist eine dumme, sinnlose Geste, weil zum einen sowieso niemand Wasser und Tränen auseinander halten könnte, und weil Draco es zum anderen sowieso längst weiß. Doch bei aller Sinnlosigkeit ist es trotzdem bedeutsam.
Draco steht am Waschbecken und macht sich sauber. Ein paar Tropfen Blut fallen auf das helle Keramik des Beckens, Harrys Blut, und Draco spĂĽlt sie eilig weg. Ihm ist schlecht.

~ooOoo~

Als sie etwas später im Wohnzimmer sitzen, beide vorsichtig an dampfend heißer Schokolade nippend und auf den Fernseher starrend, ist das Gewitter vorbeigezogen. Die späte Nachmittagssonne scheint beinahe schadenfroh durch das Fenster herein; lässt die verbliebenen Regentropfen glitzern und spiegelt sich in den Pfützen auf dem Boden wider. Ein blasser Regenbogen steht am Horizont, ein falsches Zeichen von Sicherheit und Frieden. Die Stimmung ist surreal und seltsam angespannt. Im Fernsehen läuft irgendeine Daily Soap, aber Draco weiß nicht, worum es geht. Er beobachtet Harry aus dem Augenwinkel, statt das Programm zu verfolgen.
Harry starrt auf den Bildschirm, aber daran, dass seine Augen sich nicht bewegen, erkennt Draco, dass auch er nicht wirklich zusieht. Warum sie den Fernseher immer anschalten, obwohl sie das Programm kein Stück interessiert? Draco hat keine Ahnung. Wahrscheinlich weil ohne die ständige Geräuschkulisse des Fernsehprogramms die Stille unerträglich wäre. Sie haben nicht miteinander gesprochen, seit sie das Badezimmer verlassen haben, und das andauernde Schweigen steht nun zwischen ihnen wie eine massive, neblige Wand, die mit jeder verstreichenden Minute nur immer dicker wird.
Als Harry endlich seinen Becher zur Seite stellt und mit leicht zitternden Händen eine Zigarette anzündet, hält Draco es nicht länger aus.
„Harry“, sagt er und zwingt seine Stimme zu Festigkeit. „Wir müssen reden.“
Harry lässt beinahe das Feuerzeug fallen. „Worüber?“, fragt er, und weicht Dracos Blick aus. Das Feuerzeug in seiner Hand ist von einem durchsichtigen Grün. Harry spielt eine Weile damit, doch dann, als er bemerkt, dass das seine Nervosität verrät, legt er es weg, fein säuberlich auf die Zigarettenschachtel platziert.
Draco kämpft gegen den Drang an, sich selbst eine Zigarette zu nehmen. Es ist sehr verlockend, aber warum würde er wohl eine Sucht mit einer anderen ersetzen wollen?
„Ich hab in letzter Zeit viel nachgedacht“, sagt er und jetzt kann er Harry nicht länger in die Augen sehen. Sein Blick schweift zum Fernseher. Eine hysterische Blondine schreit etwas und wirft einen Blumentopf aus dem Fenster, wahrscheinlich zielt sie damit auf ihren untreuen Liebhaber oder so. „Ich hab mir überlegt, dass ich vielleicht wirklich gehen sollte.” Er schluckt schwer. Die Worte wollen seinen Mund nur zögerlich verlassen; wie eine sehr zähflüssige Masse, die durch eine viel zu kleine Öffnung gepresst werden soll.
Der Blumentopf im Fernsehen zerplatzt mit dem unverwechselbaren Klang von zerschellendem Ton auf dem BĂĽrgersteig.
Draco sieht auf und stellt fest, dass Harry ihn mit geweiteten Augen anstarrt. „Warum?“
Er schüttelt den Kopf. Er weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. „Warum, Harry? Musst du das wirklich noch fragen?“
Harry senkt den Blick und betrachtet seine Hände. „Nein“, sagt er leise.
“Es liegt nicht nur an dir”, sagt Draco sanft. „Es liegt an uns beiden. An der Situation, in der wir uns befinden, daran, was wir durchgemacht haben. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir so krampfhaft aneinander festhalten, dass wir nicht weitermachen können.“
Harry nickt zu allem, was Draco sagt, aber Draco zweifelt daran, dass er überhaupt noch richtig zuhört. Er weiß aber auch nicht, ob das noch einen Unterschied macht; schließlich ist er sich nicht sicher, ob er selbst seine eigenen Worte glaubt. „Es tut mir leid, Harry.“
Harry sieht ihn nicht an, als er den Kopf schüttelt. „Nein. Du hast ja Recht. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn wir uns trennen.”
Draco steht auf. Seine Knie fühlen sich weich an, aber sein Herz schlägt ruhig und beständig. Er ist nicht nervös, eher erfüllt von einer unnatürlichen Ruhe; so als wäre er nicht in seinem Körper, sondern sehe sich selbst von oben zu.
„Vielleicht sollte ich jetzt gleich gehen. Ich meine…” Er streicht sich mit der Hand durchs Haar. “Es macht ja keinen Sinn, es noch weiter hinauszuschieben, oder? Das wird keinem von uns gut tun.“
„Wo wirst du schlafen?“ Harry hat seine Zigarette zu Ende geraucht und greift nach einer neuen. Draco hat eine Ahnung, dass er nicht mehr damit aufhören wird, bis die Schachtel leer ist.
„Ich kann mir ein Zimmer im Tropfenden Kessel nehmen oder so was. Ich werd’ schon was finden.“
„Ich weiß.“
„Ja, also…“ Draco steht neben der Tür, eine Hand auf der Klinke. “Heißt das dann jetzt auf Wiedersehen?” Seine Stimme ist belegt und das Atmen fällt ihm schwer, der eingebildete Nebel scheint jetzt auch seine Lungen auszufüllen.
„Ich schätze schon“, sagt Harry. Seine Augen sind geschlossen und seine Wangen werden hohl, als er einen tiefen Zug nimmt. „Du solltest gehen. Bevor du deine Meinung noch änderst.“
“Krieg ich denn keinen Abschiedskuss?” Es ist als Witz gemeint, doch die Worte, die seinen Mund verlassen, klingen verzweifelt.
Harry steht auf und geht langsam auf ihn zu. Sie umarmen sich, aber die BerĂĽhrung ist seltsam, fĂĽhlt sich ungewohnt und fremd an.
„Was wirst du machen, wenn ich weg bin?“, fragt Draco in Harrys dunkles, feuchtes Haar. Harry zuckt die Schultern, eine stößt leicht gegen Dracos Kinn.
„Ich werde wahrscheinlich jede einzelne Zigarette rauchen, die ich finden kann. Und dann werde ich trinken, bis ich auf der Couch ins Koma falle“, sagt er, halb im Spaß, aber Draco spürt die Wahrheit dahinter. Er umarmt Harry fester und schließt für einen Moment die Augen.
„Dann werde ich meinen Job verlieren, weil keiner sich mehr Ausreden für mich einfallen lässt. Ich werde morgens zu lange schlafen und abends zu spät ins Bett gehen. Ich werde ungesundes Zeugs oder gar nichts essen, und ohne dich wird die Wohnung über kurz oder lang in Chaos versinken.“
Harrys Daumen beschreibt langsame Kreise auf Dracos RĂĽcken.
„Ich glaube nicht, dass ich es ohne dich schaffen werde“, sagt er, so leise, dass Draco es fast nicht gehört hätte. Doch dann dröhnen die Worte durch seinen Kreislauf wie Donner und stechen scharf durch die Watte, in die seine Sinne gepackt scheinen. Er schluckt.
„Warum lässt du mich dann gehen? Warum sagst du nicht, dass ich bleiben soll?”
Der Daumen kommt zum Stillstand und Harrys Hand schlieĂźt sich in einem erstaunlich schwachen Griff in Dracos T-Shirt.
„Nach allem, was ich mit dir angestellt hab?“, fragt er bitter. „Wie könnte ich? Ich hab kein Recht, noch irgend etwas von dir zu erbitten!“
Draco vergräbt sein Gesicht in Harrys Halsbeuge. „Du bist ganz eindeutig der dümmste Mensch auf der Welt“, flüstert er, überwältigt von einer starken Welle von etwas, das er nicht benennen kann.
„Du kapierst es einfach nicht, oder? All die Zeit, und du hast noch immer nichts verstanden!“
Harry weicht einen Schritt zurück und sieht ihn verwirrt an. „Was meinst du?“
„Dass du mir verdammt wichtig bist, du blöder Idiot! Warst du immer, und wirst du immer sein. Du bedeutest mir viel. Glaubst du nicht, dass ich sonst längst weg wäre?“ Draco steht jetzt kurz vor der Hysterie. Er kann nicht dagegen an, es ist einfach zu viel für ihn.
Harry schüttelt traurig den Kopf. „Nicht. Hör auf damit, Draco.“
“Womit soll ich aufhören?” Dracos Stimme ist voll Emotionen und Tränen sammeln sich in seinen Augen, von wo sie drohen, jederzeit über seine Wangen zu rollen. „Es ist die Wahrheit!“
„Ich weiß.“ Harry geht noch einen Schritt zurück, nimmt seine Hände von Draco, und ohne die tröstliche Wärme von Harrys Armen um ihn fühlt Draco sich verloren und allein. „Aber genau das ist der Grund, warum du gehen musst. Diese Beziehung bringt uns nicht weiter, siehst du das nicht? Du kannst mich nicht retten, Draco. Niemand kann das.“
Draco fühlt sich, als hätte ihm jemand einen Baseballschläger über den Schädel gezogen. „Was… aber… du… Du hast doch gerade noch gesagt, dass du es ohne mich nicht schaffen würdest!“
Harry hebt eine Hand und reibt sich die Augen. „Habe ich. Aber mit dir werde ich es auch nicht schaffen. Sieh mich doch nur mal an, Draco. Ich bin ein totales Wrack! Das wird sich nicht ändern, nicht mal, wenn du bei mir bist. Besonders nicht, wenn du bei mir bist! Und ich werde nicht zulassen, dass du noch länger darunter leidest.“
Draco versucht, zu schlucken, aber seine Kehle scheint plötzlich zu eng geworden zu sein. „Das ist mir aber egal! Findest du nicht, dass es meine Entscheidung ist, wie viel ich ertragen kann?“
„Nein. Nicht, wenn du nicht objektiv sein kannst, und das kannst du nicht. Ich werde nicht aufhören, dir weh zu tun, verstehst du? Ich werde immer einen Weg finden, dir Schmerzen zuzufügen, und du bist mir zu wichtig, ich will nicht, dass du leiden musst. Dich gehen zu lassen, ist meine erste selbstlose Tat seit langem. Das schulde ich dir, Draco. Bitte!“ Er atmet zitternd aus. “Du solltest jetzt gehen. Ich hoffe, dass du besser auf dich Acht geben wirst, als ich es getan habe.”
Draco starrt ihn ungläubig an, während Harry ihn zur Türe hinausschiebt, sanft aber doch mit Nachdruck. Was ist bloß aus dem anhänglichen, weinerlichen, schwachen Harry geworden? Der Harry, der noch an diesem Nachmittag stundenlang im Regen nach Draco gesucht hat?
„Was… was ist mit meinen Sachen?“ Eigentlich sind seine Sachen das Letzte, an was Draco im Moment denkt. Aber seltsamerweise ist es das Einzige, was er hervorbringen kann.
„Schick jemanden, dass er sie für dich abholt. Komm nicht selbst her, du weißt ja, dass das nie funktioniert.“
Dracos Unterlippe beginnt zu zittern. Er steht auf der Schwelle und starrt Harry mit offenem Mund an.
„Es ist dir echt Ernst damit“, sagt er, und seine Augen quellen langsam vor Tränen über.
Harry nickt. „Du hast es vorher doch selbst gesagt. Es ist das Beste für und beide.”
Draco antwortet nicht. Er kann nicht glauben, dass es wirklich passiert. Nicht mal, als er selbst angefangen hat, davon zu sprechen, nicht mal als er zur Türe gegangen ist, hat er wirklich geglaubt, dass es tatsächlich passieren würde. Er hat geglaubt, dass es sein würde wie all die anderen Male, wenn er sagte, dass er gehen wolle, oder wenn Harry ihn rausschmeißen wollte: emotional, hitzig, ohne echte Konsequenzen. Aber das ist es nicht. Nicht dieses Mal. Er dreht sich um und geht ein paar blinde Schritte hinaus in die langsam fallende Nacht.
Dann ruft Harry seinen Namen und er dreht sich um, fast schon hoffnungsvoll.
„Es wird kalt werden“, sagt Harry und hält ihm seinen Jumper hin. „Du solltest was Wärmeres anziehen. Hier.“
Draco nimmt das KleidungsstĂĽck wortlos aus Harrys ausgestreckter Hand entgegen. Er sagt kein Wort. Er weiĂź nicht, was er sagen soll.
„Bitte denk nicht, dass ich nicht wüsste, was du für mich getan hast, Draco. Es ist soviel mehr als irgendjemand sonst es je getan hat.“
Draco sieht auf, seine Sicht verschwommen vor Tränen. „Ich liebe dich“, flüsterte er mit erstickter Stimme.
Harry lächelt ein einseitiges, beinahe schmerzvolles Lächeln. „Ich weiß. Aber manchmal ist Liebe einfach nicht genug.“
Draco schnaubt, zieht sich seinen Jumper ĂĽber und dreht sich um. Dieses Mal geht er davon, ohne sich umzudrehen.
Harry bleibt nicht stehen, um ihm nachzusehen. Er schlieĂźt die TĂĽre.
Sie beide wissen, dass Draco nicht zurĂĽckkommen wird. Dieses Mal nicht.

~ooOoOoo~





~ Epilog ~

Als sie sich das nächste Mal begegnen ist der Frühling längst vorbei, ebenso der Sommer. Es ist ein sonniger, wenngleich kühler Nachmittag im Oktober und Draco geht mit seinem neuen Mitbewohner spazieren, einem netten jungen Mann mit roten Haaren und warmen, braunen Augen. Er sieht ein bisschen aus wie Weasley, findet Draco, abgesehen von seiner Augenfarbe und den Sommersprossen. Denn obgleich er durchaus einige davon hat, so sind es doch bei Weitem nicht so viele, wie der Junge hatte, den Draco – vor so vielen Leben – einst gern „Wiesel“ genannt hat.

Lyle ist ein junger Zauberer, der erst kürzlich in Beauxbatons seinen Abschluss gemacht hat. All die jungen englischen Zauberer sind auf ausländische Zauberschulen geschickt worden, so lange Hogwarts noch nicht wieder aufgebaut ist. Jetzt ist er wieder in England, wo er seinen neuen Job im Ministerium angetreten hat. Draco hat dort übrigens aufgehört. Er konnte es einfach nicht mehr aushalten, ständig über den „Vorfall mit Potter“ ausgequetscht zu werden; aber da er den Job ja sowieso nie sonderlich gern gemacht hat, ist ihm der Abschied auch nicht schwer gefallen. Mittlerweile hat er sich an einer Schule zur Ausbildung von Magischem Lehrpersonal beworben und hofft, dass er vielleicht sogar eines Tages an Hogwarts unterrichten wird.

Doch in der Zwischenzeit genießt er die langen Spaziergänge mit Lyle und Lyles Hund Skipper. Draco hat sich nie was aus Hunden gemacht – oder Haustieren im allgemeinen – aber Skipper hat er beinahe augenblicklich ins Herz geschlossen. Nicht, dass er ein sonderlich attraktiver Hund wäre, eher im Gegenteil. Sein Kopf scheint zu groß für seinen kleinen, dürren Körper, und seine Pfoten sind von geradezu grotesken Ausmaßen – aber er hat ein sonniges Gemüt und sein enthusiastisches, verspieltes Wesen ist einfach zu bezaubernd um ihn nicht gern zu haben.

Im Moment wirft Draco ihm Stöckchen, während er seinem Herrchen grinsend dabei zuhört, wie der verliebt von seiner Arbeitskollegin berichtet.

„…und Mann, du solltest ihre Augen sehen! Die sind so unglaublich blau! Und ihr Haar ist einfach…“

Draco lächelt und schaut hinunter auf das Laub zu seinen Füßen. Die Luft ist klar und kalt und die braunen und roten und goldenen Blätter rascheln, wenn er sie mit jedem seiner Schritte aufwirbelt.

Er freut sich für Lyle, wirklich, aber er kann auch den kleinen Stich Melancholie nicht verleugnen, der er verspürt. Er hat niemand Besonderes getroffen, seit er in jener schicksalsträchtigen Nacht im späten April von Harrys Schwelle und aus dessen Leben getreten ist, und manchmal fühlt er sich doch sehr einsam.

Er denkt noch oft über Harry nach, über ihre Beziehung – wenn man es denn eine Beziehung nennen kann, Draco ist da nicht so sicher – darüber, was sie falsch gemacht haben. Was er falsch gemacht hat. Und obwohl er zugeben muss, dass er sich jetzt, wo er endlich auf eigenen Füßen steht und unabhängig ist besser fühlt, so vermisst er Harry trotzdem. Seltsam, oder nicht?

Er schüttelt den Kopf, will jetzt nicht depressiv werden. Ihm fällt auf, dass Skipper ihn schon lange nicht mehr aufgefordert hat, den Stock zu werfen, und er sieht auf, hält Ausschau nach dem kleinen Hund. Er entdeckt ihn in ein paar hundert Meter Entfernung, wo er eifrig an einem anderen Mann hochspringt, der sich hinunterbeugt und ihn vorsichtig streichelt.

Draco lächelt vor sich hin. Skipper ist einfach unwiderstehlich, denkt er und pfeift scharf durch die Zähne, um die Aufmerksamkeit des Hundes zu bekommen. Skipper horcht auf und kommt zu ihm zurück gerannt, dann macht er kehrt und wetzt zurück zu dem anderen Mann, und hin und her, bis Draco zu Lachen anfängt.

„Skipper!“, ruft er. „Komm her, Kleiner! Hör auf, den netten Mann zu belästigen, hörst du?” Er geht in die Hocke und wuschelt dem Hund die Ohren, bis Skipper sein riesiges Hundegrinsen lacht und droht, ihm das Gesicht abzulecken.

„Keine Sorge“, sagt Draco zu dem Mann, der sich ihnen nähert. „Der will nur…“ Spielen, will er sagen, aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken, als der Mann langsam in Sichtweite kommt.

Es ist niemand anders als Harry Potter.

Draco klappt den Mund mit einem hörbaren Klacken zu und steht etwas zu abrupt auf.

„Hi“, sagt Harry und lächelt etwas schüchtern. „Lange nicht gesehen, Draco.“ Er schaut zu Skipper hinunter, der bereits wieder an ihm hochspringt. „Ich wusste ja gar nicht, dass du auf Hunde stehst.“

„Eigentlich“, sagt Draco und räuspert sich, „ist er ja Lyles Hund.“ Auf Harrys fragenden Blick hin, erläutert Draco: „Er ist mein neuer Mitbewohner. Wir teilen uns eine Wohnung.“

„Merlin in der Wäschetrommel“, fährt Lyle dazwischen. „Du kennst Harry Potter? Drake, das hast du mir ja nie erzählt!“

Jetzt scheinen Draco sowie auch Harry ein bisschen verlegen. „Also, nein. Hab ich wohl vergessen. Aber jetzt weißt du’s ja. Harry – Potter – ist mein… wir waren… also, wir kennen uns eben“, beendet er seinen Satz lahm.

Harry sieht peinlich berührt aus, sagt aber nichts. Lyle schaut von Draco zu Harry, Verwirrung malt sich auf seinem Gesicht. „Ähm“, sagt er. „Soll ich euch zwei vielleicht mal einen Moment allein lassen, damit ihr euch in Ruhe unterhalten könnt?“

Draco nickt dankbar und Lyle zwinkert ihm zu. „Komm schon, Skipper. Wir holen deinem Daddy jetzt ein Eis!“

Harry schaut ihm nach. “Es ist doch viel zu kalt für Eis”, stellt er fest.

Draco lächelt. „Ich weiß.“ Er sieht Lyle und Skipper ebenfalls nach. “Er ist ein toller Typ. Wirklich nett und hilfsbereit, wir haben uns von Anfang an gut verstanden.“

Sie gehen nebeneinander her, ganz langsam. Harry hat seine Hände in den Taschen vergraben und starrt auf den Boden, seine Stiefel kicken Kiesel.

„Ist er dein… seid ihr zwei zusammen?“, fragt er schließlich und schaut Draco dabei nicht an.

„Lyle und ich?“ Draco lacht weich. “Nein. Er ist hetero. Und Hals über Kopf verknallt in Suuusaaan.” Er zieht ihren Namen in die Länge, woraufhin Harry lacht. „Außerdem ist er kaum mein Typ. Scheiße, er sieht doch aus wie Weasley, findest du nicht? Ich mag meine Männer dunkel und gut aussehend.“

Er zwinkert Harry zu und seltsamer Weise scheint Harry bei seinen Worten zu erröten. „Also… hast du im Moment jemand Festes?“, fragt Harry beiläufig.

Draco verneint. „Und du?“

“Nein.”

“Aha.”

Sie gehen einen Moment schweigend nebeneinander her, beide in Gedanken, was sie als nächstes sagen sollen.

„Was treibst du so?“, fragt Draco. „Hast du beim Ministerium aufgehört?“

Harry schüttelt den Kopf. „Nein. Nachdem du weg warst, hab ich mich erst mal eine Woche krank gemeldet. Ich bin zu Hause geblieben und hab mich von Zigaretten und Alk ernährt, wie ich’s dir gesagt hatte.“

Draco zuckt zusammen und kämpft gegen die Versuchung, Harrys Arm zu nehmen und ihn zu trösten.

„Aber dann, irgendwo zwischen Kloschüssel und meinem Bett hab ich dann kapiert, dass diesmal niemand da ist, um mich aufzuheben. Wenn ich fiel, würde ich unten bleiben Und irgendwie hat mich das echt in die Gänge gebracht.“ Er schaut zögerlich auf. „Erscheint einem fast zu einfach, oder nicht?“

Ja, will Draco sagen, tut es aber nicht. Stattdessen sagt er: „Ich dachte, du hasst deinen Job! Ich dachte, dass du deswegen nie hingegangen bist, als wir noch… als ich noch da war.“

Harry zuckt die Schultern. „Ich hab ihn gehasst. Aber dann war ich auch einfach ein totales Weichei.”

Er lächelt Draco an und Draco schluckt. Harry so zu sehen ist irgendwie ein bisschen viel für ihn.

Plötzlich bleibt Harry stehen und dreht sich zu ihm um. „Hör mal, Draco. Ich hab darüber nachgedacht, was passiert ist. Ziemlich viel sogar. Und ich will, dass du weißt, dass es mir wirklich leid tut.”

Draco sieht ihn an, sieht durch ihn hindurch, sieht vom Wind gezauste Baumwipfel und Kinder, die ihre Drachen steigen lassen. Er beobachtet das Spiel des Sonnenlichts auf Harrys Gesicht, während Windböen Wolken über den blauen Himmel jagen. Er möchte Harry sagen, wie viel er ebenfalls darüber nachgedacht hat, und wie sehr er ihn noch immer vermisst. Er möchte seine Arme um ihn werfen und seine Nase in seinem unordentlichen, schwarzen Haar vergraben, Körper an Körper spüren, die Hitze einer leidenschaftlichen Umarmung fühlen, etwas, das er schon so lange nicht mehr erlebt hat.

Doch am Ende sagt er nur: „Ich weiß.“

Da lächelt Harry ihn an und Draco lächelt zurück, und es ist das erste echte Lächeln, das sie austauschen.

„Du siehst gut aus“, sagt Draco und schaut zu Boden, weil es ihm peinlich ist, dass er das gesagt hat. Aber es stimmt. Harrys Äußeres hat sich sehr verbessert. Er ist lange nicht mehr so dünn wie früher, und er sieht auch nicht mehr müde und verbraucht aus, sondern ausgeruht und jung.

„Du auch“, sagt Harry mit einem weiteren kleinen Lächeln auf den Lippen, und Draco nimmt an, dass das ebenfalls der Wahrheit entspricht.

Sie gehen gemeinsam weiter, diesmal in einverständigem Schweigen, und von Zeit zu Zeit berühren sich zufällig ihre Arme, nur ein wenig und nur Sekundenbruchteile; aber dennoch laufen jedes Mal angenehme Schauer über Dracos Körper.

„Also, glaubst du… dass wir…hm…uns vielleicht mal wieder treffen können?“, fragt Harry, und lächelt dabei so schüchtern wie ein kleiner Junge.

Draco grinst. „Glaubst du, wir sind soweit?“

“Um was zu tun, Mann?”, unterbricht ihn Lyle, der plötzlich wieder aufgetaucht ist und tatsächlich eine gewaltige Waffel mit Schokoladeneis in der Hand hält. Wo er mitten im Oktober ein Eis aufgetrieben hat, ist Draco ein Rätsel.

Draco lächelt ihn an, dann Harry, dann wieder Lyle. „Nichts. Einen gesunkenen Traum zu segeln.“

Lyle und Harry tragen ähnlich verblüffte Gesichter zur Schau, und Draco muss lachen. „Das ist eine Zeile aus einem Muggellied“, erklärt er, was es seinen Freunden allerdings auch nicht klarer zu machen scheint. Wenn überhaupt, so sind sie noch verwirrter durch Dracos unerwartetes Wissen über Muggelkultur. Draco ist eigentlich selbst ein wenig verwundert, er kann sich nicht erinnern, wann und wo er dieses Lied gehört hat, ganz zu schweigen davon, wer es gesungen hat. Er zuckt die Schultern. „Vergesst es.“

Er lächelt wieder, genießt die warme Herbstsonne auf seinem Gesicht, während der Wind sein blasses Haar schon beinahe liebevoll zerwühlt.

Harry schaut auf die Uhr und runzelt die Stirn. „Ich muss los“, sagt er und sieht Draco dabei beinahe entschuldigend an. „Ich hab eine Verabredung um vier.“

Als Draco ihn neugierig anschaut, fügt er hinzu: „Ich treffe mich mit Ron und Hermine. Ich hab irgendwann doch zurück geschrieben und wir haben uns ausgesprochen. Wir treffen uns zum Tee und sie werden mir ihre kleine Tochter vorstellen.“

„Ich… wow, das ist toll, Harry!“ Draco ist wirklich überrascht, aber er freut sich für Harry.

Harry schüttelt Lyle die Hand und wirft Draco dann einen erwartungsvollen Blick zu. Draco weiß nicht, was er tun soll, ob er ihm die Hand schütteln oder ihn umarmen soll, also steht er bloß da und lächelt ein bisschen stupide. Harry tut es ihm gleich.

„Meld dich mal, wenn du Zeit hast, was zu unternehmen, okay?“, sagt Harry und Draco nickt.

„Mach ich.“

„Vergiss es nicht“, sagt Harry und zwinkert ihm zu, dann dreht er sich um. „War nett, dich kennen zu lernen, Lyle. Oh, und dich natürlich auch, Skipper!“

Lyle lacht und winkt ihm nach. Draco steht da und sieht Harry zu, wie er langsam in der Ferne verschwindet, ein seltsam beengendes GefĂĽhl in der Brust.

„Also“, sagt Lyle, sobald Harry außer Sichtweite ist, und grinst. „Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Bock hast, am Samstag mit auf das Konzert von Pagan Gods zu kommen. Aber ich nehme mal an, du wirst andere Pläne für das Wochenende haben?“

Draco schüttelt den Kopf. „Ich werde ihn nicht wieder sehen, Lyle.“

„Was? Aber… wieso? Er wollte sich doch mit dir treffen, oder nicht? Und ihr zwei seht super zusammen aus!“

Draco seufzt und starrt ins Leere, wo Harry eben verschwunden ist. „Ich weiß. Trotzdem. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn wir versuchen, von vorn anzufangen. Wir haben uns beide verändert, uns weiterentwickelt. Wir passen nicht mehr zueinander. Und außerdem – das mit uns hätte sowieso nie funktioniert.“

Lyle starrt ihn an. „Ich hab sowas von keine Ahnung, was du meinst, Mann! Ihr zwei seid doch total verschossen ineinander, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock!“

„Sieht man das?“ Draco lächelt. “Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Aber manchmal ist Liebe allein einfach nicht genug.“

Er glaubt, dass ihm die Bedeutung dieses schrecklichen Satzes noch nie so schmerzhaft klar war, wie in diesem Moment.

Lyle sieht ihn an, völlig verwirrt. „Du bist ein seltsamer Typ, weißt du das? Manchmal kapier ich echt nicht, was in deinem Kopf vorgeht, Drake!“

Draco lacht leise. “Das dachte ich mir schon. Hör mal, es ist eine lange Geschichte. Ich erzähl sie dir mal, irgendwann, aber nicht jetzt, okay?“

Lyle seufzt. „Okay, okay, was immer du willst.“ Er sieht einen Augenblick lang nachdenklich drein, dann grinst er. „Also, steht das mit Pagan Gods am Samstag?“

Draco grinst zurück. „Darauf kannst du wetten.“

~Fin~


*Das Lied, von dem Draco spricht, ist “Grace” von Robbie Williams; der Titel ist – logischerweise – die englische Fassung dieses Zitats ;).


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Die Entschlüsselung der Namen ist gut und schön, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass dem zuviel Bedeutung beigemessen wird. Überspitzt gesagt, könnte Malfoy auch Müller-Lüdenscheid heißen, er würde aber dieselbe finstere Figur bleiben.
Klaus Fritz