von SarahBlack
Am nächsten Morgen war Hermine noch schlechter gelaunt. Sie hatte kaum geschlafen, da sie in Gedanken wieder bei dem Kuss gewesen war. Wieso musste sie ständig daran denken? Es war ein dummer Kuss gewesen, nichts weiter. Sie kannte Draco doch gar nicht. Eigentlich mochte sie ihn noch nicht einmal. Wieso konnte sie die Sache dann nicht einfach vergessen?
Auf dem Weg in die Große Halle rempelte Hermine eine Gruppe Ravenclaws, stolperte über eine Treppenstufe und fuhr ein paar Erstklässler an, die über einen Witz zu laut lachten.
Ãœbel gelaunt setzte sie sich neben Harry und Ron an den Tisch.
"Leihst du mir heute Abend mal deinen Feuerblitz?", fragte Ron an Harry gewandt.
"Natürlich", sagte Harry. "Wieso?"
"Wir könnten zusammen ein bisschen Trainieren", meinte Ron. "Wir können abwechselt auf dem Feuerblitz fliegen."
"In Ordnung", sagte Harry.
"Ich bin mal gespannt, ob bei dem nächsten Quidditchsp..."
"Könnt ihr auch mal über etwas Anderes als über Quidditch reden?", fauchte Hermine.
"Was soll das denn heißen?", wollte Harry wissen. "Du tust ja so, als würden wir nie über etwas Anderes reden."
"Wie wäre es, wenn ihr euch zur Abwechslung mal über etwas Wichtiges unterhalten würdet?", fragte Hermine.
"Was denn?", Ron sah sie neugierig an.
"Die U.T.Z. Prüfungen zum Beispiel", meinte Hermine.
"Hermine, das dauert noch Monate", sagte Ron entgeistert.
"Man kann nie früh genug damit anfangen", entgegnete Hermine.
Ron und Harry warfen sich vielsagende Blicke zu und aßen dann schweigend weiter. Hermine versank schon wieder in Gedanken. Die Bibliothek, das Kribbeln in ihrem Bauch, Draco, seine Lippen, sein...
"Ich glaube nicht, dass ich das schaffe", sagte Ron laut und riss Hermine aus ihren Gedanken.
"Ron", sagte Hermine aufgebracht. "Musst du so laut schreien?"
"Was denn?", fragte Ron. "Ich habe mich gerade mit Harry über die U.T.Z. Prüfung in Zaubertränke unterhalten. Du wolltest doch, dass wir uns über etwas Wichtiges unterhalten. Dir kann man's aber auch nie recht machen."
"Ach, macht doch, was ihr wollt", sagte Hermine, stand auf und ging aus der Großen Halle.
"Wo will sie jetzt schon wieder hin?", fragte Ron kopfschüttelnd.
"Wahrscheinlich wieder in die Bibliothek", meinte Harry.
Harry hatte Recht gehabt. Nachdem Hermine die Große Halle verlassen hatte, war sie sofort in die Bibliothek marschiert, hatte sich ein Verwandlungsbuch geschnappt und angefangen zu lesen. Allerdings konnte sie sich nicht wirklich auf den Inhalt des Buches konzentrieren. Sie musste an den Streit mit Harry und Ron denken. Warum rastete sie neuerdings bei jeder Kleinigkeit aus? Ihre beiden Freunde hatten doch gar nichts gemacht, im Gegenteil, sie hatten sich über die U.T.Z. Prüfungen unterhalten, über ein ganz vernünftiges Thema. Hermine verstand einfach nicht, was mit ihr los war. Das Ganze war seit ihrem Unfall in der Bibliothek. Hatte es etwas mit dem Buch zu tun? Oder damit, dass Draco plötzlich nett zu ihr war? Oder war sie einfach nur überarbeitet? Vielleicht sollte sie endlich mal auf ihre beiden Freunde hören und eine Pause einlegen. Aber was sollte sie dann machen? Sie war es gewohnt, zu lesen und zu lernen. Sie interessierte sich nicht wirklich für Quidditch oder das alberne Geschwätz der anderen Mädchen. Wenn sie nicht las, war ihr langweilig. Wie sollte sie dann eine Pause einlegen?
"Hermine?", eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Hermine sah auf und war überrascht, Harry vor sich stehen zu sehen.
"Was ist denn?", fragte sie.
"Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass wir..."
"Nein, ist schon in Ordnung", sagte Hermine abwinkend. "Es war meine Schuld. Ihr habt Recht, ich bin in letzter Zeit ein bisschen im Stress."
"Wieso machst du denn nicht mal etwas Anderes, als nur lesen und lernen?", wollte Harry wissen.
"Aber was denn?", fragte Hermine. "Du weißt, dass ich für Quidditch nicht viel übrig habe."
"Es muss ja nicht unbedingt Quidditch sein", meinte Harry. "Aber du könntest einfach so mal wieder etwas mit Ron und mir machen. Zum Beispiel Hagrid besuchen. Wir waren in diesem Schuljahr noch nicht oft bei ihm. Oder wir könnten auch zusammen einen Spaziergang über die Ländereien machen."
Hermines Gesicht hellte sich auf. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie schämte sich ein wenig, dass sie Hagrid vergessen hatte. Sicher fragte er sich schon, warum sie ihn nicht mal wieder zum Tee besuchten. Und das mit dem Spaziergang war auch keine schlechte Idee. Da konnte man einen freien Kopf bekommen oder über etwas reden, das einen bedrückte. Wenn man nicht gerade mit Ron interwegs war. Auch wenn sie Ron sehr gern hatte, reden konnte man mit ihm nicht sehr gut. Bei Harry war das wieder etwas Anderes. Er konnte durchaus vernünftig sein, wenn er wollte.
"Harry, das ist eine tolle Idee", sagte Hermine. "Wollen wir gleich losgehen? Ein bisschen frische Luft täte mir jetzt wirklich gut."
Harry starrte sie ungläubig an.
"Hermine, wir haben jetzt erstmal Verwandlung", sagte er verwirrt. "Sag bloß, du hast den Unterricht vergessen."
Hermine sah ihn entsetzt an.
"Verwandlung?", fragte sie. "Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich vergessen habe, dass wir noch Unterricht haben. Wie konnte mir das passieren?"
Hermine schlug das Buch zu und sprang auf.
"Du bist wirklich überarbeitet", meinte Harry kopfschüttelnd, als die beiden sich auf den Weg zum Verwandlungszimmer machten. "Aber wenn du möchtest, können wir heute Nachmittag einen Spaziergang machen. Du brauchst dringend Abwechslung."
Am Nachmittag brachten Harry und Hermine ihre Schulsachen in ihre Schlafsäle und gingen dann nach draußen. Ein kühler Wind bließ ihnen entgegen, als sie am See entlangliefen.
"Wo ist Ron eigentlich?", fragte Hermine. "Ist er nicht sauer, dass wir ohne ihn spazieren gehen?"
"Er ist mit Ginny beim Quidditchfeld", erklärte Harry. "Ich habe den beiden meinen Feuerblitz geliehen."
Hermine lächelte.
"Was grinst du so?", wollte Harry wissen.
"Ron hat mal wieder nichts Anderes als Quidditch im Kopf", sagte Hermine.
Eine Weile schwiegen beide. Hermine genoss die Ruhe und die frische Luft. Der Wind schien all ihren Ärger davonzufegen. Das mit dem Spaziergang war wirklich eine gute Idee gewesen. Plötzlich spürte Hermine Harrys Blick auf sich.
"Was ist?", fragte sie.
"Du siehst in letzter Zeit ein bisschen blass aus", meinte Harry. "Was ist los mit dir?"
"Nichts", log Hermine.
"Sogar Ron ist es aufgefallen, dass es dir nicht gut geht", sagte Harry. "Wir machen uns Sorgen um dich. Nicht, dass du uns noch umkippst."
"Ich kippe nicht einfach so um", erwiderte Hermine. "Außerdem habe ich mir vorgenommen, ein bisschen weniger zu arbeiten. Zufrieden?"
Hermine war es langsam leid, dass ihre Freunde sich ständig um sie sorgten.
"Wenn du dich wirklich daran hältst, ja", sagte Harry. "Du solltest mal wieder öfter raus gehen. Die frische Luft tut dir gut."
"Ja, du hast Recht", stimmte ihm Hermine zu. "Das war eine gute Idee von dir."
"Was hältst du davon, wenn wir Hagrid in den nächsten Tagen besuchen?", fragte Harry.
"Gerne", meinte Hermine. "Wir haben ihn lange nicht mehr gesehen."
Der Wind fegte ihnen ein paar Blätter entgegen. Hermine wickelte ihren Schal ein wenig fester um ihren Hals.
"Wollen wir langsam zurück gehen?", fragte Harry. "Wir könnten am Quidditchfeld vorbeigehen und Ron und Ginny kurz beim Training zu sehen."
Hermine nickte und die beiden machten sich auf den Weg zum Quidditchfeld.
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